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BERICHT/223: Afrika - Aufstieg und Fall von Timbuktu (epoc)


epoc 6/09
Geschichte · Archäologie · Kultur

Aufstieg und Fall von Timbuktu

Von Sascha Wisotzki


Jahrhundertelang war die Stadt am Niger das wirtschaftliche Zentrum Westafrikas. Während das spätmittelalterliche Europa von Krisen erschüttert wurde, entwickelte sich in Timbuktu sogar eine einzigartige Kultur der Gelehrsamkeit.


Als Mensa Musa, König über das westafrikanische Reich Mali, 1324/25 zur Pilgerfahrt nach Mekka aufbrach, tat er dies zeitgenössischen Berichten zufolge mit einem Pomp, der seinesgleichen suchte: 60.000 Soldaten, Ehefrauen, Konkubinen, Sklaven und Höflinge zogen mit dem Monarchen durch die Wüste. Nicht weniger als 1000 Kamele waren nötig, um das Gold der »Reisekasse« zu tragen. Weil es der König unterwegs in Kairo mit vollen Händen ausgegeben habe, so berichten Chronisten, sei der Goldwert in Ägypten um ein Viertel gesunken und das Land in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Und noch eine Anekdote wurde über den extravaganten Pilger überliefert: Als es seine Lieblingsfrau in der Wüste nach einem Bad gelüstete, ließ der Herrscher ein Becken ausheben und mit dem Inhalt tausender Wassersäcke füllen.

Seinen unglaublichen Reichtum verdankte der Regent der Bedeutung seines Landes als Kontaktzone zwischen den Wüstenstaaten des Nordens und den Reichen des subsaharischen Afrika. Vor allem eine Stadt entwickelte sich zum Dreh- und Angelpunkt des Fernhandels: Timbuktu. Aus einem unbedeutenden Lagerplatz am Rand der Sahara, nur wenige Kilometer vom Ufer des Flusses Niger entfernt, entstand im Lauf von Jahrhunderten eine pulsierende Metropole. Auch wenn Timbuktu nie Hauptstadt war, beruhte der Aufstieg der Reiche Mali und später Songhai zu einem guten Teil auf den dort florierenden Märkten.

Elfenbein, Sklaven, Leder und Straußenfedern aus den Savannen kamen hier zur Zeit des europäischen Mittelalters genauso auf den Markt wie Getreide aus den fruchtbaren Marschen am Oberlauf des Niger, Gold von den Minen aus den Staaten südlich des Reichs, Datteln und das kostbare Salz aus Taghaza in der Sahara. Dank des Umschlagplatzes Timbuktu mussten arabische Kaufleute nicht weiter in den Süden reisen; umgekehrt blieben Händlern aus den subsaharischen Ländern die Strapazen der großen Wüste erspart, ebenso entgingen sie der Gefahr, in die Hände von Sklavenhändlern zu fallen. Mehr noch bot Timbuktu westafrikanischen Goldhändlern die Möglichkeit, mit ihren Abnehmern nur über Mittelsmänner zu verkehren und so die Lage ihrer Fundstätten geheim zu halten. So wurde Timbuktu neben dem Niltal zu einem wichtigen Verbindungsglied zwischen der arabisch-islamischen Welt und den Kulturen und Staaten des subsaharischen Afrika.

Um das Jahr 1000 verliefen die wichtigen Handelswege Hunderte von Kilometern weiter westlich; insbesondere Walata war ein florierender Knotenpunkt. Die Entwicklung Timbuktus war zu dieser Zeit noch nicht absehbar. Die Oase am nördlichsten Bogen des Niger kannten und nutzten nur Nomaden vom Volk der Tuareg. Der Legende nach bewachte dort eine Frau namens Buktu einen tim, das Tuareg-Wort für Brunnen. So entstand der Name Timbuktu. Als die arabische Dynastie der Almoraviden Mitte des 11. Jahrhunderts die fernen Länder Marokko und Andalusien eroberte, sollte sich das Schicksal dieses Platzes ändern. Denn der Erfolg der Almoraviden förderte auch die Ambitionen der mit ihnen verbündeten Sanhaja-Massufa-Nomaden. Diese drangen entlang des südlichen Sahel nach Osten vor und gründeten die kurzlebige Sane-Dynastie. Das Reich Ghana zerbrach, und aus seinen Trümmern wuchs ein neues heran: Mali.

