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MEMORIAL/218: Italiens Staatspräsident würdigt die Mafia-Jäger Falcone und Borsellino (Gerhard Feldbauer)


Italiens Staatspräsident Mattarella würdigte den mutigen Kampf der von der Mafia ermordeten Juristen Falcone und Borsellino gegen die Verbrecherorganisation

Von Gerhard Feldbauer, 25. Mai 2020


Am 23. Mai 1992 und zwei Monate später am 19. Juli wurden in Italien zwei Kämpfer gegen die Mafia - Giovanni Falcone und Paolo Borsellino - von dieser in blutigen Massakern ermordet. Staatspräsident Sergio Mattarella hat die beiden Staatsanwälte als "leuchtende Beispiele" des Kampfes "vieler anderer Staatsbediensteter, die im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gefallen sind", gewürdigt. Auch die staatliche Nachrichtenagentur ANSA, die römische La Repubblica und weitere Medien widmeten den beiden Symbolfiguren des Anti-Mafia-Kampfes Beiträge. Auf Sizilien fanden an den Orten des Geschehens zahlreiche Gedenken statt, darunter in der Falcone Foundation von Palermo.

Staatsanwalt Falcone wurde am 23. Mai 1992 bei Caprici nahe Palermo mit seiner Frau und drei Leibwächtern durch eine ferngezündete 500 Kilo TNT-Sprengladung umgebracht. Es war ihm gelungen, das Geflecht der Mafia mit der Democrazia Cristiana (DC), der Wirtschaft, der Politik und der Geheimdienste mit den Faschisten und der CIA-Armee "Gladio" aufzudecken. Falcones Mitarbeiter, der Untersuchungsrichter Paolo Borsellino, wurde mit fünf Leibwächtern in Palermo vor dem Haus seiner Mutter durch eine Bombe umgebracht, weil er die Arbeit Falcones fortgesetzt hatte.

Auf der Grundlage der Ermittlungen Falcones klagte am 27. März 1993 der Staatsanwalt von Palermo, Gian Carlo Caselli, den mehrmaligen Ministerpräsidenten, Giulio Andreotti, der Komplizenschaft mit der Mafia an. In einem zweiten Prozess wurde Andreotti in Perugia wegen Anstiftung zum Mord an dem von Mafia-Killern erschossenen Herausgeber des Osservatore politico, Mino Pecorelli, angeklagt. Pecorelli hatte angekündigt, die Rolle Andreottis, der u. a. beschuldigt wurde, der eigentliche Chef der faschistischen Putschloge "P2" zu sein, bei der Ermordung des DC-Führers Aldo Moro im Mai 1978 zu enthüllen.


Foto: Unknown author / Public domain via Wikimedia Commons

27. Februar 1978 - Giulio Andreotti (links) und Aldo Moro (rechts)
Foto: Unknown author / Public domain via Wikimedia Commons

Die Anschläge gegen Falcone, gegen Borsellino u. a. waren Vergeltungsakte, mit denen die Mafia die Fortsetzung der in den 1980er Jahren eröffneten sogenannten "Maxiprozesse" verhindern wollte. Während dieser im Februar 1986 vor dem Corte d'Asisse (Schwurgericht) von Palermo begonnenen Strafverfahren waren 456 der höchsten Chefs der Verbrecherorganisation angeklagt worden, darunter Spitzenleute wie Salvatore Riina, Bernardo Provenanzo und Filippo Marchese. Am 16. Dezember 1987 waren 19 Mafia-Bosse zu lebenslangen Zuchthausstrafen verurteilt worden. 323 der Angeklagten zu insgesamt 2.665 Jahren Gefängnis und Geldstrafen. 114 mussten wegen Mangels an Beweisen freigesprochen werden. 1988 bestätigte der Corte d'Appello (Berufungsgericht) von Palermo im Wesentlichen die Urteile. Und das, obwohl die Mafia kurz vorher den Vorsitzenden Richter, Antonio Saetta, ermordet hatte, um die Schuldsprüche zu verhindern.

Im Prozess gegen Andreotti in Palermo wurde deutlich, warum die Staatsanwälte jahrzehntelang gegen die Mafia erfolglos gewesen waren. Die Anklage gegen Andreotti in Palermo, die 650.000 Aktenseiten umfasste, deren Verlesung 33 Stunden dauerte, stützte sich auf die Aussagen zahlreicher geständiger Mafiosi. Während des Prozesses wurden 231 Zeugen gehört, Fotos und Filmaufnahmen über zahlreiche Begegnungen Andreottis mit Mafiabossen vorgelegt. Darauf war auch der die traditionellen, unverbrüchlichen Beziehungen innerhalb der Mafia besiegelnde Bruderkuss Andreottis mit einem der mächtigsten Mafia-Bosse Siziliens, Salvatore Riina, zu sehen.

