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PARTEIEN/255: Irisches Parlament aufgelöst - Wahl am 25. Februar (SB)


Irisches Parlament aufgelöst - Wahl am 25. Februar

Fianna Fáil in allen Umfragen weit unten aber immer noch gefährlich


Am 1. Februar ist das 33. Dáil Éireann (das Irische Parlament) offiziell zu Ende gegangen. Im Dáil (dem Unterhaus) hat Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen den Rücktritt der aus seiner nationalkonservativen Partei Fianna Fáil und den Grünen seit 2007 bestehenden, von einigen unabhängigen Abgeordneten unterstützten Koalitionsregierung wie erwartet erklärt und ist anschließend zum Amtssitz des Staatsoberhaupts im Dubliner Phoenix Park gefahren, um Präsidentin Mary McAleese um eine Auflösung des Parlaments zu bitten. Die Wahlen, die für eine gewaltige Veränderung der politischen Landschaft in der Republik Irland sorgen dürften, finden am 25. Februar statt. Das Rennen um die 166 Sitze im Dáil, das inoffiziell bereits seit Wochen läuft, ist in die heiße Phase eingetreten.

Cowen, der seit 1984 als Abgeordneter den ländlichen Wahlbezirk Laois-Offaly vertritt, stellt sich nicht zur Wiederwahl auf. Bei einem Radiointerview am Abend des 31. Januar hat der 51jährige Anwalt, der in den letzten 27 Jahren in verschiedenen von Fianna Fáil angeführten Regierungen Minister unter anderem für Energie, Transport, Gesundheit, Äußeres und Finanzen gewesen ist, seinen Rücktritt aus der aktiven Politik bekanntgegeben. Er bleibt Premierminister, nur bis die neue Regierung gebildet worden ist. Damit zog er die Konsequenzen aus der suboptimalen - um das in Deutschland mit der Person Gerhard Schröder verbundene Adjektiv zu gebrauchen - Leistung, die er in den letzten Wochen und Monaten gebracht hat.

Cowen war von 2004 bis 2008 Finanzminister unter Bertie Ahern und trägt somit eine nicht geringe Verantwortung für die lasche behördliche Aufsicht, die in Irland zur Entstehung einer gigantischen Immobilienblase und nach deren Platzen und der anschließenden Insolvenzkrise der meisten Banken und Bauunternehmen auf der grünen Insel beinahe zum Staatsbankrott geführt hat. Nach der Übernahme des Postens des Premierministers hat sich Cowen in der Rolle als Krisenbewältiger als inkompetent erwiesen. Sein mangelhafter Umgang mit den Medien hat die ohnehin große Verärgerung bei der irischen Bevölkerung über die Schmach der Annahme eines "Rettungspakets" vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von 85 Milliarden Euro im vergangenen Herbst, die in den kommenden Jahren teuer zurückgezahlt werden müssen, ins Unermeßliche steigen lassen. Der peinliche Kampf um den Verbleib als Vorsitzender von Fianna Fáil, die mißglückte Kabinettsumbildung im Januar und die Kontroverse nach der Enthüllung eines bisher unbekannten Golfausflugs mit Sean Fitzpatrick, dem Vorstandsvorsitzenden der mit Verbindlichkeiten von mindestens 35 Milliarden Euro pleitegegangenen Anglo Irish Bank im Juli 2008, kurz, nachdem Cowen Premierminister geworden war, und wenige Wochen vor Beginn der Finanzkrise, haben den einstigen politischen Shooting Star zur Spottfigur verkommen lassen, deren Umfragewerte verdientermaßen unter 14 Prozent absackten.

Laut Umfragen deutet alles darauf hin, daß die ebenfalls nationalkonservative Fine Gael - nach Fianna Fáil traditionell die zweistärkste Partei im Dáil - in der nächsten Legislaturperiode die mit Abstand größte Fraktion bilden und den Premierminister in der Person ihres Vorsitzenden Enda Kenny stellen wird. Bei der letzten Wahl gewann sie mit 27,3 Prozent der abgegebenen Stimmen 51 Sitze. Derzeit liegt Fine Gael in den Umfragen bei 33 Prozent. Man schätzt, daß sie eventuell ein Rekordergebnis von mehr als 70 Sitzen erzielen wird. Doch für eine alleinige Regierungsmehrheit im 166sitzigen Dáil wird das nicht reichen. Bisher ging man davon aus, daß Fine Gael, wie öfter in der Vergangenheit, eine Koalition mit der sozialdemokratischen Labour-Partei bilden wird. Doch in den letzten Tagen ist die Zuverlässigkeit dieser Annahme fraglich geworden.