Um 1230 schwang sich der zum Volk der Mandinka gehörende Sunjata Musa zum Herrscher Timbuktus auf und eroberte, was von Ghana noch übrig war. Als Geste des Vertrauens gegenüber den Handelspartnern im Norden trat der König zum Islam über. Weiter westlich gelegene Handelsstädte wie Awdaghust und Walata verloren nun an Bedeutung, während die Timbuktus zunahm. Araber, Berber und Afrikaner zogen in die Stadt. Gelegentlich ließen sich auch Juden und Christen dort nieder, die von Venedig oder Lissabon kommend nach exotischen Waren suchten, um diese daheim teuer zu verkaufen. Gute Geschäfte machte man auf den Märkten und in den von Palmen beschatteten Gassen.

»Die Tore sind mit getrockneten Kamelfellen bespannt und dicht mit eisernen Nägeln versehen, so dass keine Axt in das Holz eindringen kann«
Der marokkanische Händler Shabani über die Stadttore von Timbuktu, 1790

Ihre erste Blütezeit erlebte die Stadt bereits unter dem anfangs erwähnten Mensa Musa, der irgendwann zwischen 1307 und 1312 den Thron bestieg und Mali zum größten Reich Westafrikas machte; es erstreckte sich von der Atlantikküste bis zu der Grenze des heutigen Nigeria. Dabei war dieser Musa (Mensa war der Titel des Herrschers in Mali) gar nicht für die Thronfolge vorgesehen, glaubt man dem in Kairo am Anfang des 14. Jahrhunderts lebenden Enzyklopädisten al-Umari. In seinem Werk »Der Weg der Einsicht« schilderte er ein Gespräch zwischen Mensa Musa und einem Sohn des damaligen Kalifen von Kairo, das sie 1326 geführt haben sollen. Demnach sei Musa nur Regent geworden, weil sein Bruder auf Entdeckungsfahrt gehen wollte. »Abu Bakr rüstete eine Flotte von 400 Schiffen aus, um die Länder jenseits des Meeres zu erkunden. Eines kehrte zurück, und die Besatzung berichtete von Land und mysteriösen Flüssen inmitten des Ozeans.« Daraufhin, so der König, ließ Abu Bakr eine neue Expedition vorbereiten, übergab ihm die Regierungsgeschäfte und segelte 180 Jahre vor Christoph Kolumbus in Richtung Westen davon. Ob er Amerika jemals erreicht hat, ist nicht bekannt, aber es gibt Hinweise, dass afrikanische Seeleute die Passage über den Atlantik überlebt haben: spanische Texte aus dem 15. Jahrhundert, die von schwarzen Männern aus Äthiopien im heutigen Panama berichten, sowie Statuen mit afrikanischen Gesichtszügen, die an Mexikos Küste stehen und auf den Ozean in Richtung Afrika blicken.


Eine Metropole aus Lehm und Stein

Mensa Musa genoss einen guten Ruf in der arabischen Welt, und das hinterließ in Timbuktu Spuren. Nach wie vor dominierten zwar die landestypischen, zweigeschossigen Lehmbauten das Stadtbild, reiche Kaufleute heuerten aber auch ägyptische Handwerker an, um steinerne Häuser zu errichten.

Das Zentrum hatte die Form eines abgerundeten Dreiecks, dessen Schenkel etwa 700 bis 800 Meter lang waren. Außerhalb dieses Stadtkerns befanden sich Vorstädte - die Gebäude dort waren meist nur einfache Hütten -, die sich zur Karawanensaison von November bis Januar ausdehnten. Im Süden der Stadt floss ein kleiner Brackwasserfluss vorbei, der in den großen Wäldern östlich von Timbuktu entsprang und im Westen im Sand versickerte. Die Bevölkerung nutzte ihn aber nur zum Wäschewaschen. Als Hafen diente Timbuktu das einige Kilometer südlich gelegene Kabera (siehe Bild S. 26).

