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BERICHT/117: Bildzeugnisse zur deutschen Kolonialgeschichte (DFG forschung)


forschung 1/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Des Kaisers neue Kolonien

von Dr. Wilhelm R. Schmidt


Das Koloniale Bildarchiv in Frankfurt bietet einzigartige Bildzeugnisse zur deutschen Kolonialgeschichte. Die Sammlung war lange Zeit vergessen. Nach ihrer aufwändigen Erschließung und Digitalisierung stehen die Fotodokumente heute Forschern im In- und Ausland via Internet zur Verfügung.


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Als im Jahre 1990 die beiden Frankfurter Doktoranden Imre Demhard und Uwe U. Jäschke nach historischem Material über das ehemalige Deutsch-Südwestafrika suchten, entdeckten sie einen Schatz: das fast vergessene Bildarchiv des im zweiten Weltkrieg aufgelösten Reichskolonialbundes. Die 55.000 historische Fotos umfassende Sammlung ist eine erstrangige und facettenreiche Quelle zur Kolonialgeschichte. Nach der ebenso aufwendigen wie langjährigen Erschließung, Sicherheitsverfilmung und Digitalisierung der Bilddokumente ist das Koloniale Bildarchiv heute über die Website der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main für Interessenten in aller Welt zugänglich und wissenschaftlich nutzbar.

Ursprünglicher Eigentümer des Bildmaterials, zu dem auch Schulungsmaterialien und etwa 18 000 Bücher zur Kolonialgeschichte gehören, war die ehemalige Deutsche Kolonialgesellschaft, deren Bestände im Verlauf des Zweiten Weltkriegs von Berlin zunächst in einen thüringischen Bergwerksstollen transportiert und später in den Frankfurter Raum verbracht wurden. Über die damaligen "collecting points" der amerikanischen Besatzungsmacht im Rhein-Main-Gebiet gelangten sie an die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main im neuen "state of Hesse".

Die Anfänge der kolonialen Bildsammlung liegen allerdings schon vor der Gründung der Deutschen Kolonialgesellschaft. Forscher und Missionare begannen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, Natur und Bewohner ihres jeweiligen Wirkungsgebietes mit großformatigen Plattenkameras abzurichten. Die Deutsche Kolonialgesellschaft entstand im Jahre 1887. Sie stellte mit ihren in- und ausländischen Abteilungen den größten und einflussreichsten Interessenverband zur Propagierung der deutschen Kolonialidee dar. Ihr wichtigstes Mittel in der Öffentlichkeitsarbeit war der Redevortrag. Schon in den 1880er Jahren wurden Vorträge durch private Glasplattendiapositive der Gastredner illustriert. Dies veranlasste die Gesellschaft 1891, mit zunächst rund 100 großformatigen Schwarzweiß-Diapositiven für Diavorträge den Grundstock zu einer eigenen Fotosammlung zu legen. Nachlässe von Freunden der Gesellschaft sowie weitere Originale und Duplikate aus heute größtenteils verlorenen amtlichen, kommerziellen oder privaten Sammlungen vergrößerten den Bildfundus rasch. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden gezielt bereits vorhandene Sammlungen reproduziert und in den Bestand der Deutschen Kolonialgesellschaft übernommen. Im Rahmen der nationalsozialistischen Gleichschaltung wurde die Organisation 1936 in den Reichskolonialbund überführt, der dann 1943 aus kriegswirtschaftlichen Gründen aufgelöst wurde.

Die Bildmaterialien der Deutschen Kolonialgesellschaft bilden den Grundstock der heutigen Frankfurter Sammlung, die zusätzlich zum Teil umfangreiche Bilddokumente zur Geschichte der Kolonisation, zum Beispiel in Südamerika, aufweist. Der Zustand der originalen Bildträger war nach einer ersten Sichtung und Diagnose im Jahre 1990 kritisch. Die verstaubten Glasplatten wiesen in erheblichem Maße Verkratzungen und Verklebungen, Glasbruch und Ausbleichungen, Salzausblühungen oder Schichtablösungen auf. Der Umgang mit dem Nitrofilmmaterial gestaltete sich umständlich und aufgrund seiner leichten Entzündbarkeit auch gefährlich. Es war abzusehen, dass die Bildsammlung zur deutschen Kolonialgeschichte in den kommenden Jahren dem endgültigen Verfall preisgegeben war, wenn nicht sichernde Maßnahmen ergriffen würden.

Die nach langen Vorarbeiten seit 2006 über die Website der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main aufrufbaren Bilddokumente aus der deutschen Kolonialzeit beziehen sich nahezu auf alle historischen Kolonialgebiete. Neben den afrikanischen Schutzgebieten (Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika) sind auch das chinesische Pachtgebiet Kiautschou, das Kaiser-Wilhelms-Land (Deutsch-Guinea) und die Südseegebiete vertreten. Mehrere Tausend Bildeinheiten entfallen auch auf die Kolonien anderer Staaten in Afrika und Asien. Durch den wachsenden Bekanntheitsgrad des Frankfurter Archivs entwickelten sich im Verlaufe der Sicherungsarbeiten auch in- und ausländische Kooperationen, ein Austausch von Bildmaterial und vor allem das Angebot, weitere Bilder dem Archiv zur Verfügung zu stellen. Der weitaus größte Zugewinn konnte dabei, unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, über eine Kooperation mit der Sam Cohen-Bibliothek in der namibischen Küstenstadt Swakopmund erzielt werden. Die dortige Gesellschaft für wissenschaftliche Entwicklung stellte zur Erweiterung des Kolonialen Bildarchivs eine umfassende Bildsammlung bereit. Diese enthält 5000 Glasplatten und Diapositive sowie weitere 10000 Bilder und Postkarten in Leitz-Ordnern oder historischen Fotoalben. Neben Landschaften und Städteansichten, Missionsstationen und Straßen, Häfen und Farmen finden sich Bilder vom Alltag, von Fest- und Sportveranstaltungen sowie viele Personendarstellungen. Es konnte schnell festgestellt werden, dass es so gut wie keine Überschneidungen mit dem bereits vorliegenden Frankfurter Material gab, sodass eine Aufnahme einen Gewinn für die Wissenschaft bedeutete.

