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GUTE-NACHT/3510: Im Schuhschrank ist die Hölle los - Teil  5 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

I m   S c h u h s c h r a n k   i s t   d i e   H ö l l e   l o s


Vom Läuten der Abendglocke zur sechsten Stunde bis zum Einläuten der Geisterstunde war noch eine Menge Zeit. Genau gesagt noch sechs Stunden. Die Schuhe lagen oder standen gelangweilt im Schuhschrank und warteten darauf, gebraucht zu werden. Doch an diesem Abend hatte keiner der Familie noch etwas außerhalb des Hauses zu erledigen. Nur die beiden Schwestern wollten gleich ein bißchen im Garten Federball spielen. Aber sie liebten es sowieso, barfuß zu spielen. So blieben alle Schuhe wiedermal zuhause.

Der kleine Turnschuh überlegte mächtig hin und her, so sehr, daß fast seine Schuhsohle qualmte. Aber ihm kam einfach keine Idee, wie er seinen Bruder, den zweiten kleinen Turnschuh, wiederfinden konnte. Wo sollte er bloß anfangen zu suchen? Wo war sein Bruder jetzt nur? Hoffentlich war ihm nichts passiert. Während der Kleine so vor sich hin grübelte, stritten sich mal wieder der hochhackige Damenschuh und die Sandale. Denn schon wieder bohrte sich der Absatz des einen in die Decksohle des anderen.

Da der kleine Turnschuh nicht weinte und auch sonst keine Töne von sich gab, beachtete ihn keiner. Ja, die Sorge um ihn war schon wieder in Vergessenheit geraten. Der Alltag war zurückgekehrt und alle Schuhe befanden sich genau an dem Platz, an den sie durch die Hausbewohner gestellt oder hingepfeffert worden waren. Da hatten es die beiden Wanderschuhe recht gut getroffen. Sie waren noch neu und hatten eine Menge Geld gekostet. Deshalb standen sie fein säuberlich nebeneinander und warteten nur darauf, bald auf große Wanderschaft ziehen zu können. Ob es wohl in die Berge ging oder in die Heide? Zum Meer würden sie wohl nicht reisen. Dahin zogen die meisten Reiselustigen lieber Gummistiefel an. Das wußten die beiden Wanderschuhe aus dem Schuhgeschäft, aus dem sie stammten. Dort hatten sie sich mit einer Menge netter Schuhe unterhalten. Sie lauschten auch stets auf die Worte der Verkäufer. Denn die verrieten eine ganze Menge über ihre angebotenen Waren, und das waren die Wanderschuhe einmal gewesen. Der Verkäufer hatte seinen Kunden erklärt, warum die Wanderschuhe so einen stolzen Preis kosteten. Sie seien von guter Qualität. Auch beschrieb der Verkäufer, wie sie zu behandeln wären, damit sie ein Leben lang hielten. Wie lang nun so ein Lebenlang war, dazu äußerte sich der Verkäufer nicht.

Von einer guten Behandlung hatten die beiden Wanderschuhe in diesem Hause bisher auch noch nichts gemerkt. Am Tag nach ihrer Ankunft hier wurden sie "ausprobiert". Dieses Wort gefiel den beiden Schuhen gar nicht. Es mußte ein Sonntag gewesen sein. Der Hausherr und seine Frau zogen sich fein an, und dann ging es los in den Park. Sie waren gar nicht so lang unterwegs, die beiden Wanderschuhe hatten sich noch nicht einmal warm gelaufen, da beschwerte sich auch schon die Gemahlin über ihre neuen Schuhe. Sie würden drücken. Sicher hätte sie sich schon Blasen gelaufen. "So ist das eben, Wanderschuhe müssen eingelaufen werden. Erst dann sind sie gut!" sagte der Herr Gemahl, "außerdem habe ich dir doch gesagt, vor dem ersten Tragen solltest du in deine neuen Wanderschuhe hineinpinkeln. Das ist ein alter Wandertrick. Dann bekommst du einfach keine Blasen!" Damit war die Gemahlin überhaupt nicht einverstanden gewesen - und die beiden Wanderschuhe übrigens auch nicht. "Die schönen Edelweiß", dachte die Gattin nur, "wie die nach so einer Tortour aussehen würden. Nein! Sowas kommt gar nicht in Frage!" Sie hatte sich die Schuhe sowieso nur ihrem Mann zuliebe gekauft. Sie hätte viel lieber Gummistiefel besorgt und wäre am liebsten in den nächsten Ferien ans Meer gefahren. Doch diesmal war ihr Gatte am Zug, die Wahl des Urlaubsortes zu bestimmen und das sollten die Berge sein.

Es gäbe wohl noch eine Menge zu berichten, was die Wanderschuhe trotz ihres kurzen Lebens schon alles mitbekommen hatten. Sie warteten schon seit einigen Wochen auf diesen Urlaub. Doch der Streit ging zwischen ihrer Besitzerin und derem Gatten noch hin und her. Mit diesen Schuhen würde sie nirgendwo mehr hingehen. Aber er stellte die Wanderschuhe fein säuberlich ins Regal zurück, in der Hoffnung, sie würde sich das doch noch einmal überlegen. Bisher waren die beiden aber wohl zu keinem Ergebnis gekommen. So träumten die Wanderschuhe jeden Tag vor sich hin, von bevorstehenden Reiseabenteuern. Auch jetzt träumten sie, bis sie um Mitternacht erwachen durften. Doch das dauerte noch eine Weile.


Gute Nacht

zum 8. Januar 2012