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MEMORIAL/159: Italien Dezember 1946 - Mussolini-Faschisten konnten sich als Partei neu formieren (Gerhard Feldbauer)


Gefördert von den USA konnten sich bereits im Dezember 1946 die Mussolini-Faschisten im Movimento Sociale Italiano (MSI) als Partei neu formieren

Sie wurden gebraucht, um eine von Kommunisten und Sozialisten dominierte antifaschistische Regierung zu verhindern

von Gerhard Feldbauer, 24. Dezember 2016


Dem italienischen Faschismus gelang es nach 1945 mit Hilfe der USA sich weitgehend intakt über seinen politischen und militärischen Zusammenbruch hinwegzuretten und den neuen Bedingungen anzupassen. Bei der Suche nach den Ursachen dieser Kontinuität stößt man darauf, dass er gebraucht wurde, um eine von Kommunisten und Sozialisten (IKP und ISP) beeinflusste antifaschistische Regierung zu verhindern.

Zusammen mit der radikal-demokratischen Aktionspartei (PdA) dominierten IKP und ISP das Nationale Befreiungskomitee (CLN) und die antifaschistische Nationalen Einheitsregierung. Die IKP zählte 1.770.896 Mitglieder. Mit ihren Garibaldi-Brigaden stellte sie 155.000 Kämpfer der 256.000 Mann der Partisanenarmee und brachte mit 42.000 von insgesamt 70.000 Gefallenen auch die meisten Opfer. Gemeinsame Oberbefehlshaber waren der Kommunist Luigi Logo und der Sozialist Sandro Pertini. Mit Beginn des bewaffneten Aufstandes am 25. April 1945 griff die Partisanenarmee in Norditalien auf einer Breite von 400 Km die Stellungen der Hitlerwehrmacht an. In Genua kapitulierte der Ortskommandant mit 9.000 Mann vor den Partisanen. Am Monte Grappa legte das X. Panzerkorps die Waffen niedere. Insgesamt ergaben sich bis zum 4. Mai allein im Veneto 140.000 Soldaten der Wehrmacht. Die Partisanen befreiten Tage vor dem Eintreffen der anglo-amerikanischen Truppen alle großen Städte Norditaliens. In Mailand übernahm das CLN Norditaliens als Beauftragter der Nationalen Einheitsregierung die Macht, erklärte den Ausnahmezustand und richtete Kriegsgerichte ein, die 1.732 Faschisten, die der Aufforderung, sich zu ergeben, nicht nachkamen, verurteilten. Darunter fiel auch das Todesurteil gegen Mussolini, das ein Kommando der Garibaldi-Brigaden unter Oberst Walter Audisio, nachdem es den in Richtung Schweizer Grenze Geflohenen hinter Como bei Dongo gefangen genommen hatte, am 28. April vollstreckte.

In den Städten und Gemeinden Norditaliens leiteten regionale Befreiungskomitees antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen ein. IKP und ISP forderten, das Eigentum des Großkapitals und der Großagrarier zu nationalisieren. Die IKP verlangte eine sofortige Währungsreform, eine progressive Besteuerung der Vermögen und eine außerordentliche der Kriegsgewinne der Rüstungsunternehmen. Im Juni 1945 setzten IKP und ISP den Rücktritt des liberalen Ministerpräsidenten der Einheitsregierung Ivanhoe Bonomi und an seiner Stelle die Berufung des Aktionisten Ferrucio Parri durch. Bei den Kommunalwahlen im März 1946, die in 5.722 von 7.300 Städten und Gemeinden stattfanden, erreichten IKP und ISP 40 Prozent der Stimmen, die führende großbürgerliche Partei, die Democrazia Cristiana (DC), kam auf etwa 50 Prozent. Im Referendum über die Staatsform wurde am 12. Juni 1946 die Monarchie als ein Träger der faschistischen Diktatur von 1922 bis 1943 gestürzt.

