Schattenblick →INFOPOOL →GESELLSCHAFTEN → STIFTUNGEN

HEINRICH BÖLL STIFTUNG/232: Iran-Report Nr. 7 - Juli 2009


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 7 - Juli 2009


Mit dem iran-report stellt die Heinrich-Böll-Stiftung der interessierten Öffentlichkeit eine Zusammenfassung ihrer kontinuierlichen Beobachtung relevanter Ereignisse in Iran zur Verfügung.

Nach der von der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 veranstalteten Berlin-Konferenz und verstärkt infolge der Anschläge am 11. September stellen die Entwicklungen in Iran und der Region einen zentralen Arbeitsschwerpunkt der Stiftung dar.

Der iran-report erscheint monatlich (Nr. 08/2009 Anfang August) und wird einem breiteren Interessentenkreis aus Politik, Wissenschaft und Medien zur Verfügung gestellt.

Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, im Juli 2009


*


Liebe Leserinnen und Leser,

aus gegebenem Anlass werden wir in dieser Ausgabe die sonst übliche Struktur des Iran-Reports ändern. Wir liefern Ihnen mit einer kommentierten Chronologie der jüngsten Ereignisse vor und nach der Präsidentschaftswahl einen Überblick und eine Zusammenfassung dessen, was Sie einzeln aus der Tagespresse entnehmen konnten.

Berlin, den 02. Juli 2009


*


Die Schlagzeilen:

Terroranschläge im Vorfeld der Wahl
Die heiße Phase des Wahlkampfs
Chatamai contra Ahmadinedschad
Ahmadinedschad droht mit Veröffentlichung interner Unterlagen
Moderner Wahlkampf
Frauen im Wahlkampf
Fernsehduelle
Ahmadinedschad verteidigt seine Äußerungen zum Holocaust
Widersprüchliches aus Israel zum möglichen Iran-Angriff
Rafsandschani warnt vor den Folgen der Äußerungen Ahmadinedschads
Der Ton im Wahlkampf wurde ruppiger
IAEA: Iran besitzt bereits 1 300 Kilo schwach angereichertes Uran
Italien lud Iran zu G8-Außenministertreffen ein
Chamenei: Arabische Welt hasst die USA
800 iranische Künstler gaben Wahlempfehlung für Mussavi
Der Wahltag
Journalisten kritisieren Wahlberichte in Iran
Obama: Wechsel in Beziehungen zu Iran möglich
Das Wahlergebnis
Erste Reaktionen aus dem Ausland
Wahlbetrug als Ausweg
Doppelstrategie der Staatsführung
Die Macht zeigt Zähne
Obama verschärft den Ton
Vorläufige Bilanz der Protestbewegung

*


Terroranschläge im Vorfeld der Wahl

Schon Ende Mai deuteten einige Ereignisse darauf hin, dass Iran unruhige Zeiten bevorstehen. Am 28. Mai wurden bei einem Bombenanschlag auf eine Moschee in der südiranischen Stadt Zahedan 25 Menschen getötet und rund 150 Personen verletzt. Zahedan ist die Hauptstadt von Sistan-Balutschistan und liegt nahe der Grenze zu Afghanistan und Pakistan.

Einen Tag später wurde in derselben Stadt auf das Büro von Präsident Ahmadinedschad ein Anschlag verübt. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur IRNA eröffneten drei bewaffnete Männer das Feuer auf das Büro und verletzten drei Personen. Dabei handelte es sich den Angaben zufolge um zwei Mitarbeiter des Wahlkampfbüros und ein Kind. Die Schützen seien kurz nach dem Vorfall festgenommen worden, hieß es. Teheran machte die USA und Israel für die Anschläge verantwortlich.

Am 30 Mai verurteilten die USA den Anschlag. Der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, erklärte, das amerikanische Volk sende den Opfern und ihren Familien seine tiefe Anteilnahme. Nichts könne Terrorismus rechtfertigen. Die USA verurteilten ihn in jeder Form, in jedem Land, egal gegen welches Volk.

Zwei Tage nach dem Bombenanschlag auf die Moschee wurden drei Männer gehängt. Sie sollen den Sprengstoff für die Bluttat aus dem benachbarten Ausland geschmuggelt haben. IRNA zufolge wurden zwei weitere Tatverdächtige festgenommen.

Nach Angaben staatlicher Medien übernahm die sunnitische Extremistenorganisation Jundullah die Verantwortung für die Bluttat. Nach offizieller Meinung wurde die Terrororganisation von den USA und von Großbritannien unterstützt und zu Anschlägen ermuntert, um in der Zeit des Wahlkampfs Unsicherheit unter der Bevölkerung zu verbreiten.

Die Organisation hatte bereits früher immer wieder in dieser Region Anschläge verübt. Washington wies die Vorwürfe zurück. Die Gegend um Zahedan gilt auch als Haupt-Transitroute für Drogenhändler, die Rauschgift aus Afghanistan und Pakistan nach Europa bringen wollen.

Am 31. Mai wurde an Bord einer iranischen Passagiermaschine kurz nach dem Start eine Bombe entdeckt. Die Maschine mit Flugziel Teheran habe daraufhin sofort umgedreht und sei wieder auf dem Flughafen Ahwas in der Provinz Chusestan im Südwesten des Iran gelandet, berichtete die Teheraner Nachrichtenagentur Mehr. Sicherheitskräften sei es dort gelungen, die Bombe zu entschärfen. Im staatlichen Fernsehen IRIB wurde ein Sprecher der Luftfahrtagentur mit den Worten zitiert, ein "terroristischer" Anschlag sei vereitelt worden.

Am 1. Juni ereignete sich ein weiterer Anschlag in Zahedan, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Bei den Getöteten handelte es sich um Angestellte einer Bank, berichtete der Fernsehsender Press TV Network auf seiner Internetseite. Die Polizei teilte mit, dass mehrere "Schurken", die in die jüngsten Unruhen verwickelt waren, festgenommen worden seien, machte jedoch keine weiteren konkreten Angaben.


Die heiße Phase des Wahlkampfs

Die heiße Phase des Wahlkampfs begann mit einer Erklärung des "Zentrums für strategische Forschung", in der Präsident Ahmadinedschad scharf angegriffen und bezichtigt wurde, die Öffentlichkeit durch Verbreitung falscher bzw. entstellter Tatsachen in die Irre geführt zu haben. Das Zentrum ist dem Schlichtungsrat untergeordnet und wird von Hassan Rowhani geleitet. Rowhani war eine zeitlang Chef des Nationalen Sicherheitsrats und Verhandlungsführer im Atomkonflikt.

In der Erklärung kritisierte das Institut den Staatspräsidenten, der sich zu Beginn des Wahlkampfs selbst als "Nationalheld" dargestellt hatte, der die Interessen Irans bei der Entwicklung der Atomindustrie vorangetrieben und im Streit mit den USA und den EU-Staaten erfolgreich durchgesetzt habe.

Damit versuche Ahmadinedschad nicht nur die Vorgängerregierungen zu denunzieren, sondern auch von den selbst verursachten Problemen wie Inflation, Arbeitslosigkeit, Anstieg der Importe und Mangel an Investitionen abzulenken. Der Präsident wolle die Unfähigkeit seiner Regierung in den Bereichen Außen- und Innenpolitik und Wirtschaft durch Unwahrheiten vertuschen, so das Institut.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Islamischen Republik, dass es sich eine staatliche Institution erlaubte derart scharf den Staatspräsidenten unter Beschuss zu nehmen.

Mit der Erklärung reagierte Rowhani auf Äußerungen Ahmadinedschads, der die Vereinbarung seines Vorgängers Mohammad Chatami mit den drei EU-Ländern Deutschland, Frankreich Großbritannien als "nationale Schande" bezeichnet. Die Regierung Chatamis, vertreten durch Rowhani, hatte 2003 im Teheraner Palast Saadabad mit den drei Staaten vereinbart, die Urananreicherung für die Dauer der Verhandlungen auszusetzen. Bemerkenswert ist, dass diese Vereinbarung auch von Revolutionsführer Ali Chamenei abgesegnet und als eine "kluge politische Entscheidung" gelobt worden war.

In der Erklärung des Zentrums heißt es, die heutigen Errungenschaften Irans seien das Ergebnis einer Atompolitik und eines Atomprogramms, mit denen man bereits vor 25 Jahren begonnen habe und die von sämtlichen Regierungen weiterentwickelt worden seien. Der ehemalige Präsident Mir Hossein Mussavi habe die ersten Grundsteine für den Aufbau einer Atomindustrie gelegt und die nachfolgenden Regierungen hätten ihn unermüdlich fortgeführt. Und nun wolle sich Ahmadinedschad mit den Früchten dieser Aktivitäten schmücken. Diese Vorgehensweise sei unlauter und diene der Ablenkung von wichtigen hausgemachten Problemen, mit denen das Land zu ringen habe.

Die Äußerungen Ahmadinedschads und die Reaktion Rowhanis machten die Atompolitik und damit insgesamt die Außenpolitik zu einem der Hauptthemen des Wahlkampfs.


Chatami contra Ahmadinedschad

Auch der frühere Staatspräsident Mohammad Chatami wehrte sich gegen die Äußerungen Ahmadinedschads und ging zum Gegenangriff über. "Wie schmerzlich ist es, zu sehen, dass eine Regierung mühsam das Ziel erreicht, den Bedarf an Getreide durch die Inlandsproduktion zu decken, während die Nachfolgeregierung innerhalb von drei Jahren acht Millionen Tonnen Getreide einführt. Die Menschen erwarten, dass die Regierung durch Investitionen die Produktion erhöht und Arbeitsplätze schafft, sie wollen keine Almosen", sagte Chatami am 31. Mai. In Anspielung auf seine eigene Außenpolitik, die auf Dialog der Kulturen beruhte, sagte Chatami: "Was für ein himmelweiter Unterschied zwischen zwei Ereignissen, mit denen sich die Versammlung der Staatengemeinschaft beschäftigt hat: Einmal stimmte man dem Vorschlag Irans zu, den Dialog der Kulturen als eine der Hauptaufgaben der Vereinten Nationen zu definieren und ein anderes Mal kam man zusammen, um Iran wegen der Leugnung des Holocaust zu verurteilen."

