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GUTE-NACHT/3303: Der einsame Pantoffel hat Hoffnung (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


Als Oma Erna aus der Küche zurück wieder im Wohnzimmer steht, flüstert sie zu Opas Lieblingssessel gewandt: "Auch dir werde ich noch nichts verraten!" Mops Bello blickt Oma Erna fragend an. Dann aber verkriecht er sich lieber hinter dem anderen Sessel. Er versteht nicht, warum Oma mit jemandem spricht, der gar nicht da ist. Das ist ihm unheimlich.

In der ganzen Wohnung sucht Oma jetzt nach Kissen. Bald hat sie jede Menge davon in den unterschiedlichlichsten Größen zusammen. Anschließend holt sie sich alte Sachen von Opa aus dem Schrank. Die zusammengesuchten Kissen steckt sie in Opas alte Hose und in sein Hemd, über welches sie seine Jacke zieht. Die Kissen kann Oma wirklich gut gebrauchen. Ein rundes wird zum Kopf, die zwei schmalen Türvorleger werden in die Arme der Jacke hineingesteckt. Nun wird noch Opas Hut gesucht und schon ist eine Person fertig. Da klingelt es an der Wohnungstür. Um nicht mit diesem Kissenmann im Arm an der Tür zu erscheinen, setzt Oma den Mann in Opas Lieblingssessel. "Aber nicht, daß du denkst, es sei von Dauer!", sagt sie scherzhaft zu ihm.

Vorsichtig späht Oma durch ihr Guckloch in der Tür, um nicht irgend jemandem zu öffnen, den sie gar nicht kennt. Doch es ist Annette, ihre Tochter. Oma Erna läßt sie herein. Nach kurzer Begrüßung im Flur bittet Annette um einen Kaffee und stürzt gleich in die Küche. Oma folgt. "Ich muß erst einen aufsetzen", sagt sie und schickt Annette in die Stube. Annette ist das recht. Sie verläßt die Küche.

"Entschuldige, du hast ja Besuch", ruft Annette vom Flur aus. Doch Oma Erna hat es nicht verstanden. Der Wasserkocher ist zu laut. Annette will gerade den ihr fremden Mann begrüßen und ihm die Hand schütteln, da muß sie feststellen, daß dieser Mann aus lauter Kissen besteht. "Was ist denn hier los?", sprudelt es aus ihr heraus, "reicht meiner Mutter jetzt zur Gesellschaft schon nicht mehr Bello aus? Muß sie sich auch noch meinen Vater aus Kissen zusammensetzen?"

Annette ist verwirrt und geht in die Küche. Dort findet sie durch Zufall hinter dem Kohlenkasten den rechten roten Hausschuh ihres Vaters. Er ist voller Staub und Ruß. "Was hat das alles zu bedeuten?", fragt sie sich.

Oma Erna sieht den Pantoffel in der Hand ihrer Tochter und sagt zu dem Hausschuh gewandt: "Was machst du denn hinter dem Kohlenkasten? Du solltest doch in der Waschmaschine stecken?" Also wandert der Pantoffel in den Wäschekorb und soll mit der Wolldecke gewaschen werden, die Oma gleich noch obenauf legt. Annette ist völlig durcheinander: "Redet meine Mutter schon mit Hausschuhen? Und was haben die überhaupt in der Waschmaschine verloren. Aber die Krönung ist ja wohl der Kissenmann in Papas Sessel. Ich muß unbedingt mit meinem Bruder sprechen. Unsere Mutter dreht wohl langsam durch!" Annette denkt nicht mehr an ihren Kaffee, sondern verabschiedet sich sogleich, um nach Hause zu stürzen und ihren Bruder anzurufen.

