Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/2751: Herbstkind (SB)


Nachdem Zeichner Raimund gestern lange nach einem Platz gesucht hat, an dem der Block mit dem Haus des kleinen Wesens, das noch immer keinen Namen trägt, für längere Zeit stehen könnte, dann aber doch von dort wieder entfernt wurde, hat er gleich heute morgen nach einer geeigneteren Stelle Ausschau gehalten. Endlich hat er auch eine gefunden. Er hat den Zeichenblock einfach an zwei alten Hosenträgern direkt hinter seinem Arbeitstisch aufgehängt. Die Hosenträger hat er an der Zimmerdecke mit zwei Haken befestigt. So hängt der Zeichenblock zwar mitten im Zimmer, aber schließlich steht auch der Arbeitstisch genau hier. Jetzt kann das kleine Wesen, wenn es denn endlich einmal erwachen würde, dem Zeichner bei seiner Arbeit zuschauen. Wenn es dann nach Beschäftigung sucht, kann der Zeichner den Block ein bißchen anstupsen, damit er in Bewegung gerät und das kleine Wesen schaukeln kann.

Lange läßt sich das kleine Wesen an diesem Tag Zeit hervorzukommen. Erst gegen Abend läßt es sich blicken. Der Zeichner hatte schon befürchtet, der kleine Kerl sei gar nicht mehr da. Jetzt aber ist er doch aufgetaucht. Raimund ist zwar neugierig, will das dem kleinen Wesen gegenüber aber nicht zeigen. Schließlich, wer weiß schon, was sich so ein kleiner Kerl alles darauf einbildet. Doch auch ohne Fragen erfährt der Zeichner, was er wissen möchte. Denn erst einmal erschienen, plappert das kleine Wesen eifrig drauflos.

"Ich habe lange über einen Namen für mich nachgedacht!", erklärt das kleine Wesen, "und ich habe beschlossen Herbst zu heißen." Der Zeichner ist sehr überrascht. Denn er kennt niemanden, der Herbst heißt. "Soll das dein Vorname oder dein Nachname sein?", fragt er. "Vorname? Nachname?", wiederholt das kleine Wesen, "das soll mein Name sein."

Der Zeichner berichtet, daß die Menschen immer einen Vor- und einen Nachnamen haben. "Damit es nicht zu Verwechselungen kommt, denn es gibt sehr viele Menschen", ergänzt der Zeichner. "Kennst du noch mehr, die so sind wie ich?", fragt das kleine Wesen. Der Zeichner überlegt ganz kurz und schüttelt seinen Kopf. "Also dann brauche ich nur einen Namen", stellt das kleine Wesen fest. "Aber es gibt so viele Namen", wendet der Zeichner ein, "warum soll dein Name ausgerechnet Herbst sein?"

"Daß der Herbst ein Maler ist, finde ich gut. Ich möchte auch ein Maler sein und darum will ich Herbst heißen", weicht das kleine Wesen nicht von seiner Meinung ab. "Gut, ich nenne dich Herbstkind. Aber nur so lange bis du auch noch den Winter, den Sommer und den Frühling kennengelernt hast. Oder ich nenne dich in jeder Jahreszeit entsprechend." Was der Zeichner unter Jahreszeit versteht, ist dem Herbstkind fremd. "Das wirst du alles noch kennenlernen, warte es nur ab. Herbstlich ist jedenfalls jetzt die Stimmung da draußen. Es regnet und stürmt oder die Sonne scheint und Spinnweben treiben durch die Luft. Laß uns einen Spaziergang unternehmen." Damit das kleine Wesen nicht sein ganzes Haus mitnehmen muß, klettert es schnell auf ein anderes Blatt und versteckt sich dort in einem Korb. Dann geht der Spaziergang los. Was das kleine Wesen dabei alles erlebt, erfahren wir wohl erst morgen.

2. Oktober 2008

Gute Nacht