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AGRAR/1618: Nach Zurückweisung der EU-Saatgutverordnung wird die inhaltliche Arbeit nicht leichter (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 380 - September 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Der Teufel im Detail
Nach der Zurückweisung der EU-Saatgutverordnung wird die inhaltliche Arbeit nicht leichter

von Claudia Schievelbein



Brüssel nimmt die Arbeit wieder auf. Nach dem Konstituieren und Posten verteilen beginnt nun auch die inhaltliche Auseinandersetzung wieder. Ein Thema ganz oben auf der Agenda der entsprechenden Generaldirektion der EU-Kommission ist der erneute Anlauf zur Überarbeitung der Saatgutverkehrsregelung auf EU-Ebene. Wir erinnern uns: im Frühjahr dieses Jahres hatte zunächst der Agrarausschuss des EU-Parlaments und dann das Parlament selber den von der EU-Kommission zuvor vorgelegten Entwurf zurückgewiesen. Zu viele sogenannte delegierte Rechtsakte, also jene Passagen, in denen die Kommission sich vorbehält, die Ausgestaltung der Verordnung in ihre eigene Zuständigkeit ohne Mitbestimmung des Parlaments zu legen, kritisierten die Abgeordneten unisono. Teilweise griffen sie aber auch die Kritik vor allem der Bauern-, Züchter- und Erhaltungsorganisationen auf, die bei einer entsprechend dieses Entwurfes gestrickten Verordnung fürchteten, alles Pflanzenmaterial, was jenseits der großen kommerziellen neuen Sorten auf den Saatgutmarkt wolle, habe kaum noch eine Chance. Durchgesetzt hätte sich die Lobby der Pflanzenzüchterkonzerne, mit ihrem Dachverband der European Seed Association (ESA), die eigentlich nichts und niemand neben sich auf dem Saatgutmarkt haben will. Zwar gab es Ausnahmen, Nischen, die allerdings, so die betroffenen Akteure, nicht groß genug, nicht relevant gemacht waren. Ein breites Aktionsbündnis, unterstützt durch eine gewisse öffentliche Wahrnehmung des Themas aufgrund der plakativ zu transportierenden Sorge, die EU wolle ab demnächst den Kleingärtnern den Saatguttausch verbieten, konnte am Ende den Erfolg der Zurückweisung verbuchen.


Unterschiedliche Detailinteressen

Geht es allerdings nun um die Frage des "wie weiter", so zeigen sich Teufel, die in den Details liegen. Deutlich werden teilweise doch nicht ganz deckungsgleiche Anliegen der Akteure. Zudem stellt sich die Frage, wie man nun, nach einem "reinen Tisch" erneut in die inhaltliche Diskussion einsteigt. Etwa mit Maximalforderungen à la "eine Marktzugangsverordnung ist antiquiert und überflüssig", die sicher bedenkenswert (überall sonst soll es ja auch immer der freie Markt regeln) aber radikal und was ihre Durchsetzung anbetrifft, wenig realistisch erscheint. Die andere Seite wäre eine "Spatz-in-der-Hand-Philosophie", die sich sorgt, dass mindestens das, was als Nischen und Ausnahmen im ersten Entwurf verankert war, wieder in den neuen Vorschlag muss. So weit spannt sich die Bandbreite an Positionen für mögliche Herangehensweisen unter dem Dach von Via Campesina Europa, das wurde deutlich bei einem Arbeitstreffen ihrer Saatgutgruppe in Brüssel. Das hat auch mit nationalen Unterschieden zu tun. Während in Frankreich und Spanien bäuerliche Genossenschaften stark auf einer Ebene der Saatgutentwicklung und des Tausches zusammenarbeiten und damit Alternativen zu dem Saatgut der Konzerne bereithalten, und somit mit der Freistellung des Saatguttausches in der Verordnung zufrieden wären, gibt es in Österreich starke Vielfalts-, Erhalter- und Züchtungsinitiativen, die darauf angewiesen sind, sich über eine Vermarktung alter oder auch alternativ gezüchteter Sorten zu finanzieren. Mit weniger öffentlicher Wahrnehmung und politischem Gewicht versehen, aber von ähnlicher Struktur ist die Szene in Deutschland. Unverfänglich für alle ist noch die Forderung eines gleichberechtigten Zugangs aller Beteiligten zum Markt. Geht es dann aber um die Details von verpflichtender oder freiwilliger Zulassung oder auch nur einer Änderung oder Lockerung der Zulassungskriterien, sodass sie für Ökosorten erfüllbar wird, so wird es schon schwieriger, gemeinsame Positionen zu finden. Die Einschätzung, dass die Kommission sich nach wie vor nicht auf eine sehr liberale Handhabung einlassen wird - allein schon weil am anderen Ende ja auch die ESA dagegen lobbyiert - lässt einen Teil der Bewegung Details festschreiben, damit diese eben nicht von der Kommission bestimmt werden. Trotzdem bleibt es wichtig, dass weder Via Campesina noch einzelne Initiativen in den Ländern aus dem Blick verlieren, dass das Ziel mehr Vielfalt und Freiheit für den Saatgutmarkt sein muss. Vielleicht lässt sich das als gemeinsame Präambel fassen, die auch über durchaus unterschiedlichen Anforderungen im Detail stehen kann. Bis Mitte September hat die EU-Kommission den sogenannten Stakeholdern anheimgestellt, ihre Anforderungen an die neue Verordnung zu formulieren, sie können das Bild einer differenzierten, sollten aber nicht das einer uneinigen Bewegung abgeben. Denn formulieren tun derzeit nicht nur die Vertreter mit bäuerlichen Interessen, sondern mit viel mehr finanzieller Stimmgewalt auch die der Industrie.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 380 - September 2014, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2014