Das berichten allerdings keine zeitgenössischen Quellen, sondern Schriften aus späterer Zeit. Auch wenn es keine Möglichkeit gibt, ihre Beschreibungen anhand archäologischer Befunde für das Mittelalter zu belegen, gehen Experten davon aus, dass sie eine Vorstellung des damaligen Stadtbilds vermitteln.

So erzählte der Chronist Muhammad al-Wazzan al-Zayati, in Europa als Leo Africanus bekannt, im Jahr 1550, was er lange zuvor in Timbuktu als Student gesehen hatte: »Eine Moschee ist von einem geschickten Baumeister aus Granada mit Steinen und Kalk erbaut. Derselbe hat auch einen großen Palast angelegt, worin der König wohnt.«

Um 1790 berichtete der marokkanische Händler Shabani von den Verteidigungsanlagen: »Die Stadt ist von einer etwa vier Meter hohen Lehmmauer umgeben ... Sie hat drei Tore, Bab Sahra, das Tor der Wüste im Norden, gegenüber im Süden das Bab Neel, das Tor am Niger, und das dritte führt zu dem großen Wald im Osten, das Bab Kibla. Die Tore sind an großen Scharnieren befestigt, werden bei Nacht verschlossen und zusätzlich mit einem großen Balken gesichert. Die Tore sind von außen mit getrockneten Kamelfellen bespannt und dicht mit eisernen Nägeln versehen, so dass keine Axt in das Holz eindringen kann. Vor der Mauer befindet sich ein Graben, der ungefähr vier Meter tief ist und so breit, dass ein Mann ihn nicht überspringen kann.«

Die Beschreibungen des deutschen Afrikaforschers, Archäologen, Philologen und Geografen Heinrich Barth, dem es 1854 gelungen war, das sagenumwobene Timbuktu auf einer Expedition zu erreichen, erinnern an das Bild einer mittelalterlichen Ortschaft. »Die Stadt hat teils regelmäßige, teils gewundene Straßen; letztere sind nicht gepflastert, einige haben einen Rinnstein in der Mitte, um den beträchtlichen Wassermassen, welche sich bei bedeutenden Regenfällen von den Dächern der Häuser in die Straßen ergießen, einen besseren Abzug zu verschaffen. In dem dichtesten bewohnten, südlichen Stadtteil mangelt es an freien Plätzen. Die Häuser sind alle in einem guten Zustand, und die Zahl der Tonwohnungen betrug 980, die der Mattenhütten belief sich ebenfalls auf einige hundert. Die Tongebäude zeigen einen mannigfaltigen, im Ganzen aber den Grundrissen pompejanischer Wohnungen sich annähernden Stil; einige sind niedrig und unansehnlich, andere von größeren Dimensionen und mit einer Art zweiten Stockwerks versehen; selbst architektonische Verzierungen weisen einzelne Häuser auf. Die Dächer sind flach und mit einer Brüstung eingefasst, das erwähnte zweite Stockwerk besteht bei den Häusern in einem auf dem flachen Dach erbauten Zimmer. Dieses Dachzimmer ist der Lieblingsaufenthalt vieler Bewohner Timbuktus, da es luftig und infolgedessen kühl ist.«

Die Stadt profitierte von der Bündnispolitik Malis, und während das spätmittelalterliche Europa unter den ersten Pestwellen litt, der Kleinen Eiszeit, dem Ausbruch des Hundertjährigen Kriegs zwischen England und Frankreich und anderen Krisen, prosperierte Timbuktu und wuchs schneller als das viel ältere politische Zentrum Gao oder das 400 Kilometer südwestlich gelegene, heute noch für seine prächtigen Lehmbauten berühmte Djenné.

15.000 Menschen unterschiedlicher Nationalität lebten in Timbuktu zeitweise auf engem Raum zusammen. Dass trotzdem Ruhe und Ordnung herrschten, dafür sorgte eine Tuareg-Armee.

