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FORSCHUNG/108: Wann begann Afrikas Jungsteinzeit? (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 8/08 - August 2008

Wann begann Afrikas Jungsteinzeit?

Von Eric Huysecom


Fast 12 000 Jahre alte Keramik aus Mali stellt das Lehrbuchwissen über die »neolithische Revolution« in Frage.


Seit der Homo sapiens, der anatomisch moderne Mensch, vor mehr als 100000 Jahren seine ersten Schritte in Afrika unternahm, lebte er wie seine Vorfahren - von Aas, von der Jagd sowie vom Sammeln essbarer Pflanzen. In der Jungsteinzeit aber erfand er eine völlig neue Form, sich und seine Angehörigen zu ernähren: die Landwirtschaft. Er begann, Tiere zu domestizieren und Pflanzen anzubauen, gründete Dörfer und gab sein Nomadentum auf. Um Lebensmittel aufzubewahren und Korn zu kochen, lernte der Mensch, Gefäße aus Ton zu formen und diese zu brennen. All das geschah, so die Lehrmeinung, vor gut 10000 Jahren, weit entfernt von seiner afrikanischen Heimat im Vorderen Orient, im Gebiet des so genannten Fruchtbaren Halbmonds, einer sichelförmigen Region in Nordmesopotamien und Palästina. Von dort aus breitete sich die »neolithische Revolution« allmählich aus. Über die Küsten und Inseln des Mittelmeerraums wie auch über den Balkan gelangte die neue Wirtschaftsweise als Gesamtpaket aus Sesshaftigkeit, Landwirtschaft und Keramikfertigung schließlich im 4. Jahrtausend v. Chr. auch nach Mitteleuropa.

Dass die Wirklichkeit komplexer war, wissen Forscher spätestens seit der Entdeckung der monumentalen Tempelanlage von Göbekli Tepe sowie zeitgenössischer Dörfer im Südosten der heutigen Türkei: Sie belegen, dass der bäuerlichen Lebensweise gut 10000 Jahre v. Chr. eine Übergangsphase vorausging, in der reiche Vorkommen an Wildgetreide bereits ein gutes Leben sicherten. Sie zu sammeln und vor gefräßigen Herdentieren zu schützen, ging mit der Gründung von Dörfern einher.

Doch als Jungsteinzeit gilt diese Kulturphase im Bergland Nordmesopotamiens noch nicht, da sie nur Sesshaftigkeit vorzuweisen hat, nicht aber Ackerbau, Viehzucht oder Töpferei. Eine Komponente mehr kannten die Menschen der Tiefebene des Fruchtbaren Halbmonds im so genannten Präkeramischen Neolithikum A (um 9000 - 8500 v. Chr.): Sie entwickelten bereits den Getreideanbau. Viehzucht und erste Keramik kamen in Phase B (8500 - etwa 6000 v. Chr.) hinzu. Etwa 6000 v. Chr. folgte das »Keramische Neolithikum«, in dem alle Komponenten voll entwickelt waren. In dieser Form verbreitete sich die Jungsteinzeit durch Migration und Technologietransfer bis nach Europa.


Überraschendes Alter

Seit den 1990er Jahren erkunden wir den Fundplatz Ounjougou, in Mali. Zu unserer Überraschung entdeckten wir während der Kampagne 2003 Bruchstücke gebrannter Keramik in einer Erdschicht, die über den Schichten der Altsteinzeit lag, aber älter als 10000 Jahre war. Weitere Grabungen zwischen 2004 und 2006 lieferten uns neue Daten, demnach waren die Scherben sogar mehr als 11500 Jahre alt, 2000 Jahre älter als die erste vergleichbare Keramik im Nahen Osten (6900 v. Chr.). Afrika ist also immer wieder für eine Überraschung gut.

Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) bezeichnete den Schwarzen Kontinent im 19. Jahrhundert noch als geschichtslos. Heute wissen wir, dass unsere Urmutter in Afrika lebte und dass dort der Homo sapiens entstand, auch wichtige Innovationen wie die Eisenmetallurgie und die Rinderzucht kamen vermutlich zuerst in Afrika auf (siehe Spektrum der Wissenschaft 7/2008, S. 64). Bedeuten diese neuen Funde, dass auch die Jungsteinzeit dort ihren Anfang nahm? So faszinierend die Vorstellung auch ist: Diese Frage lässt sich leider nicht klar beantworten.

Denn in Afrika verlief die Neolithisierung nicht so stringent wie andernorts. Je nach untersuchter Region und Kultur deuten Archäologen ihre Funde unterschiedlich. Es ist sogar möglich, dass ein Fundplatz von einem als neolithisch, vom anderen als protoneolithisch, von einem dritten gar als noch zur Altsteinzeit gehörig eingestuft wird. Dieser bedauerliche Mangel an Kohärenz erschwert es, den Übergang von der Alt- zur Jungsteinzeit auf dem Schwarzen Kontinent zu verstehen.


Disput unter Gelehrten

Im Wesentlichen lassen sich die Meinungen zwei Lagern zuordnen: Das eine legt den Schwerpunkt auf die materiellen Hinterlassenschaften der Menschen, das andere betrachtet ihre gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten. Den ersten genügt deshalb Keramik im Fundgut, um von neolithisch zu sprechen. Dieses vor allem von französischen Archäologen favorisierte Konzept lässt sich leicht anwenden, vereinfacht aber nach Ansicht vieler Forscher stark und ignoriert Besonderheiten der verschiedenen Gesellschaften. Die zweite Gruppe von Experten verlangt den Nachweis einer produzierenden statt einer aneignenden Wirtschaftsweise, schließt sich damit der Definition der Jungsteinzeit im Nahen Osten und Europa an und berücksichtigt ökonomische Merkmale verschiedener steinzeitlicher Gruppen.

Doch seit Ende der 1970er Jahre wissen wir, dass in der Sahara und im Niltal bereits 9000 bis 8000 v. Chr. das Wissen vorhanden war, Ton zu brennen und das Schrumpfen der Rohformen durch »Magerung«, also mineralische Zusätze zu verhindern. Jedoch: Damals waren Viehzucht und Ackerbau noch nicht entwickelt, ebenso wenig wie noch einmal 500 Jahre früher auf dem Dogon-Plateau.

Ohnehin gelänge der Nachweis solcher Wirtschaftsweise in Afrika nur selten: In tropischen, eisenhaltigen Böden sind die meisten Überreste von Nahrungsmitteln längst vergangen. Felsbilder geben zwar vereinzelt Hinweise auf Haustiere, und Steinmäuerchen in einer archäologischen Stätte dienten vielleicht der Abgrenzung von Ackerflächen. Doch die Datierung ist meist schwierig, die Interpretation selten eindeutig. Selbst Werkzeuge zum Mahlen von Getreide im Fundgut verraten nicht, ob sie zur Verarbeitung angebauten Korns oder zum Mahlen von Wildgräsern verwendet wurden. Mit anderen Worten: Der zweite Ansatz würde Afrika ungerechtfertigt weit gehend aus dem Neolithikum ausschließen und die neuen Funde in Ounjougou ignorieren. Ich plädiere deshalb für eine dritte Sichtweise, die Afrika einen Sonderweg zugesteht. Insbesondere die Rolle der Keramik sollte meines Erachtens neu bewertet werden. Was anders bezeugt denn die kreative Gestaltung von Ton und das anschließende Brennen als eine Veränderung der natürlichen Elemente, vergleichbar der Domestikation von Tieren oder der Züchtung von Nutzpflanzen?


