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PARTEIEN/337: Gnadenfrist für May nach peinlicher Florenz-Rede (SB)


Gnadenfrist für May nach peinlicher Florenz-Rede

Kein Ende der Brexit-Streitereien bei den britischen Tories in Sicht


Am heutigen 25. September gehen in Brüssel die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union in die vierte Runde. Die bisherigen drei Begegnungen zwischen EU-Verhandlungsführer Michel Barnier und Brexit-Minister David Davis waren ohne nennenswertes Ergebnis zu Ende gegangen. Grund für Optimismus gibt es also trotz oder gerade wegen der peinlichen Grundsatzrede der britischen Premierministerin Theresa May am 22. September in Florenz keinen. Beim inszenierten Auftritt in der toskanischen Hauptstadt, der die langen Beziehungen zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland unterstreichen sollte, hatte May kaum etwas anderes zustande gebracht, als die Regierungen der anderen 27 EU-Staaten um eine Fristverlängerung um zwei Jahre über das Ende im März 2019 hinaus zu beknien - eine Bitte, der stattgegeben werden dürfte. Nebenbei hat sie die prinzipielle Bereitschaft Londons zur Einhaltung seiner finanziellen Verpflichtungen im Rahmen des EU-Haushalts signalisiert und sich erneut gegen eine feste Grenzanlage bzw. Verkehrskontrollen zwischen der Republik Irland und Nordirland ausgesprochen.

Die eigentliche Gnadenfrist, die in Florenz im Vordergrund stand, war die für May als Premierministerin und Vorsitzende der konservativen Partei Großbritanniens. Seit die Tories bei vorgezogenen Neuwahlen im Juni ihre Parlamentsmehrheit verspielt haben, tobt in deren Reihen ein erbitterter Machtkampf zwischen den Befürwortern eines harten Brexits - sprich Austritt aus EU, Binnenmarkt und Zollunion -, deren Galionsfigur Außenminister Boris Johnson ist, und denjenigen, die auf die Forderungen der britischen Industrie und Gewerkschaften hören und deshalb für eine sanfte Trennung eintreten. Letzteres Szenario wäre der Position Norwegens bzw. der Schweiz vergleichbar und hielte den Zugang britischer Unternehmen zum europäischen Markt aufrecht. Dieser Standpunkt wird im May-Kabinett vor allem vom Finanzminister Philip Hammond vertreten.

Durch die Veröffentlichung eines mit Number 10 Downing Street nicht abgesprochenen Plädoyers für die unbedingte Verwirklichung eines "harten" Brexits im Daily Telegraph am 16. September hatte Johnson sowohl seinen Anspruch auf das Amt des Tory-Vorsitzenden und gleichzeitig des Premierministers unterstrichen als auch die Position Mays untergraben. Darauf folgte am 21. September eine Kabinettssitzung, bei der Medienberichten zufolge EU-Gegner und -Freunde heftig miteinander gestritten haben sollen. Die anschließende, von May verordnete Demonstration der Regierungsharmonie, in deren Zuge Johnson, Hammond und Davis sie für einen halben Tag nach Italien begleiten mußten, hielt nur wenig Stunden. Gleich am 23. September brachten Johnsons politische Verbündete die Legende in Umlauf, nur durch die Intervention des ehemaligen Bürgermeisters von London sei May davon abgebracht worden, dem Rat Hammonds zu folgen und Brüssel um eine Fristverlängerung für den EU-Austritt um vier bis fünf Jahre zu bitten.

Die bisherigen Verhandlungen zwischen Brüssel und London gestalten sich deshalb so schwierig, weil Euroskeptiker wie Johnson, Umweltminister Michael Gove, Handelsminister Liam Fox und andere immer noch glauben, Großbritannien könnte nach dem Brexit den bisherigen Zugang zum europäischen Binnenmarkt beibehalten und gleichzeitig eigene Freihandelsverträge mit der restlichen Welt beschließen. Sie sind von einer Art Selbstverblendung befallen und weigern sich deshalb einzusehen, daß die anderen EU-Staaten niemals bereit wären, Großbritannien eine solche privilegierte Partnerschaft einzuräumen. Aus ihren Äußerungen geht klar hervor, daß Johnson und Konsorten nach dem EU-Austritt Umweltstandards und Arbeitnehmerrechte auf der Insel drastisch abzubauen beabsichtigen. Ihre Vision für Großbritannien läßt sich nicht mit den sozialen Werten der EU - mag die Praxis vielfach auch anders sein - in Übereinstimmung bringen.

Am 25. September empfängt May den neuen irischen Premierminister Leo Varadkar zu einem Gespräch, bei dem die ungelöste Frage, wie sich künftig eine konkrete Grenze zwischen den 26 Grafschaften im Süden Irlands und den sechs in Nordosten vermeiden läßt, das Hauptthema sein wird. Varadkar ist deshalb an diesem Tag in London, weil er in persona die offizielle Bewerbung Irlands - Nord und Süd gemeinsam - um die Austragung der Rugby-Weltmeisterschaft 2023 unterstützen will. Eigentlich hätte Irland, dessen vereinte Rugby-Mannschaft traditionell zu den stärksten der Welt gehört, gute Chancen, den Zuschlag für die Großveranstaltung in sechs Jahren zu erhalten, denn die Konkurrenten Südafrika und Frankreich sind bereits 1995 und 2007 zum Zug gekommen. Doch nun könnten die Unsicherheiten um den Brexit und dessen Modalitäten alles gefährden.

Noch am 24. September wurde in der Presse gemeldet, daß das berühmte Sechs-Länder-Turnier, das jedes Frühjahr zwischen den Rugby-Nationalmannschaften Englands, Schottlands, Irlands, Wales', Frankreichs und Italiens stattfindet, wenige Monate vor dem nächsten Auftakt immer noch keinen Hauptsponsor hat. Der Vertrag mit dem bisherigen Hauptsponsor Royal Bank of Scotland (RBS), der im Frühjahr 2017 auslief, hatte den beteiligten sechs Rugby-Nationalverbänden jährlich 12 Millionen Euro eingebracht. Doch wegen des Brexits will kein Unternehmen diese Summe mehr bezahlen. Dies gab Six-Nations-CEO John Feehan nach enttäuschenden Gesprächen mit Verantwortlichen in 150 namhaften Firmen bekannt. Die Brexit-Folgen in Großbritannien und Irland dürften sich also in nächster Zeit deutlicher bemerkbar machen. Wieviel länger noch Theresa May eine aktive Rolle bei diesem traurigen Prozeß spielen wird, ist die große Frage. Der diesjährige Parteitag der Konservativen, der vom 1. bis zum 4. Oktober in Manchester stattfindet, dürfte Mays letzter als Vorsitzende sein. Auch wenn es nicht auf dem Parteitag dazu kommt, scheint der Hinterzimmerputsch unvermeidlich.

25. September 2017


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