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MEMORIAL/200: Mit den Kampfbünden Mussolinis schlug vor 100 Jahren die Geburtsstunde des Faschismus (Gerhard Feldbauer)


Mit den Kampfbünden Mussolinis schlug vor 100 Jahren die Geburtsstunde des Faschismus

Der Chef der regierenden rassistischen Lega, Matteo Salvini, beruft sich auf dessen Erbe

von Gerhard Feldbauer, 22. März 2019



Foto: Llorenzi [Public domain]

Warnungen vor einem neuen Faschismus - hier ein Paradeaufmarsch der italienischen faschistischen Miliz um 1930 in Bolzano
Foto: Llorenzi [Public domain]

Die seit Juni 2018 in Rom mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) regierende rassistische Lega ist dabei, Schritt für Schritt ein faschistisches Regime zu errichten. Diese sich demagogisch "gelb-grün" apostrophierende Regierung kopiert "in beängstigender Weise den historischen Faschismus", schätzt der Philosophie-Professor und antifaschistische Publizist, Giuseppe Aragno, im Gespräch mit mir dazu ein. Salvini, der die Faschisten der Casa Pound die Drecksarbeit verrichten lässt, der Bürgerwehren zur Jagd auf Migranten aufstellt, verkörpert die aus dem Squadrismus (Terror) Mussolinis bekannte Schlägerseele". Die Schützenhilfe der M5S für die Lega erinnere "an typische Stützen, der sich der aus den Reihen der Sozialisten kommende Mussolini bediente", so Aragno. [1]

Ein Blick auf den Mussolini-Faschismus, auf dessen Erbe sich Salvini ständig beruft, zeigt in erstaunlicher Weise frappierende Anknüpfungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Der Faschismus kam sowohl 1922 in Italien als auch ein Jahrzehnt später in Deutschland nicht aus dem Nichts heraus an die Macht, sondern formierte sich über einen längeren Zeitraum als eine sehr gut organisierte Bewegung. Er verfügte über eine führende Massenpartei, einen wirksamen Terrorapparat und eine demagogisch getarnte Ideologie, die sich in politisch-programmatischen Grundsätzen niederschlug, die den reaktionärsten Kreisen des Imperialismus dienten.


Wurzeln im Ersten Weltkrieg

Die Entstehungsbedingungen des Faschismus und der Regimes, die er unter Mussolini in Italien wie später unter Hitler in Deutschland und anderswo hervorbrachte, waren Produkte der Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel Italiens wird besonders deutlich, dass die Wurzeln des Faschismus und besonders seines Expansionsdranges bereits im Ersten Weltkrieg liegen. In Italien entstand schon im Januar 1915 mit den von Mussolini gegründeten Fasci d'Azione Rivoluzionario (Revolutionäre Kampfbünde) eine demagogisch bezeichnete Vorläuferorganisation der faschistischen Bewegung, deren Mitglieder sich als Fascisti (Faschisten) bezeichneten. Da die Italienische Sozialistische Partei (ISP) als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Antikriegspositionen bezog und diese, von einzelnen reformistischen Abweichungen abgesehen, insgesamt bis zum Ende des Krieges beibehielt, stellte Mussolini den Kampfbünden als Hauptaufgabe, dem entgegenzuwirken und dem Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente den Weg zu ebnen.

Die spezifische Aufgabe, die Mussolini übernahm, ergab sich daraus, dass Italien zu Beginn des Ersten Weltkrieges zunächst seine Neutralität erklärt hatte, dann aber im Mai 1915 auf der Seite der Entente gegen seine früheren Verbündeten im Dreibund, Österreich-Ungarn und Deutschland, in den Krieg eintrat. Vorher hatte es sich im Abkommen von London im April 1915 umfangreiche Gebietsansprüche bewilligen lassen, die dann allerdings auf Seiten der Sieger im Friedensvertrag von Saint-Germain 1919 nicht voll realisiert wurden.


