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PARTEIEN/365: Brexit - vom Festschreiben der Grenze ... (SB)


Brexit - vom Festschreiben der Grenze ...


Vor dem Hintergrund des anhaltenden Streits um den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, der bekanntlich am 29. März 2019 erfolgt, fand vom 1. bis 3. Oktober in Birmingham der diesjährige Parteitag der britischen Konservativen statt. Mit beträchtlicher Verzweiflung rief Premierministerin Theresa May als Hauptrednerin die Tories zur Geschlossenheit auf und bat um ihre Unterstützung bei den schwierigen Verhandlungen mit Brüssel. Gegen Mays nach dem Landsitz der britischen Regierungschefin genannten Chequers-Plan eines "sanften" Brexits, der auf einer Art Zollunion mit der EU hinausläuft, opponierte Ex-Außenminister Boris Johnson, der einen "harten" Austritt in Form eines Freihandelsabkommens, ähnlich dem, das Brüssel letztes Jahr mit Kanada vereinbart hat, verlangt.

Offene Unterstützung erhielt Johnson beim Untergraben von Mays Position überraschenderweise bei mehreren Medienauftritten von Arlene Foster, der Chefin der protestantisch-probritischen Democratic Unionist Party (DUP) Nordirlands, deren zehn Abgeordnete seit den Unterhauswahlen im vergangenen Jahr die konservative Minderheitsregierung in London an der Macht halten. Die offene Intervention der DUP-Chefin in den innerparteilichen Machtkampf der Tories zugunsten jener rechtsreaktionären Kräfte in Großbritannien, die das Vereinigte Königreich in ein Billiglohnland mit geringstmöglichen Steuern und Abgaben für die Schwerreichen und niedrigen Standards in den Bereichen Arbeitsmarkt, Soziales und Umwelt verwandeln wollen, hat bei der nationalistisch-katholischen Bevölkerung Nordirlands sowie in der Republik Irland Bestürzung ausgelöst, ist aber keine wirkliche Überraschung. Schließlich hat die DUP 2016 - letztlich gegen den Willen der Mehrheit in Nordirland - für den Brexit Stimmung gemacht und zu diesem Zweck in der Londoner U-Bahn mit Geldern aus bis heute nicht eindeutig geklärten Quellen die teuerste Werbekampagne der nordirischen Parteiengeschichte finanziert.

Die Mehrheit der DUP-Mitglieder setzt sich aus protestantischen Fundamentalisten zusammen, die den biblischen Schöpfungsmythos der Evolutionslehre vorziehen und deshalb eine Einführung der Abtreibung und der Ehe für alle in Nordirland strikt ablehnen. Wegen dieser Blockadehaltung ist Anfang 2017 die interkonfessionelle Regierung mit der katholisch-nationalistischen Sinn-Féin-Partei in Belfast kollabiert. Doch seit dem Ja einer Mehrheit der britischen Wähler zum Brexit im Juni 2016, der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im November desselben Jahres und dem eigenen Aufstieg zum Zünglein an der Waage in Westminster im vergangenen Sommer fühlt sich die DUP im Aufwind. Ähnlich Johnson, der sich von Trumps früherem Wahlkampfleiter und Ideengeber Steve Bannon beraten läßt, sieht sich die DUP offenbar als Teil der konservativen Welle in Europa und Nordamerika zusammen mit Kräften wie Marine Le Pens Front National in Frankreich, Matteo Salvinis Lega in Italien und der Alternative für Deutschland in der Bundesrepublik.

Offen hat Foster Johnson, den die meisten Politikinteressierten in Großbritannien für einen aufgeblasenen Blender halten, als Visionär gelobt und ihm - ähnlich wie Trump beim Staatsbesuch in Großbritannien im vergangenem Juli - das Zeug zum britischen Premierminister attestiert. May dagegen hat Foster kritisiert und offen mit einem Votum der DUP gedroht, gegen das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen bei der baldigen Abstimmung im Unterhaus zu votieren, sollte die Vereinbarung eine Verlegung der künftigen Kontrollen von Waren und Personen von der Landgrenze auf der Insel Irland hin zu den Luft- und Seehäfen beinhalten. Die Idee, solche Äußerungen könnte man als Undankbarbeit gegenüber der Premierministerin empfinden, wies Foster mit der Feststellung weit von sich, daß der Deal über eine Milliarde Pfund zusätzlicher Subventionen für Nordirland, den die DUP letztes Jahr mit den Tories besiegelt hat, eine Vereinbarung zwischen Parteien und nicht zwischen Personen gewesen sei.

