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GUTE-NACHT/2396: Wendepunkt (SB)


Als Nele am Abend im Bett liegt, schaut sie zur Zimmerdecke hinauf. Ohne lange zu überlegen, springt sie schnell wieder aus dem Bett und ruft nach ihrer Oma. Oma Ella steht so schnell im Zimmer, wie sie es selbst nicht für möglich gehalten hätte.

"Was ist denn los?" fragt sie ihre Enkelin, "warum schreist du so entsetzlich?" Nele zeigt nur zur Decke hinauf und fleht: "Mach die weg!" Oma Ella beruhigt Nele: "Sei ganz ruhig. Das haben wir gleich. Behalte du die Spinne im Auge, ich hole inzwischen ein Glas mit Deckel. Dann fangen wir die Spinne ein und bringen sie nach draußen." Jetzt hat Nele ihre Fassung fast wieder. "Also ich fange die Spinne bestimmt nicht ein. Ich klatsche sie höchstens tot!" regt sich Nele auf.

Oma Ella holt schnell in der Küche ein Marmeladenglas und einen Pappdeckel. Geschickt fängt sie damit die Spinne, die sich jetzt an ihrem Faden von der Decke herabgelassen hat, ein. Nun bringt Oma Ella die Spinne auf den Balkon hinaus. Nele folgt. Hier an der frischen Luft läßt Oma die Spinne in einen Blumentopf krabbeln.

"Ich hätte das nicht geschafft, die Spinne zu fangen", stellt Nele ein bißchen bewundernd fest. "Es gab eine Zeit", erzählt Oma Ella, "da konnte ich das auch nicht. Doch dann hatte ich einmal ein ganz ekliges Erlebnis. Mein Zimmer lag im ersten Stock. Wenn ich in die Wohnung meiner Eltern wollte, mußte ich über den Flur. Es war ein alter Flur in einem alten Haus. Da gab es viele Ecken, wo sich Spinnen verkriechen konnten. Die einzigen Spinnen, die mir damals nichts ausmachten, waren die Weberknechte. Vielleicht kennst du sie unter dem Namen 'Schneiderlein'."

"Die mit den dünnen langen Beinen, die so schnell ausreißen?" fragt Nele. "Ja, genau die. Es machte mir nichts aus, sie anzufassen. Doch sämtliche anderen Spinnen waren mir ein Greul. Bis eines Tages - ich war auf dem Weg von meinem Zimmer runter in das Erdgeschoß zur Wohnung meiner Eltern. Da schoß so ein riesiges fettes Vieh vor mir über den Fußboden hinweg. Mann, war ich erschrocken. Wenn ich wieder barfuß gelaufen und auf die Spinne draufgetreten wäre. Uh, ich ekelte mich. Doch zum Glück hatte ich Schuhe an, und wie es meine Gewohnheit war, trat ich schnell auf die Spinne, daß sie zermatschte. Was ich dabei erlebte, hätte ich nie gedacht. Die Spinne starb mit einem solch lauten Knirschgeräusch, daß es mir zum ersten Mal bewußt wurde, daß ich ein kleines lebendiges Wesen umgebracht hatte."

Oma Ella und Nele blicken sich schweigsam an. Dann ergreift Oma wieder das Wort: "Von diesem Erlebnis an, habe ich mir geschworen, nie wieder eine Spinne zu töten, sie lieber in Ruhe zu lassen oder einfach mit einem Glas zu fangen und an die frische Luft zu setzen." Nele überlegt. Dann sagt sie leise. "Kannst du mir zeigen, wie ich eine Spinne fangen kann?" Oma Ella verspricht es: "Die nächste Spinne rettest du!"

8. August 2007

Gute Nacht