Chatami, der zugunsten von Mussavi seine Kandidatur zurückgezogen hatte, erklärte, er werde für Mussavi stimmen, "denn Mussavi ist jemand, der die Interessen des Landes, die Rechte der Bürger und ihre Freiheit am besten verteidigen kann". Iran brauche einen Staatspräsidenten, der in der Lage sei, die materiellen und geistigen Ressourcen des Landes für Fortschritt, Wohlstand und Gerechtigkeit einzusetzen. Gerechtigkeit habe nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung, sie müsse auch in Bezug auf politische Freiheit und freie Meinungsäußerung zur Geltung kommen.


Ahmadinedschad drohte mit Veröffentlichung interner Unterlagen

Der Ton der Kontrahenten verschärfte sich von Tag zu Tag. Am 1. Juni drohte Ahmadinedschad mit der Veröffentlichung interner Unterlagen über frühere Regierungen. Damit reagierte er auf Vorwürfe seiner drei Gegenkandidaten, er habe Iran mit seiner unbeugsamen Haltung gegenüber der internationalen Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch Schaden zugefügt. "Im Interesse der ganzen Nation" werde er Dokumente über Korruption und Vetternwirtschaft in der Vergangenheit offen legen, sagte Ahmadinedschad.

Als Zeitpunkt habe er die Fernsehdebatten mit seinen Herausforderern ausgewählt, zitierte IRNA den Präsidenten. Die Unterlagen gehen demnach bis Anfang der 1980er Jahre zurück. Ahmadinedschads wichtigster Gegenkandidat Mussavi war von 1981 bis 1989 Ministerpräsident. Ahmadinedschad hatte zuvor in seinem Blog erklärt, seine Rivalen würden von "gierigen Despoten und Finanz-Opportunisten" unterstützt.


Moderner Wahlkampf

Da die iranischen Medien nahezu ausschließlich von den Ultrarechten bzw. von der Regierung monopolisiert worden sind, standen den Reformkandidaten vorwiegend Internet, SMS und Telefon zum Wahlkampf zur Verfügung. Davon machten sie massiv Gebrauch, was dazu führte, dass innerhalb weniger Tage Millionen, vor allem Jugendliche, mobilisiert werden konnten. Nur dadurch ist zu erklären, dass zum Beispiel Mir Hossein Mussavi, der zwanzig Jahre lange öffentlich nicht aufgetreten und damit insbesondere für die Jüngeren völlig unbekannt war, mit einem Schlag Berühmtheit erlangte. Zudem führte er auch sonst einen modernen Wahlkampf.

Ein wenig hatte man den Eindruck als imitiere er den US-Präsidenten Barack Obama. Slogans wie "yes we can" oder "change" tauchten ständig in persischer Übersetzung auf. Er präsentierte sich als Verfechter eines Wechsels, versprach eine neue Epoche, redete von Freiheit, Gleichberechtigung, Aufhebung der Zensur, Auflösung der Sittenpolizei und dergleichen mehr und wurde von den Massen umjubelt. Auch seine Frau, die ihn überall begleitete, spielte eine große Rolle, was auch die anderen Kandidaten zum Nachahmen veranlasste.


Frauen im Wahlkampf

Wer hätte sich bis dahin vorstellen können, dass in der Islamischen Republik Iran beim Wahlkampf um das Amt des Präsidenten Frauen an vorderster Front stehen, sowohl thematisch als auch personell. Zwar hatte der Wächterrat wie bei den Präsidentschaftswahlen davor die Bewerbungen sämtlicher Frauen als "für das Amt nicht geeignet" zurückgewiesen. Doch das hinderte die Frauen nicht daran, sich weit aktiver als je zuvor am Wahlkampf zu beteiligen, allen voran zwei Frauen, deren Männer als Kandidaten akzeptiert worden waren.

Zahra Rahnaward, die Frau von Mir Hossein Mussavi, des wichtigsten Herausforderers des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, gelang innerhalb weniger Wochen, Hunderttausende, vor allem Frauen und Jugendliche, zugunsten ihres Mannes zu mobilisieren.

Die 58-jährige Kunst-Professorin war bei jeder Wahlveranstaltung ihres Mannes dabei, Hand in Hand betrat das Ehepaar die Bühne und nicht er, sondern sie hielt zunächst eine flammende Rede. Zwar trug sie einen schwarzen Schleier, zeigte aber demonstrativ das bunte Tuch und Kleid, das sie darunter trug.

Wie ihr Mann forderte sie einen politischen Wandel, sagte aber weit klarer und konkreter als er, was damit gemeint ist, am deutlichsten in Bezug auf Frauenpolitik. Die Benachteiligungen, die die Frauen auf allen Ebenen, in der Familie, beim Erbrecht, Sorgerecht, Scheidungsrecht, kurz durch das gesamte Rechtssystem hinnehmen müssen, seien mit den Grundsätzen des Islam unvereinbar, sagte sie. Daher müssten die Gesetze neu geschrieben und einer modernen Rechtssprechung, die auf Gleichberechtigung basiert, angepasst werden. Es sei nicht hinnehmbar, dass eine Frau für eine Reise ins Ausland oder eine Operation die Erlaubnis ihres Ehepartners einholen müsse. Es sei auch eine Anmaßung, wenn der Staat vorschreiben wolle, wie Frauen sich zu kleiden und welche Farben sie zu tragen hätten.

Es schien, dass der Jahrzehnte lange und mühsame Kampf der Frauen im Iran allmählich Früchte trug. Anders ist die Offenheit, mit der Rahnaward das männerdominierte islamische Recht kritisierte und Gleichberechtigung verlangte, nicht zu erklären. Ihre Popularität stieg von Tag zu Tag. Der Beifall, den ihr vor allem Jugendliche und Frauen spendeten, wurde immer lauter. Auch Fatemeh Karrubi, die Frau des Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karrubi, gehörte zu den aktivsten Unterstützerinnen ihres Mannes im Wahlkampf.

Die 63-jährige war unter Präsident Mohammad Chatami Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales. Zurzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Irandocht" und Leiterin der "Versammlung islamischer Frauen". Auch sie kritisierte die Benachteiligung der Frauen. Sollte ihr Mann die Wahl gewinnen, werde er auch einige Frauen in sein Kabinett aufnehmen, sagte sie. Frauen bildeten die Hälfte der Gesellschaft und müssten entsprechend an der Staatsmacht beteiligt werden.

Genauso wie für die Rechte der Frauen traten Rahnaward und Karrubi auch für die Bürgerrechte ein. Alle Gesetze und Maßnahmen, die die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Publikation oder künstlerischen Entfaltung einschränken, müssten aufgehoben wer den, forderte Rahnaward, die selbst künstlerisch aktiv ist und zahlreiche Bücher publiziert hat.

Die auffällige Präsenz der beiden Frauen und zehntausender ihrer Anhängerinnen führte dazu, dass sich auch die beiden anderen Kandidaten Mohsen Resai und Mahmud Ahmadinedschad öffentlich mit ihren Frauen zeigten. Masumeh Chadang, die Frau von Resai, begleitete ihren Mann auf seiner letzten Wahlkampftour in die Provinz und die Frau von Ahmadinedschad, Azam al Sadat Farahi, die in der vierjährigen Amtszeit des Präsidenten nur zweimal zu sehen war, durfte kürzlich an einer Wahlveranstaltung teilnehmen.


Fernsehduelle

Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik durften die Kontrahenten miteinander im Fernsehen debattieren, immer abwechselnd zu zweit. Am aufschlussreichsten war das Fernsehduell zwischen Ahmadinedschad und Mussavi am 4. Juni.

Zunächst beklagte sich Ahmadinedschad über eine Kampagne, die seine Gegner organisiert hätten, mit der sie ihn denunziert und als Lügner dargestellt hätten. Es sei nicht nur Mussavi, den er als Gegner habe, sondern auch Haschemi Rafsandschani und Mohammad Chatami seien im Hintergrund gegen ihn aktiv, sagte Ahmadinedschad. Rafsandschani habe dem König eines arabischen Landes gesagt, er solle beruhigt sein, denn die Regierung Ahmadinedschad werde bald stürzen. Dies zeige wie groß die Kampagne gegen ihn sei.

Mussavi erwiderte, Rafsandschani und Chatami seien angesehene Persönlichkeiten und sollten die Gelegenheit erhalten im Fernsehen selbst auf die Vorwürfe zu reagieren. Er selbst habe nur kandidiert, weil die Regierung große Fehler gemacht habe, die für das Land äußerst gefährlich seien. Er sei gekommen, um zu retten, was es zu retten gibt. "Man kann sich zwei Arten der Regierungsführung vorstellten", sagte Mussavi. "Erstens eine Führung, die auf Abenteuern basiert, unbeständig ist, sich theatralisch präsentiert, eine Führung, die die Rolle eines Helden spielen will, den Menschen etwas vorgaukelt, wichtige Informationen verheimlicht, die Gesetze missachtet, nur an der Oberfläche agiert und von einem Extrem in das andere fällt."

Demgegenüber stehe eine Führung, die von der Realität ausgehe, offen und ehrlich handle, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Teamarbeit stütze und einen gemäßigten Weg kontinuierlich beschreite. Die erste Art der Regierungsführung sei für das Land äußerst gefährlich.

Zur Außenpolitik der Regierung Ahmadinedschad sagte Mussavi, sie bestehe aus lauter Parolen, die utopisch und fern der Realität seien. Zum Beispiel wurde der Untergang der USA vorausgesagt oder behauptet, Iran sei in der Lage, die Führung der Welt zu übernehmen.

Mussavi erwähnte auch den Fall der britischen Marine-Soldaten, die man zunächst als Spione bezeichnet und die Todesstrafe für sie gefordert habe, dann habe die kleinste Warnung aus London ausgereicht, um die Soldaten freizulassen. Sie seien sogar vom Regierungschef persönlich bei der Ausreise verabschiedet worden. Mussavi fügte weitere Beispiele hinzu und sagte, seiner Auffassung nach habe die Regierung Ahmadinedschad "die nationale Würde der Menschen in unserem Land verletzt und das ganze Land blamiert". Zu den Äußerungen Ahmadinedschads über den Holocaust sagte Mussavi, diese hätten dazu geführt, dass der iranische Staatspräsident beleidigt worden sei und zudem Israel von den Attacken profitiert habe.

