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GUTE-NACHT/2236: Zufall, Katinka und die weiße Fläche (SB)


Das alte Schulhaus im Januar

Katinka und die weiße Fläche


Kalt ist es am Morgen, auch wenn die Sonne etwas anderes verspricht. Doch bei diesen Aussichten kann die Wäsche endlich wieder im Garten aufgehängt und vom heftigen Wind kräftig durchgepustet werden. Aber Hausmeister Willi hat keine Zeit, in den Garten zu gehen. Er geht einkaufen. Heute gibt es sehr günstig Vogelhäuschen aus Holz. Das Holz ist noch zu streichen. So bringt sich Willi auch gleich noch etwas Leinöl mit. Am Nachmittag dann macht er sich ans Werk. Denn jetzt kann er ohnehin nicht mehr in den Garten. Der Wetterfrosch hat grauen Himmel, Regen und Wind angekündigt. Ein ungemütliches Wetter. Mit seiner Vorhersage hat der Frosch auch wieder recht behalten. So nutzt Willi die Zeit zum Streichen des Vogelhäuschen. Von seinem Fenster aus kann er in den alten Schulgarten schauen. Die aufgehängte Wäsche haben die Nachbarn längst wieder herein geholt. Nur eine Plastiktüte weht von einem Baum zum nächsten und läßt Willi träumen.


*


Weiß ist die Tüte mit bunten Farbflecken. Wie Tatzen sehen diese Flecken aus, als ob eine Katze mit ihren Pfoten in verschiedene Farbtöpfe geraten und dann über die Tüte gelaufen wäre. Oder als ob sie gerade über ein frisches Gemälde gestapft und sich dann auf der Tüte die Füße abgetreten hätte. Wer weiß, vielleicht ist diese Plastiktüte ja genau so entstanden?

Saß da nicht eines Abends ein Graphiker über seinen Schreibtisch gebeugt? Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Neue Tüten für die Kundschaft sollten her. Etwas Frisches, Buntes war gefragt. Nicht diese langweiligen Tüten mit den fertigen Schriftzügen der Firmen, die sie verteilten. Auffallend sollten die neuen Tragetüten sein. Unserem Grafiker aber fiel einfach nichts ein. Er hatte schon mehrere Regenbögen in den verschiedensten Farben ausprobiert. Doch sie gefielen ihm alle nicht. Seine Entwürfe lagen noch mit feuchten Farben auf dem Fußboden verstreut. Der Grafiker raufte sich die Haare. Bis morgen mußte ihm ein Entwurf eingefallen sein, sonst würde er seinen Auftrag verlieren. Es war schon nicht leicht als freischaffender Künstler zu leben. Oft bekam man wochenlang keinen einzigen Auftrag und dann türmten sich die Arbeiten nur so und man wußte gar nicht, mit welchem Entwurf zuerst zu beginnen sei.

Diesmal hatte der Grafiker nur einen einzigen Auftrag. Doch ihm wollte einfach keine Idee zur Verwirklichung der Aufgabe kommen. Er hatte in seinen Schubladen gewühlt, ob dort nicht noch eine ungenutzte Idee zu entdecken wäre. Doch vergebens. Normalerweise saß er jetzt schon in seinem Lieblingssessel mit seiner Katinka auf dem Schoß und las in einigen Zeitungen. Doch heute mußte Katinka warten. Das war ihr gar nicht recht. Um auf sich aufmerksam zu machen, war sie sogar schon mit einem Satz vom Fensterbrett auf den Schreibtisch gesprungen, als dieser gerade leergeräumt war. Der Grafiker hatte seinen letzten Entwurf zu all den anderen noch feuchten Arbeiten auf den Fußboden gelegt.

Er war nicht böse über den Sprung seiner Katze auf seinen Schreibtisch hinüber. Schließlich war nichts passiert. Katinka war sehr geschickt bei ihren Sprüngen. Oft sprang sie dem Grafiker auf die Schulter. Im Moment war er ganz froh über den kurzen Pausenmoment, in dem er Katinka durch das weiche Fell fuhr und sie streichelte. Dann setzte er Katinka vom Schreibtisch herunter auf seinen Drehstuhl. Er selbst wollte in die Küche gehen, um sich einen heißen Tee zu kochen. Vielleicht kam ihm beim Gasherd entfachen eine zündende Idee. "Ich bin gleich wieder da", flüsterte er Katinka zärtlich zu.

Es dauerte eine Weile. Dann kam er zurück. Was er nun sah, schockte und erfreute ihn zugleich. Katinka mußte über seine Bilder, die auf dem Fußboden lagen, gestapft sein und hatte einige der Entwürfe völlig verschmiert. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Schon oft hatte der Grafiker seine Entwürfe auf dem Fußboden trocknen lassen. Nie war etwas geschehen. Nun, entgegen diesem Chaos auf dem Fußboden erblickte unser Grafiker einen fast fertigen Entwurf für die neuen Plastiktüten auf seinem Schreibtisch. Katinka mußte mit ihren voll Farbe gemantschten Pfoten auf den Schreibtisch zurückgesprungen sein, auf dem schon das völlig leere Papier auf den nächsten Entwurf wartete.

Dieser Entwurf war Katinka voll geglückt. Das fand zumindest der Grafiker. So war der Schmuseabend für Katinka und ihr Herrchen gerettet.


Gute Nacht