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GUTE-NACHT/2331: Familie Schwalbe - Geschlüpft (SB)


Familie Schwalbe - Geschlüpft

Abwechselnd fliegen Frau Schwalbe und Herr Schwalbe ihr Nest an. Sie sitzen dann auf dem Rand und bewegen sich geschäftig hin und her. Vater Menschlein beobachtet sie mit Freude. Er ist sich sicher, daß die Vogelkinder jetzt geschlüpft sind und von ihren Eltern gefüttert werden. "Da habt ihr wieder jede Menge Arbeit", sagt Vater Menschlein.

Abends schaut er vor dem Zubettgehen jeden Abend nach, ob die Schwalbeneltern zuhause sind. Dann geht er selber beruhigt in sein Bett und liest noch in seinen alten Aufzeichnungen.


*


Aus dem Tagebuch einer Schwalbenfamilie - Teil 3


31.05.2002


Gestern war Gucky in unseren Hausflur geflogen und es dauerte eine Weile bis er eingefangen war, um ihn wieder frei zu lassen. "Wird er es gut überstehen oder wird es Folgen nach sich ziehen?" dachte ich noch gestern.

Heute morgen fand ich Gucky auf seinem Brett vor. Ganz zerzaust saß er da. Einige kleine Flaumfedern konnte ich von seinem Gefieder richtig abstehen sehen. "Das war sicher ein rechter Schock für dich gestern, nicht wahr Gucky", sagte ich zu ihm. Er rührte sich nicht und blieb ganz entgegen seiner Gewohnheit, tagsüber gleich wegzufliegen wenn wir die Haustür öffnen, sitzen. Aus dem Nest ganz oben sah ich die Schwanzspitzen der anderen Schwalbe herausgucken. Sie war also auch noch zuhause.

Nachdem ich unsere Tochter zur Schule gebracht hatte und wieder zurück war, vermutete ich, die beiden seien nun bereits ausgeflogen. Denn das ist so ihre Art. Doch sie waren noch immer im Hauseingang anzutreffen. "Na, Gucky, geht es dir nicht so gut? Kannst du etwa nicht mehr fliegen? Oder ist gar was gebrochen?" fragte ich hinauf und überlegte, was ich tun könne, wenn dem wirklich so war. Zuersteinmal ging ich jedenfalls ins Haus und sagte zu Mutter Menschlein: "Sollte nochmal eine Schwalbe ins Haus fliegen, dann muß sie den Weg wieder allein hinausfinden. Wir dürfen sie nicht noch einmal mit einer Decke fangen. Dabei kann sie stark verletzt werden. Deshalb sollten wir darauf achten, die Haustür geschlossen zu halten, damit die Schwalben sich gar nicht erst ins Haus verirren."

Noch einige Male sah ich durch das Oberlicht zu Gucky hinauf und stets saß er noch dort oben. Ich tröstete mich damit, daß den beiden heute morgen vielleicht zu kalt sei. Der Himmel war bedeckt und ein kräftiger Wind wehte. Vielleicht lag es nur daran, daß die Schwalben noch nicht zu ihrem Frühstücksflug losgezogen waren.

Endlich, einige Zeit später als ich mal wieder nach Gucky sah, waren beide Schwalben fort. Wie freute ich mich, daß Gucky wohl doch nichts fehlte. Sonst hätte er ja nicht losfliegen können.

Erst spät abends kamen wir heim. Es war noch nicht ganz dunkel, so daß wir auch ohne Licht ins Haus finden konnten. Dort im Dämmerlicht saß Gucky auf seinem Brett und gab keinen Ton von sich. Das macht er ja nie, wenn er uns unter sich sieht. Nur wenn wir die beiden Schwalben von unserem Flur aus durch das Oberlicht beobachten, dann können wir sehen, wie sich die beiden unterhalten oder auch mal streiten. Während Gucky bereits nur ganz schwach zu erkennen war, konnten wir weiter oben nichts mehr wahrnehmen. Doch ich vermutete, daß oben im Nest die Schwalbenmutter hockte und wie immer ihre Schwanzspitzen über das Nest hinausragen ließ. So kann sie stets auch einigen Ballast abwerfen, ohne gleich zur Toilette zu müssen oder gar das Nest zu verschmutzen.