Graphik: Flanker [Public domain]

Das Königreich Italien 1919 nach dem Vertrag von Saint-Germain
Graphik: Flanker [Public domain]


Kriegsgegner im Parlament sind "zu erschießen"

Vor der Parlamentsabstimmung über den Kriegseintritt hetzte die von Mussolini gegründete Zeitung der Fasci "Il Popolo d'Italia", die Abgeordneten, die noch nicht zum Kriegseintritt entschlossen seien (das waren vor allem die Sozialisten), "sollten vor ein Kriegsgericht gestellt" werden. Für "das Heil Italiens" seien, wenn notwendig, "einige Dutzend Abgeordnete zu erschießen", andere "ins Zuchthaus zu stecken". [2]


Kampfblatt der Rüstungsindustrie

Beim "Popolo d'Italia" handelte es sich um ein von führenden Kreisen der Rüstungsindustrie (Dino Ansaldo, Werften; Ettore Conti, Elektroindustrie; Emilio Benedetti, Maschinenbau; Guido Donegani, Chemie; Giovanni Agnelli, Fahrzeuge; Alberto Pirelli, Reifen und Gummi) finanziertes Kampfblatt, das in offenem Chauvinismus deren Kriegsinteressen vertrat. Dieselben Konzerne gehörten nach Kriegsende weiter zu den Förderern der faschistischen Bewegung, die auch den Marsch auf Rom finanzierten.

Vier Jahre später, am 23. März 1919, bildete Mussolini dann in Gestalt der Fasci Italiani di Combattimento (Italienische Kampfbünde, später auch Squadre d'Azione - Sturmabteilungen genannt) die erste offen faschistisch ausgerichtete Organisation. Auf ihrem 3. Kongress im November 1921 konstituierten sich die Fasci di Combattimento zum Partito Nazionale Fascista (PNF). Von etwa 30.000 Anhängern 1920 war die Bewegung binnen eines Jahres auf rund 320.000 eingeschriebene Mitglieder angewachsen, die in 2.200 Fasci organisiert waren. Die Sturmabteilungen wurden auf dem Gründungsparteitag in den PNF eingegliedert, alle Parteimitglieder verpflichtet, ihnen beizutreten. An die Spitze des PNF trat Mussolini, der sich von nun an "Duce del Fascismo" nennen ließ.


Eine imperialistische Massenpartei

Angelo Tasca gab folgende soziale Schichtung des PNF an: 18.084 Grundbesitzer, 13.878 Kaufleute, 4.269 Industrielle, 9.981 Freiberufler, 7.209 Staatsbeamte, 14.988 Privatangestellte, 1.680 Lehrer, 19.783 Studenten, 36.847 Landarbeiter und Bauern, 23.418 Industriearbeiter, vor allem aus Staatsbetrieben. [3] In Gestalt des PNF entstand eine imperialistische Massenpartei, deren Gefolgschaft überwiegend aus kleinbürgerlichen Schichten bestand.

Wie bereits vorher die Mitglieder der Fasci nannten sich auch die der PNF Fascisti, und die Bewegung bezeichnete sich als Fascismo. Mit der Wahl dieses Namens griff Mussolini als erfahrener Demagoge zielgerichtet auf zwei klassenmäßig entgegengesetzte, in der Geschichte wurzelnde Symbole bzw. Bezeichnungen zurück. Die Fasces waren jene lederumschnürten Rutenbündel der altrömischen Liktoren, aus denen ein Beil hervorragte und die den Konsuln als Zeichen der Gewalt über Leben und Tod bei Aufmärschen vorangetragen wurden. [4] Für den künftigen "Duce" war dieser Rückgriff Grundlage, sich und seine Diktatur im Rahmen der nationalistischen Verhetzung als Nachkommen des großen römischen Reiches und seiner Cäsaren zu feiern.


