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BERICHT/236: "Menschen im Zoo" (ROSA)


ROSA:40 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - Februar 2010

"Menschen im Zoo"

Von Manuela Giovanoli


Menschenausstellungen waren in der Zeit des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts beim "Massenpublikum" sowie bei der Wissenschaft in Europa und den USA äusserst beliebt. Die BesucherInnen waren von der Andersartigkeit der ausgestellten Menschen gleichermassen fasziniert und schockiert. Doch woher stammt diese Faszination für das Exotische, und woher stammen die Ängste davor?


Jedes Wochenende stehen unzählige Menschen vor den zahlreichen Gehegen im Zoo. Interessiert bleiben sie vor den einzelnen Gehegen stehen und betrachten fasziniert die ausgestellten Tiere. Die BesucherInnen des Zoos werden an jedem Gehege aufs Neue überrascht: Tierarten aus fernen Weltgegenden, welche teilweise sogar vom Aussterben bedroht sind, können hier aus nächster Nähe beobachtet werden, und durch die phantasievoll nachgebildeten Landschaften werden sie an die exotischsten und traumhaftesten Orte entführt.

So ähnlich könnte es sich wohl auch in der Zeit des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zugetragen haben, als in zahlreichen Zoos, Museen, Welt- und Kolonialausstellungen in Europa und den USA Menschen unterschiedlichster Herkunft (meist aus den Kolonialgebieten Frankreichs und Grossbritanniens) vor den verschiedensten Kulissen zur Schau gestellt wurden. Wie beispielsweise die Historikerin Rea Brändle(1) aufzeigt, fanden solche Völkerschauen in diesem Zeitraum auch in Zürich, unter anderem im Zürcher Zoo, statt. Ganze Dörfer wurden damals entsprechend den Fantasien und Vorstellungen europäischer und amerikanischer Kolonialbeamter und -beamtinnen nachgebaut und mit Menschen unterschiedlicher Herkunft "besiedelt". Afrikanische, indianische, arabische, karibische und chinesische Dörfer reihten sich aneinander und wurden voller Stolz dem staunenden Publikum präsentiert. Die Ausstellungen dienten in erster Linie dazu, die eroberten Kolonien und ihre BewohnerInnen mit ihren Sitten und Gebräuchen dem europäischen und amerikanischen Publikum vorzustellen.(2)


Spektakel, Exotik, Show!

Obwohl die Völkerschauen und Weltausstellungen, vor allem bis Ende des 19. Jahrhunderts, durchaus einen wissenschaftlichen Anspruch in den Bereichen der Ethnologie, der Geschichte und auch der Biologie erhoben, standen die kommerziellen Interessen der Veranstalter und Kolonialverwaltungen um die Jahrhundertwende und anfangs des 20. Jahrhunderts zunehmend im Vordergrund. Gezeigt und inszeniert wurde, was den Interessen und Vorstellungen der Kolonialverwaltung und der Regierung entsprach, und was die BesucherInnen zu Tausenden zu den Ausstellungsstätten strömen liess. In den orientalischen Dörfern wurden Basars errichtet, auf denen arabischer Kaffee verkauft wurde und Bauchtänzerinnen in Tanzcafés auftraten. Die Moschee, welche in der Rue de Caire an der Exposition Universelle in Paris 1889 errichtet wurde, wurde beispielsweise in der Nacht kurzerhand in ein Tanzlokal umfunktioniert wo Bauchtänzerinnen die erotischen Fantasien der männlichen Besucher anregten. Bewusst und publikumswirksam wurden somit bestimmte Eigenschaften, welche den BewohnerInnen der verschiedenen Kolonien zugeschrieben wurden, inszeniert und analysiert. Die ausgestellten Menschen sollten in den errichteten Dörfern daher möglichst das tun, was sich die Aussteller unter ihren jeweiligen Alltagsgewohnheiten vorstellten. Sogar Geburten und Todesfälle fanden vor den Augen eines Massenpublikums statt und wurden von Laien und Akademikern gleichermassen analysiert und interpretiert. Erstaunen, Faszination sowie ein gewisses Mitleid sollte in den BesucherInnen ausgelöst werden. Die BesucherInnen waren beim Betrachten der ausgestellten Menschen und deren Inszenierungen meist hin und her gerissen; einerseits waren sie beeindruckt und fasziniert vom ungewohnten Anblick dieser Menschen aus fremden Ländern und andererseits löste dieses sonderbar Fremde auf eine seltsame Weise Ängste aus.(3) Die Furcht der europäischen BesucherInnen vor dem Kannibalismus, welcher einigen afrikanischen Gesellschaften unterstellt wurde und vor der vermuteten ungehemmten und unmoralischen Sexualität der so genannten "Wilden" standen dabei im 19. Jahrhundert wohl im Vordergrund.


Die "Hottentotten Venus"

Um die Ambivalenzen der damaligen Zeit zu verstehen, muss wohl ein Blick auf den politischen und historischen Kontext der Debatten um die ausgestellten Menschen und deren Bedeutung in den damaligen europäischen Gesellschaften geworfen werden. Die Geschichte Sarah Baartmans, der so genannten "Hottentotten Venus", und die Debatten, die über ihre Bedeutung entflammt sind, geben einen besonderen Einblick in den Kontext der Diskurse um Rasse und Sexualität des 19. Jahrhunderts.