Ahmadinedschad erwiderte, die britischen Soldaten seien freigelassen worden, weil der britische Premierminister sich schriftlich für den Vorfall entschuldigt und erklärt habe, Großbritannien werde seine Politik gegenüber Iran ändern. Das Schreiben befinde sich in den Akten des Außenministeriums. Der Umgang seiner Regierung mit den Soldaten gehöre zu den "schönsten Gesten" des Regimes. "28 Jahre lang, auch während der Regierungszeit Mussavis, haben die Briten uns als menschenfeindlich, als die Menschenrechte missachtende Terroristen bezeichnet. Aber wir machten zwischen dem Volk der Briten und seiner Regierung einen Unterschied und haben die Soldaten menschlich behandelt. Das war das Beste, was wir tun konnten", sagte Ahmadinedschad. Zu den Vorwürfen gegen die Israel-Politik der Regierung meinte Ahmadinedschad, Mussavi sollte sich einmal seine eigene Äußerung als Ministerpräsident in Erinnerung rufen. Damals habe Mussavi gesagt, er werde Soldaten nach Palästina schicken, damit sie dort gemeinsam mit den Palästinensern gegen die Besatzer kämpfen. Es sei Mussavi gewesen, der die Auflösung des "zionistischen Regimes" gefordert habe. "Wir sollten uns nicht über unterschiedliche Taktiken streiten", sagte Ahmadinedschad. Er kritisierte die so genannte "Politik der Schlichtung" in der Regierungszeit Rafsandschanis und Chatamis und warf Mussavi vor, diese Politik unterstützt zu haben. Dann warf er der Regierung Chatami vor, in der Atompolitik Fehler gemacht zu haben, denen zufolge Iran zur Unterzeichnung zweier Abkommen gezwungen worden sei. Diese seien weit schädlicher gewesen als die UN-Resolutionen gegen Iran.

Mussavi erwiderte, die offizielle Position der Islamischen Republik in Bezug auf Palästina sei die Forderung nach einer freien Entscheidung der Bewohner des Landes gewesen. Die Palästinenser selbst sollten entscheiden, wie die Zukunft des Landes auszusehen habe. Doch die extreme Haltung der Regierung Ahmadinedschad habe unnötige Probleme geschaffen. Die Konsequenzen dieser Politik bekäme die iranische Bevölkerung zu spüren. Man denke an psychische und ökonomische Unsicherheiten und daran, dass eine solche Politik der technischen Entwicklung des Landes und dem Austausch mit anderen Ländern großen Schaden zufüge und dazu führe, dass Iraner in der ganzen Welt Beleidigungen hinnehmen müssten.

Statt Parolen und Attacken zu produzieren solle die Regierung sich um die eigenen Probleme kümmern, sagte Mussavi. "Schauen Sie, was Sie an unseren Universitäten und unter unserer Jugend angerichtet haben. Überall, wo ich hinkomme, höre ich nur Klagen. Dasselbe gilt für die Künstler, Schriftsteller, für die Intelligenz unseres Landes. Alle beklagen sich über die Zensur."

Ahmadinedschad warf Mussavi vor, seine Vorwürfe zeigten die Unkenntnis der Tatsachen. Die Exmatrikulation von Studenten sei während der Regierungszeit Chatamis verordnet worden. Er habe die Verordnung wieder aufgehoben. Bezüglich der Freigabe von Büchern gab Ahmadinedschad Mussavi Recht und sagte, er habe dem Kultusminister entsprechende Anweisungen erteilt. Doch insgesamt müsse er sagen, dass unter seiner Regierung weit weniger Kontrolle ausgeübt werde als unter den Vorgängerregierungen. "In Ihrer Regierungszeit gab es nur eine einzige Zeitung, die die Regierung kritisierte und ein oder zweimal kritische Artikel über die Wirtschaftspolitik schreiben dürfte. Dennoch wurde die Zeitung unter Druck gesetzt und musste schließlich selbst auf diese Stellungnahmen verzichten."

Die Tochter von Haschemi Rafsandschani, Faezeh, habe im Beisein von Chatami erklärt, dass Mussavi, sollte er die Wahl gewinnen, Rafsandschanis so genannte Politik des Aufbaus fortsetzen werde, sagte Ahmadinedschad und fügte hinzu: "Das bedeutet, dass die Politik der 'Herrschaft der Reichen', die Rafsandschani eingeführt hat, wieder errichtet werden soll. Wir haben den Eindruck, dass Rafsandschani der eigentliche Drahtzieher Ihres Wahlkampfes ist." Weiter sagte er: "Sie haben mich in Ihren Reden als Diktator bezeichnet. Dabei waren Sie es, der als Ministerpräsident seine Kompetenzen weit überschritten hat."

Mussavi erwiderte, "die Missachtung der Gesetze und der Beschlüsse des Parlaments durch Ihre Regierung führt zur Diktatur". Ahmadinedschad habe sich oft über den Willen der Volksvertretung hinweggesetzt und zum Bespiel willkürlich die Auflösung der Planungsorganisation und anderer staatlicher Institutionen angeordnet. Auch bei den Staatsausgaben habe er die Gesetze weit überschritten.

Der Ton der Debatte wurde immer schärfer, die Angriffe wurden persönlicher. "Was machen die Söhne von Herrn Rafsandschani", polemisierte Ahmadinedschad, "wer finanziert Ihren Wahlkampf?" Die Missachtung der Gesetze sei ein Vorwurf, der eher auf die Vorgänger passe, fuhr Ahmadinedschad fort. Sonst wären die Söhne der Regierenden nicht zu so einem Reichtum gekommen. "Wie konnte der Sohn von Nategh Nur (ehemaliger Parlamentspräsident) Milliardär und er selbst so reich werden?" Dann zeigte Ahmadinedschad eine Akte und sagte: "Diese Akte handelt von einer Frau, die Sie gut kennen. Sie sitzt bei Ihren Wahlveranstaltungen neben Ihnen (gemeint ist die Frau von Mussavi). Diese Frau studierte widerrechtlich während sie als staatliche Angestellte tätig war, dann hat sie ohne Prüfung den Doktortitel erhalten und wurde schließlich zum Rektor der Universität ernannt. Das sind Gesetzesübertretungen, die mir nicht gefallen. Meine Regierung hält sich mehr als alle Vorgängerregierungen an die Gesetze."

"Ich habe Sie nicht als Diktator bezeichnet", sagte Mussavi. "Aber die Tatsache, dass Sie sich über die Beschlüsse des Parlaments und des Schlichtungsrats hinwegsetzen, führt unweigerlich zur Diktatur." Mussavi warf Ahmadinedschad vor, Menschen öffentlich zu verurteilen, die von keinem Gericht verurteilt worden seien. Ein solches Verhalten sei dem Amt des Präsidenten nicht würdig. "Sie bezichtigen Menschen der Korruption, die abwesend sind und sich nicht zur Wehr setzen können."

"Sie haben schon zu Beginn Ihrer Amtsübernahme erklärt, dass Sie Tausende von Korrupten öffentlich entlarven werden", fuhr Mussavi fort. "Warum haben Sie das nicht getan?" Seine Frau habe lange Jahre ihres Lebens dem Studium gewidmet und habe stets korrekt gehandelt. Sie werde ihre Unterlagen veröffentlichen. Ahmadinedschad sei offensichtlich von seinen Mitarbeitern für diese Fernsehdebatte schlecht beraten worden. Es gehe hier um politische Auseinandersetzungen über die brennenden Probleme des Landes, während er sich bemühe Abwesende zu denunzieren.


Ahmadinedschad verteidigt seine Äußerungen zum Holocaust

Ahmadinedschad zog erneut den Massenmord an Juden in Zweifel und bezeichnete den Holocaust als "großen Betrug". Das Wesen der freiheitlichen Demokratie sei durch den Schutz "für das zionistische System" enthüllt worden, sagte er am 4. Juni in einer Rede, die das iranische Fernsehen auf seiner Internetseite veröffentlichte. Dabei sei "der große Betrug, den der Holocaust darstellt," benutzt worden. "Die liberalen Regime können nicht einmal die einfachsten politischen Probleme in der Welt lösen", sagte Ahmadinedschad in seiner Rede vor Hochschullehrern und religiösen Vertretern aus Anlass des 20. Todestages des Ayatollah Ruhollah Chomeini. Nur durch eine Rückkehr zu den "Lehren der göttlichen Propheten" könne das liberale Denken überwunden werden.


Widersprüchliches aus Israel zu möglichem Iran-Angriff

Israel hat am 4. Juni widersprüchliche Signale zu einem Angriff auf Iran gesendet. Außenminister Avigdor Lieberman sagte in Moskau, sein Land habe nicht vor, die Islamische Republik zu bombardieren. Dagegen sagte Verteidigungsminister Ehud Barak später bei einem Besuch in Washington, Israel schließe nach wie vor keine Option aus.

Experten spekulierten über einen Angriff Israels auf die Atomanlagen Irans, der wiederum einen Vergeltungsschlag Irans nach sich ziehen könnte.


Rafsandschani warnte vor den Folgen der Äußerungen Ahmadinedschads

Haschemi Rafsandschani, Vorsitzender der Expertenversammlung und des Schlichtungsrats, warnte in einem offenen Brief an Revolutionsführer Ali Chamenei vor den Folgen der denunzierenden Äußerungen Ahmadinedschads. Die Bedeutung dieses Briefs besteht darin, dass Rafsandschani sich damit offen gegen Ahmadinedschad stellt und dem Kampf der bereits gebildeten Fronten eine neue Dimension verleiht. Der Brief wurde am 9. Juni, drei Tage vor der Wahl, veröffentlicht.

Er schrieb, die Denunzierungen seiner Person erinnerten ihn an die Aktivitäten konterrevolutionärer Gruppen in den ersten Jahren nach der Revolution. Die Äußerungen des Staatspräsidenten hätten zum Ziel, von den Berichten des nationalen Rechnungshofes, in denen das Verschwinden von mehr als einer Milliarde Dollar aus der Staatskasse und zahlreiche Vergehen und Gesetzesübertretungen aufgelistet sind, abzulenken. Es sei zu bemerken, dass die Denunzierungen sich auch indirekt gegen den Revolutionsführer richten.