Als Mensa Musa starb (zwischen 1331 und 1337), folgte ihm sein Sohn Magan auf den Thron, verschied aber bereits vier Jahre später. Nun übernahm sein Bruder als Mensa Suleiman die Macht. Zwar konnte er den Niedergang des Landes, der in dieser Zeit einsetzte, nicht aufhalten. Doch als der arabische Geograf Ibn Battuta in den Jahren 1352 und 1353 durch das Land reiste, beschrieb er Timbuktu immerhin noch als sichere Stadt, in der eine strenge Rechtsprechung herrschte. Erstaunt war er lediglich über die lockeren Sitten, denn sowohl Dienerinnen, Sklavinnen als auch die jungen Töchter, selbst die des Mensas, zeigten sich seinem Bericht zufolge nackt in der Öffentlichkeit.

Nach dem Tod Mensa Suleimans im Jahr 1360 begannen die Statthalter der Provinzen, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, denn es gab keinen Nachfolger, der fähig gewesen wäre, das Reich zusammenzuhalten. Vom Süden her drängte zudem das Volk der Mossi in das Land; sie plünderten Timbuktu und »verheerten die unglückliche Stadt mit Feuer und Schwert«, so überlieferte es Barth. Im Norden gewannen die Tuareg einmal mehr an Einfluss. Die Rolle dieser Nomaden wechselte im Lauf der Zeit. Mal waren sie den Herrschern Malis oder dessen Nachfolgestaat Songhai tributpflichtig, mal erhielten sie selbst Abgaben. Dann wieder legten sie mit Überfällen den Karawanenhandel lahm, um ihn wenig später erneut selbst zu betreiben.

Die Tuareg eroberten 1438 Timbuktu; den Quellen zufolge nahezu ohne Blutvergießen, denn die Bewohner wagten es nicht, Widerstand zu leisten. Es erging der Stadt nicht schlecht, Kapitulation und Kooperation schonten Leben und sorgten dafür, dass der Handelsweg nach Nordafrika offen blieb. Nur wenige Jahre später zogen die Nomaden wieder hinaus in die Freiheit der Wüste. Durch einen Timbuktukoy, einen Statthalter, beherrschten sie die Stadt aber noch etwa 40 Jahre.

Derweil war die 400 Kilometer flussabwärts im äußersten Osten Malis gelegene Metropole Gao, von deren Pracht und Reichtum bereits der arabische Historiker al-Masudi im 10. Jahrhundert geschwärmt hatte, zum Zentrum eines eigenständigen Reichs geworden. Im Jahr 1464 übernahm der als machthungrig verschriene Sunni Ali die Herrschaft. Seine Kavallerie drang tief nach Westen vor und besetzte auch Malis Hauptstadt, wie Quellen berichten. Vermutlich handelte es sich um den heutigen Ort Niani in Guinea, doch das ist unter Wissenschaftlern noch umstritten. Die Hauptstadt wurde schließlich aufgegeben, und Mali, das zweite große Reich des westafrikanischen »Mittelalters«, zerbrach.


Tyrannei und Revolte

Sunni Ali galt späteren Generationen als grausamer Tyrann. So schrieb as-Sa'adi in seiner »Geschichte der Schwarzen« 1655: »Der teuflische Unterdrücker tötete oder demütigte die Gelehrten, die in Timbuktu zurückgeblieben waren.« Es spricht aber einiges dafür, dass der Regent von den muslimischen Chronisten nur deshalb verunglimpft wurde, weil er den Islam ablehnte, den er als Gefahr für die afrikanischen Kulturen und Religionen erachtete. Denn auf der anderen Seite waren sich dieselben Autoren darin einig, dass er den Staat erfolgreich reorganisiert hatte. Sunni Ali gründete die erste Marine Westafrikas, bestehend aus bewaffneten Pirogen und Kriegskanus, förderte die Landwirtschaft mit Bewässerungsanlagen und führte ein einkommensabhängiges Steuersystem ein.

