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PARTEIEN/358: Brexit - trotz alledem ... (SB)


Brexit - trotz alledem ...


Im Dauerstreit um die Handhabung der inneririschen Grenze nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU), der für Ende März 2019 geplant ist, hat sich London etwas bewegt. Vier Wochen vor dem nächsten EU-Gipfeltreffen in Brüssels ist aus dem Brexit-Ministerium ein Papier an die Presse durchgesickert, in dem es heißt, in Nordirland sollten künftig sowohl die Regeln der EU als auch britische Gesetze gelten; entlang der Grenze zwischen den sechs nordöstlichen Grafschaften und den restlichen 26 im Süden würde eine 16 Kilometer breite "Pufferzone" entstehen, damit das Alltagsleben der Menschen, die auf beiden Seiten der Grenze leben, nicht durch ständigen Kontrollen gestört werde.

Niemand weiß, wie diese Pläne funktionieren sollen. Die EU-27, angeführt vom Chefunterhändler Michel Barnier und der Regierung in Dublin, haben der britischen Regierungschefin Theresa May und dem Brexit-Minister David Davis beim letzten EU-Gipfel im vergangenen Dezember klar gemacht, daß sie wegen der Gefahr eines Wiederaufflammens der "Troubles" in Nordirland nicht bereit seien, die Wiedererrichtung einer harten Grenze auf der grünen Insel zu akzeptieren.

Damals war May mit der Absicht nach Brüssels gereist, den Vorschlag einer Verlegung der künftigen Zollkontrollen an den nordirischen Luft-und Seehäfen zu machen. Doch nach einem Eilanruf aus Belfast von Arlene Foster, der Vorsitzenden der pro-britischen, protestantischen Democratic Unionist Party (DUP), mußte May in der belgischen Hauptstadt einen peinlichen Rückzieher machen. Seit dem britischen Parlamentswahlen im Mai 2017, bei der Mays konservative Partei ihre absolute Mehrheit verloren hat, sind die Tories im Unterhaus auf die Stimmen der zehn DUP-Abgeordneten angewiesen. Die DUP lehnt jede Sonderbehandlung für Nordirland als Schwächung der Union mit dem britischen Festland kategorisch ab. Doch gerade das - eine Sonderwirtschaftszone - ist es, was die neuesten Pläne aus dem Hause David Davis' für die einstige Unruheprovinz vorsehen.

Seit Wochen streiten im britischen Kabinett die Remainers, die einen Verbleib des United Kingdom im europäischen Binnenmarkt und/oder zumindest eine Zollunion mit der EU befürworten, mit dem Brexiteers, die für den vollständigen Austritt und künftige Handelsbeziehungen nach den Regeln der World Trade Organisation (WTO) plädieren. Kritiker warnen, daß letztere Option zwangsläufig auf eine harte Grenze in Irland hinausliefe - zu deren Vermeidung sich May jedoch verpflichtet hat. Deshalb machen sich die Brexiteers seit Monaten für eine Lösung mittels digitaler Technologie stark.

Doch Beratungen mit der Polizei in Nordirland haben Davis die Unmöglichkeit der Verwirklichung eines solchen Szenarios vor Augen geführt. Dies berichtete am 1. Juni als erste britische Zeitung das Boulevardblatt Sun. Nach Einschätzung der zuständigen Experten würde jede Art von Kontrolltechnologie an der Grenze wie zum Beispiel Digitalkameras nicht nur dem Geist des Karfreitagsabkommens von 1998 widersprechen, sondern im nu zum Anschlagsziel militanter Gegner der irischen Teilung, sprich Ex-IRA-Mitglieder, werden. Darüber hinaus hat Nordirlands Polizeiführung menschenrechtliche Bedenken in Bezug auf die Idee des großflächigen Einsatzes von RFID-Chips, um stationäre Kontrollen für Personen, Fahrzeuge, Tiere und andere Handelswaren zu vermeiden, geäußert.

Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Pläne vom Brexit-Minister Davis zum Thema irische Grenze als Testballon zu betrachten. Der Vorschlag einer Pufferzone überzeugt niemanden deshalb, weil er nicht wirklich ernst gemeint ist. Diese Idee ist nur ein Platzhalter, der Londons Mangel an ernstzunehmenden Lösungen überdecken soll. Wichtiger dagegen ist die Tatsache, daß die May-Regierung mit der jüngsten Blaupause den Vorschlag eines Sonderstatus für Nordirland erneut ventiliert. Während Martina Anderson, EU-Abgeordnete von Sinn Féin, der größten nationalistischen Partei Nordirlands, David Davis' Arbeitspapier immerhin als kleinen Schritt in die richtige Richtung gewürdigt hat, tat Sammy Wilson, Mitglied der DUP-Fraktion im Unterhaus, das Dokument und die darin enthaltenen Vorschläge als "widersprüchlich", "wirr" und "indiskutabel" ab.

Inzwischen hat Nigel Dodds, Fraktionsführer der DUP im Unterhaus, May offen mit dem Entzug der Unterstützung und dem Kollaps ihrer Regierung gedroht. Der einzige Ausweg für May, einen Sonderstatus für Nordirland und den Bruch mit der DUP zu vermeiden, besteht in dem Verbleib des Vereinigten Königreichs als Ganzes in der Zollunion mit der EU. Wenngleich diese Option womöglich zur Spaltung der konservativen Partei Großbritanniens führte, gäbe es nach Einschätzung aller Beobachter für sie im Unterhaus immerhin eine Mehrheit. Derweil drängt der irische Außenminister Simon Coveney auf konkrete Vorschläge von London innerhalb der nächsten beiden Wochen, damit alle Beteiligten eine Chance haben, sie auf dem EU-Gipfel zu beschließen. Man darf gespannt sein, wie Londons nächstes Angebot an Brüssels aussehen wird.

2. Juni 2018


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