Denn sämtliche Entscheidungen der Vorgängerregierungen, die Ahmadinedschad kritisiere und teilweise als Schande bezeichne, seien vom Revolutionsführer mit großem Lob abgesegnet worden. Er habe einen Tag nach der Fernsehdebatte Ahmadinedschad aufgefordert, die Behauptungen gegen ihn und seine Familie sowie die gegen andere Personen öffentlich zurückzunehmen, um damit die Einschaltung der Justiz gegen ihn zu vermeiden. Auch habe er das Fernsehen gebeten, ihm die Möglichkeit zu geben, zu den Äußerungen des Präsidenten Stellung zu nehmen.

Rafsandschani betonte, dass er keinen der Kandidaten unterstützt habe und an deren Wahlprogramm nicht beteiligt gewesen sei. Er habe sich gewundert, dass der Revolutionsführer zu den Äußerungen Ahmadinedschads nicht Stellung genommen und ihn nicht zurechtgewiesen habe. Doch weder Ahmadinedschad noch das Fernsehen seien seiner Aufforderung gefolgt und offenbar habe auch der Revolutionsführer es vorgezogen, sich aus den Vorgängen herauszuhalten. Doch das Volk wolle die Wahrheit erfahren. Es habe ein Recht dazu. Rafsandschani erklärte, dass bereits im vergangenen Wahlkampf (bei dem er Ahmadinedschad unterlag) eine Rufmordkampagne gegen ihn organisiert worden sei, die er einfach ignoriert habe.

Freunde und Verwandte hätten ihn deshalb kritisiert. Er warnte, sollte die Staatsordnung weiterhin solche "hässlichen und sündhaften Denunzierungen" seiner Bürger hinnehmen und Lügen und Unterstellungen ignorieren und sollte die Justiz weiterhin darauf verzichten oder nicht dazu fähig sein, solche Gesetzesbrüche zu verfolgen, und sollte es weiterhin einem Präsidenten erlaubt werden, solche Sünden zu begehen, dann könnten Verantwortliche des Staates, die solche Vergehen dulden, schwerlich als "Gläubige des heiligen Islam" bezeichnet werden.

Zum Schluss schreibt Rafsandschani, Chamenei und er seien die einzigen engen Gefährten des Ayatollah Chomeini, die noch am Leben sind. Er erwarte von ihm, dass er gegen die "gefährlichen Verschwörungen" einschreite und "das Feuer, dessen Rauch man jetzt schon erblicken könne, zu löschen. Gebieten Sie dem Geschehen Einhalt und verhindern Sie, dass dieses Feuer im Zuge der Wahlen und danach das ganze Land in Mitleidenschaft zieht."

Es ist zu bemerken, dass dieser offene Brief nicht nur gegen Ahmadinedschad gerichtet ist, dem Rafsandschani mit gerichtlichen Konsequenzen droht, sondern auch gegen Chamenei. Er warnt ihn davor, Ahmadinedschad weiterhin zu unterstützen und sagt voraus, dass er im Falle der Nichtbeachtung dieser Warnung seine Autorität als religiöses Oberhaupt verlieren werde. Denn solche Menschen könne man schwerlich als "Gläubige des heiligen Islam" bezeichnen.

Er droht auch mit dem Feuer, das sich entfachen und das ganze Land erfassen könnte. Doch Chamenei ignorierte die Warnungen und ließ das Schreiben ohne Antwort. Er fühlte sich offenbar stark genug, um selbst der Feindschaft eines mächtigen Mannes wie Rafsandschani standhalten zu können.


Der Ton im Wahlkampf wurde ruppiger

In den letzten Tagen des Wahlkampfs, an dem sich sowohl auf der Seite Ahmadinedschads als auch auf der Seite seiner drei Rivalen Hunderttausende aktiv beteiligten, wurde der Ton zunehmend rauer. Nach dem erwähnten Fernsehduell warf die Opposition Ahmadinedschad vor, mit seinen Äußerungen "gegen die guten Sitten" verstoßen zu haben.

Am 5. Juni präsentierte Mussavis Ehefrau Sahra Rahnaward ihren Abschluss von der Universität Teheran und erklärte: "Ich frage mich wirklich, ob das Land keine anderen Probleme hat als meinen akademischen Abschluss." Sie verurteilte das Verhalten wider die guten Sitten, das gefährliche Ausmaße annehmen könnte.

Am 6. Juni legte Ahmadinedschad noch einmal nach und wiederholte seine Vorwürfe. Er beschuldigte seine Vorgänger Rafsandschani und Chatami, sie hätten eine Schmierkampagne gegen ihn aufgezogen. Es habe in Iran einen "Kreis der Regierenden" gegeben, den er vor vier Jahren durchbrochen habe. Seine beiden Vorgänger stünden als Strategen hinter Mussavi.

Unterdessen häuften sich die Zusammenstöße zwischen Anhängern des Präsidenten und dem Lager der Opposition. Laut Augenzeugen versammelten sich rund 1000 Oppositionelle zu einer Demonstration auf einem Platz in der Hauptstadt Teheran. Plötzlich marschierten auch etwa genauso viele Anhänger Ahmadinedschads auf. Nach anfänglichen verbalen Attacken sei es zu Übergriffen gekommen.

Zwei Tage vor der Wahl erklärte Ahmadinedschad, der Wahlkampf sei kein "Wettstreit mehr, sondern ein Psycho-Krieg". "Meine Opponenten wenden eine Propaganda-Taktik an, die mich an Hitler erinnert, der dachte, dass öffentliche Meinung am besten durch Verbreitung von Lügen (...) beeinflusst werden kann."

Demgegenüber warfen die drei anderen Kandidaten dem Präsidenten immer wie der vor, die Bevölkerung belogen und mit falschen Statistiken über das Ausmaß der Inflation in die Irre geführt zu haben. Sie beriefen sich auf die Angaben der Zentralbank, nach denen die Teuerungsrate im vergangenen Jahr (nach dem persischen Kalender von März 2008 bis März 2009) bei 25 Prozent lag. Nach Darstellung Ahmadinedschads ist sie in diesem Zeitraum aber auf 15 Prozent gefallen.

Ahmadinedschad drohte seinen Kritikern mit Gefängnis. Nach dem iranischen Gesetz begehe jeder, der den Präsidenten "beleidigt und der Lüge bezichtigt, eine Straftat", sagte der amtierende Präsident.

In den letzten Tagen des Wahlkampfs beherrschten Mussavis Anhänger dank moderner Kommunikationsmittel und Wahlkampftechnik die Szene. Täglich wurden zehntausende Kurztexte per SMS verschickt. Auch über Blogs sowie Facebook, Twitter und andere Internetdienste wurde zur Teilnahme an der Wahl aufgefordert. Phantasievolle Slogans wurden von Musikern vertont, ebenso wie Parolen wie "Ahmadi-bye-bye" wurden über das ganze Land verbreitet. Am 8. Juni bildeten die Anhänger Mussavis eine fast zwanzig Kilometer lange Menschenkette vom armen konservativen Süden Teherans bis zum wohlhabenden liberalen Norden. Alles deutete auf einen Sieg Mussavis.


IAEA: Iran besitzt bereits 1300 Kilo schwach angereichertes Uran

Ungeachtet einer Aufforderung des UN-Sicherheitsrats hat Iran nach Erkenntnissen der Internationalen Atombehörde (IAEA) seine Uranproduktion nicht gestoppt. Iran verfüge bereits über 1339 Kilo schwach angereichertes Uran-Hexafluorid (UF6), hieß es in einem internen IAEA-Bericht, der am 6. Juni der Nachrichtenagentur AFP vorlag. Expertenschätzungen zufolge wird zwischen 1000 und 1700 Kilogramm schwach angereichertes Uran benötigt, um die für eine Atombombe benötigte Menge hoch angereichertes Uran herzustellen.

Dem IAEA-Bericht zufolge reichert Teheran das Uran in seiner Atomanlage in Natans in mehr als 7000 Zentrifugen an. Demnach wurden dort allein zwischen November 2008 und Ende Mai dieses Jahres 500 Kilo schwach angereichertes Uran hergestellt.

Dem internen Bericht zufolge entdeckten Inspektoren der Behörde auch in einem Forschungsreaktor nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus Uran-Partikel. Wie AFP aus Kreise der Eingeweihten erfahren haben soll, ist die Art des Urans für solche Forschungs-Reaktoren üblich. Syrien wurde dem Bericht zufolge zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Indes bekräftigten die USA und Frankreich ihr striktes Nein zur Irans Atompolitik. US-Präsident Obama betonte nach einem Gespräch mit Frankreichs Präsident Sarkozy am 7. Juni in Caen an der französischen Küste, die USA seien zu einer Verbesserung der Beziehungen zu Teheran bereit, könnten aber nicht akzeptieren, dass Iran die Weiterverbreitung von Atomwaffen vorantreibe.

Sarkozy betonte, dass die "unvernünftigen Erklärungen des Präsidenten Ahmadinedschad" nicht zu akzeptieren seien. Zwar habe Iran das Recht auf "zivile Atomkraft", nicht aber auf "militärische Atomkraft". "Die USA und Frankreich gehen in dieser Frage Hand in Hand."


Italien lud Iran zu G-8-Außenministertreffen ein

Italien lud Iran zu Beratungen der G-8-Außenminister Ende Juni über die Lage in Pakistan und Afghanistan ein. Das Thema des Treffens erfordere es, Iran einzubeziehen, sagte Italiens Außenminister Franco Frattini am 5. Juni der italienischen Nachrichtenagentur Asna. Frattini hatte bereits Anfang Mai nach einem Besuch in Washington gesagt, dass US-Außenministerin Hillary Clinton einer Teilnahme Irans positiv gegenüberstehe. Das Treffen fand vom 25. bis 27. Juni im norditalienischen Triest statt. Eingeladen waren auch Vertreter von rund 20 weiteren Staaten, darunter China, Indien, die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten. Italien hat derzeit den G-8-Vorsitz inne. Nach der Wahlkrise und dem Ausbruch der Unruhen in Iran wurde die Islamische Republik wieder ausgeladen.


