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NEUZEIT/196: Dezember 1944 - Krise und Kompromißlösung der Einheitsregierung in Italien (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 12. Dezember 2009

KP macht Abstriche
Dezember 1944: Krise und Kompromißlösung der Einheitsregierung in Italien

Von Gerhard Feldbauer


Ende 1944 war der Sieg über Nazideutschland nur noch eine Frage der Zeit. Die Streitkräfte der Antihitlerkoalition näherten sich unaufhaltsam den deutschen Grenzen. Die Rote Armee hatte sie bereits im Oktober 1944 im Gebiet von Ostpreußen überschritten. Zu diesem Zeitpunkt brachen in Italien im Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) die Auseinandersetzungen über den politischen und sozialen Charakter der Nachkriegsordnung mehr oder weniger offen aus.

Die CLN-Parteien waren im April 1944 in die nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 gebildete Regierung Pietro Badoglios eingetreten (siehe jW vom 22.4.2009). Am 13. Oktober 1943 hatte diese Deutschland den Krieg erklärt und war damit der Antihitlerkoalition beigetreten. Nach der Einnahme Roms durch angloamerikanische Truppen am 4. Juni '44 wurde der Mussolini-Marschall Badoglio vom CLN zum Rücktritt gezwungen und der Liberale Ivanoe Bonomi zum Regierungschef berufen. Das Kabinett nahm den Charakter einer antifaschistischen Einheitsregierung an.


Volksdemokratie als Ziel

Im CLN bestand Konsens nur im Kampf gegen die deutschen Okkupanten und ihre italienischen Vasallen der sogenannten Salo-Republik Mussolinis. Die IKP hatte am 9. September 1943 in ihrem Aufruf »zur Erhebung gegen Hitlerdeutschland« (siehe jW vom 6.9.2008) die Arbeiterklasse als Hauptkraft dieses Kampfes benannt. Ziel der KP war es, »für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen« und »eine Volksdemokratie zu errichten, in der die Arbeiterklasse ihre Avantgarde« bildet. Zustimmung der großbürgerlichen Regierungspartner dazu gab es selbstverständlich nicht.

Daran änderte sich auch im Juni 1944 nichts. »Alle Fragen sind dem Kampf zur Vertreibung des Feindes untergeordnet«, hieß es in der Regierungserklärung. Die monarchistischen und rechten großbürgerlichen Kreise versuchten, die faschistischen Machtstrukturen zu konservieren, was im Süden mit Billigung der angloamerikanischen Besatzungsmacht teilweise gelang. Dort besetzten aber auch Landarbeiter, Tagelöhner und Halbpächter das Land der durchweg zu den Faschisten gehörenden Latifundisti. Die IKP setzte ein Regierungsdekret durch, das die Inbesitznahmen legalisierte.

Im CLN übte die IKP mit den Sozialisten, mit denen sie seit 1934 durch ein Aktionseinheitsabkommen verbunden war, den dominierenden Einfluß aus. Ihnen zur Seite stand die kleinbürgerliche radikal-demokratische Aktionspartei (PdA). In der Regierung erreichten die bürgerlichen Kräfte (Liberale und Democrazia Cristiana) dagegen durch die zu ihnen neigende »Arbeiterdemokratie« ein leichtes Übergewicht. Der Einfluß der IKP stützte sich vor allem auf ihre führende Rolle in der Partisanenarmee. In den befreiten Gebieten übernahmen linksdominierte örtliche Organe des CLN die Macht und leiteten revolutionär-demokratische Veränderungen ein.

Dagegen wandten sich die Monarchisten und reaktionäre großbourgeoise Kräfte. Ihre Wortführer waren die Liberalen, vor der Diktatur unter Mussolini die führende Partei des Kapitals, die dessen Machtantritt 1922 begünstigt und mitgetragen hatten. Sie strebten nach einem Nachkriegsregime auf der Grundlage der vorfaschistischen Machtstrukturen, in die auch »unbelastete« Faschisten einbezogen werden sollten. Um den linken Einfluß zurückzudrängen, provozierte Bonomi mit seinem Rücktritt am 25. November 1944 eine Regierungskrise.

Zwischen den Liberalen und der DC bestand dazu jedoch zu dieser Zeit keine Übereinstimmung. In der DC formierte sich eine linke »Initiative Democratica«, die für eine soziale Erneuerung auf christlich-sozialen Grundlagen eintrat. Ihr führender Vertreter wurde der spätere Ministerpräsident linker Zentrumsregierungen, Aldo Moro. Zur Initiative wurde auch der Chemieunternehmer Enrico Mattei gezählt, nach 1945 Präsident der staatlichen Energiegesellschaft ENI. Mattei, der eine christdemokratische Partisanenbrigade kommandierte, gehörte zu den führenden katholischen Antifaschisten. Von dieser Kräftekonstellation ausgehend, versuchte die IKP, die Zusammenarbeit mit der DC zu vertiefen und zu einer Übereinkunft ähnlich dem Aktionseinheitsabkommen mit den Sozialisten zu gelangen. Gleichzeitig trat sie im CLN für die Berufung des Ministers Carlo Sforza von der PdA zum neuen Regierungschef ein. Das Vorhaben scheiterte am Einspruch des britischen Regierungschefs Winston Churchill in der Allied Control Commission.