Vermutlich 1789 in Südafrika geboren, machte Sarah Baartman als junge Frau die Bekanntschaft eines Engländers, wodurch sie schliesslich nach England gelangte und 1810 erstmals im Picadilly Circus in London ausgestellt wurde. Die Ausstellung Sarah Baartmans löste damals in London, sowie im übrigen Europa, eine heftige Debatte um die Abschaffung der Sklaverei und den damit verbundenen rechtlichen Status ausgestellter Menschen aus. Die Art und Weise, in welcher der Körper Sarah Baartmans ausgestellt wurde, wurde als erniedrigend und stossend betrachtet. Das angeblich für Hottentottinnen typische, ausgeprägte Hinterteil und ihre angeblich verlängerten Genitalien sorgten bei der Wissenschaft für Aufregung und versetzten die BesucherInnen in eine ambivalente Faszination. Ihr Körper löste sowohl beim Publikum, als auch in wissenschaftlichen Kreisen, eine grosse Faszination aus, und wurde deshalb nach ihrem Tod 1815 in Paris vom französischen Wissenschaftler George Cuvier untersucht und präpariert. Teile ihres Skeletts und ihrer Genitalien wurden von ihm anschliessend konserviert und in dazu geeigneten Behältern ausgestellt und waren nach Ansicht des amerikanischen Historikers Sander Gilman(4) ausschlaggebend für die im 19. Jahrhundert vorherrschenden Stereotype schwarzer Frauen. Cuviers Beschreibungen von Baartmans Genitalien dominierten die medizinischen Darstellungen schwarzer, weiblicher Genitalien dieser Zeit. Die Rundungen Sarah Baartmans, insbesondere ihr Gesäss, sowie ihre Genitalien wurden zum Sinnbild der ungehemmten, scham- und zügellosen Sexualität, welche den Hottentottinnen unterstellt wurde und welche mit dem Sittenbild europäischer Eliten des 19. Jahrhunderts kaum vereinbar war.

Sarah Baartmans Körper wurde zum Inbegriff rassischer und sexueller Differenz und zum Gegenstand populärer Mythen und politischen Spotts. Sander Gilmans Arbeit aus dem Jahre 1985, welche Sarah Baartman als Ikone der sexuellen Differenz im 19. Jahrhundert betrachtet, galt lange Zeit als Grundlage für weitere poststrukturalistische Analysen zu Rasse und Sexualität. Im Zentrum dieser Arbeiten stand die Dekonstruktion der diskursiven Machtverhältnisse, welche mit diesen Begriffen verbunden sind. Was diese Ansätze aber kaum betrachten, sind die Annahmen, welche den Theorien zu Rasse und Sexualität im 19. Jahrhundert zugrunde lagen: die sozialen Beziehungen, welche bestimmten, wer als schwarz betrachtet wurde und wer nicht, sowie die unterschiedlichen sozialen Kontexte im damaligen England und Frankreich. Zine Magubane(5) sieht in der Ikonisierung Sarah Baartmans deshalb vielmehr den Ausdruck einer Angst der europäischen Oberschichten vor dem Verschwinden von bestehenden Klassen- und Statusunterschieden in der europäischen und insbesondere der französischen Politik des 19. Jahrhunderts. In England muss Sarah Baartman und ihr rechtlicher Status zudem im Hinblick auf die damaligen Debatten über die Abschaffung der Sklaverei betrachtet werden. Hinzu kommt, dass die Kategorisierung schwarzer Menschen keineswegs aufgrund empirisch beobachtbarer und stabiler Faktoren erfolgte - auch Iren wurden mitunter als "Schwarze" betrachtet. Dies macht deutlich, dass Kategorien wie Rasse und Sexualität keineswegs biologische, sondern vielmehr soziale oder politische Kategorien sind, welche je nach historischem, sozialem, kulturellem und politischem Kontext unterschiedlich wahrgenommen, interpretiert und dargestellt werden. Die Betonung der Andersartigkeit und Minderwertigkeit der Menschen aus den Kolonien diente wohl nicht zuletzt der Rechtfertigung des teilweise äusserst gewaltsamen Vorgehens der Kolonialverwaltungen gegen die einheimischen Bevölkerungen. Die Ausstellungen und Darstellungen von Menschen aus den Kolonien im 19. und frühen 20. Jahrhundert machen somit einmal mehr deutlich, dass hinter den Kategorien Wir und Die Anderen immer auch Machtansprüche und politische Interessen verborgen sind.


Anmerkungen

(1) Brändle, Rea: Wildfremd, hautnah, Völkerschauen und Schauplätze. Zürich 1880-1960. Bilder und Geschichten, Zürich 1995.

(2) Burton, Benedikt: International Exhibitions and National Identity, S. 57, in: Anthropology Today 7, 3, 1991, S. 5-9.

(3) Plato, Alice von: Präsentierte Geschichte. Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts., Frankfurt a. M. 2001, S. 213-250.

(4) Gilman, Sander: Black Bodies, White Bodies. Toward an Iconography of Female Sexuality in Late Nineteenth-Century Art, Medicine and Literature, in: Critical Inquiry, 12, 1, 1985, S. 204-242. hier: S. 213-232.

(5) Magubane, Zine: Which Bodies Matter? Feminism, Poststructuralism, Race and the Curious Theoretical Odyssey of the "Hottentot Venus", in: Gender and Society, 15, 6 (2001), S. 816-834, hier: 816-818.


Autorin
Manuela Giovanoli studiert Ethnologie, Politikwissenschaft und Soz.- und Wirtschaftsgeschichte und ist im Laufe ihres Studiums immer wieder auf das Thema der Menschenausstellungen gestossen, unter anderem im Seminar "Afrikanische Menschen als Ausstellungsobjekte: Jahrmarkt-Bühne-Zoo" (FS 2009> bei Frau Prof. Dr. Gesine Krüger.
manuelagiovanoli@access.uzh.ch


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Quelle:
ROSA:40 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe Februar 2010, S. 22-25
Redaktionsanschrift:
Rämistrasse 62, 8001 Zürich, Schweiz
E-Mail: rosa.gender@gmail.com
Internet: www.rosa.uzh.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010