08.06.2002


Etwas über eine Woche ist vergangen und ich habe nichts aufgeschrieben. Doch ich habe die Schwalben weiter beobachtet. Die Vogelmutter ist die meiste Zeit im Nest gewesen und hat die Eier bebrütet. Der Vater dagegen ist seltener dagewesen. Sogar abends hat er öfters auf seinem Brett gefehlt. Wo hat er sich nur herumgetrieben. So manches Mal habe ich mir ernstliche Sorgen gemacht, ob ihm etwas zugestoßen sei.


09.06.2002


Inzwischen muß der erste Vogel geschlüpft sein, denn Mutter Schwalbe trug heute etwas in ihrem Schnabel zum Nest. Ich denke, es war das erste Futter für die Kleinen.


10.06.2002


Heute morgen fand ich eine halbe kleine Eierschale. Also ist auf jeden Fall der Nachwuchs jetzt da. Ich werde mal versuchen mich mit Hilfe eines Spiegels davon zu überzeugen, daß dem so ist.


13.06.2002


Zuerst blieb Gucky mal wieder aus. Wo steckt der Kerl bloß immer? Doch gerade hat es geregnet. Nun sitzt der Kleine wieder schön brav auf seinem Brett. Übrigens, woher ich weiß, daß es sich um die Schwalbenmutter oder um den Schwalbenvater handelt? Das ist ganz einfach. Die Mutter ist etwas dünner als Gucky. Wenn er auf dem Brett sitzt, sieht man seinen kleinen rundlichen Bauch, während die Vogelmutter viel schmaler ist. Manchmal ist Gucky auch ein bißchen zerzaust. Dann stehen einige Federn aus seinem Brustgefieder hervor. An anderen Tagen dagegen ist es ganz glatt und er sieht recht geputzt aus - nunja, wenn er sich denn sehen läßt.


14.06.2002


Der erste Versuch, mit einem Spiegel ins Nest zu blicken, ging daneben. Ich konnte leider nichts sehen, außer einer überragenden Feder, die sicher zu der Auspolsterung des Nestes gehört. Vielleicht liegt es am Regenwetter, daß Mutter Schwalbe heute gar nicht das Nest verlassen will, so kann ich nicht so schnell noch einmal gucken, sonst würde ich sie wohl verschrecken. Jetzt kommt auch Gucky zum Nest geflogen. Sonst durfte er nicht auf oder in das Nest, aber mithelfen beim Füttern darf er wohl schon.


15.06.2002


Einen weiteren Blick ins Nest wagte ich heute. Ich habe meine Spiegelvorrichtung verändert. Den Spiegel habe ich etwas schräger angebracht. Jetzt ist die Sicht besser. Ich hielt den Spiegel, als die Vogeleltern mal wieder ausgeflogen waren, über das Nest. Dabei mußte ich ganz vorsichtig sein. Denn ich durfte nicht an das Nest anstoßen oder den Spiegel zu tief halten, um womöglich an die Kleinen zu stoßen. Das erfordert schon etwas Geschick. Schließlich hängen die Schwalbennester ja ganz dicht unter der Decke.

Endlich wagte ich einen Blick und war enttäuscht. Dachte ich doch, hier in dem Nest fünf bis sechs geöffnete Schnäbel vorzufinden. Zwar sah ich mehrere kleine Dreiecke nebeneinander liegen, die wie Schnäbel aussahen. Doch wenn es Schnäbel waren, standen diese nicht offen. Auch war keinerlei Bewegung im Nest. Eine Totenstille lag darin. Ob ich mich gestern getäuscht hatte und das da oben im Nest vielleicht Federn waren. Dann lägen die Eier noch darunter und müßten noch weiter ausgebrütet werden. Meine Augen schienen mir einen Streich zu spielen. Irgendwie war ich unsicher. Schließlich gaben die Kleinen ja auch keinen Laut von sich, nicht einmal, wenn die Eltern in der Nähe waren.


