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BUCHTIP/039: Vom Geben und Nehmen (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 25.07.2012

Vom Geben und Nehmen



Wer gibt empfängt - z. B. Lob, Dankbarkeit, Gegengeschenke und nicht zuletzt ein Bild des Anderen als sein Gegenüber, wie auch umgekehrt die eigene Gabe ein solches Bild dem Anderen vermittelt. Kürzlich als Buch erschienen ist die umfangreiche Dissertationsschrift "Einander zu erkennen geben. Das Selbst zwischen Erkenntnis und Gabe" von Dr. Katharina Bauer, für die sie mit dem "Preis an Studierende 2011" der Ruhr-Universität ausgezeichnet wurde. Darin beschäftigt sie sich mit dem Phänomen der Gabe, über das aktuell in verschiedenen Bereichen der Philosophie, Theologie, Ethnologie, Soziologie und auch in der Ökonomie diskutiert wird.


Gaben als Mittler zwischen Personen

Eine Gabe lässt sich zunächst als ein soziales Phänomen betrachten: Jemand hält etwas in der Hand, er streckt seine Hand aus zur Hand des Anderen und legt den Gegenstand in diese Hand. Vollzogen wird eine Handlung zwischen Menschen. Der Austausch von Gaben wird in der Debatte einerseits als Vorstufe oder Grundelement ökonomischer Prozesse betrachtet, andererseits aber auch als Geschenk, Kulturgabe oder Opfergabe, in denen die Regeln der Reziprozität und der ökonomische Kreislauf überschritten werden. Es wird mehr gegeben, und zwar nicht nur quantitativ. Vielmehr wird in solchen Gabeakten auch etwas symbolisiert oder zu erkennen gegeben: die Bindung, die zwischen ihren Akteuren, zwischen den gebenden und empfangenden Personen hergestellt wird sowie auch zu den Gegenständen, mit denen sie umgehen. Die Strukturen von Geben, Nehmen und Erwidern bilden elementare Formen unserer Interaktionen und unserer Fähigkeit, uns auf etwas (die gegebene Sache) und zugleich auch auf jemanden zu beziehen.


In der Auseinandersetzung mit der Französischen Phänomenologie

Katharina Bauer analysiert diese Phänomene an den Denkwegen der zeitgenössischen französischen Philosophen Paul Ric?"ur, Jacques Derrida und Jean-Luc Marion. Sie diskutiert darin die Fragestellung, ob sich im Nachdenken über das, was wir als Gabe verstehen, ein spezifischer Zugang dazu finden lässt, wie wir uns selbst in unserer Bezogenheit auf andere, auf etwas, auf uns selbst und auf diese Beziehungen verstehen. Ihr Leitfaden ist die Formulierung einander zu erkennen geben. Was kommt zum Ausdruck, wenn wir in einer Terminologie des Gebens und Nehmens beschreiben, wie wir das "Gegebene", uns selbst und einander erkennen und diese Erkenntnisse weitervermitteln? Inwiefern lässt sich die Philosophie als Vollzug eines Einander-zu-erkennen-Gebens bestimmen, also nicht als ein Erkennbar-Machen, sondern als Prozess eines fortgesetzten Wechselspiels von Entgegennahme und Weitergabe und als Anstoß und Aufgabe, selbst in immer neue Erkenntnisprozesse einzutreten?


Wechselspiel

Das Buch "Einander zu erkennen geben" lässt sich als eine Einführung in die Diskussion über die Gabe und als ein Einblick in das Denken Paul Ric?"urs, Jacques Derridas und Jean-Luc Marions lesen. Zugleich bietet es eine eigenständige Antwort auf die Frage, wie wir uns selbst verstehen und zueinander und zur Welt in Beziehung setzen. Darin entwickelt Dr. Bauer die Idee, dass sich das richtige Entgegennehmen der Gegebenheiten der Welt und die Entfaltung der Erkenntnis stets in einem Wechselspiel des Gebens und Nehmens vollziehen. Personen wechseln in diesem Austausch von Erkenntnissen und anderen Gaben zwischen einer aktiven und einer passiven Rolle als Geber und Empfänger und sind fähig und frei, ihre Rollen und Perspektiven auszutauschen. Zugleich bewahren und symbolisieren sie jedoch die Unaustauschbarkeit ihrer Identität und erkennen diese wechselseitig an.


Titelaufnahme

Katharina Bauer: "Einander zu erkennen geben. Das Selbst zwischen Erkenntnis und Gabe". Alber Verlag, Freiburg, München 2012, ISBN 978-3-495-48486-9

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution2

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 25.07.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2012