Chamenei: Arabische Welt hasst die USA

Kurz vor der mit Spannung erwarteten Rede von US-Präsident Barack Obama am 4. Juni in Kairo hat Irans Revolutionsführer Ali Chamenei die USA scharf angegriffen. "Die Nationen in diesem Teil der Welt ... hassen die USA zutiefst", sagte Chamenei am 4. Juni in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Auch wenn sie süße und schöne Reden vor den muslimischen Ländern halten, ändert dies nichts." Auf Worte müssten auch Taten folgen, forderte Chamenei. Israel bezeichnete Chamenei als "Krebsgeschwür im Herzen" der muslimischen Welt.

Obamas Rede, in der der Präsident eine neue Epoche in den Beziehungen der USA zu den islamischen Staaten ankündigte, fand in Iran ein sehr positives Echo und wurde allgemein von der Bevölkerung als ein Auftakt auf dem Weg zur Versöhnung gedeutet.

Eine Umfrage unter Iranern zeigte, dass nur knapp ein Drittel der Iraner eine positive Meinung von den USA hat. Demnach betrachten 38 Prozent die Regierung in Washington als Bedrohung für ihr Land - direkt nach Israel (44 Prozent), wie aus einer am 9. Juni veröffentlichten Erhebung der beiden US-Institute Terror Free Tomorrow und New America Foundation hervorging. Eine klare Mehrheit hofft demnach weiterhin auf demokratische Veränderung in ihrer Heimat.

29 Prozent der Befragten erklärten, sie hätten eine wohlwollende Meinung zu den USA. Bei einer ähnlichen Umfrage im Februar 2008 lag diese Zahl bei 34 Prozent. Zwei von drei Befragten sprachen sich für Gespräche mit den USA ohne jegliche Vorbedingungen aus, ebenso viele wie im vergangenen Jahr. Der Umfrage nach wünschten sich 87 Prozent freie Wahlen als langfristiges Ziel für Iran, rund fünf Prozent mehr als bei der letzten Erhebung. Eine freie Presse wünschten sich 84 Prozent, sechs Prozentpunkte mehr als 2008. Am wichtigsten war den Befragten eine Verbesserung der Wirtschaftlage, dafür sprachen sich 90 Prozent aus. Für die Erhebung wurden im Mai Telefoninterviews mit 1001 Iranern geführt. Die Fehlerquote wurde mit 3,1 Prozent angegeben.


800 iranische Künstler gaben Wahlempfehlung für Mussavi

Rund 800 iranische Künstler und Regisseure riefen am 7. Juni zur Wahl von Mussavi auf. Die Liste der Sympathisanten für den Gegenkandidaten von Ahmadinedschad enthielt Namen international bekannter Regisseure wie Bahman Farmanara und Madschid Madschidi. In einem auf der Internetplattform Youtube ausgestrahlten Video begründeten die Künstler ihr Eintreten für Mussavi mit ihrer Unzufriedenheit mit der Regierung Ahmadinedschad.

"Alle Menschen, mit denen ich in den vergangenen vier Jahren gesprochen habe, haben gesagt, dass sie von der schlechten Führung des Landes betroffen waren", sagte der mehrfach ausgezeichnete Regisseur Dariusch Mehrdschui in dem Video. Einer seiner Kollegen kritisierte diejenigen, die 2004 der Wahl fernblieben und so den Sieg Ahmadinedschads erleichtert hätten. Unter den Unterzeichnern waren auch zahlreiche Schauspieler. Schon in den vergangenen Tagen hatten sich Intellektuelle und Schriftsteller hinter Mussavi gestellt.

Zwei Tage nach dem Aufruf erklärten zahlreiche konservative Abgeordnete ihre Unterstützung für Ahmadinedschad. Der konservative Osulgaran-Block mit seinen rund 200 Mitgliedern halte Ahmadinedschad für den geeigneten Bewerber für das Präsidentenamt, meldete die Nachrichtenagentur IRNA am 9. Juni. Noch im Mai hatten sich die Mitglieder der Osulgaran-Block - was soviel bedeutet wie "Block der Prinzipientreuen" - nicht darauf verständigen können, wen sie bei der Wahl unterstützen wollen.

In der von IRNA veröffentlichten Osulgaran-Erklärung hieß es, Ahmadinedschad sei fähig, sich "Schikanen" und "Verwestlichung" entgegenzustellen. Und gegenüber westlichen Staaten nicht "einzuknicken". Der Block hat die Mehrheit im iranischen Parlament mit seinen 290 Sitzen. Zuvor hatten schon weitere konservative Gruppierungen ihre Unterstützung für Ahmadinedschad bekundet, darunter ein Bündnis aus 14 konservativen Parteien.


Der Wahltag

Kurz nach Beginn der Präsidentschaftswahl am 12. Juni hat Revolutionsführer Ali Chamenei die Bevölkerung zu einem friedlichen Urnengang aufgerufen. Die Beteiligung an der Abstimmung sei "ein Recht und eine Pflicht" des Volkes, sagte der Geistliche bei der Stimmabgabe. Er fordere die Iraner auf, sich an der Wahl des Präsidenten zu beteiligen. Dabei sollten jegliche Versuche verhindert werden, "Spannungen in den Wahllokalen" zu erzeugen. Chamenei hatte sich vor der Wahl wiederholt zugunsten Ahmadinedschads ausgesprochen. Zwei Tage vor der Wahl hatte der politische Chef der Revolutionsgarden, Jadollah Dschawani, gewarnt, dass die Sicherheitskräfte keine wie auch immer geartete "sanfte Revolution" dulden würden. Auch die Bildung eines politischen Bündnisses nach der Wahl unter dem Banner einer Farbe würde nicht hingenommen, erklärte Dschawani im Hinblick auf Mussavis "grüne Bewegung". Die Revolutionsgarden sind ein fester Bestandteil des Establishments; die streng konservative Truppe kontrolliert eine große Zahl an Sicherheitskräften und Milizen von Freiwilligen.

Nach den erbitterten Auseinandersetzungen zeichnete sich bei der Wahl eine Rekordbeteiligung ab. Mehr als 80 Prozent der über 46 Millionen Wahlberechtigten schienen nach den ersten Schätzungen ihre Stimme abgeben zu wollen. Wegen des Wählerandrangs wurde die Abstimmung um insgesamt sechs Stunden bis 21.30 Uhr und danach zum Teil bis Mitternacht verlängert.


Journalisten kritisieren Wahlberichte in Iran

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hat am 11. Juni die Berichterstattung in iranischen Medien über die Präsidentschaftswahl als "unausgewogen" kritisiert. "Seit Beginn der Wahlkampagne am 21. Mai sind den rund 46 Millionen Wählerinnen und Wählern unabhängige Informationen vorenthalten worden", erklärte die Organisation in Berlin. Iranische Journalisten würden von den Behörden kontrolliert und könnten "nicht objektiv über die Debatten und politische Frage berichten". Reporter ohne Grenzen beklagte, in den vergangenen drei Wochen seien mindestens 15 Journalisten bedroht oder von Behörden für Nachfragen vorgeladen worden. Die Journalisten würden gerichtlich verfolgt, nachdem sie Präsident Ahmadinedschad kritisiert oder in Artikeln ihre politische Meinung zum Ausdruck gebracht hätten.

In der Wahlkampfberichterstattung hätten deutlich Informationen über das politische Programm von Ahmadinedschad und die Selbstdarstellungen des Präsidenten überwogen. Seine Gegenkandidaten hätten jeweils weniger als zwei Stunden Redezeit in nationalen Radiound Fernsehprogrammen bekommen, der Präsident dagegen das Zehnfache. Ein ähnliches Bild zeige sich bei den staatlichen Zeitungen.

Zudem wurde das Internet verstärkt zensiert. Der Zugang zum sozialen Netzwerk "Facebook" etwa sei auf Initiative des Informationsministeriums vom 23. bis 26. Mai gesperrt gewesen. Ahmadinedschad habe seine Anhänger dazu aufgerufen, Blogs einzurichten: seinen Worten zufolge sollte es "10.000 Milizionäre für 10.000 Blogs" geben. Oppositionelle oder unabhängige Seiten und Blogs seien Hackerangriffen ausgesetzt gewesen.

Schließlich hätten Botschaften der Islamischen Republik in Berlin, Paris, Rom und Madrid einige Anträge auf Akkreditierung ausländischer Journalisten, die zu der Wahl einreisen wollten, abgelehnt. In einigen Fällen hätten die Presseattachés für ein Visum eine "redaktionelle Gegenleistung" gefordert.


Obama: Wechsel in Beziehungen zu Teheran möglich

US-Präsident Barack Obama erklärte am Tag der Wahl, dass er einen Wechsel der Beziehung zu Teheran für möglich halte. "Wir haben versucht, eine klare Botschaft zu senden, dass ein Wechsel möglich ist", sagte Obama am 12. Juni in Washington in Anspielung auf seine Rede an die muslimische Welt in Kairo. "Wer auch immer am Ende die Wahl gewinnt, die Tatsache, dass es dort eine lebhafte Debatte gab, wird uns helfen neue Wege im gemeinsamen Dialog einzuschlagen", sagte Obama.

Die Entscheidung der Wahl gehöre den Iranern, sagte Obama, der im Vorfeld keinen der Kandidaten unterstützt hatte. Es könne jedoch "ebenso wie im Libanon" passieren, dass "die Menschen neue Möglichkeiten in Betracht ziehen". Dort war das pro-westliche Lager aus den Parlamentswahlen als Sieger über die israelfeindliche Hisbollah hervorgegangen.


