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PROFIL/020: Aufgehender Stern - Franz Huber philosophiert mit mathematischen Mitteln (DFG)


forschung 1/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Aufgehender Stern

Franz Huber philosophiert mit mathematischen Mitteln

Von Rembert Unterstell


Wer das Stichwort "Philosophie des Abendlandes" hört, mag einiges damit verbinden - vielleicht Diogenes in der Tonne, erste und letzte Fragen, sicher Tiefsinn im Denken, gepaart mit intellektueller Entdeckerlust. Das "Interesse an der Existenz- und Kontinentalphilosophie" verlockte auch den jungen Franz Huber zu einem Philosophiestudium an der Universität Salzburg. Dort lernte er die philosophische Logik kennen, wie er im nachklingenden Idiom des gebürtigen Oberösterreichers erzählt, die ihn begeisterte und die er als "faszinierende Denkschule für Wissenschaft und Alltag" anpreist.

Über die Logik fand er den Zugang zur formal-wissenschaftlichen Philosophie - ein Zweig der analytischen Philosophie -, die mit mathematischen Mitteln philosophischen Fragen nachgeht. Schnell, zielstrebig und produktiv machte der Nachwuchsforscher im Feld der Wissenschaftsphilosophie und der Erkenntnistheorie auf sich aufmerksam. Heute, gerade 32-jährig, ist Huber ein aufgehender Stern am analytischen Philosophenhimmel. Dergleichen würde dem Emmy Noether- Nachwuchsgruppenleiter, der beim Interview leger mit offenem Hemd und übergeschlagenen Beinen in seinem Bürostuhl sitzt, nicht über die Lippen kommen. Zurückhaltend spricht er davon, dass "seine philosophischen Arbeiten in internationalen Kontexten" bekannter seien als hierzulande.

Wissenschaftsphilosophie und Erkenntnistheorie - von Außenstehenden als Kopfgeburten aus dem Elfenbeinturm beargwöhnt - versuchen aufzuklären, wie Wissen zustande kommt, was dieses ausmacht und wie begründet (oder unbegründet) Erkenntnisprozesse sind. Für Franz Huber birgt das wissenschaftsphilosophische Nachdenken auf mathematischen Erkenntniswegen Mehrwert. Das stellte er bereits in seiner Dissertation "zum Bestätigungsproblem" unter Beweis. Mit der Studie "Assessing Theories. The Problem of a Quantitative Theory of Confirmation" wurde der damals 25-Jährige 2002 in Erfurt promoviert. Die Kernthese: Die Güte und der Wert ("assessment") einer wissenschaftlichen Theorie liegen im "jeweiligen Gleichgewicht zwischen hinreichender Informativität und nachweisbarer Plausibilität/Wahrscheinlichkeit". Für einen aus dieser Studie hervorgegangenen Aufsatz erhielt Huber den renommierten Wolfgang-Stegmüller-Preis.

Diese Auszeichnung sowie spätere Erfolge verdankt der Nachwuchsforscher, Jahrgang 1977, auch einem bemerkenswert zielstrebigen und folgerichtigen akademischen Lebenslauf. Nach dem Studium der Philosophie, der Deutschen Philologie, der Allgemeinen Sprachwissenschaft und der Mathematik an der Universität Salzburg und seiner Promotion wurde er Stipendiat in der vom Sofja Kovalevskaja-Preisträger Professor Luc Bovens geleiteten Forschungsgruppe "Philosophy, Probability and Modeling" an der Universität Konstanz. "Eine wichtige Zeit, der ich viel verdanke", bilanziert Huber und berichtet von dem inspirierenden Miteinander in einem großen Team mit allein zehn Postdoktoranden aus aller Welt.

2005 gelang Huber als Ahmanson Postdoctoral Instructor in Philosophy der Sprung an das California Institute of Technology in Pasadena. Zurück in Deutschland, wurde er im Januar 2008 Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Formal Epistemology", angesiedelt am Zukunftskolleg und dem Fachbereich Philosophie der Universität Konstanz. Doch bevor seine Arbeitsgruppe mit drei Doktoranden Fahrt aufnehmen konnte, vertrat er den Konstanzer Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie von Professor Wolfgang Spohn. Die akademische Lehre, "verstanden als Möglichkeit zur philosophischen Interaktion", ist Huber ein Anliegen.

In seiner Nachwuchsgruppe steht die Grundlagenforschung im Vordergrund. Philosophische Einsicht mit mathematischer Präzision zu erzielen - darum geht es Huber, wenn er Fragen im Zusammenhang mit dem Wissensbegriff aufgreift, ausgehend von der dreiteiligen Definition von Wissen als wahrem und gerechtfertigtem Glauben. So sollen Zentralbegriffe wie "Wissen", "Glauben", "Glaubensgrade" und "Rechtfertigung" neu ausgelotet werden - ein hoch ambitioniertes Vorhaben.

Huber spricht dem kreativen Potenzial der formalen Erkenntnistheorie das Wort, weil sie auch den interdisziplinären Brückenschlag erlaube, beispielsweise zu Fragen der künstlichen Intelligenzforschung. Diese Sichtweise hat sich die hoch renommierte "Stanford Encyclopedia of Philosophy" zu eigen gemacht, als sie Franz Huber zu dem einschlägigen Enzyklopädiebeitrag (http://plato.stanford.edu/entries/formal-belief) einlud - auch hier zeigt sich der Nachwuchswissenschaftler als aufgehender Stern seines Faches.


Dr. Rembert Unterstell ist Chef vom Dienst der "forschung".


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Quelle:
forschung 1/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2010