Im CLN konnten die Linken ihre Positionen durch die Unterzeichnung eines Abkommens am 7. Dezember über die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen dem Alliierten Mittelmeerkommando und dem der Partisanenarmee (Römisches Protokoll) stärken. Die Alliierten mußten der gewachsenen Kampfkraft der Partisanen, die weit im Vorfeld ihrer heranrückenden Truppen operierten und immer mehr Städte befreiten, Rechnung tragen. Danach akzeptierte die IKP, gegen den Einspruch von ISP und PdA im CLN, die erneute Berufung Bonomis. In der am 12. Dezember gebildeten Regierung übernahm er das für die politische Entwicklung wichtige Innenministerium. IKP und DC besetzten die neu eingeführten Funktionen eines stellvertretenden Ministerpräsidenten. Sozialisten und Aktionisten lehnten einen Beitritt ab. Sie verblieben jedoch im CLN.


Eklat mit Sozialisten

Hintergrund für die Verweigerung von ISP und PdA waren die Abstriche, die die IKP an ihrer politischen Zielstellung gemacht hatte. Sie verzichtete auf den Begriff »Volksdemokratie«. Sie wollte einen Vergleich mit der Entwicklung in den von der Roten Armee befreiten Ländern Osteuropas, wo die Volksdemokratie als eine Etappe des Übergangs zum Sozialismus gesehen wurde, vermeiden. Während der Regierungskrise erklärte die Partei weiter, daß wir »heute nicht für eine Diktatur des Proletariats kämpfen, sondern für eine progressive Demokratie, die sich von jener nicht so sehr in ihrer demokratischen Substanz unterscheidet als vielmehr in ihrem sozialen Gehalt«. Sie beseitige nicht »radikal das Prinzip der kapitalistischen Ausbeutung«, garantiere »den individuellen Besitz der Bauern, den Privatbesitz der Bürger, ihre Arbeitseinkünfte, ihre Ersparnisse und Güter einschließlich des Rechts auf Vererbung«.

Das sollte den unter den Mittelschichten verbreiteten Ansichten, daß im Sozialismus alles »kollektiviert« werde, entgegenwirken. Bei richtiger Orientierung auf eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung fehlte ein Bekenntnis zur sozialistischen Perspektive, wie es im 1937 erneuerten Aktionseinheitsabkommen festgelegt worden war. Es begann die Zeit problematischer Zugeständnisse an die großbürgerlichen Rechtskräfte, um weiter an der bürgerlichen Regierung teilzunehmen. Das schloß nach dem Sieg über den Faschismus die Festlegung auf den parlamentarischen Weg, verbunden mit Verzichten auf revolutionäre Aktionen für antiimperialistische Umgestaltungen, ein.


Zusammensetzung der Partisanenarmee

Die Partisanenarmee bildete die Hauptkraft der Resistenza, des nationalen Befreiungskrieges 1943-1945. Bei Ende des Krieges zählte sie 256000 reguläre Kämpfer. Zu ihrem Aufbau trug Luigi Longo, der in Spanien als Generalinspekteur das Kommando über alle Internationalen Brigaden innehatte, entscheidend bei. Er und Sandro Pertini von der ISP waren stellvertretende Befehlshaber. Die IKP stellte mit ihren Garibaldi-Brigaden 155000 Kämpfer und brachte mit 42000 von insgesamt 70000 Gefallenen auch die meisten Opfer. Weitere 206000 Partisanen waren in den örtlichen Einheiten Gruppi di Azione Patriottica (GAP), auch hier alle mehrheitlich Kommunisten und Sozialisten, organisiert. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern. Bereits Anfang 1944 mußte die Wehrmacht gegen die Widerstandskämpfer 15 Divisionen einsetzen. Mit den Gefechten, die sie in der Endphase des Krieges in ganz Norditalien führte, bewies die Partisanenarmee ihre Fähigkeit zum Handeln als eine reguläre Armee. In den letzten Kriegstagen eröffnete sie weit vor den angloamerikanischen Truppen zwischen Piemont und Venetien auf einer Breite von über 400 Kilometern ihre letzte Offensive.
Zahlreiche Verbände der Wehrmacht kapitulierten (...). Insgesamt ergaben sich allein im Veneto 140000 Soldaten der Wehrmacht den Partisanen.

aus: Pietro Sechia/Frasati: Storia della Resistenza, Rom 1965


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Quelle:
junge Welt vom 12.12.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2009