Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

BERICHT/262: Mittelalterliche Fundamente auf Gelände der Universität Greifswald entdeckt (idw)


Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald - 28.11.2012

Mittelalterliche Fundamente auf Gelände der Universität Greifswald entdeckt



Bei Bauarbeiten wurden in der vergangenen Woche in Greifswald die Fundamente eines mittelalterlichen Gebäudekomplexes freigelegt. Diese Fundamente befinden sich auf dem Innenhof zwischen zwei Universitätsgebäuden auf dem Grundstück Domstraße 20. Die aus dem 14. Jahrhundert stammenden ebenerdigen Steinhäuser waren acht Meter breit und mindestens zehn Meter lang. Eines besaß eine Warmluftheizung, die über eine in den Boden eingetiefte Heizkammer betrieben werden konnte.

Die untersuchten Gebäude gehörten zu einer Hofanlage, die als sogenannte curia bezeichnet in den schriftlichen Quellen des Mittelalters häufiger erwähnt wird. Für diese Anwesen war neben ihrer großen Grundfläche kennzeichnend, dass die Haupthäuser, abweichend vom Baufluchtgebot des Lübischen Stadtrechtes, nicht an der Straßenflucht, sondern abgerückt davon als freistehende Gebäude inmitten des Anwesens errichtet wurden. So konnten sich ihre zumeist nichtbürgerlichen Eigentümer (Adlige oder Kleriker) von anderen städtischen Bauherren absetzen. An der Straßenseite wurden diese Grundstücke häufig durch eine niedrige Budenzeile begrenzt, der Zugang zum Haupthaus des Anwesens wurde durch einen Torweg ermöglicht.

"Es sind nur wenige Beispiele dieses Gebäudetyps in den Städten an der Ostseeküste erhalten geblieben. Darum ist der freigelegte Befund von besonderer Bedeutung, denn er vermittelt eine Vorstellung davon, wie groß die Gebäude auf diesen Höfen waren und wie sie einst aussahen", so der Archäologe Torsten Rütz. Das untersuchte Grundstück ist auch für die Geschichte der Stadt Greifswald und des Herzogtums Pommern sehr bedeutsam. Im Mittelalter befand sich auf dem Anwesen die Amtswohnung des Propstes der Nikolaikirche, der auch Vorsteher der Greifswalder Geistlichkeit war. Während des Rügischen Erbfolgekrieges war 1327 der neunjährige pommersche Herzog Bogislaw V. zu seinem Schutz auf dem Anwesen untergebracht - mutmaßlich in einem der freigelegten Häuser.

Auch die Geschichte der Greifswalder Universität ist mit dem Grundstück verbunden, denn der Propst wurde auch Vorsteher des 1457 an St. Nikolai eingerichteten Kollegiatsstiftes. Die Gründung des Stiftes war eine der Voraussetzungen für den Unterhalt der 1456 gegründeten Universität. Mehrere der ersten Rektoren der Universität waren gleichzeitig Pröpste und dürften auf dem Grundstück in der Domstraße gewirkt haben.

Die mittelalterlichen Gebäude auf dem Grundstück wurden 1506 durch einen Brand beschädigt oder zerstört und gerieten auch später immer wieder in Verfall. 1641 wurde das Haus auf Veranlassung der Schwedischen Königin Christine repariert aber schon 1679 wieder als verwüstet bezeichnet und nach nur wenigen Jahren völlig ruiniert.

1709/1710 entstand dann auf dem Hof der bis heute erhaltene Neubau für das Schwedische Hofgericht - wieder ein freistehendes Gebäude, das so an die bauliche Tradition auf dem Grundstück anknüpfte und wie die baubegleitenden archäologischen Untersuchungen gezeigt haben, in etwa an der Stelle der mittelalterlichen Vorgängerbauten entstand. Erst mit dem Neubau eines großen Gerichtsgebäudes direkt an der Domstraße in den Jahren 1833/1834 wurde die bauliche Situation so verändert, dass die ursprüngliche hofartige Struktur des Grundstückes Domstraße 20 heute nur noch für "Eingeweihte" erkennbar ist.

Die freigelegten Grundmauern sowie die Heizungsanlage wurden nach einer ausführlichen Dokumentation zügig wieder zugeschüttet, um die Bauarbeiten nicht zu verzögern. Der Innenhof des Grundstückes wird in Regie des BBL Mecklenburg-Vorpommern gerade neu gestaltet, wobei auch die alten Pflastersteine wieder eingesetzt werden. Die Dokumentationsunterlagen werden im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege aufbewahrt und bilden nach Abschluss der Recherchen die Grundlage für eine Publikation der Ergebnisse für ein archäologisch und historisch interessiertes Publikum.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution65

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Jan Meßerschmidt, 28.11.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2012