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ZEITGENOSSEN/004: Zum 40. Todestag von Ho Chi Minh - Vermächtnis lebt (Unsere Welt)


Unsere Welt Nr. 4 - September 2009
Zeitung der Schweizerischen Friedensbewegung (SFB)

Zum 40. Todestag von Ho Chi Minh
Vermächtnis lebt

Von Irene und Gerhard Feldbauer


«Ho - Ho - Ho chi Minh». Mit diesem Kampfruf artikulierten die rebellierenden Studentenmassen 1968 ihren Protest gegen die Unterstützung der verbrecherischen USA-Aggression in Vietnam durch die westeuropäischen Regierungen. Nicht wenige ihrer damaligen Vertreter haben heute die Seiten gewechselt und rechtfertigen selbst die grundgesetzwidrige Teilnahme der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. Unter den Befreiungsbewegungen besonders in Lateinamerika dagegen ist das Vermächtnis des legendären vietnamesischen Freiheitskämpfers und Staatsmannes Ho chi Minh unverändert lebendig.


Für uns sind die Begegnungen, die wir als Journalisten mit Ho chi Minh hatten. bis heute in unvergesslicher Erinnerung. Das waren nicht nur mehrere persönliche, bei denen wir direkt mit ihm zusammen trafen, mit ihm sprachen, er uns die Hand drückte, uns freundschaftlich umarmte, sich nach unserem Befinden erkundigte, wir in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit spürten, an der nichts von Personenkult zu bemerken war. Er war anwesend auch bei den Begegnungen, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, bei den vielen Gesprächen, er war einfach dabei und er lebte, auch nach seinem Tod, im Kampf seines Volkes weiter.(1)

Seine Landsleute nannten ihn verehrungsvoll Onkel Ho. Seine sprichwörtliche Bescheidenheit, seine Anspruchslosigkeit, die seine Gegner gern als gekünstelt, als einstudiert, als politisches Kalkül darstellten, entsprachen seiner Verbundenheit mit den Menschen aus dem Volk. Er wollte nicht besser leben als sie, es hätte ihn unglücklich gemacht, soll er einmal gesagt haben. Damit hat er ein ausschlaggebendes Beispiel für den Massenheroismus seines Volkes gegeben, aber auch ausgestrahlt auf die Menschen in der Dritten Welt. Sein Testament, das er vier Monate vor seinem Tod am 3. September 1969 verfasste, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen werde.

Seine herausragende Führerpersönlichkeit wurde eigentlich erst nach seinem Tod sichtbar. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die USA-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime starb, hinterliess er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern ein starkes Führungskollektiv und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten. Bis heute ist sein Vermächtnis eine lebendig gebliebene Triebkraft des Handelns in Vietnam. Es wurde zur Grundlage, dass die Volksmacht nicht im Sog der sozialistischen Niederlage in Europa unterging, sondern auf diesem Weg fortschreitet und seit 2001 sogar mit jährlichen Wachstumsraten zwischen sieben und acht Prozent in Südostasien beispiellose Aufbauleistungen vollbringt.

Ho Chi Minh, auf Vietnamesisch «der weise Gewordene», ist das bekannteste von mehreren seiner Pseudonyme. Er führte es seit den dreissiger Jahren und behielt es bis zu seinem Lebensende. Am 19. Mai 1890 als Sohn eines Büffelhirten geboren, arbeitete er von 1913 bis 1919 als Schiffskoch, Matrose und Transportarbeiter auf französischen und britischen Schiffen, lebte einige Zeit in Grossbritannien und hielt sich mehrfach in den USA auf, wo er sich auch als Tellerwäscher durchschlug. Nach Frankreich übersiedelt, war er als Fotograf tätig, verrichtete Gelegenheitsarbeiten und schrieb er für die «Humanité» und die CGT-Zeitung «La Vie ouvrière» vor allem Beiträge zum antikolonialen Widerstand. Er lernte den Enkel von Karl Marx, Jean Longuet, kennen, in dessen Zeitung «Populaire» er ebenfalls publizierte. Bald gründete er eine eigene Zeitung, das Wochenblatt «Le Paria», in dem er scharf die französische Kolonialpolitik attackierte. Die auch in Indochina verbreitete Zeitung widmete sich gleichzeitig der sozialistischen Bildungsarbeit. Aufsehen erregte Ho, als er der Versailler Friedenskonferenz ein Memorandum mit der Forderung übergab, den Völkern Indochinas die Unabhängigkeit zu gewähren.

Inzwischen Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei geworden, nimmt er 1924 in Moskau am V. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KI) teil. In seiner Rede zur kolonialen Frage fordert er von den kommunistischen Parteien der «Mutterländer», die Volksmassen der kolonial unterdrückten Völker in ihren eigenen antiimperialistischen Kampf einzubeziehen. In Moskau studiert und lehrt er gleichzeitig an der Universität der Völker des Ostens. In der KI wird er Mitglied der Bauerninternationale und der Asiensektion und Leiter ihrer Südostasienabteilung. Sein Hauptaugenmerk gilt der Schaffung einer kommunistischen Partei in Vietnam. Er arbeitet, wie es seine Art war, im Stillen, lässt seine Ideen reifen und hebt sich abzeichnende Erfolge nicht hervor, was wohl dazu beitrug, dass er von den grossen Auseinandersetzungen in der kommunistischen Weltorganisation nicht erfasst wurde.

Während er sich 1925 in China aufhält bildet er in Kanton mit vietnamesischen Emigranten die Liga der Revolutionären Jugend Vietnams, die zum wichtigsten Vorläufer der KPV wird.

