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MEMORIAL/178: Der Vietnamkongress vor 50 Jahren in Westberlin (Gerhard Feldbauer)


Der Vietnamkongress vor 50 Jahren in Westberlin

Höhepunkt einer seit 1965 formierten Solidaritätsbewegung mit dem Befreiungskampf Vietnams gegen die USA-Aggression

von Gerhard Feldbauer, 15. Februar 2018


Am 17./18. Februar 1968 erreichte die Solidaritätsbewegung der BRD mit dem Widerstand des vietnamesischen Volkes gegen den verbrecherischen USA-Krieg in Westberlin mit einem Internationalen Vietnamkongress einen herausragenden Höhepunkt. An der vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) organisierten Veranstaltung an der Technischen Universität nahmen über 40 Delegationen mit etwa 5.000 Teilnehmern aus mehr als zehn Ländern teil. Auf einer großen Flagge im Auditorium maximum stand "Für den Sieg der vietnamesischen Revolution" und darunter die Worte Che Guevaras "Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen."

Teilnehmer waren u. a. die US-amerikanischen Black Panther, die nordirische IRA, die baskische ETA, die Palästinenser, der Philosoph Herbert Marcuse, die Schriftsteller Peter Weiss und Erich Fried und der Trotzkist Ernest Mandel. Zu den Rednern gehörte der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, u. a. Herausgeber des Tagebuches Che Guevaras, bei dem er sich einige Zeit in Bolivien aufhielt. Der Kommandeur einer Partisanenbrigade während der Resistenza gegen Hitlerdeutschland, der vielen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt finananziell half, hatte auch den Kongress in Westberlin mit einer größeren Summe unterstützt. Der Studentenführer Rudi Dutschke sah die Aufgabe des Kongresses darin, die Basis für eine globale Befreiungsbewegung gegen "Imperialismus" und "Kapital" zu legen.

Stürmisch feierten die Teilnehmer die zwei Wochen vorher während des buddhistischen Neujahrsfestes von den Befreiungskämpfern in ganz Südvietnam begonnene Tet-Offensive, in deren Verlauf die Front National de Liberation (FNL) zahlreiche USA-Stützpunkte angriff, in die USA-Botschaft in Saigon eindrang - zu dieser Zeit hielten die Strassenkämpfe in der Stadt an - und die Kaiserstadt Hue besetzte. Der Kongress bezog klare antiimperialistische Positionen, verurteilte entschieden die Beteiligung der BRD an der USA-Aggression, solidarisierte sich mit dem bewaffneten Befreiungskampf in Südvietnam und dem sozialistischen Aufbau in der Demokratischen Republik Vietnam (DRV).

Diese Protestbewegung war in der Bundesrepublik Deutschland nach der Ausdehnung der im August 1964 begonnenen Luftangriffe der USA auf die gesamte DRV und der Landung der ersten Bodentruppen in Südvietnam 1965 zu einer breiten Solidaritätsbewegung verschiedenster Organisationen und Gremien angewachsen. Sie erhob ihre Stimme nicht nur gegen den verbrecherischen USA-Krieg in Vietnam und die aktive Unterstützung der BRD, sondern solidarisierte sich ebenso mit dem nationalen Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes und gewährte ihm auch materielle Hilfe. Anhänger der Solidaritätsbewegung bezogen radikaldemokratische, antikapitalistische, antiimperialistische und auch sozialistische Positionen.

Die erste organisatorische Form entstand im Juli 1965 in Gestalt der "Hilfsaktion Vietnam", die Persönlichkeiten aus Kirchen, Gewerkschaften und der Deutschen Friedensgesellschaft, unter ihnen Weltkirchenratspräsident Martin Niemöller, gründeten. Ihr schlossen sich Persönlichkeiten wie Prof. Max Born, der Präses der evangelischen Kirche Westfalens, D. Wilms, der Rabiner Dr. Robert Rahphael Geis, die Professoren Eugen Kogon, Renate Riemeck, Schriftsteller wie Martin Walser und Kurt Desch an.

Im Januar 1967 folgte eine vierköpfige Delegation der Hilfsaktion mit Martin Niemöller und dem Generalsekretär der Caritas, Monsignore Dr. Georg Hüssler, einer Einladung des Roten Kreuz der DRV. Die Berichte der Delegationsmitglieder, die in Nordvietnam Augenzeugen der barbarischen Verbrechen der US-Luftwaffe an der Zivilbevölkerung wurden, trugen dazu bei, dass das Spendenaufkommen bis zum 11. September auf 1.139.268,34 DM anwuchs. Davon gingen als Zahlungen oder materielle Hilfe an das RK der DRV und der FNL 453.672,25 bzw. 204.498,88 DM und an oppositionelle Buddhisten Südvietnams 80.000,- DM.

