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PARTEIEN/338: Trump-Regierung fällt Theresa May in den Rücken (SB)


Trump-Regierung fällt Theresa May in den Rücken

Freihandelsträume der Tories nach Bombardier-Entscheidung geplatzt


Vom 1. bis 4. Oktober findet der diesjährige Parteitag der britischen Konservativen in Manchester statt. Hauptthema der Konferenz dürfte die Frage sein, wann und durch wen Theresa May als Parteichefin und Premierministerin abgelöst werden soll. Seit dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit bei einer unnötigen, vorgezogenen Unterhauswahl am 23. Juni gilt May politisch als wandelnde Leiche. Ihre Stellungnahmen zum überragenden Thema Brexit wie beispielsweise die Grundsatzrede im italienischen Florenz am 22. September, dringen wegen der laufenden Berichterstattung über den erbitterten Hinterzimmerkampf unter den Kabinettskollegen um die Nachfolgeschaft kaum durch. Als Finanzminister Philip Hammond vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob May die Tories in die nächste Unterhauswahl führen werde, verweigert er die Antwort - aus gutem Grund, denn alle wissen, daß sie "nein" lautet.

May erlebt seit Monaten eine Schlappe nach der anderen. Wegen fehlenden Fortschritts bei den bisherigen Gesprächen in den drei Themenbereichen Bürgerrechte, Handhabung der inneririschen Grenze und Begleichung britischer Finanzverpflichtungen gegenüber dem Brüsseler Haushalt lehnt EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Aufnahme von Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und den 27 Noch-EU-Staaten ab. Barnier dürfte in seiner harten Haltung beim nächsten Treffen der EU-Regierungschefs im estnischen Tallinn Ende Oktober bestärkt werden.

Wegen der absehbar katastrophalen Folgen für die britische Wirtschaft ist May immerhin von der Drohung, Großbritannien könnte auch ohne eine Verhandlungslösung einfach so im März 2019 die EU verlassen, abgerückt. Deshalb hat sie in Florenz um eine Übergangszeit von zwei Jahren gebeten, um die unzähligen schwierigen Fragen zu regeln. Doch im Gegensatz zur oppositionellen Labour-Partei lehnen May und mit ihr die harten Brexiteers um Außenminister Boris Johnson nach dem EU-Austritt den Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt und in der Zollunion ab, sondern beharren auf eine Sonderregelung zwischen London und Brüssel. Wie diese aussehen könnte, weiß niemand.

Nach dem Sieg beim Brexit-Referendum hatten die Europhoben bei den Tories ihre Vision eines "Empire 2.0", daß heißt den Wiederaufstieg Großbritanniens zum Freihandelskoloß nach dem Abstreifen der Brüsseler Ketten, in die Welt hinausposaunt. Geschürt wurden derlei Ambitionen von Donald Trump, der bereits vor der Wahl zum US-Präsidenten im vergangenen November die Nähe zum Brexit-Chefbefürworter Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party (UKIP) gesucht hatte. Als May Ende Januar als erste ausländische Regierungschefin Trump nach dem Einzug ins Weiße Haus dort besuchen durfte, schien ein neues Zeitalter der angloamerikanischen Beziehungen angebrochen zu sein. "Global Britain" und die USA sollten ihre Handelsbeziehungen deutlich vertiefen und gemeinsam die Welt anführen, so May bei ihrem Auftritt am Potomac.

Damals haben erfahrene Politkommentatoren May vor einer zu engen Umarmung durch Trump gewarnt. Doch David Camerons einstige Innenministerin hat nicht darauf gehört, was sich nun gewaltig rächt. Nach monatelangem Schimpfen über China, Mexiko und Deutschland wegen deren angeblich wettbewerbsverzerrenden Handelspraktiken hat Trump seinen bislang schwersten Angriff gegen Kanada und Großbritannien gestartet. Am 27. September hat das Handelsministerium in Washington auf Drängen Boeings Strafzölle von 219 Prozent auf den Verkauf von 75 mittelgroßen Passagiermaschinen der C-Serie verhängt, die das kanadische Unternehmen Bombardier im Rahmen eines 5,6 Milliarden schweren Deals an die US-Fluggesellschaft Delta verkaufen wollte. Wegen der drakonischen Strafzölle Washingtons droht das Geschäft nun zu platzen.

In Kanada ist die Administration von Justin Trudeau über die feindliche Aktion des NATO-Verbündeten entsetzt, gehört Bombardier doch zu den wichtigsten Industrieunternehmen des Landes, dessen Wohlergehen durch das mögliche Scheitern des Geschäfts mit Delta gefährdet ist. Aber mindestens ebenso erschrocken über die harten Bandagen, die Trump angezogen hat, ist die Regierung Theresa Mays. Bombardier, in dessen Fabrik bei Belfast 4000 Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen, ist der mit Abstand größte private Arbeitgeber des ohnehin strukturschwachen Nordirlands. 1000 der Bombardier-Beschäftigten in Belfast sind mit der Herstellung der Flügel für die C-Serie-Maschinen befaßt und müßten vielleicht entlassen werden, sollten die Strafzölle der USA Bestand haben. Deshalb droht der britische Verteidigungsminister Michael Fallon bereits mit einem Boykott von Boeing-Produkten bei Beschaffungsvorhaben seines Hauses.

Die große Mehrheit der Mitarbeiter von Bombardier in Belfast ist protestantisch, das heißt die meisten von ihnen sind vermutlich auch Wähler der Democratic Unionist Party, deren zehn Abgeordnete im britischen Unterhaus nach einer Vereinbarung zwischen May und DUP-Chefin Arlene Foster im Sommer das Überleben der Minderheitsregierung der Tories sichern. Während die Mehrheit der Wähler in Nordirland letztes Jahr gegen Brexit votierte, machte sich die DUP dafür stark. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der potentiell negativen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Nordirland und der Republik im Süden ist die DUP bislang bei dieser Position geblieben. Doch Trumps Bombardier-Schlag unter die Gürtellinie und die Aussicht auf einen Handelskrieg zwischen Großbritannien und den USA dürften nicht nur bei den Democratic Unionists, sondern auch bei den Tories zur Ernüchterung bezüglich ihrer überambitionierten Brexit-Pläne führen.

Wie es der Zufall will, plant mitten während des Parteitages der Tories in Manchester das EU-Parlament in Strasbourg eine Resolution mit der Unterstützung fast aller Fraktionen zu verabschieden, in der im Fall eines tatsächlichen Austritts des Vereinigten Königreichs aus Europas Binnenmarkt und Zollunion die erforderlichen Grenzkontrollen nicht auf der Insel Irland erfolgen sollen, sondern auf die Flug- und Seehäfen beiderseits der Irischen See verlegt werden. Gegen das Ansinnen laufen in Nordirland die Unionisten, die darin eine De-Facto-Wiedervereinigung Irlands wittern, bereits Sturm. Der Vorstoß des EU-Parlaments, das bekanntlich bei den Brexit-Verhandlungen über eine Veto-Macht verfügt, wird die Gemüter auf dem ohnehin spannungsgeladenen Tory-Parteitag zusätzlich erhitzen.

30. September 2017


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