Als der König am 6. November 1492 auf dem Rückweg von einem Kriegszug ertrank, hatte er auf dem Boden des alten Mali ein neues Reich etabliert: Songhai. Der Name, in älteren Quellen auch Sonrhai geschrieben, soll sich von dem des Gründers der Dynastie im 9. Jahrhundert ableiten, eines legendären Ahnen namens Sa. Doch die dynastische Linie wurde jäh unterbrochen: Da Sunni Alis ältester Sohn und Nachfolger Sunni Baru nicht nur blutrünstig war, sondern auch unklug agierte, sich beispielsweise weigerte, zum Islam zu konvertieren, wurde er nach wenigen Monaten gestürzt. Die muslimische Oberschicht Timbuktus, ja ganz Songhai unterstützte den Putsch. Askia Muhammad, einer der Heerführer Sunni Alis, stellte sich an die Spitze der Revolte. Nach einer ersten Niederlage errangen seine Truppen am 2. April 1493 den Sieg. Über das Schicksal des Verlierers gibt es widersprüchliche Berichte, die vom Tod in der Schlacht bis zum Exil im Aïr-Gebirge reichen.

»Sie verheerten die unglückliche Stadt mit Feuer und Schwert«
Heinrich Barth
(1821 - 1865)

Unter der nun folgenden Regentschaft Askia Muhammads (Askia war der Herrschertitel der Songhai) begann eine neue Blütezeit, die mehr als 100 Jahre anhalten sollte. Songhai dehnte sich von 1493 bis 1528 auf zwei Drittel der Fläche Westafrikas aus und reichte von der westlichen Atlantikküste bis zum Norden des heutigen Nigeria. Nur ein Teil dieser Fläche wurde gewaltsam eingenommen - viele kleinere »Staaten« schlossen sich freiwillig dem erfolgreichen Nachbarn an.

Nachdem Muhammad seine Macht gesichert hatte, begab er sich 1496 auf die Hadsch nach Mekka, begleitet von Vertretern aller bedeutenden Familien sowie einem Heer von 1000 Fußsoldaten und 500 Reitern. Erst zwei Jahre später kehrte er zurück. Experten schätzen, dass diese Pilgerfahrt nach heutigen Goldpreisen 10 bis 20 Millionen Euro verschlang, Spenden für karitative Zwecke und den Erhalt der heiligen Stätten in Mekka eingerechnet.

Askia Muhammad verordnete dem Reich ein Sparprogramm. Insbesondere verkleinerte er seine Armee. Das setzte Arbeitskräfte frei, und das wiederum kam der Stadt Timbuktu zugute. Noch mehr Menschen suchten dort ihr Glück im Handel und im Handwerk, verließen sogar Gao, das politische Zentrum Songhais, denn in Timbuktu wurde das Geld verdient. Die Basis aller Geschäfte lautete »weißes Gold, gelbes Gold und schwarzes Gold«. Die Nachfrage nach Salz war groß, mit dem Edelmetall wurde der Handel finanziert, und Sklaven verrichteten alle Arbeiten. Aber auch Kupfer brachte hohe Umsätze, ebenso aus dem Süden kommendes Zibet, ein Sekret aus der Analdrüse der Zibetkatze und Grundstoff für Parfüme. Hinzu kamen Elfenbein, Leder und Kolanüsse.

Neben etwa 100.000 Einwohnern sollen in Hochzeiten noch etwa 25.000 Studenten in Timbuktu gelebt haben. Das hohe Ansehen der dort Lehrenden zog im 16. Jahrhundert selbst Schüler aus den Ursprungsländern des Islam der Arabischen Halbinsel an. Zu ihren Füßen sitzend studierten die jungen Männer Recht, Literatur, Theologie und andere Wissenschaften. Historiker verfassten in Timbuktu Werke über Aufstieg, Blüte und Fall der Reiche des Sahel, Astronomen zeichneten den Lauf der Sterne auf, Ärzte entwickelten Therapien auf der Basis der in der Sahara und dem Sahel wachsenden Pflanzen, und Ethiker diskutierten über Vielweiberei und Tabakkonsum.

Ein Studium dauerte ungefähr zehn Jahre. Voraussetzung war, dass man den Koran auswendig konnte und das Arabische beherrschte, das sich mit der Ausbreitung des Islam seit dem 7. Jahrhundert zur Lingua franca entwickelt hatte. Zunächst galt es, die Hadithen und ihre Auslegungen zu studieren, also die Berichte und Erzählungen über die Art und Weise, wie Mohammed, der Verkünder des Islam, die erste Gemeinde der Muslime führte und die erforderlichen Regeln festlegte. Erst dann durfte man sich mit Mathematik, Jura, Rechnungswesen, Medizin, arabischer Grammatik oder Astronomie beschäftigen.

