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MEMORIAL/090: Vor 90 Jahren gründete Antonio Gramsci die "Unità" (Gerhard Feldbauer)


Vor 90 Jahren gründete Antonio Gramsci die "Unità"

Von einer Zeitung Leninschen Typs verwandelten die Revisionisten sie in ein sozialdemokratisches Blatt

von Gerhard Feldbauer, 8. Februar 2014



Nachdem Antonio Gramsci am 21. Januar 1921 mit Palmiro Togliatti und weiteren Linken die IKP gegründet hatte, bildete er am 12. Februar 1924 die Tageszeitung "Unità" als ihr Zentralorgan. Im Mai 1919 hatte Gramsci bereits die kommunistische Zeitschrift "Ordine Nuovo" (Neuer Bund) geschaffen, die der IKP den Weg bereitete. Sie war jedoch auf Norditalien beschränkt, hatte ihre Anhänger vor allem unter den Industriearbeitern, die 1919/20 die Fabriken besetzt und zu ihrer Verteidigung Rote Garden formiert hatten. In den revolutionären Nachkriegskämpfen erlitten die Linken eine Niederlage. Im Oktober 1922 hievten die herrschenden Kreise Italiens mit dem Großkapital an der Spitze den "Duce del Fascismo" an die Macht. Die IKP brauchte dringend ein Sprachrohr, um die Partei, die Arbeiter, denen die Aufgabe zufiel, an die Spitze des antifaschistischen Widerstandes zu treten, zu mobilisieren. Den Namen "Unità" (Einheit) wählte Gramsci, um damit das Ziel des Kampfes gegen die Mussolini-Diktatur zu verdeutlichen. Im Untertitel stand "Proletarier aller Länder vereinigt Euch".

Nach seiner Rückkehr Ende 1923 aus Moskau, wo er als Delegierter der IKP im Sekretariat der Kommunistischen Internationale gearbeitet hatte, widmete sich Gramsci sofort der Gründung der Unità, die in ganz Italien rasch Zehntausende Leser fand, obwohl sie, wie bereits die Partei, Verfolgung und Terror ausgesetzt war. Zur Mitarbeit gewann Gramsci erfahrene frühere Journalisten der sozialistischen Partei (ISP) wie Ottavio Pastore, der ihr erster Chefredakteur wurde, und Francesco Buffoni, einen Mitbegründer der ISP und engen Mitarbeiter des langjährigen Chefredakteurs ihres "Avanti", Giacinto Menotti Serrati, der später zur IKP stieß. Die "Unità" entlarvte den feigen Mord Mussolinis im Juni 1924 an dem Führer der Einheitssozialisten Giacomo Matteotti und publizierte die Forderung "Weg mit der Regierung der Mörder" und den Aufruf zum Generalstreik. Bereits mehrfach verboten und 146mal beschlagnahmt, fiel sie nach der Errichtung der offen terroristischen Diktatur Ende 1926 unter das Verbot aller Oppositionsparteien und ihrer Zeitungen, erschien ab 1. Januar 1927 illegal weiter.


Gramscis antifaschistische Bündniskonzeption

Die "Unità" berichtet über die antifaschistische Bündniskonzeption Gramscis, über den wachsenden Widerstand der Arbeiter, so auf den Reisfeldern von Vercelli und Novarra oder die Arbeiterunruhen 1931/32, entlarvt die faschistischen Kriegsverbrechen während der Eroberung Libyens und Äthiopiens sowie der Teilnahme eines italienischen Expeditionskorps zur Niederschlagung der Spanischen Republik und deren Verteidigung durch italienische Interbrigadisten, in deren Garibaldi-Brigade ihr erster Chefredakteur Ottavio Pastore Kommandeur eines Bataillons war. Die "Unità" war gleichzeitig Zeitung des antifaschistischen Widerstandes. Aus ihren Spalten erfuhren die Leser von dem auf Initiative der IKP am 4. Juni 1933 in Paris durchgeführten Kongress der Antifaschisten Italiens, der vor der von Berlin und Rom ausgehenden Kriegsgefahr warnte und zur Einheit aller Antifaschisten aufrief. Im August 1934 konnte die Zeitung berichten, dass Luigi Longo (IKP) und Pietro Nennni (ISP) ein Aktionseinheitsabkommen geschlossen hatten, das zur entscheidenden Grundlage für eine breite antifaschistische Einheitsfront wurde. Herausragend waren im Juli 1929 Beiträge über die in Paris von Emilio Lusso, und weiteren Sozialisten gegründete Gruppe Giustizia e Libertà. Viele Mitglieder der Gruppe gingen nach Spanien, wo ihr Vorsitzender, Carlo Rosselli, am 13. November 1936 über Radio Barcelona die prophetische Losung verkündete: "Heute in Spanien. Morgen in Italien". Während eines Einsatzes in Frankreich wurde Carlo zusammen mit seinem Bruder Nello im Juni 1937 von den von Agenten Mussolinis angestifteten französischen Cagoulards (Ku-Klux-Klan ähnlicher Geheimbund) ermordet.