Das Wahlergebnis

Nach offiziellen Angaben hat Ahmadinedschad die Präsidentschaftswahl klar gewonnen. Wie die Wahlkommission am 13. Juni mitteilte, erhielt der 52-jährige nach Teilergebnissen etwa doppelt so viele Stimmen wie sein wichtigster Herausforderer Mussavi. Sein überragendes Abschneiden weckte allerdings umgehend Zweifel an der Richtigkeit der Zahlen. Mussavi sprach von Unregelmäßigkeiten und erklärte sich selbst zum Sieger. Mehrere Iran-Experten im Westen vermuteten Betrug. Viele Wähler hätten ihre Stimme bei dem Urnengang am 12. Juni nicht abgeben können, obwohl die Öffnungszeiten der Wahllokale um vier Stunden verlängert worden waren, sagte Mussavi. Auch sei es zu Verzögerungen bei der Vergabe von Stimmzetteln gekommen, von denen zudem vielerorts zu wenig vorhanden gewesen seien. "Wir sehen uns als die klaren Gewinner", sagte Mussavi auf einer Pressekonferenz in Teheran, die er kurz vor Bekanntgabe der ersten Zahlen angesetzt hatte. "Wir warten das offizielle Ende der Auszählung ab und dass diese Unregelmäßigkeiten aufgeklärt werden."

Mehrere Experten in den USA sprachen in ersten Reaktionen offen von Betrug. Die meisten Experten hatten im Vorfeld der Wahl damit gerechnet, dass sich keiner der vier zugelassenen Kandidaten in der ersten Runde durchsetzen würde und die Entscheidung stattdessen erst eine Woche später in einer Stichwahl zwischen Mussavi und Ahmadinedschad fallen würde. Nach Angaben der Wahlkommission wurde der Amtsinhaber jedoch nach Auszählung eines Großteils der Stimmen mit mehr als 64 Prozent wieder gewählt. Mussavi kam demnach auf lediglich etwa 32 Prozent. Für einen Sieg waren mindestens 50 Prozent der Stimmen nötig. Die Wahlbeteiligung wurde mit etwa 80 Prozent beziffert -sie lag damit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.

Zunächst war nicht klar, wie der Wahlverlauf und vor allem das Wahlergebnis von der Bevölkerung aufgenommen werden würde. Experten warnten schon in der Nacht vor inneren Unruhen. Bereits am frühen Morgen des 13. Juni kam es zwischen Mussavi-Anhängern und Polizeikräften zu Handgemengen. In der gesamten Hauptstadt wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Versammlungen jeglicher Art wurden bis zur Vorlage des endgültigen Ergebnisses verboten. Kurz vor Schließung der Wahllokale klagten einige Einwohner Teherans, dass sie keine internationalen Telefonate führen konnten und Internet-Leitungen zusammengebrochen waren. Das Mussavi-Lager erklärte zudem, es sei nicht mehr möglich, Handy-Kurznachrichten zu versenden. Bis zum Mittag nahm die Zahl der Protestler auf Teherans Straßen immer weiter zu. Sie machten Ahmadinedschad für den "Ruin" des Landes verantwortlich, sprachen von Wahlbetrug und verlangten ihre Stimme zurück.

In einer Siegesrede sprach Ahmadinedschad am Abend des 13. Juni von dem Beginn einer neuen Ära. Die Menschen in Iran seien nun voller Hoffnung. Die Wahl habe auch gezeigt, die Menschen wollten, dass Iran respektiert werde, erklärte der Präsident. Zu den Vorwürfen, es habe bei der Stimmenauszählung Manipulationen gegeben, sagte er, das Ergebnis sei eindeutig.

Demgegenüber sprach Mussavi offen von einer eklatanten Lüge und einem einmaligen Betrug. Das Wahlergebnis sei Folge einer "gefährlichen Inszenierung". Die Iraner wüssten ganz genau, für wen sie gestimmt hätten, erklärte er auf seiner Internetseite. Sie würden weder "das Stimmenzähl-Theater im staatlichen (Fernsehen) akzeptieren noch jenen folgen, die sich die Macht durch Lug und Trug erschwindelt haben". "Die Lügen und Tyrannei werden eine verheerende Wirkung auf das Schicksal unseres Landes haben." Die beiden anderen Bewerber lagen bei der Wahl weit abgeschlagen bei zusammen nur rund 3 Prozent.

Am selben Abend säumten bereits Hunderttausende Demonstranten trotz Versammlungsverbots die Straßen. Dabei kam es in mehreren Stadtteilen zu teils heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die massiv Tränengas einsetzte. Die Sender CNN und BBC zeigten Bilder von Polizisten, die mit Schlagstöcken auf Demonstranten einprügelten. Die Demonstranten bewarfen die Polizei mit Steinen. "Ahmadinedschad schäme dich" und "Tod dem Diktator" skandierten sie. Schon am ersten Tag gab es zahlreiche Verletzte. Nachts stiegen Hunderttausende auf die Dächer ihrer Häuser und riefen: "Allah o Akbar" (Gott ist mächtig) und "Nieder mit der Diktatur".

In einer kurzen Erklärung rief Mussavi seine Anhänger am Abend auf, Ruhe zu bewahren. Sie sollten sich nicht von "Unruhestiftern" in eine Falle locken lassen, schrieb Mussavi. Er war zuvor von der Polizei gehindert worden, eine Pressekonferenz abzuhalten. Auch eine für Vormittag geplante Rede Mussavis an seine Anhänger wurde verhindert. Mussavis Hauptquartier wurde durch das Innenministerium abgeriegelt.

Revolutionsführer Chamenei gratulierte in einer Erklärung, die im staatlichen Fernsehen verlesen wurde, Ahmadinedschad zu Wiederwahl. Mit 24 Millionen Stimmen sei dies ein großartiger Sieg. Zugleich habe das Volk mit dieser großen Wahlbeteiligung seine Loyalität mit der Islamischen Republik bekundet. Gleichzeitig warf Chamenei Mussavi "Provokationen" vor. Alle Kandidaten sollten auf provozierende Handlungen und Worte verzichten.

In der Nacht zum 14. Juni wurden mehr als 100 reformorientierte Politiker festgenommen. Darunter befand sich auch Mohammad Resa Chatami, der Bruder des früheren Präsidenten. Die Betroffenen seien in der Nacht aus ihren Wohnungen abgeführt worden, sagte der ehemalige Sprecher der Regierung Chatami, Mohammad Ali Abtahi. Er selbst wurde am nächsten Tag ebenfalls verhaftet.


Erste Reaktionen aus dem Ausland

Washington reagierte zunächst zurückhaltend. Die US-Regierung hoffe, dass "das Ergebnis den wahren Willen und den Wunsch des iranischen Volkes widerspiegelt", sagte Außenministerin Hillary Clinton während eines Besuchs in Kanada. Die USA verfolgten die Entwicklung in Iran genau. Der kanadische Außenminister Lawrence Cannon erklärte, sein Land sei "tief besorgt" über Berichte, nach denen es zu Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gekommen sei.

Israel betonte nach der Verkündung von Ahmadinedschads Sieg die Gefahr einer nuklearen Bedrohung durch den Erzfeind. Das Resultat sei ein klares Signal dafür, dass es für die gegenwärtige Politik in Iran eine breite Unterstützung gibt, "und es wird so weitergehen", sagte Vizeministerpräsident Silvan Schalom in Jerusalem. "Die Vereinigten Staaten und die freie Welt müssen die Politik im Bezug auf die nuklearen Ambitionen Teherans überdenken", sagte er.

Die Europäische Union zeigte sich besorgt über den Verlauf der Wahl und die gewaltsamen Ausschreitungen. Sie verwies in einer Erklärung auf Berichte über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Gleichzeitig äußerte sie aber auch die Hoffnung, dass die Wahl dazu beitragen werde, die Spannungen zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft abzubauen.

Der Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin erklärte am 13. Juni in Berlin: "Es muss so schnell wie möglich eine glaubhafte Untersuchung über das Ausmaß von Wahlfälschungen durchgeführt werden".

Aus Moskau äußerte der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow auf eine kompromissbereitere Amtsführung des Präsidenten. "Er war in seiner abgelaufenen Amtszeit oft zu recht kritisiert worden und auch für Russland nicht jener angenehme Partner, den wir uns wünschen", sagte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma am 13. Juni in Moskau. Er hoffe, dass Ahmadinedschad künftig häufiger die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft suche, sagte Kossatschow nach Angaben der Agentur Interfax. "Es wird auch wichtig sein, zu prüfen, ob die Präsidentschaftswahlen tatsächlich frei und demokratisch waren."

Ungeachtet der Unruhen im eigenen Land reiste Ahmadinedschad am 15. Juni zur Teilnahme am Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) nach Russland. Zu dem Treffen, das in der Stadt Jekaterinburg im Ural stattfand, war Iran als Beobachter eingeladen.


Wahlbetrug als Ausweg

"Gebt unsere Stimmen zurück", skandieren die Demonstranten nach dem Wahldebakel im Iran auf den Straßen. Sie fühlten sich betrogen, gedemütigt, missbraucht. Sie sprachen von dem größten Wahlbetrug in der dreißigjährigen Geschichte der Islamischen Republik. Und sie hatten Recht damit. Ursprünglich sollte nach dem Willen der Staatsführung die diesjährige Präsidentenwahl der Außenwelt demonstrieren, dass Iran eine offene Gesellschaft sei, dass das Volk geschlossen hinter der Regierung stehe, dass dieses Regime sich freie Wahlen leisten könne. Während bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Wahlbeteiligung peinlich niedrig war, sollte in diesem Jahr ein Rekord erzielt werden, von dem selbst demokratische Länder im Westen nur träumen können.

Mir Hossein Mussavi schien als Kandidat zur Mobilisierung der Wahlverweigerer geeignet zu sein. Als im Grunde Konservativer, der auch Reformen fordert, war er aus Sicht der Staatslenker kein Risiko. Man konnte sogar Fernsehduelle zwischen den Kandidaten zulassen, was in der Islamischen Republik einmalig war.