Es existierte kein Universitätsgebäude; die Vorlesungen fanden in den Häusern der Dozenten, gelegentlich auch in den Moscheen statt. Hatte ein Student ein Buch zu einem bestimmten Thema gemeinsam mit seinem Lehrer erarbeitet, konnte er diesen um eine schriftliche Bestätigung bitten. Nach einiger Zeit bekamen die Schüler eine Bescheinigung, ein idschaza (der Begriff ist heute noch an arabischen Universitäten gebräuchlich und bezeichnet den Abschluss eines Bachelorstudiengangs), dass sie nun selbst in der Lage seien, ein Fach oder über ein besonderes Buch zu lehren. Damals war es üblich, anschließend die Stadt zu wechseln, um das Studium bei einem anderen Dozenten fortzusetzen. Von jedem Lehrer, den sie gehört hatten, erhielten die Studenten noch eine weitere idschaza. Ein solches Dokument konnte sehr umfangreich sein, denn es listete auch die generationenlange Kette der Überlieferungen von Lehrer zu Schüler auf. Der Gelehrte, der außer der genauen Kenntnis des Korans und seiner Bedeutung auch sonst eine breite Bildung hatte, stellte den Idealtypus eines Muslimen da. Neben einem hohen gesellschaftlichen Ansehen brachte das lange und mühevolle Studium auch praktische Vorteile bei der Bewerbung um Stellen im »öffentlichen Dienst« - nun konnte man Richter werden oder eine Arztpraxis eröffnen.

Zur Festigung des Glaubens entstanden in Timbuktu neue Gotteshäuser, darunter die noch heute existierende Djingerber- und die Sankoré-Moschee mit dem gleichen Grundriss wie das Gotteshaus, das die Kaaba in Mekka beherbergt. »Das Zentrum der Stadt besteht aus einer steinernen Moschee und einem großen Palast, der vom Herrscher bewohnt wird«, schrieb Leo Africanus 1526 in seiner »Beschreibung Afrikas«. Er besuchte Timbuktu zu Beginn des 16. Jahrhunderts zur Zeit des Herrschers Askia Muhammad. Am stärksten beeindruckte ihn der blühende Handel mit Büchern, die wie alles andere, ob Gewürz, Stoff oder Nahrungsmittel, mit Kaurimuscheln oder Goldnuggets bezahlt wurden. Aus dem Norden importierte Bücher bescherten so manchem Kaufmann ein einträgliches Auskommen, denn laut Africanus wurde der Reichtum eines Mannes damals an der Zahl seiner Pferde und seiner Bücher bemessen.

In klassischem Arabisch geschriebene Werke waren bei marokkanischen und algerischen Händlern erhältlich. Daneben kursierten Werke einheimischer Schriftsteller, die sich der arabischen Schriftzeichen bedienten, um in ihrer Muttersprache Fulfulde oder Songhai zu schreiben. Die Tinte gewann man aus Wüstenpflanzen, das Papier wurde aus Andalusien importiert, die Einbände bestanden aus Ziegenhaut. Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich das afrikanische Sprichwort: »Salz kommt aus dem Norden, Gold aus dem Süden und Silber aus dem Land des weißen Mannes, aber das Wort Gottes und die Schätze der Weisheit sind nur in Timbuktu zu finden.«

Mensa Musa hatte auf seiner Pilgerfahrt 1326 eine große Anzahl vor allem juristischer Werke gekauft und damit den Grundstock zu Timbuktus berühmten Bibliotheken gelegt. Mitte des 15. Jahrhunderts soll die größte davon 30.000 Schriften bessen haben. Zu dieser Zeit nannte die Medizinische Fakultät der Pariser Universität gerade einmal ein Buch ihr Eigen - das Werk eines arabischen Wissenschaftlers aus dem 9. Jahrhundert.