Demagogischer Rückgriff auf Fasci dei Lavoratori

Gegenüber den Arbeitermassen wurden zunächst die Traditionen der Unterdrückten herausgestellt, die ihre Organisationen in den Kämpfen des 18. und 19. Jahrhunderts auch als Fasci bezeichnet hatten. So schlossen sich beispielsweise die armen Bauern, Tagelöhner und Arbeiter in Messina, Catania und Palermo 1889 in Fasci dei Lavoratori zusammen, aus denen 1893 die Federazione Socialista Siciliana hervorging. Auch bei der Wahl der Farbe der Uniformhemden griff Mussolini auf Traditionen aus der Arbeiterbewegung vor allem aus dem Süden zurück, wo sowohl die Bergarbeiter als auch die Anarchisten schwarze Hemden trugen. Auf die Anrede Compagno (Genosse), die ihm zunächst auch vorschwebte, verzichtete er dagegen und wählte die aus der Armee übliche Camerata (Kamerad), die auch unter den Anhängern seines Konkurrenten Gabriele D'Annunzio üblich war. Von diesen übernahm der "Duce" auch das Kampfgeschrei "Eja, eja, alalà", das dem üblen "Hip, hip, Hurra" der deutschen Faschisten glich. [5]

Bezeichnend für die Interessen, welche die faschistische Bewegung von Anfang an vertrat, war bereits der Tagungsort der Fasci-Konferenz von 1919. Sie fand im Gebäude des Industrie- und Handelsverbandes auf der Piazza San Sepolcro in Mailand statt.


Foto: Web [Public domain]

Palmiro Togliatti in den 1920er Jahren
Foto: Web [Public domain]

Als der Mitbegründer der Italienischen Kommunistischen Partei [6], Palmiro Togliatti, später den italienischen Faschismus charakterisierte, stellte er zwei Merkmale heraus: Die hemmungslose soziale Demagogie und den blutigen Terror zur Zerschlagung der revolutionären Arbeiterbewegung und zur Ausschaltung aller politischen Gegner. [7] Aber von nicht wenigen, auch revolutionären Sozialisten, wurde 1919 und noch längere Zeit danach nicht erkannt, dass mit der Fasci-Bewegung eine neue und auf offene terroristische Gewalt setzende Interessenorganisation führender imperialistischer Kreise auf den Plan trat. Sogar die im Januar 1921 gegründete IKP verkannte die Gefahr zunächst. Die Fehleinschätzung war auch ein Ergebnis der von Mussolini praktizierten sozialen Demagogie. In der ISP hielten viele ihr langjähriges führendes Mitglied, zuletzt Chefredakteur der Parteizeitung "Avanti", noch für einen Sozialisten, der eine neue sozialrevolutionäre Organisation gründete. Das auf dem Fasci-Kongress in Mailand angenommene Programm enthielt durchweg bürgerlich-demokratische Forderungen der Sozialisten, die mit nationalistischen Phrasen untersetzt wurden.


"Fare come in Russia"

Den Hintergrund der Geburt des Faschismus bildete die revolutionäre Nachkriegskrise, deren Vorläufer in Italien bereits der unter dem Einfluss der russischen Februarrevolution im August 1917 in Turin ausgebrochene Arbeiteraufstand gegen die Hungersnot war. Neben Forderungen nach Frieden und Brot war eine zentrale Losung "fare come in Russia" (es wie in Russland machen). Erst nach viertägigen Barrikadenkämpfen, bei denen Hunderte Arbeiter getötet, noch viel mehr verwundet und Tausende verhaftet wurden, gelang es der Armee, den Aufstand niederzuschlagen.


Foto: State museum of political history of Russia [Public domain] via Wikimedia commons

Massenproteste in Rußland - hier demonstrierende Arbeiterinnen und Arbeiter der Putilow-Werke während der Februarrevolution von 1917
Foto: State museum of political history of Russia [Public domain] via Wikimedia commons

Die Kriegsfolgen (u. a. 680.000 Tote, über eine Million Verwundete, eine halbe Million Invaliden) und die heraufziehende Wirtschaftskrise mit maßlosen Teuerungen und mehr als einer halben Million Arbeitslosen ließen die Arbeiterkämpfe weiter anwachsen. Im März 1919 errangen die Gewerkschaften die allgemeine Anerkennung des Achtstundenarbeitstages. In den südlichen Regionen besetzten Landarbeiter und arme Bauern unbebautes Land der Latifundisten. Die Regierung musste das durch ein Dekret legalisieren und die Präfekten anweisen, weiteres unbebautes Land zur genossenschaftlichen Nutzung zur Verfügung zu stellen.

