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GUTE-NACHT/3057: Rabenhaar (SB)


Gute Nacht Geschichten

Im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen Pummelchen und Pelle und langweilen sich. Draußen ist es kalt. Das hält die beiden nie davon ab, in den Garten zu gehen. Aber der Wind bläst so stark, daß Mama sie nicht nach draußen lassen will. "Was sollen wir denn sonst anstellen?", fragt Pummelchen ihre Mutter. "Also anstellen schon mal gar nichts!", protestiert sie. Dann schlägt sie vor: "Warum liest Pelle dir nicht etwas vor?" - "Immer ich!", brummelt Pelle vor sich hin. Nur weil er der Ältere ist und zur Schule geht, soll er Pummelchen stets unterhalten. Er mag seine Schwester sehr und weil sie meist lustig ist, ist er auch gern mit ihr zusammen. Doch möchte er selbst auch manchmal etwas vorgelesen bekommen und nur dasitzen und zuhören.

Da tritt Oma ins Zimmer. Sie hat wie stets ihre braune und mit Rosen bestickte Tasche dabei. Sie liest gern, vor allem Kinderbücher. Jedesmal wenn sie kommt, hat sie neue Bücher dabei. Oma stellt es immer sehr geheimnisvoll an, wenn sie ihre Tasche öffnet. Kein anderer - nur sie allein - darf in die Tasche schauen.

Oma hat das Gespräch beim Eintreten mit angehört und fragt nun: "Möchtet ihr, daß ich euch etwas vorlese?" Pelle ist ein bißchen skeptisch. Beim letzten Besuch, das war vor einem halben Jahr, hatte Oma nur Bilderbücher dabei. Das fand Pelle voll langweilig. Doch er mag Oma nichts abschlagen und läßt sich überraschen, was sie diesmal mitgebracht hat. Sie zieht ein Buch aus der Tasche, auf dem in einem Garten eine Wäscheleine zu sehen ist, an der eine Frau oder ein Mädchen mit langen Haaren eine Tischdecke anklammert. Dazu biegen sich die Bäume im Garten im Wind.

"Das wird doch voll langweilig", denkt Pelle, "das ist ein Buch für Mädchen oder für Mama. Der Titel des Buches in rosaner Schrift unterstreicht seine Meinung noch, denn er erinnert ein bißchen an das Märchen Rapunzel." - "Ich gehe mal Hausaufgaben erledigen!", will sich Pelle abmelden, um sich in sein Zimmer zurückziehen zu können. Doch bevor Pelle aus der Tür ist, beginnt Oma schon zu lesen.

Das Buch erzählt von einer Gruppe von Kindern, die sich total langweilen. Vor lauter Langeweile zählen sie gar die Punkte auf dem rissigen Fußboden und die Adern in der Holzkiste vor ihnen. Oma fragt: "Wißt ihr, warum sich die Kinder langweilen?" Pelle bleibt an der Tür stehen und antwortet: "Weil es eben nichts zu tun gibt!" - "Richtig!", sagt Oma und blinzelt so merkwürdig: "Es gibt deshalb nichts zu tun, weil die Kinder in den fünf Jahren, in denen sie schon zusammen sind, alles gespielt, gebastelt, Puzzle gelegt haben, ja sogar Hühner züchten wollten, ihnen aber der Hahn fehlte und sie deshalb ein Hühneraltersheim gründeten und es unterhielten bis ihnen die Hühner starben. Danach haben sie eine Klubzeitung gegründet und Gedichte geschrieben und hundert andere Dinge mehr."

Oma weiß das alles, denn sie hat das Buch selbst schon gelesen. Pelle bleibt an der Tür stehen. Er weiß nicht recht, ob er in sein Zimmer gehen soll, oder ob es hier gleich richtig spannend wird. Da nimmt Oma das Buch und will es wieder in ihre braune mit Rosen bestickte Tasche stecken. "Sicher langweilen euch die Abenteuer der anderen Kinder bloß", sagt sie dabei. Jetzt kommt Pelle schnell zu ihr herüber. "Nein, nein, wir wollen gern von ihnen hören. Liest du uns bitte vor?" Oma nimmt das Buch wieder hoch, so daß Pelle erneut das Bild mit dem Mädchen an der Wäscheleine sehen kann. Vom Einband her hätte er nicht gedacht, daß es hier um viele Kinder, ja eine ganze Kinderbande geht. Gespannt lauscht er Omas Worten, die nun beginnt von Anfang an, das Buch "Rabenhaar" von Do van Ranst vorzulesen ...

22. Oktober 2009

Gute Nacht