Aber es kam anders als geplant. Die weit verbreitete iranische Zivilgesellschaft, allen voran Frauen und Jugendliche, nutzten nach der vierjährigen sinistren Regierungszeit Ahmadinedschads die Chance, den ein wenig gelüfteten Deckel zu öffnen und den Wahlkampf in eine landesweite Protestbewegung zu verwandeln. Damit entglitten nicht nur dem Kandidaten Mussavi, sondern der gesamten Staatsmacht die Zügel. Die Fernsehduelle entlarvten das ganze korrupte System, die Fronten zwischen den Reformern und den islamistischen Konservativen wurden immer härter, es kündigte sich genau das an, was die Islamisten fürchten wie der Teufel das Weihwasser: eine sanfte Revolution. Davor warnen seit Monaten die ultrarechten Zeitungen. Der Westen habe die Kriegspläne gegen die Islamische Republik vorerst in die Schublade gelegt und versuche nun durch eine sanfte Revolution von innen her einen Regimewechsel herbeizuführen, warnten sie. Und nun dieser Wahlkampf, der mit allen Tabus brach, uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Auflösung der Sittenpolizei und Gleichberechtigung forderte. Hätte Mussavi mit diesen Forderungen und der gesamten Zivilgesellschaft im Rücken die Wahl gewonnen, wäre das ganze System aus den Fugen geraten. Dem musste unbedingt Einhalt geboten werden. Aber wie?

Eine Woche vor den Wahlen veröffentlichte das Organ der Revolutionswächter "Sobhe Sadegh" eine Erklärung, in der es hieß, die Revolutionsgarden würden jeden Versuch einer sanften Revolution im "Keim ersticken". "Wir haben nicht so viele Opfer gebracht, damit am Ende ein paar verwestlichte Typen und Kollaborateure unsere Zukunft bestimmen", hieß es. Am Vorabend der Wahl blies die auflagenstärkste Zeitung der Rechten Kayhan in dasselbe Horn.

Am Wahltag wurde vielen offiziell vom Innenministerium legitimierten Beobachtern, die die Reformer gestellt hatten, der Zugang zu den Wahllokalen verboten. Auch tausende von mobilen Wahlurnen konnten nicht kontrolliert werden. An zahlreichen Wahllokalen fehlten die Stimmzettel, obwohl das Innenministerium nach eigenen Angaben weit mehr als benötigt Wahlzettel zur Verfügung gestellt hatte. Im Laufe des Tages wurde das SMS-Netz stundenlang gekappt und Internetverbindungen wurden unterbrochen. Ab 17 Uhr wurde jede Versammlung verboten und ein Aufgebot von Militär, Polizei und Geheimpolizei säumte die Straßen. Es war schon eindeutig zu merken, dass die Staatsführung sich auf Proteste vorbereitete.

Kurz nach 23 Uhr - da hatten einige Wahllokale noch nicht geschlossen und noch keine einzige Stimme war gezählt worden - meldete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA den erdrutschartigen Sieg von Ahmadinedschad! Nach drei Stunden meldete das Innenministerium, 20 Millionen Stimmen seien gezählt und Ahmadinedschad liege mit 69 Prozent weit an der Spitze, zwei Stunden später waren angeblich weitere zehn Stimmen gezählt worden, und Ahmadinedschad lag immer noch bei 69 Prozent. Für den Rest brauchte das Ministerium jedoch weitere sechs Stunden. Die Ankündigung des Endergebnisses erfolgte ohne jegliche Aufschlüsselung etwa darüber wie die Wähler in der Hauptstadt oder der Provinz gestimmt haben.

Dem Gesetz nach ist das Wahlergebnis erst dann gültig, wenn es vom Wächterrat bestätig wird. Doch Revolutionsführer Ali Chamenei hatte es offenbar so eilig, dass er vor einer Stellungnahme des Wächterrats Ahmadinedschad zu seinem Sieg gratulierte und die Wahl als völlig korrekt bezeichnete. Die hohe Wahlbeteiligung von über achtzig Prozent sei eine eindeutige Bestätigung dafür, dass das Volk geschlossen hinter der Staatsführung stehe, sagte er und bezeichnete den Wahlausgang als "göttlichen Beistand". Das Volk solle sich nun hinter Ahmadinedschad stellen.

Der Wahlbetrug war eindeutig ein Staatsstreich, den manche Beobachter nicht zu Unrecht sogar als Militärputsch bezeichnen. Mussavi erklärte, das Verhalten einiger Beamter während und nach der Abstimmung "erschüttere die Stützpfeiler" des politischen Systems und lasse es zu "Lügen und Diktatur" verkommen. Das Volk werde niemanden akzeptieren, der mit Betrug an die Macht gekommen sei. Er rief die Behör den dazu auf, die "Gesetzesübertretungen" umgehend einzustellen.


Doppelstrategie der Staatsführung

Die Lage eskalierte von Tag zu Tag. Täglich befanden sich Millionen auf den Straßen Teherans und anderer Städte. Eine solch heftige Reaktion haben die Machthaber wohl nicht erwartet. Was tun?

Vorerst machten die Machthaber einen kleinen Rückzieher. Revolutionsführer Ali Chamenei, der bislang Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad voll unterstützt und ihm voreilig zu seinem Sieg gratuliert hatte, wies den für die Wahlen verantwortlichen Wächterrat an, die Zählung der Stimmen zu überprüfen. Der Sprecher des Wächterrats, Abbasali Kadchdai, erklärte, der Rat werde die Überprüfung vornehmen und zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik die Öffentlichkeit detailliert über einzelne Wahlbezirke informieren. Zudem werde der Rat die Vorwürfe der unterlegenen Kandidaten anhören und sie überprüfen. Die ganze Prozedur werde zehn Tage dauern.

"Ich habe wenig Hoffnung, dass diese Überprüfung eine Lösung bringt", sagte Mussavi. "Mein Vorschlag ist und bleibt die Annullierung der Wahl und Neuwahlen". Tatsächlich war es kaum denkbar, dass der Wächterrat den Kritikern Recht gegeben und die Wahlfälschung zugegeben hätte. Im besten Falle hätte der Rat gewisse Fehler und Unzulänglichkeiten eingestehen können, die aber an dem Endergebnis nichts geändert hätten. Welche Möglichkeiten boten sich also dem Regime an, um sich aus der größten Krise in der Geschichte der Islamischen Republik zu retten? Wenn man keine Kompromisse schließen und die Wahl annullieren wollte, blieb nur noch eine Möglichkeit: hart durchgreifen und die Revolutionswächter, das Militär, die paramilitärischen Organisationen und die Milizenorganisation der Basidjis gegen die Protestierenden mobilisieren.

Selbst wenn Revolutionsführer Chamenei zu Kompromissen bereit gewesen wäre, hätte Ahmadinedschad niemals freiwillig auf die Macht verzichtet. Er konnte sich nach wie vor zumindest auf größere Teile der militärischen und paramilitärischen Kräfte stützen. Gerade sie hatten ihm schon bei der letzten Wahl zum Sieg verholfen und er hat sich während seiner vierjährigen Amtszeit dafür mehr als dankbar gezeigt.

Die meisten Schlüsselpositionen im Staatsapparat wurden mit ehemaligen Revolutionswächtern besetzt, die Organisation ist unter Ahmadinedschad zum größten Machtfaktor im Land geworden, nicht nur politisch und militärisch, sondern auch ökonomisch. Sie hat die größten Staatsaufträge erhalten, steckt voll im Ölgeschäft und kontrolliert auch den höchst lukrativen Schwarzmarkt. Zu beachten ist auch, dass Ahmadinedschad immer noch eine große Basis im Volk hat. Gerade die ärmeren Schichten in der Provinz und in den Großstädten gehören zu seinen Anhängern. Es war klar, dass Ahmadinedschad diese Position nicht aufgeben würde.

Aber auch die andere Seite hatte gewisse Instrumente, die sie gegen Ahmadinedschad und vor allem Chamenei einsetzen könnte. Im Grunde richteten sich die Proteste letztendlich nicht gegen den Staatspräsidenten, sondern weit mehr gegen den Revolutionsführer Chamenei, denn jeder wusste, dass die Wahlfälschung ohne Anordnung der höchsten Instanz der Islamischen Republik nicht möglich gewesen wäre. Die Kritiker bezichtigten ihn der Fälschung, der Lüge und des Amtsmissbrauchs.

Dass diese Vorwürfe sehr ernst genommen werden, zeigte sich auch in der auffallenden Zurückhaltung der Großayatollahs. Nur wenige unter ihnen gratulierten Ahmadinedschad zu seinem angeblichen Sieg. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wären dies vor allem aus religiöser Sicht Kardinalsünden, die die Abwahl Chameneis zur Folge haben müsste.

Die zuständige Instanz für eine Abwahl wäre der Expertenrat. Der Expertenrat ist eine Versammlung von Geistlichen, die vom Volk direkt gewählt wird. Diesem Rat steht zurzeit der ehemalige Staatspräsident Haschemi Rafsandjani vor, den man als zweitmächtigsten Mann in der Führung der Islamischen Republik bezeichnet. Rafsandschani steht nun auf der Gegenseite der Front. Sowohl Ahmadinedschad als auch die gesamte rechte Presse vermuten, dass Rafsandschani der eigentliche Drahtzieher von Mussavis Wahlkampf war.

Sollte es hart auf hart kommen, könnte Rafsandschani im Expertenrat die Absetzung des Revolutionsführers beantragen. Sollte er dabei die Unterstützung religiöser Instanzen erhalten, könnte er damit Erfolg haben. Dieser Ausweg, der noch als unwahrscheinlich erscheint, könnte bei weiterer Eskalation der Lage doch eine Lösung bringen.


Die Macht zeigt Zähne

Die Predigt Chameneis am 19. Juni auf dem Gelände der Teheraner Universität brachte eine Wende. Der Revolutionsführer forderte in scharfer Form das Ende der Proteste. Er stellte sich abermals hinter Ahmadinedschad und erklärte, obwohl er den Wächterrat angewiesen hatte, die Ergebnisse zu überprüfen, die Präsidentschaftswahl für rechtens. Daraufhin erklärten die Revolutionswächter, die Polizei und die Basidschi-Milizen, sie würden jedem Zuwiderhandeln gegen das Demonstrationsverbot mit aller Härte entgegentreten.