17.06.2002


Es wird immer wahrscheinlicher, daß die Jungen geschlüpft sind, auch wenn noch kein Piepen zu hören ist und keine weiteren Eierschalen aus dem Nest herausgefallen sind. Fressen die Eltern die Eierschalen etwa auf? Oder tragen sie diese im Schabel aus dem Nest und werfen sie an einer anderen Stelle fort, so daß andere Tiere beispielsweise Katzen keinen Verdacht schöpfen, wenn sie leere Eierschalen vorfinden?


20.06.2002


"Papa! Komm mal schnell!" Doch ich reagierte zu spät. "Was ist denn?" wollte ich wissen. "Gerade hat ein Schwälbchen seinen Kopf aus dem Nest gesteckt und Gucky hat es gefüttert." Ja, kein Zweifel mehr, die Schwälbchen sind geschlüpft. Bisher habe ich jedoch keinen weiteren Versuch unternommen, mit meinem Spiegel nach den Kleinen zu schauen.


22.06.2002


Heute habe auch ich die Schwalbenkinder aus dem Nest herausschauen sehen und zwar gleich drei an der Zahl. Die Schwalbeneltern sind fleißig dabei die Schnäbel ihrer Kleinen zu stopfen. Abwechselnd fliegen sie zum Nest und sind den ganzen Tag beschäftigt. Manchmal sieht es sogar so aus, als bewachten sie die Kleinen, das keines herausfällt.


24.06.2002


Wie klein die Schwänze der Kinder sind, die sie ab und an über den Nestrand strecken. Jetzt ist auch der Schwalbenruf der Kleinen zu hören. Ich sollte diese Töne einmal auf Kassette aufnehmen. Sind die Eltern fort, verhalten sich ihre Kleinen ganz ruhig. Doch nahen die Eltern heran, so beginnt das Konzert und hört nicht eher auf, bis sie wieder fortgeflogen sind. Jedes Schwälbchen will eben sein Futter abbekommen. Wenn sie nicht schreien und ihre Schnäbel nicht weit aufsperren, bekommen sie wohl nichts.

25.06.2002


Mehrmals am Abend schalte ich das Licht im Flur an, um noch einmal nach Gucky zu schauen. Selten ist er jetzt abends anzutreffen. Mutter Schwalbe sitzt auf dem Nest. Ob vielleicht auch Gucky da oben mit sitzt. Aber das würde ich doch erkennen können. Wo steckt der Herr Papa nur?

Nachts um halb drei wache ich noch einmal auf. Ich schaue nach, ob Gucky jetzt zuhause ist. Wie schön, er sitzt auf seinem Brett. Vielleicht läßt das Füttern der Kinder Gucky selbst kaum Zeit, sich um sein eigenens Futter zu kümmern und so braucht er eben etwas länger, um nach Hause zu kommen.


27.06.2002 Siebenschläfertag


Gut, daß die Schwalben ihr Nest in unsere Hausnische gebaut haben. Dort ist es vor den starken Regenfällen absolut sicher. Vor allem wenn das Regenwetter, wie der Siebenschläfertag verspricht, sieben Wochen andauern soll.

Wie niedlich die kleinen Schwänze aussehen, die über den Nestrand herausschauen. In den letzten Tagen sah man meist nur ein kleines Schwänzchen über den Nestrand blicken. Heute sind es schon zwei bis drei. Manchmal kann ich sogar einen Flügel sich ausspreizen sehen. Daß die Schwalben ihre Schwänze zum Nest heraushalten, hat einen guten Grund. Die Schwalben halten nämlich ihr Nest schön sauber. Leider bleibt dafür die Eingangstreppe nicht frei von dem weißschwarzen Kleckerkram, der zuerst noch weich und feucht ist und sich gut wegwischen läßt. Doch wenn er erst einmal antrocknet, brauche ich fast einen Spachtel, um die Vogelscheiße wegzukratzen. Das macht schon ein bißchen Arbeit, zwei bis dreimal am Tag kann ich die Treppe putzen. Doch das ist es mir wert, wenn ich die Vögel weiterhin beobachten kann. Da nehme ich das Treppenwischen gerne in Kauf. Zum Glück hat uns noch keiner der Vögel auf den Kopf gekackt und es ist auch noch kein Häufchen in meiner Kaffeetasse gelandet, die ich nachmittags immer mit nach draußen nehme.


