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GUTE-NACHT/3648: Bei Tante Marie auf dem Land (SB)

Gute-Nacht-Geschichten

Bei Tante Marie auf dem Land

Kennst du Tante Marie? Nein? Dann will ich dir von ihr erzählen. Als ich noch klein war, so wie du jetzt, habe ich sie öfter besucht. Mit ihrem Mann wohnte sie in einem alten Bauernhaus auf dem Lande. Der Hof wurde längst nicht mehr bewirtschaftet. Die Stallungen und die Scheune standen leer. Im Haus aber wohnten noch Leute. Unten wohnte Tante Maries Schwester mit ihrem Mann, ein Stockwerk höher Tante Marie und Onkel Willi. Oft kam die Schwester an ihre Wohnungstür, wenn wir nach oben in den ersten Stock zu Tante Marie stiegen. Sie blickte stets grimmig hinter uns her. Vor ihrem Mann nahmen wir uns noch mehr in acht. Er mochte keine Kinder und so schlichen wir immer leise die Treppe hinauf.

Oben angelangt, war die Angst schnell verflogen. Tante Marie und Onkel Willi liebten Kinder und hatten uns gern um sich. Sie selbst konnten keine Kinder bekommen. So freuten sie sich über jeden unserer Besuche. Unter dem Sofa hatten sie Spiele versteckt, die wir uns hervorholen und auspacken konnten. Mein Lieblingsspiel war das Hammerspiel. Auf eine Korkplatte konnte ich mit richtigen, winzigen Nägeln kleine Holzplättchen, die mit einem Loch versehen waren, aufhämmern. Aus den bunten Plättchen entstanden so die verschiedensten Figuren. Es gab auch Würfelspiele, die die beiden mit uns spielten.

Anschließend gab es immer etwas zu essen. Meist tischte Tante Marie Brot und "Ahle Wurscht" auf, vielleicht noch eine saure Gurke dazu, die sie selber eingelegt hatte. Als Getränk gab es kalten Kräutertee oder Pfefferminze. Zur damaligen Zeit war dieses Essen immer etwas besonderes, denn nicht jeden Tag bekam man Wurst auf den Tisch.

Onkel Willi verließ uns vor Tante Marie. Er war lange krank, dennoch änderte sich nichts an unseren Besuchen. Stets waren wir willkommen. Noch viele Male, als ich schon älter war und längst nicht mehr auf dem Dorf lebte, besuchte ich sie jedes Mal, wenn ich zuhause bei meinen Eltern war. Ein Besuch bei Tante Marie war mir ein inneres Bedürfnis.

"Gute Nacht!"

1. August 2014