Die Tür knallt zu, und Oma sagt zu Bello: "So sind sie, die jungen Dinger. Keine Zeit, nicht für die alte Mutter, nicht für den geliebten kleinen Hund, ja nicht einmal für eine bestellte Tasse Kaffee. Da trinke ich sie eben selber." Oma Erna setzt sich an den Küchentisch und mit einer Handbewegung zeigt sie Bello, daß er auf ihren Schoß springen darf. Dann verrät sie Bello ihr Geheimnis: "Gut, daß ich dem Kissenmann noch nicht seinen Weihnachtsumhang angezogen habe, sonst wäre ja die ganze Weihnachtsüberraschung verdorben." Oma Erna nimmt einen Schluck und streichelt Bello übers Fell. Weiter sagt sie: "Ich bin so gespannt, ob alle meine Kinder unserer Weihnachtseinladung folgen werden und am Heiligen Abend bei uns erscheinen? Ach, da fällt mir ein, ich habe ja noch gar keine Einladungen zum Fest geschrieben. Besser wir erledigen das so schnell als möglich, sonst nehmen sich meine Kinder noch irgend etwas anderes vor. Wir werden sie einladen, etwas Schönes kochen und am Ende bekommt jeder ein lustiges Geschenk, wie in früheren Zeiten. Ich hoffe sie kommen alle. Das wünsche ich mir so sehr. Denn eigentlich soll es eine wirkliche Überraschung für Opa werden! Auch wenn er es nicht mehr sieht. Er hat sich immer so gewünscht, daß alle Geschwister noch einmal zusammen finden. Also Bello, nichts verraten!"

Für ihre drei Kinder schreibt Oma Erna je eine Einladungskarte zum Weihnachtsfest. Zum Essen am Heiligen Abend läd sie die Drei ein und bittet um Antwort. "Nun brauchen wir die Briefe nur noch zur Post zu tragen, Bello." Sogleich zieht sich Oma Erna die Schuhe und den Mantel an, nimmt die Leine und schon ist auch Bello zur Stelle. "Bis nachher", ruft Oma in die Wohnung hinein. Es ist wohl die Gewohnheit. Denn so hat es Oma Erna auch früher stets gehalten, wenn sie einkaufen ging und Opa in seinem Lieblingssessel zurückließ.

Als die Tür hinter Oma und Bello ins Schloß fällt, bewegt sich etwas im Wäschekorb. Ein roter Pantoffel kommt zum Vorschein und holt tief Luft. "Lange hätte ich es unter der warmen Wolldecke nicht mehr ausgehalten", denkt er. Mit einem Satz ist er aus dem Wäschekorb draußen. Gut, daß Oma Erna ihre rote Wäsche schon gewaschen hat, sonst wäre der Pantoffel glatt wieder in die Wäschetrommel gewandert. Doch wohin jetzt? Der Entschluß ist bereits gefaßt. Es soll unter Opas Lieblingssessel im Wohnzimmer gehen. Doch wo Oma und Bello nun schon einmal fort sind, überlegt sich der rote Pantoffel, ob er nicht gleich noch nach seinem fehlenden, von Bello angeknabberten Linken suchen soll. Wo kann Oma ihn nur hingesteckt haben? Ob sie ihn fortgeworfen hat? Nein, ganz bestimmt nicht. Der Pantoffel sucht in jeder Ecke und findet so manche Spinnwebe und viel Staub. Doch den Linken findet er nicht. Da ist der rechte Pantoffel sehr traurig. Plötzlich Geräusche an der Wohnungstür. Schnell versteckt sich der Pantoffel ganz weit hinten unter dem Bett, denn er hatte gerade im Schlafzimmer nach seinem Partner gesucht. Der Pantoffel lauscht auf die Geräusche im Flur. Jetzt vernimmt er Stimmen. Doch es ist nicht Oma und auch nicht Bello. Wer mag da kommen?