Seit Monaten suchen Brüssel, London und die Regierung in Dublin nach Wegen, wie das Vereinigte Königreich aus der EU austreten kann, ohne daß es zu Grenzinstallationen zwischen der Republik Irland und dem Norden der Insel kommen muß. Die eine Möglichkeit, zu der May tendiert, ist die Schaffung einer gemeinsamen Zollunion und der Verbleib Nordirlands im EU-Binnenmarkt. Weil die DUP dies als Schwächung der Bindung zwischen Nordirland und Großbritannien kategorisch ablehnt, überlegt man, die künftigen Warenkontrollen weitab der Landgrenze in den Fabriken und Versandhäusern vorzunehmen; lediglich zu verstärkter Überwachung von Tiertransporten und Lebensmitteln könnte es an Luft- und Seehäfen kommen. Doch selbst dies haben Foster und DUP-Vizechef Nigel Dodds, der zugleich Fraktionsführer im Unterhaus ist, als inakzeptabel abgetan. Die "roten Linien" der DUP dürfen nicht überschritten werden, sonst würden Dodds und Kollegen der May-Regierung die Gefolgschaft verweigern, selbst wenn dies Neuwahlen im Vereinigten Königreich bedeutete, so das dynamische Duo. Auf die Frage, wie ernst die Drohung gemeint sei, antwortete Foster, die nicht zu überschreitenden Linien der DUP seien "blutrot".

Diese Wortwahl hat in der irischen Öffentlichkeit beiderseits der Grenze einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vielfach - selbst aus gemäßigten Kreisen der Unionisten im Norden - wurde Foster Unverantwortlichkeit attestiert. Mit der Verwendung eines solchen Begriffs sei die Anwältin aus Fermanagh dabei, die Wunden von einst wiederaufzureißen, und spiele damit, den 1998 beigelegten Bürgerkrieg neu zu entfachen, so die einhellige Meinung. Tatsächlich gehörte Foster damals zu einer kleinen Gruppe von Mitgliedern der Ulster Unionist Party (UUP), welche die Annahme des Karfreitagsabkommens abgelehnt hat und deshalb zur DUP um den Radikalprediger Ian Paisley gewechselt ist. Dies erklärt, warum sie nun argumentiert, das Karfreitagsabkommen dürfte dem Brexit nicht im Wege stehen und gehöre gegebenenfalls revidiert.

Die DUP behauptet stets, auch sie wolle nicht die Wiedereinrichtung einer festen Grenze in Irland. Das Verhalten von Foster, Dodds und Konsorten spricht jedoch eine ganze andere Sprache. Alles deutet darauf hin, daß sie gezielt auf den härtestmöglichen Brexit bis hin zur No-Deal-Variante hinarbeiten, um die Möglichkeit der Wiedervereinigung Irlands, die im Karfreitagsabkommen ausdrücklich vorgesehen ist, auszuschließen. Bei den Wahlen zum nordirischen Parlament im letzten Jahr haben die Unionisten erstmals seit der Teilung Irlands 1922 eine Mehrheit der Sitze verfehlt. Stetig wächst die katholische Bevölkerung, während die protestantische schrumpft. In den letzten 20 Jahren sind Nord- und Südirland spürbar zusammengewachsen - eine Entwicklung, welche die DUP mit Sorgen erfüllt und die sie nun mit dem Brexit stoppen will. Dafür spricht die Aussage von Shelagh Fogerty, Moderatorin beim Londoner Talkradiosender LBC, derzufolge ein Abgeordneter der DUP ihr vor kurzem anvertraut habe, die Democratic Unionisten wollten ähnlich wie Trump zwischen den USA und Mexiko einen Grenzzaun zwischen Nord- und Südirland "so hoch wie möglich" errichtet sehen.

4. Oktober 2018


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