Schon zu Lebzeiten Askia Muhammads, der 1528 starb, stritt sich ein Teil seiner über 100 Söhne um das Erbe. Sie befehdeten sich und brachten sich gegenseitig um. Doch in den kurzen Friedenszeiten strömten wieder Gelehrte nach Timbuktu, und die Karawanen konnten sicher die Sahara durchqueren. Und es gab auch Familienmitglieder, die den Zwist um die Herrschaft nicht mitmachten. Barth berichtete von einem Thronanwärter namens Mahmud Bankori, der am Anfang des 16. Jahrhunderts »zu Gunsten eines ungestörten Studiums mit Hilfe der in Timbuktu angehäuften Bücherschätze auf Ruhm und Thron verzichtete«.


Sturz in die Bedeutungslosigkeit

Die dauernden Streitigkeiten schwächten Songhai nachhaltig. 1591 eroberte eine marokkanische Armee Timbuktu und verschleppte seine Gelehrten. Darunter Ahmad Baba, der, nach Marrakesch verschleppt, vor allem den Verlust seiner 1600 Bücher beklagte. Wie er betonte, die kleinste Sammlung in Timbuktu.

Auch wirtschaftlich geriet die einst so prosperierende Stadt allmählich ins Abseits. Die spanischen Konquistadoren brachten solche Mengen Gold aus den Kolonien in Süd- und Mittelamerika nach Europa, dass sich der mühselige Transport durch die Sahara nicht mehr rentierte. Zudem brachen die Sklavenmärkte in Nordafrika ein, denn die Händler machten mit den neuen Abnehmern in Nordamerika größere Profite. Und der sonstige Handel mit Europa verlagerte sich von der Karawane auf das Schiff.

Als Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts Mali nach und nach seiner Kolonie Französisch-Westafrika einverleibte, hatte Timbuktu bereits viel von seinem Glanz verloren. Der deutsche Afrikaforscher Gerhard Rohlfs (1831-1896), der vergeblich versucht hatte, das sagenumwobene Timbuktu auf seinen Expeditionen zu erreichen, wäre wohl enttäuscht gewesen: Timbuktu war nur noch eines von vielen staubigen und ärmlichen Städtchen am Rand der großen Wüste.


Sascha Wisotzki studierte Afrika- und Islamwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet als freier Autor.


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DIE ZWEIFACH VERLORENE KARAWANE

Im Dezember 1964 brach der französische Archäologe Théodore Monod mit zwei Soldaten und einem Jäger vom Wüstenort Wadan im Südosten Mauretaniens auf. Nach einem dreiwöchigen Fußmarsch erreichte die Gruppe einen flachen Hügel von sechs bis sieben Meter Durchmesser und 60 bis 70 Zentimeter Höhe, auf dem Messingstäbe und Kaurimuscheln wild durcheinanderlagen. Der Jäger hatte den Ort im Jahr zuvor entdeckt.

Monod brachte bei einer Grabung sechs Bündel Messingstäbe zum Vorschein, die zusammen etwa 1200 Kilogramm wogen. Darauf waren noch zwei Tierbälge voller Kaurimuscheln gelegt worden. Das erhaltene organische Material reichte für eine Altersbestimmung mit der C-14-Methode: Die Objekte hatte man Anfang des 12. Jahrhunderts dort vergraben.

Vermutlich war eine Karawane von Marokko nach Walata oder Tichit unterwegs gewesen; historische Quellen aus späterer Zeit belegen einen Transsaharahandel mit diesen Produkten. Allerdings lag der Fundort abseits der bekannten Routen. Mit neuen wissenschaftlichen Methoden ließe sich das Rätsel vielleicht lösen, doch eine Nachgrabung ist nicht möglich, da Monod den Fundort nicht exakt verzeichnen konnte.


DIE MANUSKRIPTE VON TIMBUKTU

Frankreich eroberte Mali 1893, machte Französisch zur Amtssprache und führte das französische Schulsystem ein. Das hatte katastrophale Auswirkungen auf die Traditionen in dem Land, das nun Französisch-Westafrika hieß. Die arabische Sprache wurde verdrängt und einheimische Schulen, die madrasa, zu französischen médersa, um erzieherische Ideale der Kolonialherren auf einen muslimischen Kontext zu übertragen. Viele Familien versteckten ihre privaten Manuskriptsammlungen, da sie eine Konfiszierung befürchteten.

