Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → REDAKTION


PARTEIEN/324: Historische Nordirlandwahl - Unionisten geschockt (SB)


Historische Nordirlandwahl - Unionisten geschockt

DUP-Chefin Arlene Foster steht als Todengräberin des Unionismus da


Die Wahlen zum nordirischen Provinzparlament am 2. März haben ein politisches Erdbeben ausgelöst. Zum ersten mal in der Geschichte Nordirlands stellen jene Parteien, die an der Union mit Großbritannien festhalten, nicht den größten Machtblock her. Bei der Wahl errangen die Democratic Unionist Party (DUP) 28 Sitze und die Official Unionist Party zehn. Zusammen haben sie 38 Sitze. Dagegen haben die aus der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hervorgegangene Sinn Féin 27 und die gemäßigte Social Democratic Labour Party zwölf Sitze errungen - ergibt 39. Zwar hat die DUP gerade noch ihre Position als stärkste Fraktion verteidigen können, doch künftig besteht der größte Block im Schloß Stormont, dem Sitz des nordirischen Parlaments im Norden Belfasts, aus katholisch-nationalistischen Abgeordneten, die eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland bzw. ein Ende von "Partition", der Trennung der grünen Insel, befürworten.

Wie konnte es dazu kommen? Aus der letzten Wahl im Mai 2016 waren die DUP mit 38 Sitzen und die UUP mit 16 - ergibt 54 -, Sinn Féin mit 28 und die SDLP mit 12 - ergibt 40 - hervorgegangen. Rückblickend wird jene Wahl als der Zenit unionistischen Machterhalts der Nach-"Troubles"-Ära in die Geschichtsbücher eingehen, als letztes Zeichen vor dem unvermeidlichen Untergang (bedingt durch die höhere Geburtenrate der katholischen im Vergleich zur protestantischen Bevölkerung). Damals nahmen viele Politbeobachter wegen der niedrigen Wahlbeteiligung insbesondere in den nationalistisch geprägten Gegenden an, die Union sei langfristig gesichert, der Drang zur Wiedervereinigung sterbe ab, die meisten Katholiken - höhere Geburtenrate hin oder her - hätten sich mit dem Verbleib im Vereinigten Königreich abgefunden und das Thema Wiedervereinigung würde nur noch an Bedeutung verlieren.

Mehrere Faktoren haben dafür gesorgt, daß sich die Dinge anders als erwartet entwickelt haben und daß die Union nun kurz vor dem hundertjährigen Bestehen Nordirlands - nach der Trennung vom restlichen Irland 1921 im Rahmen der Vereinbarungen zwischen Dublin und London nach dem Irischen Unabhängigkeitskrieg - als Auslaufmodell wirkt, während die Wiedervereinigung Irlands an Unvermeidlichkeit gewinnt.

Die Selbstherrlichkeit von Arlene Foster, die Ende 2015 die DUP-Führung von Peter Robinson übernommen hatte, ist das sichtbarste Zeichen jener Engstirnigkeit gewesen, die bei allen Nicht-Protestanten Nordirlands die Illusion von einem ihnen gegenüber freundlich gesonnenen, offenen Unionismus endgültig ausgetrieben hat. Die DUP hat als einzige Partei Nordirlands bei der Brexit-Wahl am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union geworben. Danach hat sich Foster geweigert, sich in die von der Regierung in Dublin angeregte, gesamtirische, überparteiliche Diskussion, wie man die Folgen des Brexit für Irland als Ganzes am besten abfedern könnte, einzubringen. Hinzu kommt die erzkonservative Haltung, mit der sich die DUP in den Fragen Abtreibung und Homo-Ehe immer mehr von der gesellschaftlichen Mitte entfernte und diese Sinn Féin, SDLP, der religionsunabhängigen Alliance Party und - bedingt - der UUP überließ.

Noch vor der Brexit-Abstimmung ist Foster trotz oder gerade wegen ihrer Funktion als Erste Ministerin Nordirlands demonstrativ der Einladung Dublins zur Teilnahme an den Feierlichkeiten anläßlich der hundertjährigen Feier des Osteraufstands von 1916 nicht gefolgt. Nach dem Sieg der DUP bei der Parlamentswahl im Mai blieb sie ihrer harten, weil erfolgversprechenden Linie gegenüber den irischen Nationalismus treu, brüskierte in der Öffentlichkeit mehrmals den Stellvertretenden Premierminister Martin McGuinness von Sinn Féin, sperrte sich gegen eine Aufwertung der gälischen Sprache und lehnte es ab, Verantwortung für den Skandal um Geldverschwendung in Verbindung mit einer mißratenen Initiative im Bereich der erneuerbaren Energien - die aus ihrer Zeit als Wirtschaftsministerin unter Peter Robinson stammte - zu übernehmen. Das war die Gemengelage, weshalb Sinn Féin durch den Rücktritt des erkrankten McGuinness im Januar den Sturz der Koalitionsregierung mit der DUP in Belfast herbeigeführt und Neuwahlen erforderlich gemacht hat.

