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FUNDSTÄTTEN/006: Rheinland - Mit Schaufel, Pinsel und Geduld in die Vergangenheit (forsch - Uni Bonn)


forsch - Februar 2011
Bonner Universitäts-Nachrichten

Mit Schaufel, Pinsel und Geduld in die Vergangenheit
Bonn und Umgebung sind eine Fundgrube für Archäologen

Von Aysegül Yasari und Ulrike Eva Klopp


Ob ein Landwirt seinen Acker pflügt oder ein Bauunternehmer in der Stadt eine Grube aushebt - im Prinzip kann dasselbe passieren: Spuren früherer Besiedlung kommen zu Tage. Und das ist im Rheinland nicht selten, denn es ist reich an Relikten aus der Eisen- und der Römerzeit wie dem Mittelalter. Auch die Archäologie der beiden Weltkriege gewinnt immer mehr an Bedeutung. Eine Chance für Studierende der Archäologie und verwandter Fächer, über das LVRAmt für Bodendenkmalpflege im Rheinland Ausgrabungserfahrung zu sammeln.

"Vielleicht hätte ich lieber meinen Indiana-Jones-Hut aufsetzen sollen", lacht Bianca Riessinger. Ihre Wollmütze ist nicht so fotogen, aber bestimmt wärmer. Sechs Schichten Kleidung und vier Packen Socken zählen sie und ihre Kollegin auf. "Eigentlich bin ich eine Frostbeule." Trotzdem sind die beiden Studentinnen heute vom frühen Morgen bis zum Nachmittag auf dem Gelände einer Kiesgrube bei Swisttal-Straßfeld aktiv - Ende November. Von weitem ist die Grabung mitten im braunen Matsch nur an zwei bunten Schirmen zu erkennen, die bedenklich im Wind wackeln und nicht wirklich vor dem Nieselregen schützen. Ein Stückchen weiter rumort ein Bagger. Für Pausen gibt's einen geheizten Bauwagen.


Voraussetzungen: Basiswissen, Fitness und feine Hand

Der Laie erkennt wenig an der Grabungsstelle. Die Studentinnen kauern an einer gut schuhkartongroßen Aushebung, in der eine Verfärbung zu sehen ist. Der Experte weiß, dass es sich hier um ein Pfostenloch aus einer eisenzeitlichen Siedlung etwa der Zeit zwischen 500 und 400 v. Chr. handelt. Entdeckt wurde sie bei der so genannten Landesaufnahme. Dabei begingen in den 60er Jahren Sachkundige regelmäßig umgepflügte Äcker und schauten nach Knochenresten, Eisen- und Keramikteilen. An den von ihnen dokumentierten Stellen stehen archäologische Grabungen an, wenn die Grundstücke heute bebaut oder wie in diesem Fall abgebaggert werden sollen.

Für Dr. Michael Gechter, Lehrbeauftragter der Universität Bonn und Leiter der Außenstelle Overath vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege, ist Swisttal-Straßfeld eine von derzeit vier laufenden Ausgrabungen. Wen auch immer man nach Ausgrabungen und Funden in Bonn und Umland fragt, im Uniarchiv, im Rheinischen LandesMuseum, im Akademischen Kunstmuseum: Alle verweisen auf Dr. Gechter. Er hat an der Uni Bonn studiert und promoviert. Seit inzwischen zehn Jahren arbeitet er selbst mit dem Fachnachwuchs und betreut diesen bei seinen Abschlussarbeiten. "Wir haben einen guten Stamm an Interessenten", erzählt der Archäologe. "Sowohl die Studenten selbst profitieren mit Ausgrabungserfahrung als auch derjenige, dessen Grundstück schneller wieder für eine Baumaßnahme oder den Abbau freigegeben wird, weil mehr helfende Hände die archäologische Arbeit beschleunigen." Bei Bedarf heuern die Bodendenkmalpfleger auf Kosten der Unternehmer zusätzlich zum eigenen Team studentische Arbeitskräfte an. Neben den Wiederkehrern werden neue Helfer per Aushang möglichst standortnah in den Instituten der Unis Bonn und Köln gesucht.

"Natürlich müssen sie bestimmte Voraussetzungen mitbringen", sagt Grabungstechniker Michael Gran, der die Ausgrabungen organisiert und die Studierenden anleitet. Er zählt auf, was wichtig ist: "Körperlich harte Arbeit gehört zu Grabungen genauso dazu wie das behutsame Freilegen, Fotografieren und Zeichnen von Funden." Gerne plant er die Arbeitseinsätze so, dass Studienanfänger gemeinsam mit Erfahrenen arbeiten und so von deren Kenntnissen profitieren. "Leider wird es allerdings durch die neuen Bachelor-Studiengänge mit straffen Stundenplänen für Studierende immer schwieriger, praktisch zu arbeiten. Sie können nur noch während ihrer vorlesungsfreien Zeit." Bianca Riessinger ist gerade fertig mit ihrem Magisterstudium der Ethnologie und Archäologie. Sie kam aus eigener Initiative dazu, über ihre Freundin, die schon mehrfach an Grabungen beteiligt war. Dass für solche Einsätze wirkliche Motivation da sein muss, wird spätestens bei großer Hitze oder an Tagen wie diesem deutlich. "Wenn es mir um ein paar Euro ginge, könnte ich die bei diesem Wetter leichter verdienen", meint sie.


Fundorte mitten in der Stadt

Immerhin müssen die Helfer nicht immer so weit fahren, denn viele Fundorte liegen mitten in der Stadt. So lag im Norden Bonns das römische Legionslager. In seiner Blütezeit bis ins 3. Jahrhundert nach Christus verlief dessen ziviler Ansiedlungsbereich parallel zum Rhein bis zum heutigen Rheinauenpark, und vom Vorgebirge bis zum heutigen Friesdorf gab es zahlreiche Gutshöfe. Bianca Riessinger hat zuletzt in der Bonner Römerstraße an einer Grabung mitgearbeitet. "Da haben wir Mauerreste und Wandverputz, Keramik und eine halbe Amphore freigelegt. Hier haben wir weniger Spektakuläres gefunden, aber auch eine mutmaßliche Urne. Im vorletzten Jahr durfte ich mit zu Grabungsarbeiten in Mexiko in der Maya-Stadt Uxul - das war natürlich das Highlight. Ich bin auf jeden Fall gerne wieder bei Grabungen dabei!"

Was ist der größte Unterschied zwischen archäologischer Arbeit hier vor Ort und in der Welt? "In Ägypten scheint eher die Sonne als hier", lacht Michael Gechter. "Und hier zählt oft nicht die Masse, sondern das Zusammentragen von eher kleinteiligen Fundinformationen. Wir fügen sie zu einem Gesamtbild zusammen, um rekonstruieren zu können, wie die Menschen vor mehreren tausend oder auch hundert Jahren in der Region lebten." Der Jagd nach dem Heiligen Gral ähnelt das eher nicht. Bianca Riessinger lacht. "Aber Indiana Jones ist der Held aller Archäologen, auch wenn viele das nicht zugeben wollen."


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten, Februar 2011, Seite 28-29
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2011