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BERICHT/180: ArcheoInf - Ein Informationszentrum für die Archäologie (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Herbst 2008
Ruhr-Universität Bochum

Der Klick in die Antike

ArcheoInf: Ein Informationszentrum für die Archäologie


Von überall in der Welt aus vollen Zugriff auf sämtliche Bilder, Karten und Texte zu einem archäologischen Thema - davon können Archäologen heute nur träumen, während sie rund um die Welt unterwegs sind, um Informationen zu sammeln. Aber ihr Traum soll wahr werden: ArcheoInf, ein Online-Informationssystem, das Bochumer und Dortmunder Forscher gerade entwickeln, soll auf einen Klick verschiedenste Datenbanken durchsuchen und die Ergebnisse einheitlich darstellen.


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Archäologen stöbern in staubigen Archiven

Auf den Spuren der Antike wandeln Archäologen oft Tausende Kilometer weit. Nicht nur vor Ort, etwa bei Ausgrabungen am Mittelmeer, will gegraben und Feldforschung geleistet werden. Wer sich umfassend informieren und Fundstücke vergleichen will, dem bleibt wenig anderes übrig, als sich auf den Weg in die Museen der Welt zu machen und in deren Archiven zu stöbern (Abb. 2). Während der Arbeit an Ausgrabungsstätten ist man von der wissenschaftlichen Außenwelt hingegen abgeschnitten. Wo keine Bibliothek und kein Museum ist, da sind Informationen unerreichbar.

Typische Archäologentätigkeit: Stöbern in Archiven rund um die Welt
Abb. 2: Typische Archäologentätigkeit: Stöbern in Archiven rund um die Welt.


Archäologen, Informatiker und Geoinformatiker sowie Bibliothekare aus Bochum und Dortmund arbeiten daran, die archäologische Welt zusammen zu rücken. Ihre Vision: Von jedem Ort der Welt aus sollen Forscher und Interessierte Zugriff auf alle Informationen der Archäologie haben, egal in welcher Datenbank, in welchem Museum, an welchem Ausgrabungsort oder in welchem Buch sie schlummern. Ihr Projekt heißt ArcheoInf - ein Informationszentrum für die Archäologie.

Ein besonders schönes Fundstück der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität. Künftig soll es nicht mehr nur hier vor Ort, sondern auch online zu bewundern sein.
Abb. 1: Ein besonders schönes Fundstück der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität. Künftig soll es nicht mehr nur hier vor Ort, sondern auch online zu bewundern sein.


Damit ArcheoInf über eine benutzerfreundliche, einheitliche Oberfläche Zugriff auf verschiedene archäologische Datenbanken gewähren und die gefundenen Informationen zugleich mit geographischen und bibliographischen Daten verknüpfen kann, muss ein Dolmetscher dazwischen geschaltet werden. Herzstück ist der so genannte Mediator. Diese Software macht es möglich, zeitgleich unterschiedlichste Datenbanken abzufragen - keine leichte Aufgabe. "Die laufenden Projekte der Archäologie sammeln ihre Daten und Bilder natürlich inzwischen digital", erklärt Holger Türk vom Lehrstuhl für Software-Technologie der TU Dortmund (Prof. Dr. Ernst-Erich Doberkat). "Aber die Strukturen dieser Datenbanken könnten unterschiedlicher kaum sein, und ebenso verschieden sind die Daten." Damit der Mediator in der Lage ist, mit allen diesen verschiedenen Strukturen zu kommunizieren, muss er sprechen lernen. Die übergreifende Suche basiert auf sprachlichen Informationen. Die Software beherrscht eine lange Liste von Begriffen, die mit der Archäologie in Zusammenhang stehen, einen so genannten Thesaurus, zunächst in deutscher Sprache. "Um dem Mediator das 'Sprechen' mit den anderen Datenbanken beizubringen, mussten wir uns zuerst eine Beschreibung der archäologischen Welt überlegen, eine Ontologie", so Dr. Matthias Lang vom Bochumer Institut für Archäologische Wissenschaften. Die Forscher entschieden, sich auf das System CIDOC CRM zu stützen, eine Systematik, die sich in Museen weltweit zum Standard entwickelt hat. "Das hat den Vorteil, dass sich auch weitere Datenbanken später einfacher in ArcheoInf integrieren lassen, weil viele auf dieser Systematik basieren", so Lang.

Wählt der Nutzer auf der ArcheoInfSuchseite einen Begriff dieser Liste aus - einige Zigtausend sollen es werden - geht die Software in allen angeschlossenen Datenbanken nach diesem Konzept auf die Suche und liefert alles als Suchergebnis zurück, was sich dazu findet: Fotos, Texte, Karten, Zeichnungen (Abb. 3).

Schema des AcheoInf-Netzwerks.
Abb. 3: Schema des AcheoInf-Netzwerks. Der Mediator ist der "Übersetzer" zwischen allen angeschlossenen Datenbanken und Informationsquellen. Der Nutzer hat nur mit ihm zu tun und somit mit einer übersichtlichen und einheitlichen Oberfläche.


Der Mediator lernt einige Zigtausend Begriffe

Und damit nicht genug: Durch die Integration eines Geoinformationssystems lassen sich angezeigte Fundstücke dann auch räumlich verorten und auf einer kartografischen Darstellung des Fundgebietes lokalisieren (Abb. 4). So kann der Nutzer zum Beispiel ein Gebiet auswählen und sich ansehen, was dort gefunden wurde - egal in welchem Forschungsprojekt. So lassen sich beispielsweise Statistiken abrufen, wie viele Scherben von Dachziegeln in einer bestimmten Region gefunden wurden. Solche Informationen lassen Rückschlüsse zu, wo sich eine Siedlung befunden haben muss. "Dieser vollständige Überblick ist in der Archäologie etwas ganz Neues", schwärmt Prof. Dr. Johannes Bergemann, der Sprecher des Projektes, "damit lassen sich Funde viel besser in das Gesamtbild einordnen als bisher, als kleine und vermeintlich unwichtige Fundstücke in irgendwelchen Kellern verstaubten, wo niemand mehr Notiz von ihnen nahm. Heute werden diese kleinen Funde wichtig, weil sie den Blick auf das Gesamtbild verändern können."

Zusätzlich zeigt ArcheoInf für die weitergehende Information über ein Thema bibliographische Angaben zum Suchwort und teils auch wissenschaftliche Publikationen zum gesuchten Thema als Volltext an. "Immer mehr Forscher schließen sich heute der 'Open Access'-Philosophie an", so Dr. Erdmute Lapp, Direktorin der Bochumer Universitätsbibliothek. "Das kommt ArcheoInf sehr entgegen." Künftig ist geplant, in ArcheoInf nicht 'nur' eine Suchmöglichkeit nach vorhandener Literatur anzubieten, sondern auch eine eigene Publikationsmöglichkeit. "Autoren können ihre Texte dann selbst auf einen von uns bereitgestellten Server hochladen und online zugänglich machen", erklärt Bibliotheksmitarbeiterin Dr. Karolin Bubke.

Ein in ArcheoInf integriertes Rechtemanagement erlaubt es Forschern aber auch, ihre Daten zunächst geschützt zu speichern und erst zu einem späteren Zeitpunkt für die öffentliche Suche im Internet zugänglich zu machen, etwa wenn das Projekt abgeschlossen ist.

"Open-Access"-Philosophie zieht immer weitere Kreise in der Wissenschaft

ArcheoInf ist ein wachsendes System. Ist eine Datenbank einmal für den Mediator zugänglich gemacht worden - eine Aufgabe, die in Handarbeit erledigt werden muss - ist sie dauerhaft recherchierbar. Auch neue Informationen findet ArcheoInf dann direkt nach deren Eingabe. "Die Forscher der einzelnen Projekte können ihre Daten weiterhin genauso archivieren wie sie es gewöhnt sind", erläutert Prof. Bergemann. "Man kann sich vorstellen, dass ein Forscher über seinen eigenen Datenbankzugang während der Feldarbeit abends am Laptop irgendwo in Griechenland seine Fotos speichert, und im selben Moment werden sie weltweit verfügbar." (Abb. 5)

Die bei der Feldforschung gesammelten Daten können dank ArcheoInf noch am selben Tag weltweit verfügbar sein.
Abb. 5: Die bei der Feldforschung gesammelten Daten können
dank ArcheoInf noch am selben Tag weltweit verfügbar sein.


Auch in anderer Hinsicht soll ArcheoInf wachsen: Zurzeit ist das Projektteam auf Kongressen für Archäologen und Bibliotheksfachleute unterwegs, um sich vorzustellen und weitere Partner zu gewinnen. Die ersten drei Datenbanken - aus Bochum, Darmstadt und Tübingen - werden gerade integriert, weitere sind erwünscht. "Je mehr Projekte mitmachen, desto besser", so Prof. Bergemann. Für den Anfang konzentrieren sich die Forscher auf die "klassische" Archäologie rund ums Mittelmeer, aber langfristig sollen auch andere Gegenden hinzukommen, beispielsweise der Bereich nördlich der Alpen. In Zukunft soll der Mediator auch weitere Sprachen lernen, um mit ausländischen Projekten kommunizieren und in den entsprechenden Datenbanken auf Informationssuche gehen zu können. "Unser Ziel ist klar", sagt Dr. Lapp, "wir wollen so gut werden, dass wir Standards setzen!"


info

Das Projekt

Am Projekt ArcheoInf, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für fünf Jahre gefördert wird, sind die Ruhr-Universität Bochum, die Technische Universität Dortmund und deren Universitätsbibliotheken sowie die Hochschule Bochum beteiligt; das Projektteam umfasst rund 20 Mitarbeiter. Die erste Projektphase von zwei Jahren läuft bis Ende 2009, dann soll ArcheoInf mit einem Prototypen in einer Testphase online sein. Erste Partner und erste Teilnehmer mit ihren Datenbanken sind archäologische Projekte der Universitäten Bochum, Darmstadt und Tübingen, außerdem bestehen Kontakte zum Deutschen Archäologischen Institut, zur Bodendenkmalpflege verschiedener Bundesländer und zur Getty Foundation.
Internet: http://www.archeoinf.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abb. 4, S. 44: Über eine Reliefkarte kann man sämtliche Funde einer Region auf einen Blick betrachten und statistisch auswerten lassen (Modell, Satellitenbild: www.albedo39.de)

Diesen Artikel inklusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/


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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Herbst 2008, S. 42 - 44
Herausgeber: Rektor der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung
mit der Gesellschaft der Freunde der Ruhr-Universität Bochum
Anschrift: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Tel. 0234/32-22 133, -22 830, Fax 0234/32-14 136
E-Mail: rubin@presse.ruhr-uni-bochum.de
Internet: www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2008