Laut der Anklageschrift, aus der die Zeitung Avvenimenti in ihrer Nr. 13/1993 zitierte, bestand "ein Geflecht zwischen dem Senator Andreotti und Cosa Nostra", in dem dieser "einen Beitrag zum Schutz der Interessen und zum Erreichen der Ziele der Organisation leistete", insbesondere "hinsichtlich gerichtlicher Strafverfahren gegen Exponenten der Organisation." U. a. kam ans Licht, dass die "Ehrenwerte Gesellschaft" auf Betreiben Andreottis der DC in Süditalien jahrzehntelang Wählerstimmen beschafft hatte, wofür angeklagten Mafiosi Straffreiheit garantiert wurde.

Dazu war für Andreotti der Vorsitzende Richter des Kassationsgerichts (vergleichbar dem Bundesgerichtshof) Corrado Carnevale, tätig, der in Hunderten von Mafiaverfahren dafür sorgte, dass die Angeklagten freigesprochen oder die Urteile annulliert wurden. Gleiches besorgte er in unzähligen Verfahren gegen faschistische Terroristen, was ihm den Beinamen "Urteilskiller" einbrachte. In den Ermittlungen gegen die mit der Mafia liierte faschistische Putschloge "P2" verhinderte er eine Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, Putschvorbereitung und Mitgliedschaft in einer bewaffneten kriminellen Vereinigung.

Zu den Mafia-Jägern, die die Spuren der Komplizenschaft Andreottis mit der Mafia und seiner Rolle in der "P2" verfolgten, gehörte auch der Carabinieri-General und Anti-Mafia-Präfekt von Palermo, Alberto Dalla Chiesa, der in seinem Tagebuch notiert hatte, dass er das "doppelte Spiel" des Premiers enthüllen werde. Er wurde deshalb am 3. September 1982 mit seiner zweiten Frau, die er gerade geheiratet hatte, und seinem Fahrer in Palermo auf offener Strasse erschossen. Wie der Mafioso Pietro Calogero, der das Mordkommando anführte, nach seiner Verhaftung 1996 aussagte, wurde der General wie auch Pecorelli umgebracht, um Andreotti "einen Gefallen zu tun".

Im Verfahren in Perugia wurde Andreotti zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, 1999 in der Revision freigesprochen, was der Kassationshof von Rom 2003 bestätigte. In Palermo gab es einen Freispruch "zweiter Klasse" wegen Mangels an Beweisen. Der Einspruch der Staatsanwaltschaft wurde letztinstanzlich 2003 vom Kassationsgericht in Rom ebenfalls zurückgewiesen. Trotzdem bedeuteten die Prozesse den politischen Bankrott Andreottis, nicht zuletzt auch deshalb, weil selbst bei der Aufhebung des Urteils von Palermo festgehalten werden musste, dass der Ex-Premier der Mafia lange Zeit "freundschaftlich gesonnen" gewesen sei, was bedeutete, dass der Angeklagte nicht von jedem Verdacht freigesprochen wurde.

Zu den Opfern der Mafia-Morde dieser Jahre gehört auch der Bruder des Staatspräsidenten Piersanti Mattarella, der als ein Anhänger Aldo Moros den Machenschaften der Verbrecherorganisation entgegentrat und deshalb von ihr im Januar 1980 umgebracht wurde. Die Killer kamen aus den Reihen der Faschisten, Auftraggeber war jedoch die Mafia.

Bis heute sind nicht alle Hintergründe der Verbrechen aufgeklärt. Wie La Repubblica am 23. Mai berichtete, fällt darunter auch, dass einer der Attentäter zwei Stunden und 41 Minuten vor dem Anschlag einen Telefonanruf aus Minnesota/USA erhielt. Ergebnislos verliefen auch die Ermittlungen gegen den langjährigen Premier (mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011) und Chef der faschistischen Forza Italia (FI) Berlusconi wegen Komplizenschaft mit der Mafia. Von der Aktualität des Appells Mattarellas zeugt, dass der Kampf gegen die Mafia bis in die Gegenwart anhält. Allein seit Jahresbeginn wurden über hundert Mafiosi festgenommen, im April in Rom bei Festnahmen Vermögen des Spada-Clans in Höhe von 18 Millionen Euro sichergestellt. In Palermo wurde vergangene Woche ein Beauftragter für das Krisenmanagement in der Corona-Epidemie wegen des Verdachts der Korruption festgenommen, gegen 12 weitere Personen wird wegen Vergabe von Hilfsgeldern an Mafia-Komplizen ermittelt.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2020

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