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PARTEIEN/222: Welchem Zweck dient die Gewalt der IRA-Dissidenten? (SB)


Welchem Zweck dient die Gewalt der IRA-Dissidenten?

IRA-Abtrünnige erweisen dem irischen Republikanismus einen Bärendienst


In Nordirland hat der seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 längst als erledigt geltende "Terrorismus" wieder Einzug gehalten. Zwei Tage, nachdem zwei britische Soldaten vor den Toren der Garnison der Stadt Antrim in der gleichnamigen Grafschaft erschossen wurden, wurde am 9. März in Craigavon in der Grafschaft Armagh ein Mitglied des Police Service of Northern Ireland (PSNI) von einer Kugel tödlich getroffen. Zum Überfall auf die Soldaten hat sich die Real IRA, zu den Schüssen auf die Polizei die Continuity IRA bekannt. Beide Splittergruppen bestehen aus ehemaligen Mitgliedern der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die sich von dieser nach dem von ihr verkündeten Waffenstillstand 1997 abgespalten hatten.

Es stellt sich die Frage, was die republikanischen Dissidenten mit ihren jüngsten Gewaltaktionen erreichen wollen. Die früheren Troubles, die von 1969 bis 1997 tobten, die von Anschlägen auch in der Republik Irland und auf dem britischen Festland begleitet waren und rund 3500 Menschen das Leben kosteten, waren zu Ende gegangen, weil die Führung der IRA und ihres politischen Arms Sinn Féin erkannt hatte, daß man militärisch die britische Armee nicht zum Rückzug aus Nordirland zwingen konnte. Der Grund dafür war - und ist -, daß es rund eine Million Protestanten in Nordirland gibt, die sich in erster Linie als Briten sehen und deren Verbundenheit mit Großbritannien bzw. deren Abneigung gegenüber dem republikanischen Traum eines wiedervereinigten Irlands durch Angriffe auf Armee und Polizei nur noch verstärkt wurde.

Den Rückhalt, den die mehrere hundert Mann starke IRA seitens der katholisch-nationalistischen Bevölkerung Nordirlands aufgrund der Repressionen und Drangsalierungen des unionistischen Staatsapparats bei ihrem jahrelangen Kampf erfuhr, gibt es für die paar Dutzend republikanischen Abtrünnigen nicht. Sinn Féin versucht über ihre Beteiligung an der interkonfessionellen Koalitionsregierung in Belfast mit der Democratic Unionist Party (DUP), die politische Arbeit im Dubliner Parlament sowie die im Zuge des Karfreitagsabkommens geschaffenen, grenzüberschreitenden Strukturen wie den Nord-Süd-Rat ihre Ziele auf friedlichem Wege zu erreichen. Für eine Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen die britische Krone gibt es selbst bei den allermeisten eingefleischten Republikanern kein Verständnis mehr.

Um das Bild des berühmten Guerillakriegstheoretikers und Gründers der Volksrepublik China, Mao Tse-tung, zu gebrauchen, gibt es kein Meer von Anhängern und Sympathisanten, in dem die Aktivisten der Real IRA und der Continuity IRA schwimmen könnten. Folglich ist ihr Kampf gegen die britische Armee, nicht nur völlig aussichtslos, sondern im republikanischen Sinne kontraproduktiv. Vor diesem Hintergrund muß man sich die Frage stellen, welchem Zweck die aufflammende Gewalt in Nordirland dienen soll.

Fest steht, daß durch die Ereignisse der letzten drei Tage die Forderung, die Sinn Féin seit zwei Jahren erhebt, nämlich nach Übertragung der Verantwortung für die innere Sicherheit in Nordirland an die Regierung in Belfast, hat an argumentativer Stärke verloren. Jetzt gilt plötzlich London, vor allem das für die Polizei zuständige Nordirland-Ministerium und der Inlandsgeheimdienst MI5, wieder als Garant von Frieden und Sicherheit. Bedenkt man, im welchem Ausmaß die Real IRA und die Continuity IRA vom MI5 und dem britischen Militärgeheimdienst überwacht werden bzw. unterwandert sind, drängt sich der Verdacht auf, daß die jüngste Entwicklung bestimmten Elementen des britischen Sicherheitsapparats ganz gelegen kommt. [1] Das Real-IRA-Mitglied Patrick Joseph Blair, das die Bombe gebaut haben soll, die am 15. August 1998 in Omagh in der Grafschaft Tyrone 29 Menschen, darunter eine mit Zwillingen hochschwangere Frau, tötete, gilt als Geheimdienstdoppelagent, was erklärt, warum weder die PSNI noch die Garda Síochána in der Republik Irland diesen jemals zu seiner Rolle beim blutigsten Einzelanschlag der jüngeren Geschichte Nordirlands vernommen hat, geschweige denn, daß die Staatsanwaltschaft beiderseits der Grenze Anklage gegen ihn erhoben hätte. [2]

Wie der Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams im Interview für die Sendung Adhmhaidin des irischen Radiosenders Raidió na Gaeltachta am 9. März erklärt hat, arbeiten die IRA-Abtrünnigen mit ihren jüngsten Umtrieben den "Busenfreunden" beim britischen Sicherheitsapparat regelrecht zu. Darüber hinaus gibt es auch ein mögliches Motiv, warum gerade jetzt ein Aufflammen der Gewalt in Nordirland bestimmten Elementen unter Großbritanniens "Securokraten" nützt. Seit einigen Wochen kocht in der britischen Öffentlichkeit der Skandal um das Schicksal des Äthiopiers Binyam Mohamed hoch, der seit Kindesalter in Großbritannien Asyl genoß. 2002 wurde Mohamed in Pakistan als mutmaßlicher "Terrorist" verschleppt und von der CIA nach Marokko geflogen, wo man ihn grausam folterte, bis er schließlich in Guantánamo Bay landete. Mohamed, der Ende Februar von den US-Militärbehörden freigelassen und nach England geflogen wurde, behauptet felsenfest, britische Geheimdienstagenten, die eventuell vom MI5 kamen, hätten seiner Folter beigewohnt, weshalb seitens Menschenrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen gefordert wird, daß man die Schuldigen identifiziert, unter Anklage stellt und gegebenenfalls verurteilt. Von daher kann die Möglichkeit, daß der MI5 über die Real IRA und die Continuity IRA in Nordirland die Puppen tanzen läßt, um die Regierung von Premierminister Gordon Brown vor allzu drastischen Schritten im Fall Binyam Mohamed abzuschrecken, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

10. März 2009

Fußnoten:

1. "Omagh-Anschlag - BBC belastet britischen Geheimdienst", Schattenblick (siehe EUROPOOL\REDAKTION\JUSTIZ/180:), 9. Oktober 2008

2. Neil Mackay, "Revealed: The Face of the Omagh IRA bomber, IRA gunman Patrick Blair", Sunday Herald, 13. Januar 2002; Steve James, "Northern Ireland: The Arrest of Kevin Fulton and the Omagh Bombing", World Socialist Web Site, 1. Dezember 2006