Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3036: Aus der Waschmaschine in das Bett (SB)


Gute Nacht Geschichten


Zum Glück hat Marie noch nicht den Einschaltknopf der Waschmaschine gedrückt. Schnell öffnet sie das Bullauge und zerrt die Kleidungsstücke wieder heraus. In den Taschen der Hosen und des Arbeitskittels befindet sich noch allerhand Krimskrams. Das durfte wirklich nicht in die Bewegung der Waschmaschine gelangen. Unter den wieder herausgeholten Dingen, die der Waschmaschine eher schaden oder aber selber kaputt gehen können, befinden sich zwei kleine Figuren, eines davon mit nur einem Ohr, das andere mit nur einem Schuh.

"Euch habe ich ja glatt vergessen. Ich glaube nicht, daß ihr so eine Fahrt in der Waschmaschine unbeschadet überstanden hättet", flüstert Marie.

"Wir auch nicht!"

Marie überlegt, ob da wirklich jemand mit ihr gesprochen hat. Schließlich ist doch außer ihr keiner zuhause. "Ich bin wohl wirklich sehr übermüdet. Heute werde ich auch endlich einmal früh zu Bett gehen", spricht Marie leise zu sich selber.

"Nicht weggehen!" - "Nimm uns mit!"

Schon wieder hat Marie Stimmen gehört. Sie nimmt die beiden Figuren hoch und besieht sie sich genauer. "Was fange ich jetzt bloß mit euch an?", fragt sie. Eine Antwort folgt sogleich, als ob sie sich in ihrem Kopf bildet. "Nimm uns mit!" - "Mach uns wieder ganz!"

"Spinne ich jetzt total?", fragt sich Marie und spricht es diesmal lieber nicht aus. Sie nimmt die beiden Figuren mit in die Küche und setzt sie dort auf den Tisch. Endlich ist Zeit, Tee zu kochen. "Am besten ich mache mir einen Kamillentee. Der beruhigt", sagt Marie diesmal wieder laut und blickt vor Schreck über ihre Worte automatisch zum Tisch hinüber, ob von dort ein Gegenargument zu hören ist oder eine Bestätigung. Diesmal erfolgt keins von beidem.

Marie streicht sich mit dem Handrücken über die Stirn, als wolle sie sich selber Fieber messen. Doch der Kopf ist nicht heiß. Eine saubere Tasse und das Schälchen mit Kandiszucker stellt sie auf den Tisch. Dann knurrt plötzlich ihr Magen und sie schmiert sich ein Stück Brot.

Endlich setzt sie sich mit dem fertigen Brot und den übergossenen Kamilleblüten an den Tisch. Einen Schluck aus der Tasse genommen, fällt Maries Blick wieder auf die beiden Figuren auf dem Tisch. "Was seid ihr eigentlich für welche?", fragt Marie in den Raum und erhält prompt die einstimmige Antwort: "Wissen wir nicht!"

Was ist das für ein Schreck! "Ich spinne doch nicht etwa oder doch?", denkt Marie vorsichtshalber, anstatt es auszusprechen. Sie schaut den beiden Figuren tief in die Augen. Das eine hat Augen aus angenähten Perlen. Dem anderen wurden die Augen aufgemalt. Dafür aber trägt es eine winzige Brille ohne Gläser aus Draht.

"Ihr seid mir vielleicht zwei ulkige Gesellen mit eurem Stoffkörper und dem merkwürdigen breiten Kopf. Irgenwie erinnert ihr mich an kleine Nilpferde", beginnt Marie mit den beiden Figuren eine Unterhaltung.

Plötzlich hat Marie eine Idee. Sie steht auf und verläßt das Zimmer. Nach einer Weile kommt sie mit einem Kasten wieder zurück. Diesen öffnet sie, indem sie ihn einfach auseinander zieht. Jetzt steht vor ihr ein Kasten bestehend aus fünf Fächern. Aus diesen holt sie eine Schere, eine Nadel und einen Faden, etwas Stoff und Zauberwatte. Aus dem Stoff formt sie etwas, das wie ein kleines Ohr aussieht, zumindest ähnelt es den drei Ohren der beiden Figuren. Das neue Ohr näht Marie der einen Figur an. Zuvor aber sagt sie, daß es gleich ein bißchen weh tun kann. Sie wolle zwar sehr vorsichtig sein, aber man könne ja nie wissen. Am besten sei es, sich auf den Schmerz vorzubereiten und genau herausfinden zu wollen, wo dieser steckt. Dann sei es nur noch halb so schlimm. Denn das Geheimnis des Schmerzes sei, daß er unendlich feige sei. Wenn ihm endlich mal einer die Stirn bietet, dann haue er schnell ab.

So ist es dann auch. Die kleine Figur gibt keinen Ton von sich, als Marie ihr das fehlende Ohr annäht.

Nun möchte Marie auch der zweiten Figur helfen. Aus einem anderen Stückchen Stoff fertigt sie einen Schuh, der dem ersten zwar nicht in der Farbe, so aber in der Form gleicht. "Toll!" sagt die Figur, als auch sie dem Schmerz die Stirn geboten hat und nun endlich wieder auf zwei Beinen durch die Welt laufen kann.

An diesem Abend geht Marie, obwohl die Kinder nicht im Haus sind, nicht allein zu Bett. Die kleinen Figuren dürfen neben ihr auf dem zweiten Kissen schlafen. Es ist das erste Mal für die beiden, daß sie eine Nacht in einem richtigen Bett verbringen. Da ist es nicht verwunderlich, daß die beiden fast nicht schlafen können, sondern ein Fest feiern. Das Fest heißt "Premiere im Bett".

24. September 2009

Gute Nacht