Komplementäre Formen des Wirtschaftens

Kann einer Gesellschaft, die Keramik herstellte, noch eine rein aneignende Wirtschaftsweise zugeschrieben werden? Lässt sich das nötige technologische Wissen überhaupt ohne Spezialisierung und Arbeitsteilung innerhalb einer Gruppe denken, also ohne die gesellschaftliche Differenzierung, die sich typischerweise im Lauf der Jungsteinzeit ergab? Müssen wir solche Gruppen deshalb nicht auch ohne Nachweis von Landwirtschaft und Sesshaftigkeit als neolithisch oder zumindest protoneolithisch ansprechen? Zudem hätten Jäger und Sammler von Keramik kaum Nutzen gehabt: Tongefäße sind viel zu zerbrechlich und zu schwer. Scherben geben deshalb einen Hinweis auf eine zumindest halb nomadische, also saisonal sesshafte Lebensweise, wie sie beispielsweise die Bambara in Mali heute noch praktizieren.

Ethnologen wissen, dass Afrika zumindest in den letzten drei Jahrtausenden komplementäre, sich ergänzende Arten des Wirtschaftens entwickelt hat: Verschiedene Gruppen haben sich auf einzelne Aspekte wie Fischfang oder Ackerbau spezialisiert und tauschen die Güter untereinander aus. In ihrer Gesamtheit weist eine solche komplexe Konstellation alle Aspekte einer neolithischen Gesellschaft auf.

Doch das sind vermutlich neuere Entwicklungen. Vor 12000 Jahren lebten die Menschen auf dem Dogon-Plateau wahrscheinlich von einer planvoll betriebenen Ernte essbarer Wildpflanzen - nicht anders als zur gleichen Zeit im Umfeld des Göbekli Tepe in der heutigen Türkei. Solch eine Vorstufe zur Ackerbaugesellschaft verlangt zumindest für die Zeit der Ernte Sesshaftigkeit, wohl auch erste Eingriffe in die Natur wie das Auflichten des afrikanischen Buschs durch Feuer (mehr dazu im dritten Teil der Serie).

Voraussetzung ist allerdings, dass die begehrten Pflanzen in reichem Maß vorkommen. Das war dank eines globalen Klimawandels vor etwa 13000 Jahren tatsächlich der Fall. Eine seit Jahrtausenden andauernde Trockenheit ging dem Ende entgegen, in der Sahara füllten sich Senken mit Wasser, es entstanden dort Seen und Sümpfe, aber auch weitläufige Ebenen, in denen nahrhafte Gräser gediehen. Sie zu ernten war eine Sache. Das Korn trocken und vor Nagern geschützt aufzubewahren, vor allem aber auch zu kochen, um die Stärke darin aufzuschließen, war eine andere. Wohl deshalb wurde die Keramik auf dem heute zur Sahelzone gehörenden Dogon-Plateau vor 12500 bis 11500 Jahren erfunden. Einen Wechsel in der Ernährungsweise bestätigen auch ausgegrabene Mahlgeräte (die ältesten sind 10000 Jahre alt): Sie sind größer und auch sorgfältiger bearbeitet als Mahlsteine und Läufer der Altsteinzeit, die nicht zum Zerkleinern von Getreide, sondern zur Herstellung von Farbpigmenten gedient hatten.


Neuerlicher Klimawandel

Scherben an Fundplätzen im Niltal und in der südlichen Sahara verraten, dass der Mensch zu Beginn des 9. Jahrtausends v. Chr. begann, die in der langen Trockenzeit verlorenen nördlichen Gebiete von Westafrika und der wiederergrünten Sahara aus zurückzuerobern. Die Keramiken tragen hauptsächlich flächige Verzierungen, zeigen aber bereits eine große Vielfalt an Motiven und Techniken. Spätestens zu Beginn des 8. Jahrtausends v. Chr. waren die Zentralsahara sowie das heutige Libyen und Algerien erreicht. Auf ihrem Weg dorthin hatten die Menschen neue Verzierungstechniken für ihre Gefäße entwickelt: Linienmuster wurden in den Ton geritzt, Lochmuster eingedrückt sowie bandartige Dekorationen mit schnurumwickelten Stäbchen angelegt.

