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PARTEIEN/286: Ohne Schottland wäre Großbritannien keine Großmacht (SB)


Ohne Schottland wäre Großbritannien keine Großmacht

Londons Angst vor der schottischen Unabhängigkeit nimmt zu



In Großbritannien nimmt die Debatte um das Für und Wider der Unabhängigkeit Schottlands, über die dessen Bürger am 18. September, dem 800. Jahrestag der Schlacht von Bannockburn, dem größten militärischen Sieg der Schotten, damals unter Robert the Bruce, über die Engländer unter Edward II., abstimmen werden, an Heftigkeit zu. Laut Umfragen liegen die Befürworter, angeführt von der in Edinburgh regierenden Scottish National Party (SNP) um Premierminister Alex Salmond zwar noch leicht hinter den Unabhängigkeitsgegnern, haben dafür aber vor kurzem die psychologische 40-Prozent-Marke überschritten und befinden sich im Aufwind. Um so hysterischer argumentieren nun die Gegner eines unabhängigen Schottlands, durch das sie zu Recht die Großmachtstellung Großbritanniens gefährdet sehen.

Am 7. Februar appellierte der britische Premierminister David Cameron in einer großangekündigten Grundsatzrede an die Schotten, dem Vereinigten Königreich nicht den Rücken zu kehren, zudem rief er alle Menschen in England, Wales und Nordirland, die schottische Freunde oder Familieangehörige haben, dazu auf, auf diese einzuwirken, damit Schottland Teil des "großartigsten Landes in der Geschichte" bleibt. Doch weder Camerons Beschwörung des Geistes der Olympischen Spiele von 2012, als "Team GB" großartige sportliche Erfolge erzielte, noch seine Vorstellung von den Briten als "einer Familie" scheint nördlich des Hadrianswalls auf besondere Resonanz gestoßen zu sein.

Als Vorsitzender der konservativen Partei Großbritanniens hat der Engländer Cameron in Schottland ein unüberwindbares Glaubwürdigkeitsproblem. Aus Sicht der meisten Schotten verfolgt die britische Zentralregierung seit 1979, zunächst unter den konservativen Premierministern Margaret Thatcher und John Major, danach unter den Sozialdemokraten Tony Blair und Gordon Brown und seit vier Jahren mit der konservativ-liberaldemokratischen Koalition Camerons eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik, welche die Reichen wohlhabender macht und dem Finanzplatz London zugute kommt, während Millionen Menschen in die Armut gestürzt und weite Teile der verarbeitenden Industrien Schottlands, Nordenglands und Wales' geopfert wurden. (Der jüngste Beleg dieser traurigen Entwicklung ist ein am 16. März veröffentlichter Bericht der Wohltätigkeitsvereinigung Oxfam, wonach die fünf reichsten britischen Familien über ein persönliches Vermögen verfügen, das dem des unteren Fünftels der Bevölkerung entspricht.) Deswegen haben die britischen Konservativen in Schottland kaum noch etwas zu melden und werden dort nur noch als Vertreter des englischen Geld-Adels betrachtet.

Wegen der mangelnden Begeisterung für Camerons "Team GB"-Rede versuchen nun die Gegner der schottischen Unabhängigkeit den Schotten Angst zu machen. Die Pläne der SNP sehen so aus, daß nach einem Sieg für die Ja-Kampagne Schottland formell aus der 1707 beschlossenen Union mit England austreten, jedoch die Monarchie und das britische Pfund als Währung beibehalten wird. Seit einiger Zeit vertritt der britische Finanzminister George Osborne, wie Cameron auch ein Produkt der englischen Eliteschule Eton, den Standpunkt, daß sich Schottland im Falle einer Unabhängigkeit eine eigene Währung schaffen oder um einen Beitritt in die Eurozone betteln müßte. Im Gegenzug drohte SNP-Chef Salmond damit, den schottischen Anteil an den britischen Staatsschulden nicht anzuerkennen, sollte London versuchen, Schottland den Verbleib in der Währungsunion zu verweigern. Der Währungsstreit zwischen London und Edinburgh hat auf den internationalen Finanzmärkten Unruhe ausgelöst, schließlich liegen die britischen Staatsschulden derzeit bei 1,4 Billionen Pfund (1,67 Billionen Euro) sollen bis 2016 auf 1,7 Billionen Pfund (2,04 Billionen Euro) ansteigen. Um die Börsenspekulanten wieder zu beruhigen, hat der aus Kanada stammende Direktor der Bank of England, Mark Carney, der britischen Zentralbank eine Erklärung abgegeben, wonach die Einrichtung einer Währungsunion zwischen Schottland und Rest-Großbritannien zwar eine zu lösende, aber nicht ganz einfache Aufgabe wäre.