"Komm schnell!", flüstert eine Frauenstimme. "Ich denke immer noch, daß wir es nicht tun sollen", sagt eine Männerstimme. "Aber das mußt du dir unbedingt ansehen, unsere Mutter spielt irgendwie verrückt. Schau in Papas Lieblingssessel, dort hat sie ihn sich aus Kissen zusammengebaut, unseren Vater." - "Ich sehe niemanden im Sessel", sagt die Männerstimme. "Dann hat sie ihn womöglich ins Bett gelegt." Doch auch hier finden die beiden Eindringlinge nicht den Mann aus Kissen. Schließlich war die Figur nur ein Probestück, und Oma Erna hat den Kissenmann bevor sie in die Stadt ging wieder auseinander genommen. "Verflixt, wo hat sie ihn nur versteckt?", fragt die Frauenstimme und fährt fort, "dann schau wenigstens in den Wäschekorb. Hierhinein hat Mutter den roten Pantoffel unseres Vaters gesteckt. Er ist staubig und voller Ruß, weil er hinter dem Kohlenkasten gelegen hat, da habe ich ihn selbst hervorgeholt."

Doch auch im Wäschekorb werden die beiden nicht fündig. Tochter Annette sucht nun in allen Ecken herum. Eine Eingebung sagt ihr, sie könnte einmal im Nähkorb ihrer Mutter nachschauen. Volltreffer. Hier findet sie den roten Pantoffel. Doch er ist total kaputt. "Was hat sie inzwischen mit diesem Pantoffel angestellt?" Tochter Annette merkt nicht, daß sie jetzt einen ganz anderen Pantoffel in den Händen hält als vorhin. Der Pantoffel unter dem Bett, der alles mitbekommt, freut sich. Weiß er doch nun endlich, wo sein Partner geblieben ist.

Die Männerstimme spricht zögernd: "Ich weiß nicht, was du hast, hier ist doch alles in Ordnung." - "Das sehe ich aber anders. Ich glaube unsere Mutter dreht langsam durch. Wir können sie nicht mehr allein lassen." - "Aber wie stellst du dir das vor?", fragt die Männerstimme, "ich arbeite den ganzen Tag und du auch!"

Erneute Schlüsselgeräusche an der Wohnungstür. Diesmal sind es wirklich Oma Erna und Bello, die vom Einkaufen zurück sind. Ein Schrei ertönt. Oma Erna hat nicht damit gerechnet, jemanden in ihrer Wohnung vorzufinden, und so sitzt der Schreck tief. Doch dann ist sie erleichtert, ihre Tochter und ihren Sohn vorzufinden. "Damit habe ich nicht gerechnet - einmal daß du heute noch einmal kommst und zweitens, daß ihr schon in meiner Wohnung seid. Da hätte ich gar nicht zur Post gehen brauchen, sondern euch die Einladungen gleich persönlich übergeben können."

"Einladungen? Was für Einladungen?", möchte Tochter Annette wissen. "Nunja, zum Weihnachtsfest, ich lade alle meine Kinder zum Weihnachtsessen ein." Annette, den zerfetzten Pantoffel unter ihrem Mantel versteckend, will schon etwas einwenden, da erhält sie einen strafenden Blick von ihrem Bruder. "Wir werden kommen und unsere Schwester Ulli ganz sicher auch", entgegnet er. "Das ist schön. Und sollte ich an diesem Abend gerade noch mit Bello vor der Tür sein, so hast du Annette ja den Ersatzschlüssel und ihr könnt so wie heute schon einmal hereinkommen", beugt Oma Erna vor. Etwas betroffen schauen sich Bruder und Schwester an. Bald verabschieden sie sich und gehen.

"Bello, sie hat dich nicht einmal begrüßt, so ein Frauchen", sagt Oma Erna und ist etwas ärgerlich über ihre Kinder. Irgendwas führen die doch im Schilde, wenn sie hier so heimlich auftauchen. "Ich habe mir doch hoffentlich nichts anmerken lassen, daß ich etwas wittere", denkt sie und spricht dann zu Bello, "komm, wir machen uns jetzt ein schönes Abendbrot, und morgen beginnen wir mit dem Basteln der Weihnachtsgeschenke!"

Der Pantoffel unter dem Bett hat alles mit angesehen und gehört. Nur hat er nicht mitbekommen, wohin die junge Frau den zweiten Pantoffel gelegt hat. Hatte sie ihn vielleicht in den Nähkorb zurückgesteckt? Wo ist er geblieben?



29. November 2010

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