Offenbar boten Wildgräser eine so gute Nahrungsgrundlage, dass der Ackerbau noch kein Thema war. Hingegen kam im Grasland der nach wie vor feuchten Sahara die Rinderzucht auf, wie Felsbilder in der Zentralsahara illustrieren.

Im 4. Jahrtausend v. Chr. setzte ein neuerlicher Klimawandel ein, der die Sahara über mehr als 3000 Jahre hinweg austrocknen ließ. Menschen, die verschiedenen Kulturen angehörten und vermutlich nicht einmal die gleiche Sprache sprachen, wurden in die verbliebenen fruchtbaren Regionen - wie das Niltal, die Meeresküsten oder die Savannen - vertrieben. Sie brachten Rinder, Schafe und Ziegen mit, zudem das Wissen, wie Sämlinge auszuwählen und Ackerflächen vorzubereiten sind: Das Ernten von Wildgetreide deckte den Bedarf nicht mehr, das Wissen um den Ackerbau war aber wohl bereits vorhanden. Einige dieser Gruppen aus der Sahara suchten vor 4400 Jahren in der Region von Ounjougou am Fluss Yamé Zuflucht (ihre Herkunft erkennen wir anhand ihres für nördlichere Gebiete typischen Keramikstils). Sie kannten bereits den Anbau der Perlhirse ( Pennisetum glaucum), wie die Archäobotanikerinnen Katharina Neumann und Barbara Eichhorn von der Universität Frankfurt nachwiesen.

Erst in dieser Phase würde ein an »europäische Standards« gewohnter Archäologe von Neolithisierung sprechen. Offenbar aber kam dieser Prozess Jahrtausende vorher auf dem Dogon-Plateau in Gang, die Sahara spielte überdies eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von Viehzucht und Getreideanbau. Ob diese frühen Entwicklungen in andere Regionen der Welt ausstrahlten? Afrika dürfte noch manche Überraschung bereithalten.


Der Ethnoarchäologe und Prähistoriker Eric Huysecom von der Université de Genève leitet das Forschungsprojekt »Bevölkerungs- und Umweltgeschichte in Westafrika«, das schwerpunktmäßig auf dem Dogon-Plateau arbeitet. Huysecom lehrt zudem Geschichte und Archäologie an der Universität Bamako (Mali).

Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter:
www.spektrum.de/artikel/960477.

Diesen Artikel können Sie als Audiodatei beziehen;
siehe www.spektrum.de/audio

Der Artikel ist Teil der Serie: ARCHÄÖLOGIE IN WESTAFRIKA
Teil I: Das Rätsel der Nok-Kultur SdW 7/2008
Teil II: Begann das Neolithikum in Afrika? SdW 8/2008
Teil III: Die Savanne - eine Kulturlandschaft SdW 9/2008


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ZUSATZINFORMATIONEN:

In Kürze

Ob eine steinzeitliche Kultur bereits als neolithisch anzusehen ist, hängt letztlich von den Kriterien der Archäologen ab. Während einige Experten schon das Aufkommen gebrannter Keramik als ausreichendes Indiz ansehen, verlangen andere den Nachweis der Sesshaftigkeit sowie von Ackerbau und Viehzucht. Der Fund der weltweit ältesten Keramik in Mali unterstreicht die Forderung des Autors, Afrika einen Sonderweg zuzugestehen.


MALI

Der westafrikanische Staat ist seit 1960 unabhängig, vorher war er französische Kolonie. Der Name knüpft an den eines mittelalterlichen Großreichs an. Malis Norden wird von wüstenhaften gebieten wie der Sahara und der Sahelzone beherrscht, während der Süden ausreichend Niederschläge erhält, so dass Landwirtschaft betrieben werden kann. Dort gedeiht etwa die Sorghumhirse, im Binnendelta des Niger wird auch Reis angebaut. Mali gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.


