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GUTE-NACHT/3267: Der kleine Nachtwächter läßt einen Ballon fliegen (SB)


Gute Nacht Geschichten

Mit seiner Laterne in der einen und der Taschenlampe in der anderen Hand schreitet der kleine Nachtwächter durch die Stadt. Vom Kirchturm hört er den Hahn wettern: "So ein Gejammer. Was soll das?" - "Was für ein Gejammer?", fragt sich der kleine Nachtwächter. Doch als er einem kleinen Haus näher kommt, nimmt auch er das Weinen wahr. Er tritt an das offen stehende Fenster heran und spät hinein.

Da sitzt ein Mädchen auf der Bettkante und weint. "Warum bist du denn so traurig?", fragt der kleine Nachtwächter. Das Mädchen schneuzt sich die Nase und hört für einen kurzen Moment auf zu weinen. "Mein Opa ist nicht mehr da und ich habe mich nicht von ihm verabschiedet." - "Wo ist er denn hin gegangen?", möchte der kleine Nachtwächter wissen.

"Mein Opa ist fort und kommt nicht mehr heim, hat meine Oma gesagt." Da weiß der kleine Nachtwächter Bescheid. "Was wolltest du deinem Opa denn sagen?" Das Mädchen schneuzt sich erneut und erzählt: "Ich möchte Opa von unserem Hasen erzählen und von den Kindern im Kindergarten. Daß ich mich mit Vera vertragen habe. Und wohin ich Opas Pfeife versteckt habe, damit er nicht so viel raucht - und daß ich Opa vermisse."

Einen kurzen Augenblick denkt der kleine Nachtwächter nach. Dann sagt er: "Du kannst deinem Opa einen Brief schicken!" Das Mädchen beginnt wieder zu schluchzen: "Aber ich kann nicht schreiben. Und wohin soll ich den Brief denn schicken?" - "Da weiß ich schon was. Mal du inzwischen ein Bild, und ich besorge etwas für die Reise!"


*


Als der kleine Nachtwächter nach einer Stunde oder so wieder zurück ist, hat das Mädchen ein großes Bild gemalt. Darauf sieht man ein schwarzes Kaninchen an einer Möhre mümmeln. Ein Kreis Kinder sitzt zusammen und singt ein Lied. Dabei halten sich zwei Freundinnen an den Händen. Rechts am Bildrand ist ein altes Sofa zu erkennen unter dem eine Pfeife hervorlugt. Dann sind da noch die Sonne, der Mond und viele Sterne zu sehen.

"Was machen wir jetzt?", fragt das Mädchen. Der kleine Nachtwächter steckt das Bild in einen Briefumschlag. Dann schneidet er vorsichtig ein Loch in den Umschlag, aber so, daß das Bild nicht verletzt wird. Durch das Loch zieht der kleine Nachtwächter einen Faden, der nicht reißen kann und knotet den Umschlag an einem Ballon fest.

"Jetzt lassen wir den Ballon fliegen. Dann bringt er deinem Opa das Bild", sagt der kleine Nachtwächter. "Und viele Grüße!", ergänzt das Mädchen. Schnell nimmt es noch einmal den Briefumschlag, legt ihn auf die Fensterbank und umrundet mit einem Stift zuerst die linke Hand und dann die rechte. "So, jetzt ist alles fertig!"

Mit der Taschenlampe strahlt der kleine Nachtwächter den Ballon an. So können die beiden ihn noch eine Weile mit den Augen verfolgen. Dann aber ist er verschwunden. "Jetzt schnell ins Bett. Du fühlst dich ja schon ganz kalt an. Gute Nacht." - "Gute Nacht, kleiner Nachtwächter und gute Nacht, Opa."


5. Oktober 2010

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