Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → REDAKTION


PARTEIEN/332: Nordirland steht Direktverwaltung aus London bevor (SB)


Nordirland steht Direktverwaltung aus London bevor

Marschsaison läßt keine Einigung zwischen DUP und Sinn Féin zu


In Nordirland ist kein Ende der aktuellen politischen Krise in Sicht. Zwar sind die Fronten zwischen der protestantischen, pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP) und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin ohnehin verhärtet, doch sind es vor allem die Marschsaison des reaktionären, protestantischen Oranierordens und die damit verbundenen alljährlichen Spannungen rund um den 12. Juli, die eine Neubildung der interkonfessionellen Provinzregierung in Belfast unmöglich machen. Nordirland-Minister James Brokenshire wird nicht umhin können, die Direktverwaltung aus London wieder einzuführen - die Frage ist jedoch, für wie lange.

Als der krebserkrankte Sinn-Féin-Vizechef und ehemalige IRA-Kommandeur Martin McGuinness im Januar als Stellvertretender Premierminister Nordirlands zurücktrat und damit das Ende der Regierungskoalition herbeiführte, begründete er den drastischen Schritt weniger mit der Verwicklung der nordirischen Premierministerin Arlene Foster von der DUP in den Skandal um die mißratene, weil extrem kostspielige Renewal Heating Initiative (RHI) als vielmehr der kategorischen Weigerung der Unionisten, die nationalistische Gemeinde mit Respekt zu behandeln und ihren Vertretern auf Augenhöhe zu begegnen. McGuinness beklagte unter anderem die Tatsache, daß die gälische Sprache noch immer nicht als Amtssprache anerkannt worden sei, obwohl sich 2006 die DUP und die britische Regierung im Saint Andrew's Agreement dazu verpflichtet hätten.

Das Kernproblem ist die unterschiedliche Interpretation des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 die sogenannten "Troubles" zu Ende gingen. Während die Nationalisten darin die Möglichkeit sehen, mittels Teilnahme an den nordirischen Institutionen ein Ende der Teilung Irlands herbeizuführen, meinen die Unionisten, der Vertrag habe die Union Nordirlands mit Großbritannien für immer und ewig zementiert. Deshalb widersetzt sich die DUP allem, was Nordirland "grüner", sprich "nationalistischer" und weniger "orange", sprich "loyalistisch" der britischen Krone gegenüber machen könnte. Das betrifft allem voran die gälische Sprache, die als Symbol der nationalen Einheit Irlands par excellence gilt.

Bei den notwendig gewordenen Wahlen zur nordirischen Provinzversammlung am 2. März haben die nationalistischen Wähler Sinn Féin für ihre harte Haltung gegenüber der DUP belohnt. Zum Entsetzen der Unionisten fehlten Sinn Féin nur rund 1000 Stimmen, um erstmals als stärkste Partei aus der Wahl hervorzugehen. Als dann im April die britische Premierministerin Theresa May vorgezogene Neuwahlen am 8. Juni für das Unterhaus in London ausrief, mußten die Verhandlungen in Belfast über eine Neubildung der Provinzregierung, die ohnehin auf der Stelle traten, bis Ende Juni verschoben werden. Aus den Unterhauswahlen gingen Sinn Féin und insbesondere die DUP gestärkt hervor. Es kam zu einer beispiellosen Polarisierung der politischen Landschaft Nordirlands. DUP und Sinn Féin haben alle anderen Gruppierungen völlig an den Rand gedrängt.

Nach der Auszählung aller Stimmen stand die DUP mit ihren zehn Mandaten als potentielle Mehrheitsbeschafferin für die britischen Konservativen da, die bei der Wahl überraschend ihren bisherigen Sitzvorsprung eingebüßt hatten. Nach zähen Verhandlungen wurden May und Foster am 26. Juni handelseinig. Im Gegenzug für die künftige Unterstützung im Unterhaus konnte die DUP 1,5 Milliarden Pfund an zusätzlichen Transferleistungen für Nordirland herausholen. Die Einigung zwischen Tories und Democratic Unionists ist jedoch hoch umstritten. Beobachter befürchten, daß London dadurch seine vermeintliche Unparteilichkeit als vermittelnde Instanz im nordirischen Friedensprozeß eingebüßt hat. Viele Nationalisten vermuten, daß bei der geplanten Aufarbeitung der Geschichte des Bürgerkrieges das brisante Thema der Zusammenarbeit des britischen Militärs und Geheimdiensts mit den loyalistischen Paramilitärs der Ulster Volunteer Force (UVF) und der Ulster Defence Association (UDA) nur randläufig behandelt wird. Schließlich haben die loyalistischen Paramilitärs bei der Wahl im Juni nicht wenige Menschen in den ärmeren protestantischen Viertel zur Stimmabgabe für die DUP - um den Vormarsch von Sinn Féin zu stoppen, versteht sich - bewegt.