"Die Kraftprobe auf der Straße ist ein Fehler, ich möchte, dass sie beendet wird", sagte Chamenei vor tausenden Gläubigen, die von ihm den Aufruf zum "heiligen Krieg" forderten. Er werde "der Straße nicht weichen", sagte der Revolutionsführer bei der Freitagspredigt, der auch Ahmadinedschad beiwohnte. Es sei in Iran nicht möglich, elf Millionen Stimmen zu fälschen. Jegliche Zweifel an den Ergebnissen sollten jedoch auf juristischem Weg untersucht werden. Der für die Organisation der Wahl zuständige Wächterrat soll sich bis spätestens am 21. Juni zu einer möglichen Neuzählung äußern. Chamenei drohte mit dem Einsatz der Staatsgewalt und harten Strafen, sollten sich die Protestierenden nicht an das Demonstrationsverbot halten.

Nach dieser Rede sagte Mussavi eine für denselben Tag angekündigte Kundgebung ab. Nach Einschätzung von Augenzeugen hatte es bei den Auseinandersetzungen bereits mehr als ein Duzend Tote und zahlreiche Verletzte gegeben. Die Opposition wollte kein weiteres Blutvergießen riskieren. Mussavi forderte die Machthaber nachdrücklich auf, friedliche Kundgebungen zu erlauben.

"Wenn den Menschen friedliche Mittel zur Verteidigung ihrer legitimen Rechte untersagt werden, dann ergreifen sie gefährlichere Maßnahmen", warnte er nach Chameneis Predigt. Er werde niemals erlauben, dass Demonstranten ihr Leben für ihn riskieren. "Seid versichert, ich werde immer bei euch sein."

Trotz dieser eindeutigen Erklärung befürchtete man, Mussavi werde klein beigeben. Ist er doch selbst ein Verfechter des Systems. Aber auch in den nächsten Tagen blieb Mussavi standhaft. Ein Angebot des Wächterrats an einer Kommission zur Neuzählung von zehn Prozent der Stimmen teilzunehmen, lehnten sowohl er als auch Karrubi ab.


Obama verschärfte den Ton

US-Präsident Obama verschärfte nach der Rede Chameneis und den darauf folgenden gewaltsamen Auseinandersetzungen den Ton gegenüber der Führung in Teheran. "Wir rufen die iranische Regierung auf, alle gewalttätigen und unberechtigten Handlungen gegen die Menschen im eigenen Land zu stoppen.", forderte Obama am 20. Juni in einer vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung. "Die iranische Regierung muss erkennen, dass die Welt auf sie blickt."

Obama betonte, es sei ein Irrtum, zu glauben, man könne Ideen aus der Welt schaffen, indem man sie unterdrückt. Letztlich würden die Menschen in Iran die Handlungen ihrer Regierung bewerten. "Wenn die iranische Regierung den Respekt der internationalen Gemeinschaft sucht, dann muss sie die Würde ihres eigenen Volkes respektieren und auf Konsens statt auf Zwang setzen." Trotz Verbots und eindringlicher Warnungen gingen Anhänger Mussavis auch am Tag nach der Rede Chameneis auf die Straßen. Augenzeugen berichteten von massiven Auseinandersetzungen von Oppositionsanhängern mit Sicherheitskräften und Gefolgsleuten Ahmadinedschads.

Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vor und machte auch von Schusswaffen Gebrauch. Die Regierung schränkte die Berichterstattung ausländischer Journalisten immer massiver ein und forderte die Journalisten auf, das Land zu verlassen. Sämtliche Internet- und Mobilfunkverbindungen wurden unterbrochen, auch Telefonleitungen wurden zum Teil gekappt. Das Regime versuchte mit allen Mitteln zu verhindern, dass Nachrichten nach außen dringen. Mussavi sagte, er werde seinen Kampf fortsetzen und sei bereit, dafür "den Märtyrertod zu sterben": "Wenn sie mich verhaften, dann sollten alle streiken und die Arbeit niederlegen." Zugleich bekräftigte er seine Forderung, die Wahl für ungültig zu erklären und die Abstimmung zu wiederholen.

In einem Brief an den Wächterrat schrieb er, die Fälschung sei Monate im Voraus geplant gewesen. Vor allem kritisierte er die Unterbrechung der Kommunikationsnetze wie Internet und SMS am Wahltag und danach und sprach von einem "empörenden Schritt".


Vorläufige Bilanz der Protestbewegung

Es ist nicht möglich, alle Ereignisse der letzten Junitage hier zu schildern. Daher versuchen wir eine kurze Bilanz der tiefen Krise, die Iran mit und nach den Wahlen heimgesucht hat.

Während seit dem 29. Juni auf den Straßen Irans relative Ruhe herrscht, hallen spät abends immer noch, wenn auch nicht so massiv wie an den ersten Tagen, von den Dächern Stimmen, die "allah o akbar" (Gott ist mächtig) und "Nieder mit dem Diktator" rufen. Nach dem massiven Aufgebot von Revolutionswächtern, Basidschi-Milizen und den "Antirebellionstruppen", die mit äußerster Brutalität gegen Protestierende vorgingen, musste jeder Teilnehmer mit schweren Verletzungen oder gar dem Tod rechnen. Doch die Protestbewegung besteht nicht aus Märtyrern; die Teilnehmer wollen nicht den Tod, sondern Freiheit und ein besseres Leben.

Die Machthaber zeigen sich völlig unnachgiebig. Ja keine Schwäche zeigen, mit aller Härte durchgreifen, ist die Devise, die offenbar Revolutionsführer Ali Chamenei den Truppen erteilt hat. So hat auch der ihm hörige Wächterrat durch sein Votum jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung zunichte gemacht. Die Prüfung der Beschwerden unterlegener Kandidaten sei so gut wie abgeschlossen und habe keine gravierenden Unregelmäßigkeiten der Wahl zutage gefördert, sagte Ratssprecher Abbasali Kadchodai am 29. Juni.

Die Demonstration der Stärke verdeckt jedoch nicht den immer tiefer werdenden Riss, der nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch durch die gesamte Staatsführung geht. Von 290 Parlamentsabgeordneten, die Präsident Ahmadinedschad am 23. Juni zu einer Siegesfeier eingeladen hatte, waren lediglich 110 Abgeordnete gekommen. Auch Parlamentspräsident Ali Laridschani blieb der Feier fern.

Dass der eklatante Wahlbetrug so hohe Wellen schlagen und die Fundamente des Gottesstaates ins Wanken bringen konnte, ist auf die unterschiedlichen Faktoren zurückzuführen, die auf diese Krise einwirken. Da sind einmal die Millionen Demonstranten, allen voran Frauen und Jugendliche, die endlich eine Chance spüren, ihre Unzufriedenheit mit dem Staat zum Ausdruck zu bringen. Doch politisch betrachtet ist diese Masse heterogen. Ein Teil will letztendlich das ganze Staatssystem abschaffen, der andere Teil will es reformieren. Alle haben sich zwar vorerst auf die gemeinsame Forderung nach Wiederholung der Wahl geeinigt, aber die Fortsetzung der Proteste wird sicherlich an einem Punkt kommen, an dem sich ihre Wege trennen werden. Dieser Punkt wird umso schneller erreicht werden, je härter die derzeitigen Machthaber sich uneinsichtig zeigen und jeden Versuch, das System zu reformieren, zum Scheitern bringen. Dabei werden sich immer mehr aus der zweiten der ersten Gruppe anschließen. Denn auch die Reformwilligen werden über kurz oder lang zu der Überzeugung gelangen, dass jede Hoffnung auf Liberalisierung des Systems vergeblich ist.

Der zweite wichtige Faktor ist der unerbittliche Machtkampf, der hinter den Kulissen geführt wird. Inzwischen stehen sich zwei verhärtete Fronten feindlich gegenüber. Während Chamenei und Ahmadinedschad selbst unter den Konservativen immer weiter isoliert werden, basteln mächtige Männer, die allesamt in den vergangenen dreißig Jahren das Schicksal des Landes gelenkt haben, an einem Machtwechsel. Noch können sich Chamenei und Ahmadinedschad auf die militärischen und paramilitärischen Kräfte stützen. Doch es ist längst nicht ausgemacht, dass diese Kräfte ihnen längerfristig die Treue erweisen werden. Sich häufende Gerüchte berichten bereits über Überläufer und Verhaftungen von Kommandanten der unteren Ränge.

Wichtig ist zu wissen, dass auch die Gegenfront großes Interesse daran hat, das System zu erhalten. Leute wie Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani oder der frühere Parlamentspräsident Karrubi gehören zu den Architekten dieses Systems und tragen für die vergangenen Jahrzehnten Verantwortung. Auch der unterlegene Kandidat und ehemalige Ministerpräsident Mussavi gehört zum System. Dass er an die Spitze einer Bewegung geraten ist, die zumindest zum Teil Forderungen stellt, die weit über das System hinausreichen, macht die ganze Bewegung problematisch. Erstaunlich genug, dass er so lange standhaft geblieben ist.

Ein dritter nicht minder bedeutender Faktor ist das Ausland. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die USA sowie die europäischen Staaten insbesondere in jüngster Zeit via Rundfunk, Fernsehen und Internet wirksam die Stimmung im Land, vor allem bei Jugendlichen und Angehörigen der Ober- und Mittelschicht beeinflusst haben. Kein Wunder, dass die iranische Staatsführung sowie die rechte Presse in den letzten Monaten nicht müde wurden, vor einer von außen gesteuerten "sanften Revolution" zu warnen. So könnten die schärfer werdenden Töne westlicher Regierungen und der Versuch der Einflussnahme auf die Protestbewegung sich auch kontraproduktiv auswirken.

Zu diesen drei Faktoren können noch weitere hinzugefügt werden. Sie zeigen die Komplexität der gegenwärtigen Lage im Iran und erschweren eine Prognose für die nächsten Wochen und Monate. Doch wie immer die nahe Zukunft aussehen wird, sicher ist, dass die Wahlkrise eine neue Phase in der Geschichte der Islamischen Republik eingeleitet hat und eine Rückkehr zur Tagesordnung nicht mehr möglich sein wird.


Der Iran-Report kann kostenfrei auf der Website der Heinrich Böll Stiftung abonniert werden unter
www.boell.de

Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Vera Lorenz
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
8. Jahrgang


*


Quelle:
Iran-Report Nr. 7/2009 - Juli / 8. Jahrgang
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Schumannstr. 8, 10117 Berlin
Telefon: 030-285 34 - 0, Fax: 030-285 34 - 109
Email: info@boell.de
Internet: www.boell.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009