In der Sozialistischen Partei existierte zwar ein starker reformistischer Flügel, aber er hatte sich noch nicht als die Partei beherrschend durchsetzen können. Die ISP-Führung begrüßte mehrheitlich die russische Oktoberrevolution und beschloss, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Dem italienischen Imperialismus fehlte so eine sozialdemokratische Führung, die - wie die der SPD in Deutschland - als sein Retter auftreten und die revolutionäre Erhebung der Arbeiter niederschlagen konnte. Das machte den Faschismus in Italien früher als in Deutschland zu der Kraft, in der Großkapital und Latifundistas den Garanten ihrer Existenz sahen und der sie an die Macht verhalfen.

Als Führerpersönlichkeit für diese Aufgabe setzte sich Mussolini durch, wobei ihm zwei Faktoren zugute kamen: Einmal seine 14jährige Karriere in der ISP, in der er eine herausragende Führerrolle gespielt hatte, was es ihm ermöglichte, seiner pseudorevolutionären sozialistischen Tarnung einen glaubhaften Anschein zu verleihen und der Bewegung frühzeitig eine Massenbasis auch innerhalb der Arbeiterbewegung zu verschaffen. Dazu trug bei, dass der "Duce" in sozialrevolutionäre Phrasen verpackte reformistische Forderungen stellte, die vielen Arbeitern nicht unbekannt waren und so auf fruchtbaren Boden fielen. Zum anderen hatte er sich durch seinen 1914 vollzogenen Übergang zu den chauvinistischen Positionen des Interventionismus als ein zuverlässiger Erfüllungsgehilfe bei der Propagierung der imperialistischen Kriegspolitik unter den Massen erwiesen.


Graphik: Ivan Vasilyevich Simakov (1877-1925) [http://www.plakaty.ru/authors?id=274&sort=lname] [Public domain] via Wikimedia commons

5. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 - sowjetisches Plakat zum IV. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1922
Graphik: Ivan Vasilyevich Simakov (1877-1925) [http://www.plakaty.ru/authors?id=274&sort=lname] [Public domain] via Wikimedia commons


Millionen Menschen terrorisiert

Gegen die in den Massenkämpfen 1919/20 sich abzeichnende Möglichkeit einer Machtergreifung durch die revolutionären Linken gingen die Kampfbünde mit einem in dieser Zeit beispiellosen barbarischen Terror vor. Als die Sozialisten im Oktober 1920 bei den Kommunalwahlen erneut Stimmen dazu gewannen und in zahlreichen Städten des Nordens rote Stadtverwaltungen in die Rathäuser einzogen, überfielen Sturmabteilungen Bologna, beschossen das Ratshaus, töteten neun Bürger, verwundeten über 100 und zwangen die Stadtverwaltung zurückzutreten. Ganz Norditalien wurde danach von derartigen Terrorakten heimgesucht. Die Sturmabteilungen überfielen Arbeiterviertel, steckten Versammlungsräume der Sozialisten, der Gewerkschaften und der Genossenschaften in Brand, misshandelten Funktionäre auf offener Straße und in ihren Wohnungen, erschlugen sie auf den Feldern und stellten ihre Leichen in den Städten zur Schau. In Mailand und zahlreichen weiteren Städten zwangen sie die linken Verwaltungen mit bewaffneter Gewalt zurückzutreten. [8]