Labour hat derzeit 20 Sitze. Man rechnet damit, daß sie bei der Wahl um die 30 Sitze gewinnen wird. Doch in den letzten Wochen sind die Umfragewerte für Labour von 24 auf 21 Prozent zurückgegangen. Für die negative Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Die Annahme, daß Labour unter der Führung von Eamon Gilmore nach der Wahl in erster Linie als Mehrheitsbeschafferin für Fine Gael fungieren und in der Folge deren Austeritätspolitik - Sozialkürzungen, Privatisierung staatlichen Besitzes, erhöhte Abgaben für alles und jedes, um die Staatsfinanzen zu sanieren - mittragen wird, kommt bei den vielen, mit den etablierten Parteien unzufriedenen Wählern schlecht an. Deshalb verliert Labour an Boden gegenüber der linksnationalistischen Sinn Féin, die dem Wahlvolk ein detailliertes, keynesianisches Konjunkturprogramm vorgelegt hat, und dem neuen Linksbündnis, die United Left Alliance (ULA), deren Anführer, Joe Higgins von der Sozialistischen Partei Irlands (SPI) und Richard Boyd Barrett von der People Before Profit Alliance (PBPA), den Unmut vieler Menschen über die Ungerechtigkeit der staatlichen Übernahme der astronomischen Schulden jener Finanzjongleure und Baulöwen artikulieren, die sich während der Jahre des "keltischen Tigers" wie die Halbgötter benommen hatten.

Im nächsten Dáil werden so viele linke Abgeordnete wie noch nie sitzen. Den jüngsten Prognosen zufolge könnte Sinn Féin die Zahl ihrer Mandate von derzeit fünf auf fünfzehn glatt verdreifachen, während es die ULA und sonstige unabhängige Kandidaten zusammen auf vielleicht 16 Abgeordnete bringen könnten. Einige Beobachter malen sogar die lange erwartete Rekonstellation der politischen Landschaft nach herkömmlichen westeuropäischem Links-Rechts-Schema an die Wand. Doch bei Labour will man nun plötzlich vom Möglichwerden jenes Szenarios, das man jahrzehntelang angeblich herbeigesehnt hat, nichts mehr wissen. Bezeichnend war der unfreiwillig komische Auftritt Róisín Shortalls, der Labour-Abgeordneten für Dublin West, in der RTÉ-Fernsehsendung "The Week in Politics" am 23. Januar. Auf die Frage des Moderators, ob Labour im hypothetischen Fall einer Mehrheit im Parlament für die irische Linke bereit wäre, eine entsprechende Koalition anzuführen, meinte Shortall, bei den Kollegen von Sinn Féin und der ULA handele es sich allesamt um "ragbags and misfits" ("Lumpen und Querulanten"), denen man keine Regierungsverantwortung übertragen dürfe. Irland brauche "Stabilität", weshalb Labour zusammen mit Fine Gael die neue Administration stellen werde, so Shortall.

Ob die Rechnung der von den Idealen des Parteigründers James Connolly weit abgekommenen Labour-Führung um Gilmore, Shortall, Ruairi Quinn und Pat Rabitte aufgeht, ist eine andere Frage, denn offenbar will die längst abgeschriebene Fianna Fáil ihr einen gewaltigen Strich dadurch machen. Fianna Fáils neuer Vorsitzender, der Ex-Außenminister Micheál Martin, hat sich überraschenderweise vor wenigen Tagen zur Duldung einer Minderheitsregierung von Fine Gael bereit erklärt, weil sie angeblich die einzige andere Kraft ist, auf die man sich verlassen könne, den von der Cowen-Administration eingeschlagenen, mit dem IWF und der EZB ausgehandelten, höchst unpopulären Weg zur Sanierung der Staatsfinanzen fortzusetzen. Für Fine Gael ist das Angebot nicht unattraktiv. Enda Kenny und Konsorten könnten die Regierung ohne Labour bilden, müßten auf sie keine Rücksicht nehmen und könnten alle Kabinettsposten unter sich aufteilen. Der Vorschlag Martins war ein gelungener Schachzug, der die politischen Gegner von Labour in erheblichen Aufruhr versetzt hat. Fianna Fáil mag derzeit sehr tief in den Umfragen liegen - 16 Prozent - und bei der kommenden Parlamentswahl weit mehr als die Hälfte ihrer derzeit 71 Sitze verlieren, doch der Wille ihrer Führung, selbst wenn sich die Partei gerade in einer schwierigen Phase der Erneuerung befindet, zur Macht darf niemals unterschätzt werden.

1. Februar 2011