Die Spenden erreichten in den folgenden Jahren Millionenhöhe. Die Hilfsaktion lieferte dem RK der DRV und der FNL bzw. der Republik Südvietnam (RSV) umfangreiche Medikamentenbestände und medizinische Instrumente. 1967 beteiligte sich der Deutsche Caritas-Verband am Bau eines Krankenhauses in der nördlich der Demarkationslinie liegenden Provinz Vinh Linh. Die Kosten für das unter der Erde installierte Hospital mit 250 Betten und den erforderlichen Einrichtungen, das Ende 1969 fertig gestellt wurde, beliefen sich auf zwei Millionen DM. Gemeinsam mit Caritas und dem Diakonischen Werk übernahm das Hilfswerk im November 1970 in Haiphong den Wiederaufbau eines zerstörten Kinderkrankenhauses in Höhe von etwa drei Millionen DM, welche die drei Träger zu gleichen Teilen übernahmen. Die errichteten Grundstöcke dieses Krankenhauses wurden bei Angriffen von B-52 im April 1972 vollständig zerstört. Nach der Unterzeichnung der Pariser Abkommen im Januar 1973 begann der Wiederaufbau erneut. Nach den B-52-Bombardements gegen Hanoi und Haiphong im Dezember 1972, die Tausende Tote und Verwundete forderten, gingen in den ersten Januartagen fünf Tonnen Blutkonserven und 300 Kilo Antimalaria-Mittel nach Hanoi. Die Hilfsaktion beteiligte sich an einer internationalen Wiederaufbau-Kampagne für das völlig zerstörte Bach Mai-Krankenhaus im Süden Hanois und übernahm die Finanzierung des Baus und der Ausstattung der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung.

Auch die "Kampagne für Abrüstung" (KfA), die die machtvollen "Ostermärsche der Atomwaffengegner" (1968 mit 300.000 Teilnehmern) organisierte, wirkten auf die Vietnam-Solidarität ein. Ihre eindeutige Aussage, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg und eine Aggression der USA handelte, gab ihr ein klares politisches Profil. Auf ihre Initiative entstanden in Bundesländern und vielen Städten Vietnamkomitees, in denen es zum Zusammenwirken eines breiten politischen Spektrums - Liberale, Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter, Vertreter der Kirchen, Jugendorganisationen, Studenten - kam. So gehörten am 20. Januar 1973 zu den rund 30.000 Menschen, die in Dortmund unter der Losung "Frieden und Unabhängigkeit für Vietnam - jetzt!" demonstrierten, der DKP-Aktivist und SDAJ-Vorsitzende Rolf Priemer und Jürgen Möllemann von den Jungdemokraten, die Arm in Arm in der ersten Reihe gingen. Im Nürnberger Vietnamkomitee wirkten über 40 Organisationen und Persönlichkeiten, darunter SPD-Stadträte und Vertreter der Stadtverwaltung, mit. Die SPD-Repräsentanten setzten sich dabei über die Weisungen ihrer die USA-Aggression unterstützenden Parteiführung hinweg.

Auftrieb erhielt die Solidaritätsbewegung durch die Aktivitäten des internationalen Russel-Tribunals zur Untersuchung der in Vietnam von den USA begangenen Kriegsverbrechen, das vom 2. bis 10. Mai 1967 in erster Sitzung in Stockholm und vom 28. November bis 1. Dezember in zweiter Sitzung in Roskilde/Dänemark tagte.

Zu einem weiteren mobilisierenden Faktor wurde die vom 6. bis 9. Juli 1967 in Stockholm tagende "Weltkonferenz über Vietnam", an der 462 Persönlichkeiten aus 63 Ländern, über 200 nationale Organisationen und Vietnamkomitees sowie 22 internationale Gremien teilnahmen. Der damalige schwedische Ministerpräsident Olaf Palme nahm zeitweilig an der Konferenz teil. Unter den 14 Teilnehmern aus der Bundesrepublik befanden sich die aktivsten Organisationen gegen den Vietnamkrieg: Die KfA, der SDS, die DfG und die "Hilfsaktion Vietnam". Die Konferenz verurteilte in einem Appell den USA-Krieg als Aggression und Völkermord, forderte die sofortige Beendigung und den bedingungslosen Abzug der USA, die Respektierung der Genfer Indochina-Abkommen von 1954.

Der Vietnamkongress in Westberlin fand ein starkes Echo in Hanoi. Die Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA), Rundfunk und Zeitungen, darunter das Parteiblatt Nhan Dan und die Zeitung der Volksarmee Quan Doi Nhan Dan, berichteten in zahlreichen Beiträgen ausführlich über die gezeigte Solidarität.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2018

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