Der Führer der Sturmabteilungen, Italo Balbo, einer der engsten Vertrauten Mussolinis, beschrieb die "Strafexpeditionen", die er im Gebiet von Ravenna durchführte: "Wir unternahmen diese Aufgabe im gleichen Geist, in dem wir im Krieg die feindlichen Stellungen gestürmt hatten. Die Flammen der großen brennenden Gebäude erhoben sich unheimlich in der Nacht. Eine ganze Stadt war von der Glut erleuchtet." [9] Ordine Nuovo [10] berichtete am 23. Juli 1921, dass 1920 2.500 Italiener (Männer, Frauen, Kinder und Greise) unter den Kugeln der Faschisten und der öffentlichen Sicherheitskräfte auf Straßen und Plätzen den Tod fanden, im ersten Halbjahr 1921 ungefähr 1.500 Menschen durch Kugeln, Messer und Schlagstock der Faschisten getötet, 20.000 Bewohner der Städte ausgewiesen oder durch Drohungen gezwungen wurden zu fliehen und in der Emilia, der Romagna, der Toskana, in Umbrien, dem Veneto die Sturmabteilungen 15 Millionen Menschen terrorisierten, während die Behörden dem blutigen Treiben tatenlos zusahen.


Abbildung: Antonio Gramsci (1891-1937) [Public domain]

Titelseite der L'Ordine Nuovo vom 11. Dezember 1920
Abbildung: Antonio Gramsci (1891-1937) [Public domain]

Angelo Tasca führte Fakten an, die die bereits zitierte Einschätzung Togliattis über den Faschismus als "bewaffnete Bewegung zur Zerschlagung des Proletariats" belegten. Allein im ersten Halbjahr 1921 gab es, wie Tasca betonte, nach unvollständigen Angaben: 726 zerstörte proletarische Einrichtungen, darunter 17 Zeitungsredaktionen und Druckereien, 59 Volksheime, 119 Gewerkschaftszentralen, 107 Genossenschaften, 83 Bauernligen, acht gegenseitige Versicherungen, 141 Sektionen und Lokale der Sozialisten und Kommunisten, 100 Kulturheime, 10 Volksbibliotheken und -Theater, eine Volkshochschule, 28 Arbeitergewerkschaften, 53 Arbeiter- und Erholungsheime. [11]


Demagogisch getarnt

Selbst diesen blutigen Terror versuchte Mussolini sozialdemagogisch zu tarnen und die revolutionären Sozialisten mit ultra-revolutionären Phrasen zu überbieten. Die Faschisten führten eigene Fabrikbesetzungen durch, übernahmen die Losung der Bildung von Fabrikräten, kritisierten die reformistischen ISP-Führer wegen "Zurückweichens vor der Revolution", verlangten die teilweise "Enteignung allen Reichtums", die "Nationalisierung aller Rüstungsbetriebe", die "Beschlagnahme von 85 % der Kriegsprofite". Mit dem Verlangen nach Arbeitsplätzen gelang es ihnen, Zehntausende Arbeitslose um sich zu scharen. Im "Popolo d'Italia" propagierte Mussolini "Tod den Ausbeutern", mit den Spekulanten "Schluss zu machen" und verlangte: "Entweder werden die Besitzenden enteignet oder wir setzen die Kriegsteilnehmer ein, um dieses Hindernis niederzureißen". Um vom Terror seiner Sturmabteilungen abzulenken, forderte er, die Feinde des Volkes "aufzuhängen", und "die Hinrichtung der Nutznießer des Krieges, die das Volk aushungern". [12]


Wir werden "ein Exekutionskommando sein"

Nach der Gründung der IKP am 21. Januar 1921 schloss die bürgerliche Rechte mit den Faschisten für die Parlamentswahlen im Mai ein Bündnis. Trotz des vorangegangenen blutigen Terrors erreichte der profaschistische "nationale Block" nicht den erhofften überwältigenden Erfolg. Er kam auf 265 Mandate, von denen 36 an die Faschisten fielen, die erstmals ins Parlament einzogen. Die ISP behauptete 123 Sitze, die katholische Volkspartei kam auf 108. Die IKP gewann erstmals 15 Mandate. Der Erfolg des PNF war trotzdem nicht zu unterschätzen, denn Mussolini erhielt in seinem Wahlkreis 170.000 Stimmen. Im November 1919 war er noch mit 4.000 durchgefallen. In seiner ersten Parlamentsrede drohte er, "ich bin gegen das Parlament und gegen die Demokratie". Während seine Schwarzhemden auf den umliegenden Straßen schrieen: "Italien braucht einen Diktator", kündigte Mussolini den Weg zu diesem Ziel an. "Wir werden kein Parlamentsklub sein, sondern ein Aktions- und Exekutionskommando." [13]