Eingemauert, vergraben und mitunter auch im Lauf der Jahrzehnte vergessen, kamen manche Bücher erst seit dem Erreichen der Unabhängigkeit Malis am 22. September 1960 wieder ans Licht. Oft waren sie durch schwankende Luftfeuchtigkeit, Insekten, Überschwemmungen, Hausbrände und anderes stark in Mitleidenschaft gezogen. Sammler aus Europa und Amerika erwarben viele Schriften, so dass heute nur noch ein kleiner Rest im Land selbst vorhanden ist.

1964 veranstaltete die UNESCO in Timbuktu eine Konferenz, um Afrikas Beitrag zum Weltkulturerbe zu diskutieren. Dabei wurde die Einrichtung eines Instituts für die Sammlung und Erhaltung alter Schriften beschlossen. 1973 öffnete das Ahmad Baba Institute of Higher Islamic Studies and Research seine Pforten. Seinen Namen erhielt es zu Ehren des Gelehrten Ahmad Baba al-Sudani al-Timbukti (1556 - 1627), der in Mali und Marokko wirkte.

Im Jahr 2000 wurde zudem das »Timbuktu Manuscript Project« ins Leben gerufen. Es ist das erste »Memory of the World Project« der UNESCO und das erste Kulturprojekt der Nepad (New Partnership for Africa's Development). Dank internationaler Zusammenarbeit gelang es bis 2008, etwa 30 000 Manuskripte zu sammeln, die in einer neuen Bibliothek aufbewahrt und erforscht werden sollen. Die luxemburgische Regierung finanzierte die Einrichtung eines Labors und die Ausbildung von Fachleuten, mit dem Ziel, die Schriften zu konservieren, zu digitalisieren und zu veröffentlichen. Auch einige private Einrichtungen wie die al-Wangari-Bibliothek, vermutlich die älteste Timbuktus, engagieren sich auf diesem Gebiet. Experten schätzen, dass sich insgesamt 300 000 bis eine Million Handschriften im oberen Nigertal erhalten haben, deren Umfang von einem einzelnen Blatt bis zum 400 Seiten starken, kunstvoll gestalteten und gebundenen Buch variiert.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Von einfachen Blättern bis zu wertvollen Folianten reicht das Spektrum der in Timbuktu wiederentdeckten Bücher.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 22-23: Eine Metropole, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatte - so bot sich das legendäre Timbuktu dem deutschen Afrikaforscher Heinrich Barth gegen Mitte des 19. Jahrhunderts dar (Ansicht vom Dach seines Hauses auf den Norden der Stadt; im Hintergrund die Djingerber-Moschee).

Abb. S. 24: Zwischen den islamischen Ländern im Norden und den schwarzafrikanischen Königreichen im Süden gelegen, entwickelten sich Mali und später dann Songhai, insbesondere aber das nahe am Niger gelegene Timbuktu, zu Drehscheiben des Handels. Der Süden »exportierte« unter anderem Sklaven, Gold und Kupfer, der Norden Salz.

Abb. S. 25: Bereits auf der ersten europäischen Karte Afrikas war Timbuktu als »Tenbuch« eingetragen. Auf Grund seines legendären Reichtums war Malis König Mensa Musa abgebildet. Die Karte ist Teil des katalanischen Weltatlas, der 1357 für Pedro IV., König von Aragon, angefertigt wurde.

Abb. S. 26: Timbuktu lag zwar nicht am Niger, nutzte als Hafen aber das einige Kilometer weiter südlich gelegene Kabera für die Flussschifffahrt (Illustration von Adolphe Rouargue für Heinrich Barths Reisebericht).

Abb. S. 30: Heute leben in der für Touristen nach wie vor schwer erreichbaren Oasenstadt etwa 39.000 Menschen. Ein Großteil von ihnen ist arbeitslos. Wie in alten Zeiten wird Salz aus dem Norden gehandelt und auf Pirogen den Niger aufwärts verschifft. Da Timbuktu neben der Djingerber-Moschee (Foto) noch eine Reihe anderer historisch bedeutender Gotteshäuser, Friedhöfe und Mausoleen besitzt, wurde das ganze Stadtbild 1988 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.


© 2009 Sascha Wisotzki, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
epoc 6/09, Seite 22 - 30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2009