28.06.2002


Auch heute regnet es wieder wie verrückt. Doch die Schwalbeneltern lassen sich trotz des Regens nicht davon abhalten, loszufliegen und bald mit Futter zurück zu kommen, um ihre Kleinen zu versorgen. Naja, so klein sind sie nun auch nicht mehr. Mit der Leiter und meinem gebastelten Spiegel habe ich mal wieder in das Nest geschaut, in Abwesenheit der Eltern, versteht sich. Da lagen sie nun die Jungen. Drei Köpfe konnte ich genau erkennen und zwei paar Flügel am Rand des Nestes. Doch es können durchaus fünf junge Schwalben in dem Nest drin liegen. Augen ließen sich nicht erkennen, doch die spitzen Schnäbel. Alle drei waren geschlossen und die Kleinen gaben keinen Ton von sich. Doch diesmal verhielten sie sich nicht ganz so ruhig wie beim ersten Mal, als ich den Spiegel ausprobierte. Die beiden Vögel am Rand des Nestes, also die Flügel rechts und links im Nest, die bewegten sich. Dann zog ich mich zurück, um den Eltern wieder Platz zu machen, wenn sie gleich erneut geflogen kommen würden.

Gerade wollte ich die Leiter wieder forttragen, da überlegte ich mir, gleich mal das alte Schwalbennest, das die Schwalben in diesem Jahr nicht angerührt haben, von dem hineingesteckten Stroh zu befreien. Vielleicht nutzen die Schwalben dann ja das alte Nest wieder. Meist brüten sie ja gleich zweimal hintereinander.

Der andere Vogel, den ich zu Frühlingsanfang aus dem alten Nest fliegen sah, war keine Schwalbe. Er hat sich hier auch schon lange nicht mehr sehen lassen. Vielleicht kam er ja nicht zurück, weil die Schwalben heimgekehrt waren und wieder ihre Eingangshalle und unseren Vorbau bezogen hatten. Vielleicht aber war der Vogel auch nicht mehr am Leben, weil ihn irgendeine Katze aus der Nachbarschaft verspeist hat. Ich holte mir einen "verlängerten Arm" und zog mit der Greifzange vorsichtig das Stroh aus dem alten Nest. "Mal sehen, ob die Schwalben es jetzt wieder nutzen", dachte ich. Erst wollte ich schon die Leiter und den Greifer forträumen. Doch dann nahm ich meinen Spiegel, kletterte noch einmal die Leiter hoch und schaute in das von Stroh und Moos befreite Nest. Überraschung! Da lagen doch tatsächlich sechs winzige weiße Eier darin. Erst bekam ich einen Schreck. Was hatte ich getan? Doch dann wurde mir klar, daß es erstens keine Schwalbeneier waren - die sind nicht weiß, sondern gesprenkelt - und zweitens können die Eier jetzt gar nicht mehr ausgebrütet werden. Sie liegen schon zu lange allein in dem Nest ohne Wärme. Denn seit fast drei Monaten ist da oben kein Vogel mehr drin gewesen. Nun wurde mir auch klar, warum die Schwalben das alte Nest nicht mehr bezogen hatten. Sie fanden die Eier in dem Nest vor und zogen sich deshalb zurück. Wie rücksichtsvoll von ihnen. Nun, was sollte ich mit diesen Eiern anfangen? Ersteinmal ließ ich sie in dem alten Schwalbennest liegen. Doch wenn die Schwalben das Nest wieder beziehen sollen, werde ich wohl die sechs winzigen Eier herausnehmen müssen, außer die Schwalben ändern ihre Meinung und werfen sie selbst heraus. Doch das wäre zu schade, dann brächen sie sicher entzwei. Einmal werde ich noch darüber schlafen. Dann werde ich entscheiden, was mit den kleinen Eiern geschehen soll.


22. Mai 2007

Gute Nacht