DIE DOGON

Die Volksgruppe der Dogon lebt an den Felsklippen des Bandiagara-Plateaus. Bekannt wurde sie zum einen durch kunstvolle Schnitzereien, insbesondere oft mehrere Meter hohe rituelle Masken, zum anderen durch das »Sirius-Rätsel«. Der französische Ethnologe Marcel Griaule berichtete in den 1930er Jahren, die Dogon würden den Stern Sirius B kennen, der sich aber ohne Teleskop nicht beobachten lässt. Dieser Befund diente oft als Beleg dafür, dass Außerirdische einst die Erde besucht hätten. Tatsächlich beruhte er aber auf einer fehlerhaften Befragung Griaules.


Jäger oder Bauern? - Malis Völker heute

Drei Bevölkerungsgruppen im heutigen Mali - die Somono des Nigerbinnendeltas, die Fulbe-Hirten und die Ackerbauern der Bambara im Westen von Mali - veranschaulichen, wie komplex der Nahrungserwerb organisiert sein kann - und wie schwer dergleichen für einen Archäologen zu erkennen wäre.

Die Baumsavannen des Nationalparks »Boucle du Baoulé«, an einem Nigerzufluss im Westen von Mali (Region Kayes) gelegen, sind während der Trockenzeit das Ziel junger Fulbe-Hirten und ihrer Herden. Sie leben dort in Asthütten, die sie mit Matten oder Häuten bedecken. Die Männer stammen aus der Stadt Nioro im Sahel, wo ihre Familien verschiedene Arten des Handwerks ausüben und, während der Regenzeit, Hirse anbauen. Die Herde steigert bei den Fulbe vor allem das Ansehen ihres Besitzers. So nutzen die Hirten nur die Milch, töten aber keine Rinder. Keramik führen sie nicht mit, sie wäre zu schwer, stattdessen benutzten sie Kalebassen als Gefäße.

Die Somono leben im Binnendelta des Niger, einem sehr flachen Gebiet, das jedes Jahr von Hochwassern überschwemmt wird - gute Bedingungen für den Reisanbau, den sie von Mai bis November betreiben. In dieser Zeit leben sie in Dörfern und betreiben auch verschiedene Arten von Handwerk, darunter die Töpferei. Nach der Ernte, gegen Dezember, ziehen die kräftigen Dorfbewohner an den See Débo im südlichen Delta, wo sie für einige Monate in Strohhütten leben und dem Fischfang nachgehen. Mit großen Reusen und Netzen riegeln sie dabei mehrere hundert Meter ab, eine Arbeit, die Kraft und Kooperation erfordert. Die gefangenen Fische werden getrocknet und geräuchert. Die dazu notwendigen Tongefäße bringen die Männer aus ihren Dörfern auf großen Pirogen mit.

Ein drittes Volk Malis, die Bambara, leben dauerhaft in Dörfern. Während der Regenzeit bauen sie Hirse, Bohnen, Erdnüsse und etwas Reis an. In der Trockenzeit töpfern die Frauen und flechten Körbe, sammeln Gräser und Wildfrüchte. Die Männer gehen unterdessen zum Fischfang und unternehmen Treibjagden im Busch; das erlegte Wild wird noch vor Ort zerlegt, das Fleisch geräuchert. Im Dorf besitzen die Bambara von Baoulé auch einige Kühe und Ziegen, aber vor allem wegen ihrer Milch.

Alle drei Gesellschaften wirtschaften also produzierend und aneignend. Stellen wir uns einen Archäologen vor, der in 2000 Jahren auf ihre Spuren stößt. Die Hinterlassenschaften einer saisonalen Lagerstätte der Fulbe würden ihm den Eindruck eines Lagers von Jägern und Sammlern vermitteln: Knochen, jedoch nicht von Vieh, Reste von Feuerstellen und Waffen, aber keine Keramik. Gräbt er hingegen im Fulbe-Viertel in Nioro, sähe er sich auf den Spuren von Bauern und Töpfern. Dass es sich bei beiden Fundplätzen um die gleichen Leute handelt, würden sie sicherlich nicht vermuten.