Noch ein weiterer krummer Deal verbirgt sich angeblich in der Abmachung zwischen May und Foster. Schon länger steht die Forderung im Raum, in Nordirland sollten die gleichen Transparenzgesetze in Bezug auf politische Spenden wie in Großbritannien gelten. Die Einigung zwischen DUP und den Konservativen sieht vor, daß zwar eine buchhalterische Transparenz in den Finanzangelegenheiten der nordirischen Parteien eingeführt wird, jedoch erst ab dem 1. Juli 2017. Damit dürfte für immer geheim bleiben, woher die 450.000 Pfund - die größte Einzelspende in der Geschichte der DUP - stammten, mit denen die Democratic Unionists im Frühsommer 2016 Werbung für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union machten, unter anderem mit einem ganzseitigen Brexit-Aufruf in einer kostenlosen Tageszeitung, die an Millionen von Benutzer des Londoner U-Bahnsystems verteilt wird.

Die überragende Bedeutung der DUP im britischen Parlament hat sich negativ auf die Suche nach einer Kompromißlösung in Belfast ausgewirkt. Während Sinn Féin kein Aufhebens mehr um Fosters Verwicklung in die RHI-Affäre macht, weigert sich die DUP kategorisch, der Forderung der Nationalisten nach einem Gesetz zur Gleichstellung der gälischen Sprache nachzukommen. In einem Gastbeitrag, der am 4. Juli beim Belfast Telegraph erschienen ist, hat Foster Sinn Féin vorgeworfen, die gälische Sprache als Mittel zur Erlangung einer "kulturellen Vorherrschaft" zu verwenden.

Den Nationalisten just zu einem Zeitpunkt ein Streben nach "cultural supremacy" zu unterstellen, an dem landauf, landab Hunderttausende Oranier ihre Märsche rund um den 12. Juli vorbereiten und an ihren riesigen Freudenfeuern für den Abend des 11. Juli basteln, zeugt von Unverfrorenheit, wenn nicht sogar Hybris. Wie selbstverständlich die Loyalisten und Oranier ihre bisherige Vorherrschaft im nordirischen Duodezstaat empfinden, zeigt eine aktuelle Kontroverse im Belfaster Rathaus.

Ende Juni wurde bekannt, daß die Belfaster Kommunalverwaltung rund 3000 Holzpaletten, die sich Loyalisten von der UDA für ein Freudenfeuer zum 12. Juli "besorgt" hatten, in einem städtischen Lager aufbewahrt hatte. Die sonderbare Amtshilfe für die protestantischen Krawallmacher kam nur heraus, weil jemand - angeblich unbemerkt - die 3000 Paletten gestohlen hatte. Jetzt fordern die betroffenen Loyalisten "ihre" Holzpaletten zurück bzw. die Bereitstellung von Ersatzmaterial rechtzeitig zum 11. Juli. Die Stadtverwaltung lehnt dies unter anderem mit dem Hinweis ab, daß ein Teil der Paletten als Diebesgut identifiziert worden war und bereits an die eigentlichen Besitzer zurückgegeben werden konnte.

Dieser Aspekt der Episode läßt den Verdacht aufkommen, daß die Loyalisten von der Rückgabe der gestohlenen Paletten Wind bekommen und selbst die restlichen schnell wieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abtransportiert hatten. Medienberichten zufolge befürchten einige kommunale Angestellte nun Repressalien, sollten die Loyalisten "ihre" Paletten nicht "zurückbekommen". Am Abend des 3. Juli hat der Stadtrat eine Untersuchung des Vorfalls angeordnet. Jedenfalls wird sich in Nordirland politisch nichts bewegen, bis die diesjährige Marschsaison vorbei ist. Man kann nur hoffen, daß sie einigermaßen glimpflich abläuft und es zu keinen Gewaltexzessen kommt, welche die Gemüter zusätzlich erhitzen.

4. Juli 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang