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BERICHT/194: Der Einsturz des Stadtarchivs von Köln und seine Folgen (forsch - Uni Bonn)


forsch 2/2009 - April 2009
Bonner Universitäts-Nachrichten

Tränen, Trümmer, Tatendrang

Der Einsturz des Stadtarchivs von Köln und seine Folgen


Mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln sind zahlreiche Projekte in den Geistes- und Kulturwissenschaften zu Bruch gegangen. Es droht ein epochaler kultureller Gedächtnisverlust. Bonner Forscher legen bei der Rettung von Archivgut und wissenschaftlichen Arbeiten Hand an.

Der Erdboden wankt, als das massive Stadtarchiv fällt. In wenigen Sekunden sackt das Gebäude in die Tiefe, der fast 30 Meter tiefen Sohle der U-Bahn-Baustelle entgegen. Nachbarhäuser rutschen nach. Zwei Menschen kommen bei dem Unglück ums Leben, weite Teile des Archivbestands werden unter Trümmern begraben. Was die Katastrophe ausgelöst hat, ist noch immer Gegenstand von Spekulationen.

Zu den Augen- und Ohrenzeugen der Katastrophe gehört Professor Dr. Manfred Groten. Der Bonner Professor für Rheinische Landesgeschichte war an diesem Dienstag zu Besuch bei der Leiterin des Stadtarchivs, für das er selbst bis zu seiner Berufung 20 Jahre lang gearbeitet hatte. Plötzlich hallte der Ruf der Bauarbeiter - "Alle raus!" - durch das Haus. Fluchtartig verließen die Anwesenden daraufhin das Gebäude. "Ich habe noch die Leute aus dem Lesesaal geholt, dann bin ich als einer der letzten rausgekommen", erinnert sich der Historiker. "Ich war vielleicht 10 oder 20 Meter entfernt, als das ganze Haus einstürzte. Alles ging rasend schnell." Seither hat Groten kaum noch eine ruhige Minute. Denn mit den Stadtarchiv brachen auch die akademischen Pläne vieler Schüler des Professors zusammen. Manche Promotion, die auf Material aus dem Kölner Archiv baut, kann wohl nicht wie geplant vollendet werden. "Ich führe derzeit viele Beratungsgespräche, weil Doktoranden nun den Ausfall von Material ausgleichen müssen. Manche Arbeiten werden wir wohl ganz neu konzipieren müssen", sagt der Doktorvater.


Kulturelle Erinnerung sichern

Hilfe für Forscher, denen die Katastrophe den wissenschaftlichen Boden unter den Füssen entzogen hat, leistet die Köln-Bonner Initiative "Das digitale Historische Archiv Köln". Gegründet wurde sie von der Bonner Abteilung für Rheinische Landesgeschichte und dem Verein "Prometheus - das verteilte digitale Bildarchiv." Sie hat dazu aufgerufen Fotos, Kopien und Verfilmungen von Archivalien im Internet verfügbar zu machen und damit einen Beitrag zur Sicherung der kulturellen Erinnerung der Stadt Köln zu leisten. Unter www.historischesarchivkoeln.de finden sich bereits Hunderte von Dokumenten. Diese könnten später einmal wertvolle Dienste bei der Rekonstruktion des Archivs leisten.

Andere Freiwillige wühlen im Dienste von Kultur und Wissenschaft im Schutt nach rettbaren Archivalien. In zwei Lagerhallen im Kölner Osten suchen die Helfer nach den Teilen eines Puzzles, von dem bis heute keiner weiß, welche Teile überhaupt noch vorhanden sind. Manches Archivgut wurde während der Suche nach den beiden Verschütteten geborgen und in Containern in die gut bewachten Hallen gebracht. Auch der abgetragene Schutt wird dort angeliefert und durchsucht - anfangs sogar rund um die Uhr. Dr. Katharina Corsepius und Jochen Hermel koordinieren den Einsatz der überaus engagierten Examenskandidaten einer ganzen Reihe von Instituten und Zentren der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn. Sie berichtet: "Die Mitarbeiter des Archivs sind begeistert von der hervorragenden, kontinuierlichen und kompetenten Arbeit gerade der Bonner Studierenden, sich mit allen Kräften für die Rettung des Archivgutes einsetzen."

Die Gefriertruhe ist der wichtigste Helfer der Restauratoren im Kampf gegen den nassen Tod. Die modernen Gefriertrocknungsverfahren wurden nach dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar und dem Elbhochwasser entwickelt. "Aus den angelieferten Behältern holen wir die Archivalien aus den feuchten Kartons, säubern sie grob und legen sie beiseite", erzählt Prof. Dr. Hiltrud Kier. Die Bonner Kunsthistorikerin legt gemeinsam mit ihren Doktoranden, ehemaligen Promovenden und Mitarbeitern des Instituts Hand an. Eigenhändig hat die 71-Jährige manche zerstörte Schrift aus dem Schutt gezogen. "Es ist entsetzlich, aber es ist die einzige Möglichkeit noch etwas zu retten", sagt Kier und fügt mit kämpferischem Unterton an:. "Das Kind ist im Brunnen, und da muss man es jetzt halt herausholen." Kleine Erfolgserlebnisse halten die Helfer bei der Stange: "Wenn ein Originalmanuskript von Albertus Magnus unversehrt zutage kommt, dann ist das angesichts der totalen Zerstörung des Archivgebäudes schon ein kleines Wunder." Hiltrud Kier freut sich aber nicht nur über die "prominenten" Stücke. "Es gibt keine Archivalie, die nicht wichtig wäre." ARC/FORSCH

Freiwllige Helfer mit einschlägigen Fachkenntnissen können sich melden bei:
Dr. Katharina Corsepius, E- Mail: k.corsepius@uni-bonn.de


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 2, April 2009,
Seite 32
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Abt. 8.2 - Presse und Kommunikation
Poppelsdorfer Allee 49, 53115 Bonn
Tel.: 0228/73 76 47, Fax: 0228/73-74 51
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009