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GUTE-NACHT/3434: Knopf und Knöpfchen lernen die Drillinge kennen (SB)




K N O P F   &   K N Ö P F C H E N

lernen die Drillinge kennen


Nach den beiden letzten Treffen gingen die Knöpfe in ihrer Kiste wieder zu ihren Tagesgeschäften über. Im Grunde hatten sie alle nicht viel zu tun, nur dazuliegen und zu warten, ob sie vielleicht irgendwann einmal aus der Kiste herausgeholt würden, um wieder an irgendeinem Kleidungsstück zu glänzen. Doch wer viel herumliegt und nichts tut, kommt entweder ins Grübeln und wird melancholisch oder er denkt sich die unterschiedlichsten Geschichten aus und erlebt sie in seinen Gedanken.

Einige der Knöpfe waren da hingegen voller Tatendrang. Sie hatten sich im Laufe der Zeit die eigentümlichsten Beschäftigungen gesucht. Der Kleine, der wie ein geschliffener Diamant aussah, vermißte das Sonnenlicht so sehr - denn bei Nacht konnte ja kein anderer seine Schönheit bewundern -, daß er sich die meiste Zeit des Tages in der Nähe der Holzschlitze, durch die die Sonnenblitze am Morgen eintraten und am Abend die Kiste wieder verließen, aufhielt, um sich in dem strahlenden Licht zu baden. Es war dem Kleinen - "Diamant" wurde er von den anderen bloß genannt - nicht genug, daß ihn seine Kistenbrüder und -schwestern sehen konnten. Er verschaffte sich täglich deutlich zweimal bei ihnen Gehör. Jeden Morgen begrüßte er mit einem langen Dankeslied die Sonnenblitze und verabschiedete diese wieder am Abend mit einem traurigen Gedicht. Immer mit der Gewißheit, daß die Lichtblitze ja am nächsten Tag wiederkehren würden, und er erneut seines Amtes walten konnte, um sie zu preisen und damit sich selber.

Ein anderer Knopf, der früher einmal an einer Uniform geglänzt hatte, hielt es nicht aus, wenn er in der Knopfkiste nicht ständig für Ordnung sorgen konnte. Er rekrutierte die verschiedensten Knöpfe in der Kiste auf irgendwelche Posten. Manchmal ließen es sich die anderen Knöpfe gefallen, denn sie waren es leid, nur so herumzuliegen. Doch nicht immer hatte der "Major" - so wurde der Uniformknopf mittlerweile genannt - Erfolg mit seinen Befehlen. Das ärgerte ihn mächtig, obwohl es sein Leben auch ein bißchen spannender gestaltete, wenn ihm nicht alle prompt gehorchten.

So suchte jeder Knopf nach irgendeiner Möglichkeit durch den Tag und die anschließende Nacht zu kommen. Durch Knöpfchens Aktion des Geschichtenerzählens war neues Leben in die Knopfkiste eingekehrt. Es wurde viel mehr miteinander gesprochen, ja sogar gespielt und gerätselt. Es machte vielen Knöpfen plötzlich Spaß, hier in der Kiste zu sein. Nach der nachdenklichen Geschichte des roten Schwans und der traurigen des Goldknopfes wollten jetzt die Drillinge - so wurden die drei runden blauen Knöpfe genannt - ihre doch recht turbulente Geschichte zum Besten geben.


"Weißt du noch?", fragte der erste Drilling, "die Geschichte mit dem großen Ball!" - "Klar, erinnere ich mich daran. Schließlich hatten wir uns fast total zerstritten, als es darum ging, wer als oberster und wer als unterster Knopf angenäht werden sollte." - "Ja, ich wollte unbedingt der Oberste werden", meldete sich nun auch der dritte Knopf zu Wort, "wir waren die schönsten Knöpfe des ganzen Ladens, als uns eine ältere Dame kaufte. Wir waren ausgesucht worden, um das I-Tüpfelchen am Kleid ihrer reichen Kundin zu werden. Diese wollte eine Tanzveranstaltung, einen richtigen Ball, besuchen. Wir freuten uns alle drei, bei einem echten Tanzball dabei sein zu können. Jeder von uns wollte nun ganz oben, gleich unter dem Ausschnitt - auf den immer alle einen Blick werfen - angenäht werden, um den Platz mit der herrlichsten Aussicht zu erhalten. Im Geschäft waren wir als die drei blauen Hildas bekannt. Doch im Laufe der Zeit, in der wir darauf warteten, an das Ballkleid angenäht zu werden, stellte sich heraus, daß wir eigentlich eher die Namen Milda, Kilda und Zwilda verdient hätten. Milda wollte stets unseren Streit schlichten. Sie wollte, daß wir uns vertragen sollten. Kilda hingegen war so kalt und überheblich, weil sie meinte, den obersten Platz regelrecht verdient zu haben, daß ich, Zwilda, mich nicht entscheiden konnte, was mir eigentlich das Angenehmste wäre. Beides wollte ich, ganz oben angenäht werden, aber mich auch mit meinen Freundinnen wieder vertragen. Ich war voller Zwiespalt und Zweifel, was ich denn nun tun sollte."