Keramik in den Somono-Dörfern am See würde der Forscher als Indiz dafür deuten, dass die Fischer ihren Fang gegen Töpferwaren ihrer Nachbarn eingetauscht hätten. Die Überreste eines Bambara-Dorfs machten den Archäologen vermutlich glücklich, hätte er doch endlich eine sesshafte Gruppe aufgespürt, die Ackerbau und Handwerk betrieb. Wie sollte er ahnen, dass die Männer dieses Volks die Hälfte ihrer Zeit jagen? Davon bleiben keine archäologisch fassbaren Spuren.

Somono, Fulbe und Bambara leben halb nomadisch. Jedes Volk hat seine eigene Strategie entwickelt, den täglichen Nahrungsbedarf zu decken. Mitunter tauschen sie: Die Fulbe-Hirten geben den Bambara Milch gegen Hirse. Es spricht nichts gegen die Annahme, dass solche komplexen Strukturen auch vor gut 12 000 Jahren schon entwickelt waren.


Die Werkstätten von Ounjougou

Etwa 15 Kilometer von dem Dorf Ounjougou auf dem Bandiagara-Plateau im Dogon-Land in Mali entfernt liegt einer der interessantesten archäologischen Plätze Westafrikas. Heute gehört die Region zur Sahelzone, die sich zwischen der sudanesischen Savanne und der Sahara erstreckt, ein trockenes Gebiet, bedeckt von karger Strauchsavanne. Doch das war nicht immer so, denn globale Klimaveränderungen haben die Sahelzone von Zeit zu Zeit verschoben: Bei feuchterem Klima verlagerte sie sich nach Norden zur Sahara hin, in diesen Phasen wurde das Dogon-Plateau offenbar dicht besiedelt. Die Fundplätze, die das Team von der Université de Genève in Ounjougou gefunden hat, liegen in einem Becken rund um den Zusammenfluss von vier Wasserläufen, von denen der bedeutendste, der Yamé, in den Niger mündet. Weil der Säuregehalt des Bodens wie andernorts in Afrika auch Knochen mit der Zeit zerstört, liefern Steinartefakte und Sedimente die einzigen Hinweise zur Rekonstruktion der steinzeitlichen Umwelt.

Die Hinterlassenschaften der möglicherweise ersten Siedler in Westafrika sind mindestens 150 000 Jahre alt. Es handelt sich um »Chopper «, also Geröllsteine, die auf einer Seite zu einer Schneide gearbeitet sind, sowie um »Chopping Tools«, die beidseitig so behauen sind, dass eine scharfe Kante entsteht. Hinzu kommen Polyeder aus Sandstein, die zu den allerersten von Hominiden entwickelten Werkzeugen gehören. Über dieser Schicht würden Forscher eine des so genannten Acheuléen erwarten, das sich in der Machart der Werkzeuge deutlich unterscheidet. Es entwickelte sich in Ostafrika vor 1,7 Millionen Jahren, breitete sich über den Kontinent aus und kam vor 500 000 bis 300 000 Jahren nach Europa. Seine typischen Spalt- und Faustkeile findet man durchaus an den Rändern der Sahara, nicht aber auf dem Dogon-Plateau.

Die Archäologen stehen vor einem Rätsel. Offenbar wurde Ounjougou erst wieder im Mittelpaläolithikum von Menschen genutzt, dann aber folgte eine Besiedlungsphase auf die nächste, allein zwischen 68 000 und 23 000 v. Chr. können die Archäologen etwa 20 Phasen unterscheiden.