Mit dem "Marsch auf Rom" am 28. Oktober 1922, dem von den führenden Industriekreisen, dem Königshaus, Militärs und dem Vatikan unterstützten Militärputsch, hatte der "Duce" sein Ziel erreicht und ein faschistisches Regime errichtet. Auf Geheiß der Confindustria (Verband der Großindustriellen) berief Vittorio Emanuele II. den Chef des PNF, der im Parlament von 508 Sitzen nur 36 belegte, zum Regierungschef. Noch am selben Tag nahmen der Monarch und Mussolini - zum Entsetzen vieler Römer - eine Parade der faschistischen Horden und einer Formation der königlichen Armee ab. [14]


Vorerst parlamentarisch getarnt

Am nächsten Tag legitimierten Nationalisten, Liberale und die katholische Volkspartei mit ihrem Eintritt in die Regierung den Putsch Mussolinis. Die Sozialisten, die der Duce ebenfalls in seine Regierung aufnehmen wollte, lehnten als einzige ab. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit sprach dem faschistischen Regierungschef mit 306 Stimmen das Vertrauen aus. Es gab nur 106 Gegenstimmen, vor allem aus den Arbeiterparteien. Die bürgerlichen Parteien verschafften so dem faschistischen Regime zunächst (bis zum Verbot aller Parteien - ausgenommen des PNF - und der Errichtung der offen terroristischen Diktatur 1925/26) ein parlamentarisches Mäntelchen.


Faschismus Garant des Kapitals

Die Machtübergabe an Mussolini zeigte, dass die maßgeblichen Kreise des Kapitals und der Großagrarier, des Generalstabes und des Königshauses, unterstützt vom Vatikan, nur noch im Faschismus den Garanten ihrer Herrschaft sahen. Angesichts des wachsenden Einflusses der neu gegründeten Kommunistischen Partei und von Anzeichen des Zusammengehens der Sozialisten mit dieser waren sie sich nicht mehr sicher, die Macht unter einer herkömmlichen bürgerlichen Regierung behaupten zu können.


Nicht absolut unvermeidlich

Die antifaschistische Bewegung, deren Hauptkräfte aus der Arbeiterbewegung kamen, hatte - bedingt durch ihre Uneinigkeit, die sich hauptsächlich aus ihrer Spaltung ergab - die Machtübergabe an Mussolini nicht verhindern können. Der seit 1919 tobende faschistische Terror hatte nicht nur bürgerliche Kreise, sondern auch Arbeiterschichten eingeschüchtert und ihre Widerstandskraft geschwächt. Beachtet man jedoch die gesamte, dem Faschismus gegenüberstehende Kräftekonstellation, dann ist Angelo Tasca zuzustimmen, der schrieb, dass der "Sieg des Faschismus nicht absolut unvermeidlich, nicht schicksalhaft" war. [15] Togliatti warnte ebenfalls davor, "den Übergang von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus als notwendig, als unvermeidbar anzusehen." [16]

Aufschlussreich war die Aussage Roberto Farinaccis, eines der engsten Mitarbeiter Mussolinis in der PNF-Führung, der später zugab, der Erfolg sei weniger von der Stärke des Faschismus als von der Schwäche und zögerlichen Haltung seiner Gegner abhängig gewesen. [17] Gegen den Faschismus an der Macht leisteten dann, wie sich erstmals in der Matteotti-Krise [18] zeigte, neben den Linken in Italien auch Vertreter der bürgerlichen Oppositionsparteien, darunter solche, die dem Machtantritt untätig gegenübergestanden hatten, Widerstand, während sich die entsprechenden Kräfte zehn Jahre später in Deutschland weitgehend passiv verhielten.