Aufgrund der Erfahrungen, die bei der Verfilmung und Digitalisierung des Kolonialen Bildarchivs gewonnen wurden, bot es sich an, auch das "Deutsche Koloniallexikon" in digitaler Form über das Internet zugänglich zu machen und gemeinsam mit der Bilddatenbank anzubieten. Das von Heinrich Schnee, ehemals Direktor im Reichskolonialamt, herausgegebene dreibändige Deutsche Koloniallexikon ist ein zeitgenössisches Nachschlagwerk zu den deutschen Kolonien. Es lag bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum größten Teil in gedruckter Form vor. Mit der Digitalveröffentlichung, die an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden erarbeitet wurde, wird nun eine einmalige historische wissenschaftliche Quelle auch außerhalb von Spezialinstituten weltweit nutzbar gemacht. Das Lexikon zeigt die Verhältnisse in den Kolonien im Spiegel der zeitgenössischen Anschauungen vor 1914. Es bietet damit der Forschung eine wichtige Informationsgrundlage.

Heute vollzieht sich der Ausbau des Bildmaterials im Frankfurter Kolonialen Bildarchiv nicht immer in wissenschaftlicher Absicht oder aufgrund bewusster Akquisition. Oft spielen der Zufall oder die Launen des Alltagslebens eine Rolle. Im Herbst des Jahres 2005 etwa wurde der Frankfurter Bibliothek eine Fotosammlung angeboten, die über sechzig Jahre bei Siegburg in einem Keller gelegen hatte. Sie bestand aus 150 Fotografien und Postkarten, die bereits im Jahre 1913 aus dem damaligen Deutsch-Südwestafrika mitgebracht worden waren. Die Fotografien zeigen das Alltagsleben eines Telegrafenbauers, der in der Zeit von 1905 bis 1913 seinen Postdienst in der deutschen Kolonie versehen hatte. Die Amateur-Fotografien bilden nicht nur das damalige Arbeitsleben ab, sondern bieten zusätzliche Blicke auf nur scheinbar bekannte Orte, Flüsse und Gebirge. Die mitgelieferten zeitgenössischen Texte im kurzen Telegrafenstil ergänzen die Bilder im Sinne einer "oral history" ohne einen bewussten wissenschaftlichen Anspruch. Die Bedeutung für die Wissenschaft ist erst durch die bleibende Dokumentation im Rahmen des Kolonialen Bildarchivs gegeben.

Trotz der erfolgreichen Sicherung der historischen Bildinformation und ihrer Online-Präsentation für den weltweiten Zugriff durch die Wissenschaft ist die Arbeit des Kolonialen Bildarchivs der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main noch nicht an ihr Ende gelangt. Zum einen bleibt es wichtig, die originalen Bildträger, auch wenn man ihrer in der Alltagsarbeit nicht mehr bedarf, bleibend zu restaurieren und wegen ihres historischen Eigenwertes zu erhalten. Zum andern sind die in der heutigen Datenbank aufzufindenden Erschließungstexte, obwohl meist aus der zeitgenössischen Beschriftung der Bilder und Bildhüllen gewonnen, zum Teil falsch, in jedem Fall aber unvollständig. Hier ist eine prüfende Bearbeitung gefragt, um eine in ihrer Art einzigartige Geschichtsquelle auch im Detail für die Forschung zu erschließen.


Dr. Wilhelm R. Schmidt
Universitätsbibliothek Johann
Christian Senckenberg
Frankfurt am Main

Im Rahmen ihrer Infrastrukturförderung hat die DFG Projekte zur Sicherung, Erschließung und Digitalisierung des Kolonialen Bildarchivs langfristig unterstützt.

www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Porträt einer afrikanischen Familie. Das Foto wurde wahrscheinlich 1906 in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, aufgenommen. Siedler, Kolonialbeamte und Missionare fotografierten die einheimische Bevölkerung sowie die Städte und Landschaften in "Deutsch-Südwest". Die Kolonie gehörte von 1884 bis 1919 zum deutschen Kaiserreich.

Städtisches Leben 1912: Eine deutsche Bäckerei und Konditorei in der Hafenstadt Swakopmund. Deutsch-Südwestafrika war die einzige unter den kaiserlichen Kolonien vor dem Ersten Weltkrieg, in der sich eine größere Zahl deutscher Siedler niederließ. Die Aussicht auf Diamanten und Kupfer sowie die Möglichkeiten zur Viehzucht lockten die Zuwanderer ins Land.

Szenen aus dem kolonialen Alltag. Links: Eine Schulstunde unter freiem Himmel. Daneben: Ein Ochsenwagen zieht in Deutsch-Ostafrika (Tansania) einen schwer beladenen Wagen durchs Wasser. Links unten: Eingeborene auf einem Gehöft in Togo. Daneben: Am 27. Januar 1912 enthüllen deutsche Kolonisten ein Reiterstandbild in Windhuk (Deutsch-Südwest).


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Quelle:
forschung 1/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
S. 8-13
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Kennedyallee 40, 53175 Bonn
Telefon: 0228/885-1, Fax: 0228/885-21 80
E-Mail: postmaster@dfg.de
Internet: www.dfg.de

"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 53,50 Euro (print),
59,50 Euro (online), 62,15 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2007