In Oumounaama - einem Fundplatz in der Nähe eines Bachs, der in den Yamé fließt - haben sie den Abfall einer Werkzeugfertigung entdeckt: Reste von Quarzsandstein, die der Bach verteilte, bevor er sie unter Sand und Kies begrub (die zugehörige Sedimentschicht ist etwa 65 000 Jahre alt). Man kann sich vorstellen, wie ein oder zwei Personen Sandsteinblöcke sammelten, sich auf den Boden setzten und davon Klingen abschlugen (siehe Illustration). Harte Kiesel, die sie offenbar wieder mitnahmen, dienten dabei als Hammer.

Ein regelrechter Handwerksbetrieb florierte vor 35 000 bis 30 000 Jahren in der Schlucht von Ménié-Ménié, denn dort fanden sich Tausende von Steinabschlägen von den bei der Klingenfertigung übrig bleibenden Kernsteinen und Quarzabfälle auf nur wenigen Quadratmetern. An diesem Ort verstand man sich auf die aufwändige Levallois-Technik: Ein Kernstein wird einmal vorbereitet, bevor man die erwünschten Werkzeuge abschlägt. Diese Präparation ist bei einem so harten Material wie Quarz besonderes schwierig. Oder anders gesagt: Der Rohstoff war eigentlich für die Levallois-Technik ungeeignet.

Möglicherweise, so glauben die Ausgräber, ist dies ein Hinweis darauf, dass jene Menschen Migranten waren, die ihre traditionelle Technik mitbrachten. Auch der rasche Wechsel der Steinbearbeitungstechniken in den zeitlich dicht aufeinander folgenden Siedlungsschichten spricht für einen häufigen Wechsel der Bevölkerung auf dem Dogon-Plateau während der mittleren Altsteinzeit. Der Grund: Vermutlich kehrten die Trockenheit und damit die karge Dornbuschsavanne der Sahelzone immer wieder zurück und vertrieben die gerade dort Ansässigen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Lagerleben auf dem Dogon-Plateau, 10000 v. Chr. Während die Frauen Körner von Wildgetreide mahlen und essen in einem Tontopf zubereiten, bringen einige Männer Jagdbeute heim. Andere legen fern des Lagers Feuer, damit die Gräser dort umso mehr austreiben. Die hütten bestehen aus Ästen und Grasmatten.
Gut 50 Fundstellen umfasst der Komplex Ounjougou auf dem Bandiagara-Plateau in Mali (die gesamte Region zählt seit 1989 zum Weltkultur- und Naturerbe der UNESCO).
Eine etwa 5000 Jahre alte Pfeilspitze, entdeckt an einer der archäologischen Stätten von Ounjougou, lässt sich der Machart nach Bewohnern der Sahara zuordnen - als dieses Gebiet austrocknete, wanderten die Klimaflüchtlinge gen Süden.
Altersrekorde: Die ältesten bekannten Keramikgefäße fertigte die japanische Jomon-Kultur vor 11000 v. Chr. Knapp 2000 Jahre jünger sind die Fragmente, die das Team des Autors in Ounjougou (Mali) ausgegraben hat. In der Wüste Ténéré (Niger) und im Niltal brachten Archäologen Keramik ans Licht, die etwa aus der gleichen Zeit stammt. Weitere Gefäße entstanden in der Zentralsahara im heutigen Libyen und Algerien mehr als 500 Jahre später. Die älteste Keramik des Vorderen Orients fanden Archäologen im Tell Sabi Ayad in Syrien, sie wurde auf 6900 bis 6800 v. Chr. datiert.
Diese unscheinbare Tonscherbe aus der Schlucht Hibou im Bereich des Fundplatzes Ounjougou lag unter 15 Meter Sediment begraben. Sie ist mehr als 11500 Jahre alt, wurde also Jahrtausende vor der ältesten bekannten Keramik des Nahen Ostens gebrannt.

© 2008 Eric Huysecom, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 8/08 - August 2008, Seite 62 - 67
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2008