1926 skizziert er in der Schrift «Der revolutionäre Weg» in seiner für das Volk leicht verständlichen Sprache Grundfragen des nationalen Befreiungskampfes und die Notwendigkeit, dazu eine revolutionäre Partei zu schaffen. Nach mühevoller Arbeit erreicht Ho am 3. Februar 1930, dass in Hongkong Vertreter von drei kommunistischen Organisationen Vietnams bzw. Indochinas die Vereinigung zu einer einheitlichen KP beschliessen: Die Organisation nennt sich zunächst Kommunistische Partei Vietnams (KPV). Um ihre Zuständigkeit für den nationalen Befreiungskampf in ganz Indochina zu betonen, nennt sich die KPV ab Oktober 1930 Kommunistische Partei Indochinas.

Nach der Teilnahme am VII. Weltkongress der KI kehrt Ho 1938 nach China und dann nach Vietnam zurück. 1941 leitet er die Gründung der Unabhängigkeitsfront Viet Minh. Das Guomindang-Regime unter Tschiang kai-Tscheck, das die nationale Befreiungsbewegung Vietnams unter seine Kontrolle bringen wollte, verfolgte viele Vietnamesen und verhaftete Ho Ende 1941, als er in China weilte. Ende 1943 gelang ihm die Flucht und er kehrte nach Vietnam zurück, wo unter seiner Leitung der bewaffnete Befreiungskampf vorbereitet wird, der zum Sieg der Augustrevolution 1945 führt. Am 2. September ruft er den unabhängigen vietnamesischen Nationalstaat, die Demokratische Republik Vietnam, aus. Die neuen Kampfbedingungen führen zum Entstehen eigener Befreiungsorganisationen bzw. Parteien in Laos und Kambodscha. Die KPI konstituiert sich deshalb am 19. Februar 1951 auf dem II. Parteitag als Partei der Werktätigen Vietnams, zu deren Vorsitzenden Ho Chi Minh gewählt wird.

Ho zeichnete sich durch revolutionäre Geduld aus und verstand, die Kräfteverhältnisse real einzuschätzen, darunter auch die internationalen Faktoren. In den Auseinandersetzungen mit Frankreich nach der Gründung der DRV ging er bis an die Grenze der Kompromissbereitschaft und war sogar bereit, den unabhängigen vietnamesischen Staat in der Französischen Union zu belassen. Als die USA die Genfer Indochina-Abkommen von 1954 wie einen Fetzen Papier zerrissen, Südvietnam okkupierten und mit dem Angriff auf den Norden drohten, wollte ein starke Strömung in der Partei den bewaffneten Kampf im Süden sofort wieder aufnahmen. Ho mahnte zu Geduld und zum Abwarten.

Wenn in Vietnam heute mehr als 60 nationale Minderheiten, die 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gleichberechtigt in die Gesellschaft integriert sind, hat Ho auch dazu entscheidende Grundlagen geschaffen. Die Kolonialmacht hatte die Minderheiten gegeneinander aufgewiegelt und aus einzelnen Stämmen einheimische Spezialtruppen zum Kampf gegen die Befreiungsbewegung formiert. Die USA setzten diese Praxis fort und bildeten vor allem in Laos unter den Meo eine Division gegen die Laotische Befreiungsfront. In Vietnam gelang es der Viet Minh, viele Angehörige der Bergvölker für ihren Kampf zu gewinnen. Ho Chi Minh bewies, dass es sich dabei um kein Zweckbündnis gehandelt hatte, sondern ihm und seiner Partei die Völkerfreundschaft auf nationaler Ebene eine Herzensangelegenheit war.

Bei der Regierung der DRV schuf er ein Komitee der nationalen Minderheiten, dessen Vorsitzender Mitglied des Kabinetts war. Auf seine Initiative beschloss die Nationalversammlung nach 1954 in Nordvietnam 15 autonome Zonen der Minderheiten zu schaffen, die über eigene Bildungseinrichtungen verfügten. Ein Stammesführer wurde General und Mitglied des Politbüros, zahlreiche weitere Angehörige der Minderheiten hatte hohe Funktionen im Staatsapparat und in der Volksarmee inne. Ihre Angehörigen konnten an allen Schulen und Universitäten studieren. Ho sorgte dafür, dass die Politik gegenüber den Bergvölkern mit Geduld und Überzeugung verwirklicht wurde. Davon zeugte beispielsweise, dass erst 1960 die Polygamie aufgehoben wurde.

Wo immer es erforderlich wurde, trat Ho chi Minh Fehlentscheidungen entgegen. Während der Bodenreform, die nach dem Sieg in Dien Bien Phu im Norden realisiert wurde, gab es Überspitzungen. Grossbauern wurden wie Grossgrundbesitzer enteignet, manchmal auch als offene Feinde behandelt. Er korrigierte diese Abweichungen. Er setzte Funktionäre, die nicht seinen ehernen moralischen Vorstellungen entsprachen ab, aber sie verschwanden nicht in der Versenkung, konnten sich bewähren und neue Aufgaben übernehmen. Parteisäuberungen, denen unschuldige Genossen zum Opfer fielen, gab es nicht.


Die Autoren arbeiteten von 1967 bis 1970 als Journalisten in Vietnam, Laos und Kambodscha. Sie schrieben das Buch «Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam». Pahl Rugenstein Bonn, 2005. Gerhard Feldbauer ferner «Die nationale Befreiungsrevolution Vietnams», Pahl Rugenstein 2007.

Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Zu dem Buch «Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam» finden Sie eine Rezension der Schattenblick-Redaktion unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Buch -> Sachbuch


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Quelle:
Unsere Welt Nr. 4, September 2009
Zeitung der Schweizerischen Friedensbewegung (SFB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2009