Foto: [https://alchetron.com/Giacomo-Matteotti#-] [Public domain] via Wikimedia commons

Sozialistenführer Giacomo Matteotti, hier in den 1920ern im Kreise seiner Unterstützer
Foto: [https://alchetron.com/Giacomo-Matteotti#-] [Public domain] via Wikimedia commons


Hitlers Vorbild

Nach dem Wahlerfolg der AfD im September 2017 übermittelte Salvini seinen deutschen Kumpanen die herzlichsten Glückwünsche und erklärte, auch in Berlin werde man noch lernen, "die deutsche Alternative" zur Kenntnis zu nehmen und mit ihr zurechtzukommen. Nicht zum ersten Mal knüpfte der zum Vizepremier aufgestiegene "Duce" der Rassistenlega an die internationale Vorreiterrolle an, die der italienische Faschismus unter Mussolini in den 20ern bis in die 30er Jahre in Europa, besonders für Deutschland spielte.

Das frühzeitige Entstehen der faschistischen Bewegung und ihr Machtantritt in Rom wirkten sich auf das 1920 in Ungarn an die Macht kommende Horthy-Regime und in Bulgarien 1923 auf die Etablierung der Zankow-Diktatur ebenso aus wie 1926 auf die Errichtung der militärfaschistischen Diktatur unter General de Fragoso Carmona in Portugal. Die Putschpläne Francos wurden 1936 unter Leitung italienischer und deutscher Militärs und der Nutzung der militärischen Erfahrungen vor allem der Mussolini-Faschisten ausgearbeitet. Besonders nachhaltig aber wirkten sich Beispiel und Erfahrungen des römischen Faschismus auf die Formierung des deutschen unter Hitler bis zu dessen Machtantritt in Deutschland aus. Das zeigte sich im direkten Einfluss der "Führerpersönlichkeit" Mussolinis auf Hitler, im Entstehen der Strukturen der Bewegung und ihrer Kampfmethoden, besonders der sozialen Demagogie und des Terrors, bis hin zur Haltung führender Kreise des Industrie- und Finanzkapitals, die beeindruckte, wie es dem "Duce" gelang, dem italienischen Imperialismus in Gestalt der faschistischen Bewegung eine Massenbasis zu verschaffen, über die er vorher nie verfügt hatte.

Hitler nannte seine SA wörtlich nach den von Mussolini geschaffenen Squadre d'Azione, den Sturmabteilungen. Er übernahm den von Mussolini erfundenen Führertitel "Duce" und den "römischen Gruß", mit dem sich dieser mit erhobenem rechten Arm grüßen ließ. Ein unwesentlicher Unterschied bestand nur in der Farbe der Uniformhemden, die bei den italienischen Faschisten schwarz war, bei den deutschen braun. "Das Braunhemd", so räumte Hitler in seinen "Monologen im Führerhauptquartier" noch 1941 ein, zu einem Zeitpunkt, da sich das Verhältnis zum "Duce" schon arg verschlechtert hatte, "wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd". Er gestand ebenso, dass Mussolini einmal für ihn "eine ganz große Persönlichkeit" darstellte. [19]


Graphik: Xoil [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Ein neues römisches Imperium - Großmachtsträume italienischer Faschisten
Graphik: Xoil [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Ein Bericht der Münchener Polizei vermerkte, durch Mussolinis Machtergreifung habe die NSDAP "eine besondere Schwerkraft erlangt". Es gab in Deutschland keine andere Partei, die der Mussolini-Partei in allen Belangen in gleicher Weise entsprochen hätte wie die NSDAP. Nach dem "Marsch auf Rom" begann die Mehrheit der deutschen Kapitalkreise, die bis dahin dazu geneigt hatte, gestützt auf die Rechtsparteien und die militaristischen Verbände wie den Stahlhelm, die Monarchie wieder zu errichten, sich auf eine andere Erfolg versprechende Möglichkeit hin zu orientieren - auf eine bürgerliche Partei faschistischen Typs, wie sie Hitler im Begriff war aufzubauen. [20]