"Laß mich weitererzählen", bot sich Milda an und erhielt das Wort. "Für mich stand fest, bevor ich mich weiter streite, nehme ich lieber den untersten Platz ein. Jetzt ging es also nur noch um die beiden oberen Plätze. Meine Vermittlungsversuche allerdings scheiterten. Sie kamen nicht besonders gut bei Kilda und Zwilda an. Die beiden schmierten sich zuerst Honig um die Knopflöcher, damit ihnen jeweils der andere den besseren Platz anbieten sollte - aus Freundschaft natürlich. Doch keine der beiden gab nach. Zwilda versuchte es dann mit: "Ich bekomme weiter unten immer so schlecht Luft." Doch Kilda konterte: "Weiter oben ist leider immer die dünnere, also die schlechtere Luft. Laß mal Freundin, ich nehme das schon auf mich - für Dich." Sie hatten Schmeicheleien, Spielchen oder Eingeschnapptsein auf Lager. Ich war nicht besser. Insgeheim ärgerte ich mich nämlich über mich selber, daß ich immer nachgab."

Jetzt wollte auch Kilda etwas zur Geschichte beitragen: "Mir war klar, daß ich der schönste Knopf von uns Dreien war, deshalb gebührte mir der beste Platz. Nach tagelangem Streit lenkte Zwilda dann endlich ein, und wir einigten uns darauf, daß ich den obersten Platz erhalten würde. Wir waren die ganze Zeit so mit uns beschäftigt gewesen, daß wir nicht bemerkten, was eigentlich in der Nähstube vor sich ging. Dann kam der Tag der Anprobe. Wie enttäuscht war ich da, als ich feststellte, daß wir drei nicht an der Brust, sondern auf dem Rücken des Kleides angenäht worden waren."

Zwilda unterbrach Kilda, die in ihrer Entrüstung auch nicht hätte weitersprechen können. "Wir waren alle so entäuscht. Dafür hatten wir uns nun fast entdreit. Aber das Schlimmste bemerkten wir noch gar nicht, denn an diesem Tag trug die reiche Dame ihre Haare hochgesteckt. Wir konnten zwar nicht nach vorn, aber recht gut nach hinten Ausschau halten. Die Kathastrophe aber sollte erst noch eintreten."

Ihren Triumph über die anderen beiden Knöpfe wollte Milda nun doch selbst vortragen: "Die Näherin fragte, wie ihre Kundin denn an dem bevorstehenden Ballabend die Haare tragen werde. Die Kundin nahm ihre Haarspange heraus, die ihr Haar fest am Kopf gehalten hatte, und ließ die Haare locker um ihren Kopf fallen. Da war es vorbei mit Kildas und Zwildas Sicht der Dinge. Sie wurden sogar von den blonden Locken gekitzelt, daß sie niesen mußten. Nur ich hatte freie Sicht - nach hinten!"


Durch die Knopfkiste ging ein Gemurmel. Stimmen wurden laut von "das war aber traurig" über "das tut uns aber leid" bis "das geschah euch aber ganz recht". Das Gemurmel wollte nicht enden. Denn jetzt entbrannte unter den Zuhörern ein rechtes Zankgespräch, über Ordnung und Gerechtigkeit, aber auch über Freundschaft und Zusammenhalten. Milda, Kilda und Zwilda kamen gar nicht mehr zu Wort.

Auf das entgültige Ende der Geschichte mußten Knopf und Knöpfchen deshalb noch ein Weilchen warten. Sie stritten nicht mit den anderen und auch nicht mit einander, denn für sie stand fest, Freundschaft geht über alles. Knöpfchen kam sogar eine Idee: "Die drei Hildas hätten sich doch nebeneinander annähen lassen können." Knopf meinte dazu bloß: "Dann hätten sie sich wahrscheinlich um den Platz in der Mitte gestritten. Laß uns jetzt lieber schlafen gehen. Morgen erfahren wir bestimmt den Ausgang der Geschichte."

Gute Nacht

Knopf und Knöpfchen - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 21. Juli 2011