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BERICHT/120: Volksfeste schweißten Einwanderer in den USA zusammen (Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2006

Ein dreifach Hoch auf die Gemütlichkeit
Volksfeste schweißen deutsche Einwanderer im Amerika des 19ten Jahrhunderts zusammen

Von Heike Bungert


Im Amerika des 19ten Jahrhunderts entstand eine deutschamerikanische Festkultur, die über die Gruppe der Deutschamerikaner hinaus Bedeutung hatte. Sie diente nicht nur der Identitätsfindung in der Fremde, sondern prägte auch das Verhältnis zu den übrigen Amerikanern, nicht zuletzt als Vorbild für gute Nationalfeiern.


Einheit ohne gemeinsame Wurzeln

"Wir gehören nicht zu denjenigen, welche einer nationalen Selbstüberschätzung Raum geben; aber dennoch müssen wir das Aufblühen der deutschen Volksfeste als eine höchst bedeutungsvolle Erscheinung bezeichnen", war 1857 in der New Yorker 'Criminal-Zeitung' und 'Belletristisches Journal' zu lesen. Diese Äußerung zeigt, welche Bedeutung die Zeitgenossen den deutschamerikanischen Volksfesten zuschrieben, die seit etwa 1850 auf dem amerikanischen Kontinent entstanden.

Über solche Feste bauten Deutsche in den USA eine kollektive Identität als Deutschamerikaner auf, auch wenn sie nicht unbedingt derselben Religion und Klasse angehörten. Bis 1871 gab es nicht einmal einen einheitlichen deutschen Staat, auf den sie sich berufen konnten. Die konstruierte deutschamerikanische Gruppenzugehörigkeit basierte auf den realen Lebensbedingungen der Einwanderer, die in amerikanischen Städten oft Haustür an Haustür lebten, gemeinsam arbeiteten und Mitglieder derselben Vereine und Kirchen waren. Mit der Festkultur grenzten sich die Migranten von den deutschen und amerikanischen Traditionen ab und entwickelten mit der Zeit ein Selbstverständnis als Deutschamerikaner. Ein wichtiges Medium zum Aufbau ihrer Ethnizität waren Feste, die heute als Grundform eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses und als "ausgedachte Traditionen" (Eric Hobsbawm) zu einem wichtigen Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft geworden sind.


Turnfeste im Gepäck

Als die Revolutionsflüchtlinge von 1848 in Amerika eintrafen, hatten sie nicht nur die gebrochenen Ideale eines liberalen Nationalstaates im Gepäck. Sie brachten auch die aus dem Deutschen Bund bekannten Sänger- und Turnfeste mit und begründeten damit eine deutschamerikanische Festkultur, die sich über viele Jahrzehnte in Amerika gehalten hat. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und den deutschen Einigungskriegen vergnügte man sich auch auf Schützen- und Kriegerfesten.

Mit der Zunahme der deutschen Einwanderung (in den 1880er Jahren 1,4 Millionen Bürger) erlangte die Festkultur eine neue Vielfalt. Vermehrt kamen in Deutschland verfolgte Sozialisten nach Amerika und entwickelten ihr eigenes kulturelles Gedächtnis: Arbeitertag, Arbeitersängerfeste, Gedächtnisfeiern für Karl Marx und Ferdinand Lassalle waren die Vergnügungen der neuen Bürger. Eine regionale Aufspaltung erfolgte schließlich mit der Einführung schwäbischer, plattdeutscher, bayerischer und anderer Volksfeste seit den späten 1870er Jahren. Paradoxerweise diente gerade die Aufsplitterung in regionale Volksfeste der Ausbildung einer deutsch-amerikanischen Identität: die einzelnen Landsmannschaften lernten durch gegenseitige Besuche auf ihren Volksfesten ihre Eigenheiten und Gemeinsamkeiten schätzen.