Nach dem erfolgreichen Marsch auf Rom begannen dann Ruhrschwerindustrielle um Thyssen und Stinnes, Hitler und Ludendorff finanziell kräftig zu unterstützen, damit es diesen gelinge, an der Spitze der bayrischen Reaktion nach dem Vorbild Mussolinis einen ebenso erfolgreichen "Marsch auf Berlin" durchzuführen. Thyssen äußerte bereits im September 1923, es müsse "ein Diktator gefunden werden, ausgestattet mit der Macht, alles zu tun, was nötig ist." Nach dem kläglichen Scheitern von Hitlers Novemberputsch 1923 orientierten sich die führenden Kreise des deutschen Kapitals, auch hier in Auswertung der römischen Kombination von Putsch mit anschließender "legaler" Machtübergabe 1922 dahingehend, Hitler auf einem ähnlichen Weg an die Macht zu verhelfen, wobei der Schwerpunkt auf den SA-Terror zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung gelegt wurde. [21] Hitler und die deutschen Faschisten konnten, als sie dann 1933 an die Macht kamen, nicht nur auf ein Jahrzehnt Erfahrungen der Mussolini-Diktatur zurückgreifen, sondern auch deren Schwächen und Fehler auswerten.


Fußnoten:

[1] "Anno nero in Italia. Die Regierung der rassistischen Lega installiert mit Schützenhilfe der rechten Fünf-Sterne-Bewegung ein faschistisches Regime" - Beitrag des Autors vom 20. Dezember 2018 im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK → ITALIEN/251

[2] Georg Scheuer: Genosse Mussolini, Wien 1985, S. 42 ff.

[3] Angelo Tasca: Glauben, gehorchen, kämpfen. Der Aufstieg des Faschismus in Italien. Wien o. J. (Promedia), S. 195.

[4] Das Liktorenbündel wurde nach Errichtung der faschistischen Diktatur zum Staatsemblem, das auch die Luftwaffe an den Flugzeugen führte.

[5] Pier Carlo Masini: La Maschera dell Ditatore, Pisa 1999, S. 32

[6] Die am 21. Januar 1921 in Livorno gegründete Partei nannte sich Kommunistische Partei Italiens, Sektion der Kommunistischen Internationale. Nach Auflösung der Komintern nahm sie 1943 den Namen Italienische Kommunistische Partei (IKP) an, der durchgängig verwendet wird.

[7] Palmiro Togliatti: Lektionen über den Faschismus, Frankfurt/Main 1973, S. 22 ff.

[8] Emilio Lusso: Marsch auf Rom und Umgebung. Wien/Zürich 1991, S. 29 f.

[9] Francis Carsten: Der Aufstieg des Faschismusd in Europa. Frankfurt/Main 1968, S. 71 f.

[10] Zeitschrift der gleichnamigen von Antonio Gramsci im Mai 1919 in der ISP gegründeten kommunistischen Gruppe, die in der Partei den Bruch mit dem Opportunismus durchsetzen und sie so in eine revolutionäre Partei des Proletariats umwandeln wollte.

[11] Die Angaben verdeutlichen auch den hohen Grad der politischen und sozialen Organisiertheit, über den die italienische Arbeiterbewegung verfügte.

[12] Scheuer, a.a.O., S. 65 ff

[13] Lusso, a.a.O., S. 24.

[14] Palla, a.a.O., S. 26 ff.

[15] Tasca, a.a.O., S. 285.

[16] Togliatti, a.a.O., S. 10

[17] Jens Petersen/Wolfgang Schieder (Hg): Faschismus und Gesellschaft in Italien, Köln 1998, S. 22.

[18] Benannt nach dem Sozialistenführer Giacomo Matteotti, der den Terror des Mussolini-Regime zu den Scheinwahlen im April 1924 öffentlich entlarvt hatte und daraufhin ermordet wurde, was zu einer Protestwelle führte, die den Sturz des Diktators forderte.

[19] Zit. nach Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. München 1996, S. 13.

[20] Kurt Gossweiler: Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924. Berlin/DDR 1984, 1984, S. 304.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2019

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