Unterstützung erhalten Cameron und Osborne in ihrer Angst-Kampagne von Teilen der britischen Industrie sowie aus der EU. Anfang Februar mischte sich Bob Dudley, der amerikanische Chef von BP, in die Unabhängigkeitsdebatte mit der Bemerkung ein, er sehe es wegen der vielfachen Investitionen seines Unternehmens in die Ölförderung in der Nordsee ungern, wenn Schottland von Großbritannien "abdriften" würde und dadurch Unsicherheiten entstünden, in welcher Währung man seine Geschäfte dort tätige. Die Leitung des Versicherungsunternehmens Standard Life, das seit 1825 in Edinburgh seinen Sitz hat, droht öffentlich damit, im Falle der Unabhängigkeit die Konzernzentrale in die Londoner City zu verlegen. Im Jahresbericht der Royal Bank of Scotland (RBS) hieß es, ein Sieg der Ja-Seite am 18. September könnte negative Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit der Firma und die "fiskalischen, monetären, gesetzlichen und rechtlichen" Rahmenbedingungen, in denen sie operiert, haben.

Die Interventionen von Standard Life und RBS dürften nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Schließlich trägt der Finanzsektor mit jährlich 14 Milliarden Pfund (16,7 Milliarden Euro) 13 Prozent des schottischen Bruttosozialproduktes bei. Allein Standard Life beschäftigt in Schottland 5.000 Menschen. Auch der Disput zwischen Salmond und dem portugiesischen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, ob ein unabhängiges Schottland automatisch Mitgliedsland der Europäischen Union wäre oder einen Beitritt neu beantragen müßte, dauert an. Barroso beharrt auf letzterem Szenario; Salmond lehnt dies als eine vollkommen falsche Auslegung der europäischen Verträge ab.

Der bislang schwerste Angriff auf die Kampagne für die schottische Unabhängigkeit erfolgte am 17. März in einem von der reaktionären britischen Zeitung Daily Telegraph, die traditionell als Hauspostille der königlichen Streitkräfte fungiert, veröffentlichten Beitrag. In einem Gastkommentar bezeichnete Vizeadmiral John McAnally das aktuelle Streben Schottlands in Richtung Unabhängigkeit als nichts geringeres als "die größte strategische Bedrohung, mit der unsere Streitkräfte konfrontiert wurden"; will heißen, Alex Salmond und die SNP sind als Gegner höher als das Nazi-Deutschland Adolf Hitlers und Josef Stalins Sowjetunion einzustufen. McAnally, ein ehemaliger Leiter des Royal College of Defence in London, behauptete, daß Schottlands Unabhängigkeit Großbritannien seinen Status als Atommacht kosten würde. Die Kosten der Verlegung der britischen Atom-U-Boote, die ihren Stützpunkt im schottischen Faslane haben, gingen in die Milliarden und würden vermutlich zum Verlust der Flotte führen, meinte er.

McAnally bekannte sich "mit Stolz" zu den britischen Streitkräften, die er - ganz im neoliberalen Sinne - als "eine der großen Marken des Vereinigten Königreichs" bezeichnete. "Die Union aufzulösen, würde ihnen schwere Schäden zufügen und Schottland und Britannien erhebliche Kosten bescheren, um die Lücken bei der verlorenen Infrastruktur zu schließen. Unsere Beziehung zu den Vereinigten Staaten, unser Status als eine führende Militärmacht und selbst unsere ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat würden vermutlich verlorengehen", so McAnally. Der Seemann, der 1962 zur königlichen Marine ging und im Laufe seiner langen Karriere auf insgesamt 17 Schiffen gedient hat, entwarf eine absolut hysterische Vision für den Fall, daß sich die Schotten im September für die Unabhängigkeit entscheiden sollten: "Wir wären auf das Niveau zweier sich abmühender Nationen an der Peripherie Europas, die nicht die Mittel zur Verteidigung ihrer inzwischen getrennten Interessen hätten, reduziert". Nun, mit einem solchen "Niveau" kommen die Isländer, Norweger und Iren bisher ganz gut zurecht.

18. März 2014