Neue und alte Helden

An den Themen der Feste lässt sich der Wandel im Selbstbild der deutschen Einwanderer beobachten. Anfangs feierten die Migranten hauptsächlich deutsche Heroen und Ereignisse, wie den hundertsten Geburtstag Friedrich von Schillers 1859. In ganz Amerika bejubelten die Deutschamerikaner die Gründung des Deutschen Reiches 1871, die ihnen ein neues Selbstbewusstsein verschaffte. Seit den 1880er Jahren stand dann zunehmend die eigene, deutschamerikanische Geschichte auf dem Festprogramm, wie der Jahrestag der ersten deutschen Einwanderung in die USA von 1683. Die neuen Helden waren jetzt Leute wie Friedrich von Steuben, der gut 100 Jahre vorher die Kämpfer George Washingtons Disziplin gelehrt hatte und damit der Unabhängigkeitsbewegung zum Sieg verhalf.

Schließlich beteiligten sich Deutschamerikaner ab den 1890ern an amerikanischen Feiertagen wie dem Unabhängigkeitstag am 4.Juli sowie an regelmäßig gefeierten lokalen Jubiläen wie der Hudson-Fulton-Feier in New York 1909. Zeitgleich aber erweiterten deutschamerikanische Festveranstalter die deutschamerikanische Volkszugehörigkeit um nationalistischere Aspekte. Sie veranstalteten Bankette zu Ehren Otto von Bismarcks und des deutschen Kaisers. Den Kontakt ins Deutsche Reich hielten die Einwanderer durch Vereinsreisen, Konzerttourneen und Besuche auf Festen in der deutschen Heimat und schufen so einen transnationalen Raum.


Deutschamerikanische Qualitäten

Ihre Feste galten den deutschen Migranten als "die Erinnerung an glückliche Tage in der Heimath, die Garantie einer schönen Zukunft in Amerika". So mancher Geschäftskontakt wurde hier geknüpft und manche Ehe versprochen. Vor allem sollten Feste die deutschen Migranten untereinander zusammenhalten und damit die Größe der deutschamerikanischen Gruppe zeigen: "Platdüütsch Volksfest meerumslungen, Dütsche Eenigkeit ist hüüt". Damit erhofften sie sich Respekt von den Angloamerikanern und anderen ethnischen Gruppen und auch von den Reichsdeutschen. Die kollektive deutsch-amerikanische Identität umfasste einerseits 'deutsche' Traditionen wie Disziplin, Fleiß, Gemütlichkeit und Kultur, andererseits Charakteristika der amerikanischen "Civil Religion" in Gestalt der Werte Freiheit und Demokratie. So sollten die Vorzüge der deutschamerikanischen Ethnizität betont und zugleich der Einfluss deutscher Einwanderer auf die Entwicklung der amerikanischen Nation unterstrichen werden. Insbesondere erschienen vielen Deutschamerikanern die Vereinigten Staaten als Land des Materialismus, des Puritanismus und vor allem der Kulturlosigkeit: "Den Musen und Grazien, welche über das Meer herüber fliegen wollten, sind auf dem langen Wege die Flügel erlahmt", schrieb der Paderborner Journalist Franz Löher 1855 über seine Eindrücke in Amerika.


Kulturexport in die neue Welt

Deutschamerikanische Festveranstalter waren erfolgreich. Zehntausende von Amerikanern säumten die Straßen bei deutschamerikanischen Festparaden, bis zu hunderttausend Besucher erschienen in den Festparks. So wurden die entspannenden, aber zugleich geistvollen Feste der Deutschamerikaner zum Vorbild für amerikanische Nationalfeste. Die deutschamerikanische Festkultur war geprägt von der Vielfalt der regionalen, sozialen und geschlechtsspezifischen Subkulturen, die ihr zu einer hohen Dynamik und Anpassungsfähigkeit verhalfen. Damit konnte sie und mit ihr eine deutschamerikanische Ethnizität sich bis über den Ersten Weltkrieg hinaus erhalten.

Weitere Informationen: www.ifg.uni-bremen.de


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Heike Bungert
vertritt derzeit die Professur für Sozialgeschichte Nordamerikas. Über deutschamerikanische Feste und Ethnizitätsbindung habilitierte sie sich in Köln 2004. Zuvor, nach ihrem Studium an der University of North Carolina, promovierte sie in Tübingen über die Westalliierten und das Nationalkomitee Freies Deutschland 1943-48. Weitere Forschungsaufenthalte in England und Frankreich. Zum Jahresbeginn 2007 wird sie ein Heisenberg-Stipendium an der Universität Köln antreten.


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2006 (Dezember 2006), Seite 6-9
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2007