Mussolini-Faschisten Stütze der USA

Gegen die drohende Gefahr einer von Kommunisten und Sozialisten dominierten antifaschistischen Ordnung machten die USA im Bündnis mit der inneren Reaktion mobil. Sie stützten sich von Anfang an auch auf die Mussolini-Faschisten. In ihrem Buch "Gli Americani in Italia" (Mailand 1976) schrieben die Historiker Roberto Faenza und Marci Fini: "Während das State Department und die amerikanischen Gewerkschaften direkt den 'demokratischen' Parteien von den Christdemokraten bis zu den Sozialdemokraten halfen (also sie finanzierten), wurden hauptsächlich die Militär- und Geheimdienste beauftragt, die Rechten zu unterstützen (also sie zu bewaffnen und zu besolden)". Bereits während der Besetzung Süditaliens seit Sommer/Herbst 1943 waren in den Städten und Gemeinden lediglich die faschistischen Präfekten und Bürgermeister abgesetzt, der übrige örtliche und zentrale Staatsapparat jedoch aufrecht erhalten worden. Im August 1945 konnten sich die Mussolini-Faschisten in der sich als von Parteien unabhängig erklärten Sammlungsbewegung Uomo qualunque (Jedermann) organisieren. Unterstützt von Industrie- und Finanzkreisen gab die Organisation sofort eine gleichnamige Tageszeitung in einer Auflage von über 100.000 Exemplaren, eine Wochenzeitschrift "La Rivolta ideale" heraus und verbreitete massenweise Broschüren und Flugblätter. Uomo qualunque wurde auch zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni 1946 zugelassen, bei denen es mit 5,3 Prozent Stimmen (1,2 Millionen Wähler) 30 Sitze belegte. Zusammen mit den Monarchisten, die auf 6,8 Prozent kamen und anderen reaktionären Splittergruppen stellten sie eine wichtige Reserve der DC und anderer bürgerlicher Parteien bei der Verteidigung der Machtpositionen des Imperialismus dar.

Um die Mussolini-Faschisten vor der Verfolgung zu bewahren, löste die Militärregierung im Juni 1945 das "Hohe Kommissariat zur Verfolgung der Regimeverbrecher" auf. Die Folge war u. a., dass die meisten der aktiven Faschisten, die in der eingeleiteten - aber bald wieder abgebrochenen - Phase der Entfaschisierung vor Gericht gestellt worden waren, freigesprochen bzw. ihre Urteile aufgehoben oder die Betroffenen amnestiert wurden. Anfang November 1945 forderte der Präsident der Bank von Amerika, Amedeo Gianni, in Rom von führenden italienischen Wirtschafts- und Finanzkreisen für "einen Hilfsplan" den Bruch mit der Regierung Parri durchzusetzen. Durch den Rücktritt ihrer Minister lösten die Liberale Partei und die DC danach eine Regierungskrise aus, mit der Parri zum Rücktritt gezwungen wurde. Danach setzte die DC aus ihren Reihen Alcide De Gasperi als neuen Premier durch.

Wie die US-Militärregierung schaute auch De Gasperi ein Jahr später tatenlos zu, wie sich am 26. Dezember 1946 in Rom führende Faschisten mit dem früheren Staatssekretär des "Duce" Giorgio Almirante an der Spitze versammelten und das Movimento Sociale Italiano - MSI (Italienische Sozialbewegung) als Nachfolger der Mussolini-Partei gründeten. Der zum Nationalsekretär gewählte Almirante war ein führender Rassenideologe des "Duce" gewesen und hatte noch kurz vor Kriegsschluss einen "Genickschusserlass" gegen Partisanen unterzeichnet. Parteivorsitzender wurde der Kommodore der 10. Torpedoboot-Flotille (Decima MAS) Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mord an Partisanen und Widerstandskämpfern als Kriegsverbrecher verurteilt aber amnestiert worden war. In dem am 10. Februar 1947 geschlossenen Friedensvertrag mit Italien lehnten die USA die von der UdSSR geforderte Klausel ab, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen.

Das Bekenntnis zum Mussolinifaschismus

Das MSI bekannte sich zum faschistischen Gründungsprogramm von 1919 und zu dem bei der Gründung der Repubblica Sociale Italiano (RSI) durch Mussolini im Herbst 1943 verkündeten "Manifest von Verona". Mit der Festlegung im Parteistatut, "die Soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen, wurde ein weiteres Bekenntnis zum Mussolini-Faschismus abgelegt. Das MSI wurde so, wie es im Parteiblatt Secolo d' Italia später hieß, dank derer gegründet, "die weiter glaubten" und "unbeugsam Rache" forderten.

Mit der Sozialbewegung wurde eindeutig die verbotene Mussolinipartei wieder gegründet, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammmlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis zwanzig Jahren bestraft."[1]


Anmerkung:
[1] Daniele Barberi: Agenda nera. Trent anni di Neofascismo in Italia. Rom 1976, S.24.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Dezember 2016

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