Sprachrohr der antifaschistischen Einheit

Ausführlich widmete sich die "Unità" den Beratungen des VII. Weltkongresses der Komintern über den Kampf gegen die faschistische Gefahr und den imperialistischen Krieg, auf dem neben Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck Palmiro Togliatti zu den Hauptrednern gehörte. Die "Unità" trug dazu bei, dass sich kleinbürgerliche Schichten, Angehörige der Intelligenz - Studenten, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler - der antifaschistischen Bewegung anschlossen. Sie schrieb über Alberto Moravias Roman "Die Gleichgültigen" (1929), der den moralischen Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft anprangerte, über Cesare Paveses aufrüttelnde Gedichte "Arbeit macht müde" und Renato Guttusos Gemälde "Erschießung", das dieser dem von den Franco-Faschisten ermordeten spanischen Dichter Federico Garcia Lorca widmete.


Eine Parteizeitung Leninschen Typs

Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 fordert die "Unità", umfassende demokratische Rechte und Freiheiten, den Bruch mit der faschistischen Achse und den Übertritt auf die Seite der Antihitlerkoalition. Als die Hitlerwehrmacht Italien besetzt verbreitet sie den Aufruf zum Befreiungskrieg gegen die deutsche Besatzungsmacht. Sie unterstützt die Initiative der IKP zum Eintritt in die Badoglio-Regierung (Wende von Salerno), mit dem ein Bekenntnis zum Antifaschismus durchgesetzt und die von Churchill verfolgten reaktionären Versuche, Strukturen des Faschismus zu konservieren, zum Scheitern gebracht werden. In den Redaktionen des Parteiorgans entstehen unzählige Kampfschriften, werden Tausende Flugblätter, die die Massen zum Kampf gegen die Hitlerfaschisten und ihre italienischen Handlanger mobilisieren, gedruckt. Im Oktober 1943 wird der Beschluss der IKP zur Bildung der Garibaldi-Brigaden als erster Truppenteile der Partisanenarmee veröffentlicht. Die "Unità" berichtet über die zahllosen Gefechte der Partisanen, die Bildung von Partisanenrepubliken, veröffentlicht den Appell zum allgemeinen bewaffneten Aufstand im April 1945 zum Sturz des Mussolini-Regimes. Der historische Beitrag der italienischen Resistenza (bewaffneter Befreiungskrieg) zur Niederlage des Faschismus, in der die Arbeiterklasse zur führenden Kraft wurde, ist undenkbar ohne den Beitrag der "Unità", die nach Lenins "Was tun" (Werke, Bd. 5, Berlin/DDR, S. 11) kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator war.


Millionen Leser

Nach dem Sieg über den Faschismus wurde die "Unità" Sprachrohr einer Massenpartei, deren Mitgliederzahl von 1,7 auf 2,5 Millionen in den 1970er Jahren anwuchs. Entsprechend stiegen ihre Leserzahlen. Im Juli 1948 versuchte die in- und ausländische Reaktion durch ein Attentat auf ihren Generalsekretär Togliatti, bei dem dieser lebensgefährlich verletzt wurde, die Partei zum bewaffneten Aufstand zu provozieren, um sie per Blutbad zu liquidieren. Nicht zuletzt durch den Einfluss der "Unità" als einer massenwirksamen Parteizeitung scheiterte der in Washington inszenierte Plan.

1976 wählten zwölf Millionen Italiener (rund 34 Prozent) die IKP, in der sie eine sozialistische Perspektive verkörpert sahen. Auf der Seite der Reaktion betrieb die über eine halbe Million Mitglieder zählende Mussolininachfolger-Partei, die Sozialbewegung (MSI), eine "chilenische Lösung" für Italien. Gegen die faschistische Gefahr suchte die IKP mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana eine "Historischer Kompromiss" genannte Regierungszusammenarbeit. Auf die Gestaltung des Regierungsbündnisses nahm jedoch die auf der Grundlage der Wahlerfolge entstandene sozialdemokratische Strömung in der Partei Einfluss. In einem von der CIA, der faschistischen Putschloge P2 und der geheime NATO-Truppe Gladio inszenierten Komplott wurde der Partner der IKP im Historischen Kompromiss, der bürgerliche Antifaschist und DC-Führer, Aldo Moro, ermordet und die Regierungszusammenarbeit zum Scheitern gebracht. Da keine Lehren gezogen wurden, rissen die Revisionisten in der IKP wie in ihrer Zeitung die Führung an sich. Es begann der Weg in den Untergang. Mit der Liquidierung der Partei Antonio Gramcis im Januar 1990 hörte auch die "Unità" als kommunistische Zeitung auf zu bestehen. Im Juni 2000 musste das nunmehr sozialdemokratische Blatt das erste Mal Konkurs anmelden. Im Privatbesitz existierte sie bis in die jüngste Zeit als linke Tageszeitung weiter, die Position gegen die unter den Regierungen des Mediendiktators Silvio Berlusconi gefährliche Formen annehmende faschistische Gefahr bezog. In diesen Tagen ist die Zeitung erneut vom finanziellen Ruin bedroht. Der Ausgang ist noch offen.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2014