Im Wahlkampf der vergangenen eineinhalb Monate waren die bereits erwähnte Renewable Heating Initiative (RHI) und der Brexit die Hauptthemen. Die Brexit-Debatte in Nordirland hat zusätzlich an Brisanz gewonnen, nachdem vor rund zwei Wochen herausgekommen war, daß die DUP 2016 450.000 Pfund an Spenden aus dubiosen Quellen in Großbritannien angenommen hatte, um damit vor allem in England und im Großraum London teure Zeitungsannoncen für den EU-Austritt zu kaufen. Die Kontroverse ließ die Frage der Käuflichkeit der DUP und ihrer Nibelungentreue den englischen Tories gegenüber aufkommen. Als dann Foster im Wahlkampf die Weigerung ihrer Partei, ein seit 2006 anhängiges Gesetz zur Gleichstellung der gälischen Sprache auf den Weg zu bringen, mit dem Argument begründete, man dürfe Krokodilen - gemeint war Sinn Féin - nicht das Futter geben, das sie wollten, denn sie würden niemals satt werden und immer mehr fordern, hatte sie sich endgültig dem Spott preisgegeben. Bei Wahlkampfveranstaltungen tauchten immer mehr Spaßvögel in Krokodilskostümen auf, um Foster für ihre unüberlegte Äußerung zu strafen.

Es hat auch funktioniert. Bei der Abstimmung am 2. März kam es zur höchsten Wahlbeteiligung seit der Annahme des Karfreitagsabkommens im Jahr 1998. Gingen vor einem Jahr nur 54,9 Prozent der Wähler zur Urne, waren es diesmal 64,78 Prozent. Der dramatische Anstieg von fast zehn Prozent erfolgte vor allem bei katholischen Nationalisten. Sie haben in großer Zahl die Gelegenheit ergriffen, Sinn Féin dafür zu belohnen, daß sie endlich der DUP ihre Grenzen aufgezeigt hatte. Wegen der anstehenden Verkleinerung der Anzahl der Sitze im nordirischen Parlament von 108 auf 90 war von vornherein klar, daß alle großen Parteien Sitze verlieren würden. Dennoch geht die DUP, die eigentlich mit mehr als 30 Sitzen gerechnet hatte, als große Verliererin hervor. Umgerechnet hat sie fünf Sitze verloren, Sinn Féin dagegen vier dazu gewonnen. Nicht nur haben Sinn Féin und SDLP nun zusammen mehr Sitze als DUP und UUP zusammen, die Erben der IRA haben in der Endabstimmung nur 1168 Stimmen weniger als die Nachfolger Ian Paisleys erhalten. Vor einem Jahr betrug die Differenz 35.782. Offenbar ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die nationalistische Welle das unionistische Bollwerk abgetragen hat.

In einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis hat Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams, der Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Dubliner Parlament ist, erneut einen Sonderstatus für Nordirland gefordert, damit nach dem Brexit keine harte Grenze mit Wachposten und Zollkontrollen zur Republik aufgebaut wird. In Brüssel dürfte jene Forderung, welche offenbar von einer großer Mehrheit der Menschen in Nordirland getragen wird - Sinn Féin, SDLP, UUP und Alliance sind alle gegen einen "harten" Brexit - auf Verständnis stoßen. In London dagegen könnte die konservative Regierung Theresa Mays zu dem Schluß kommen, daß Nordirland nicht mehr zu halten ist und sie sich verstärkt auf die Abwehr der Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten konzentrieren soll. Bei den künftigen Beratungen über die konkrete Bedeutung Brexits im Kontext der komplizierten anglo-irischen Beziehungen dürfte Arlene Foster vermutlich keine allzu große Rolle spielen. Den Gerüchten aus Belfast zufolge steht der parteiinterne Putsch gegen die Noch-DUP-Chefin unmittelbar bevor.

6. März 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang