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GUTE-NACHT/2946: Frau Löwenzahn kennt die fliegende Mistfinkpflanze (SB)


Gute Nacht Geschichten


"Hallo Frau Mistfink!" grüßt Mutter Löwenzahn ihre Nachbarin, die etwas weiter entfernt ihre Wurzeln in die satte Erde gegraben hat. Heute kann Mutter Löwenzahn Frau Mistfink besonders gut sehen. Das liegt wohl daran, daß Mutter Löwenzahns Kopf weiter gen Himmel emporragt. Ihr Stiel hat sich nämlich verändert. Er ist in den letzten Tagen um einiges länger gewachsen. Was Mutter Löwenzahn nun bald dem Abschied von ihren Kindern näherbringt. Doch Mutter Löwenzahn ist unbesorgt. Die Sonne scheint, und so eine schöne Aussicht hat sie noch nie gehabt.

Wer Frau Mistfink ist? Ja, das ist nicht etwa ein Vogel, wie der Name vermuten läßt. Nein, Frau Mistfink stammt auch aus dem Hause Löwenzahn und ist eben eine solche Pflanze. Ja, die Löwenzahns sind unter vielen Namen bekannt. Bei der Freude über die gute Aussicht und den schönen Tag, hat Mutter Löwenzahn ganz vergessen, wie eingebildet die Mistfinks sich doch des öfteren geben. Sie können es nicht ertragen, daß es anderen besser geht als ihnen selbst. Deshalb grüßt Frau Mistfink wohl auch nicht ganz so höflich zurück. Doch dann ergreift Frau Mistfink das Wort, denn nur so kann sie sich wieder ins rechte Licht rücken: "Na, ich sehe, Sie, Frau Löwenzahn, sind schon in die oberen Regionen emporgewachsen. Dann dauert es ja nicht mehr lange, und Ihre Kinder werden bald fort sein!" Frau Mistfinks Rede hat Mutter Löwenzahns wunden Punkt getroffen.

Ja, Mutter Löwenzahn denkt jetzt wieder an den bevorstehenden Abschied und wird traurig. Das ist für Frau Mistfink genau der richtige Moment, noch eins obendrauf zu setzen und Frau Löwenzahn noch eine Frechheit zu verpassen. "Wissen Sie denn schon, wohin ihre Kinder reisen werden?", fragt Frau Mistfink scheinheilig. Natürlich weiß Mutter Löwenzahn das nicht. Wer weiß schon, wohin der Wind die Löwenzahnkinder weht. Nur Familie Mistfink hatte es einmal erfahren und noch dazu von einem Finken. Dieser Fink berichtete der Familie: "Nicht weit entfernt habe ich ein Nest. Von dort aus kann ich auf ein gegenüberliegendes Haus blicken. Immer wenn ich erwache, blicke ich hinüber. Eines Morgens, ich glaubte eine Fatamorgana zu sehen, leuchtete etwas gelbes Helles an der Backsteinwand. Ich wußte nicht was es war und wollte es mir etwas genauer anschauen. Deshalb flog ich zur Steinmauer hinüber. Dort entdeckte ich in den Ritzen zwischen dem schon längst festgewordenen Speiß, eine Löwenzahnpflanze. "Wie kommst du denn hierher?" fragte ich die Pflanze. "Na wie schon? Ich bin geflogen!" war die Antwort. Ich schüttelte mich vor Lachen und wäre fast heruntergefallen: "Wir Vögel können fliegen, aber doch nicht ihr Pflanzen!", entgegnete ich. "Wieso nicht?", fragte die Pflanze, "wer sind Sie überhaupt?" Ich stellte mich vor: "Fink ist mein Name. Und wie ist der Ihre?" Die Pflanze sah sich um. Unterhalb der Steinmauer erblickte sie wohl den Misthaufen. Etwas anderes fiel ihr wahrscheinlich gerade nicht ein und sie antwortete: "Ähm, Mist..., Mistfink ist mein Name." Dann fügte sie schnell noch schlagfertig hinzu: "Und wenn Sie, werter Fink, fliegen können, kann ich das als Mistfink schon lange. Sie sehen ja, ich habe mich hier oben, an diese hohe Hauswand hinaufgeschwungen.""

Damals war der Fink verwirrt. Schließlich hatte er noch nie an einer Hauswand eine solche Pflanze gesehen. Vielleicht war ja an den Worten der Mistfink-Pflanze etwas Wahres dran. Jedenfalls erzählte der Fink von nun an gern auf seinen Reisen von dieser seltsamen Pflanze. So kam die Kunde auch zu den Eltern der Mistfinkpflanze herbeigeflogen. Seit diesem Tag nannten sie sich Familie Mistfink und waren sehr stolz darauf.

Mutter Löwenzahn kennt die Geschichte schon in- und auswendig. Oft genug hat Frau Mistfink ihr diese schon heruntergebetet. Um nun nicht auch noch dazu etwas sagen zu müssen, wendet sich Mutter Löwenzahn ihren Kindern zu und wünscht ihnen eine: "Gute Nacht!"

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

01. Juni 2009

Gute Nacht