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FUNGI/009: Quorneiweiß - sind Pilze wirklich Pflanzen ... (SB)


Irgendwann in den 1960er Jahren, als die Weltbevölkerung in einem rasanten Tempo anwuchs, sorgte man sich, dass es nicht mehr für alle genügend zu essen geben könnte. Dabei schien die Versorgung mit Fleisch, insbesondere mit dem für eine gesunde Ernährung wichtigem tierischen Eiweiß, als unsicher. Wissenschaftler starteten mehrere Forschungsprogramme, um Ersatz für Fleisch zu schaffen und um andere als die herkömmlichen Nahrungsquellen ausfindig zu machen. Dabei zog man auch die Möglichkeit in Betracht, das begehrte Eiweiß mit Hilfe von chemischen Prozessen aus Schlachtabfällen heraus zu filtern. Auch wurde die Tauglichkeit von Algen als gesundes Nahrungsmittel geprüft und selbst das Verarbeiten oder sogar das Verspeisen von Insekten wurde in Betracht gezogen. Eine Firma in England forschte lange Zeit daran, geeignete Bakterien oder Pilze zu finden, die sich als Fleischersatz zubereiten und in großen Mengen herstellen ließen. Über 3.000 verschiedene Organismen wurden dort auf ihre Eignung hin getestet und schließlich wurde man fündig. Ein Pilz blieb am Ende als "Sieger" übrig. Er besaß alle Eigenschaften, die für eine Lebensmittelproduktion von Vorteil sind. Diesem Pilz fehlten Hut und Stil, er hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit den Waldpilzen oder den Champignons auf unserm Teller, denn es handelte sich um einen Schimmelpilz.



Ein Schimmelpilz zum Essen?

Schimmelpilz? Im ersten Moment fallen einem die schimmeligen Flecken ein, die besonders in feuchten Räumen, wie dem Bad, der Küche oder dem Keller vorkommen können. Schimmel hat einen schlechten Ruf, gilt als schädlich und sollte schleunigst beseitigt werden. Und nun kommt der Vorschlag, aus Schimmelpilzen Nahrung herzustellen! Das scheint doch etwas merkwürdig.

Nun, die Sache ist ganz einfach. Nicht alle Schimmelpilze sind schädlich, aber sie heißen alle so, die "guten" wie die "schlechten", weil sie gleichermaßen aufgebaut sind. Sie bestehen aus einem Geflecht vieler Pilzfäden, den sogenannten Hyphen. Das gesamte Geflecht nennt man "Myzel". Dieses Myzel ist reich an Proteinen (Eiweißen), die als "Mykoproteine" (Pilz-Eiweiße) bezeichnet werden.

Der Pilz, der ausgewählt wurde, heißt Fusarium venenatum. Bis aus ihm ein Nahrungsmittel hergestellt werden konnte, bedurfte es allerdings einer weiteren intensiven Forschung. In einer Reihe vieler verschiedener Tests musste einwandfrei festgestellt werden, dass diese besondere Pilzart nicht schädlich ist, denn die meisten Schimmelpilze können gefährliche Gifte (Toxine) produzieren. Es ist also von höchster Wichtigkeit, dass Fusarium venenatum völlig harmlos ist und keinerlei Toxine herstellt.

Ein langer und aufwendiger Entwicklungsweg war erforderlich. Und so dauerte es bis zum Jahr 1985 bis dieser Schimmelpilz als Nahrung zugelassen, produziert und verkauft werden konnte. Sein Name war viel zu lang und ungewohnt, um sich bei den Kunden einzuprägen. So erhielt er den Markennamen "Quorn".


Wie aus dem Schimmelpilz ein Nahrungsmittel wird

Um große Mengen Quorn zu erzeugen, muss erst einmal die Grundmasse hergestellt werden. Das heißt, es musste zunächst einmal ein Verfahren entwickelt werden, um den proteinreichen (eiweißreichen) Schimmelpilz in großem Umfang zu züchten. Das sieht etwa so aus: In 40 Meter hohe keimfreie Behälter wird ein Gemisch aus Wasser und Glukose (ein bestimmter Zucker) gegeben und noch eine extra "Starterkultur", die den Pilz zum Wachsen anregt. Das geschieht bei einer steten Temperatur von 28 - 30°C. Der Schimmelpilz ernährt sich von der Glukose und wächst, so dass es innerhalb von ca. 5 Stunden zu einer Verdopplung seiner anfänglichen Masse kommen kann. Die Nährlösung in den hohen Behältern wird zudem mit Stickstoff und Sauerstoff angereichert, auch werden Vitamine und Mineralien hinzugegeben. Auf diese Weise entstehen für den Pilz optimale Wachstumsbedingungen und gleichsam wird damit der Nährwert des Endprodukts Quorn erhöht.

Doch bevor die in diesem Verfahren gewonnene Pilzeiweißmasse zu Quorn weiter verarbeitet werden kann, muss sie unbedingt kurz erhitzt werden, um jegliche Möglichkeit einer unter Umständen schädlichen Wirkung zu zerstören. Wenn nun danach aus der Quornmasse beispielsweise Bratwürste geformt werden sollen, muss noch ein Bindemittel zugefügt werden. Oft wird Hühnereiweiß und Weizenmehl in die Masse gerührt, was sie geschmeidig und gut formbar werden lässt. Um den Geschmack zu verbessern, wird als Würzmittel gern Hefeextrakt genommen. Sicherlich gibt es mittlerweile eine Menge neuer Rezepturen, die dem Quorn eine bestimmte Geschmacksnote geben.


Auf einem Teller liegen drei länglich geformte Quornstücke - Foto: 2009, by Jan Ainali [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons

Quorn-Produkt: gebraten, aufgetaut und als Rohform
Foto: 2009, by Jan Ainali [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons



Quorn statt Fleisch?

Ob Quorn wirklich Fleisch vollständig ersetzen kann, hängt wohl unter anderem auch von den einzelnen Menschen und deren Stoffwechsel ab. Einige sind erst nach dem Verzehr von Fleisch richtig satt und zufrieden, andere mögen ganz einfach weder Wurst- noch Fleischwaren. Betrachtet man die Ernährungslage der Weltbevölkerung, sind große Unterschiede in der Nahrungsaufnahme zu erkennen. In den nördlichen Ländern werden hauptsächlich Fische gegessen, wie auch Robben- und Walfleisch verspeist. Das hat einen einfachen Grund, denn weit oben im Norden ist es zu kalt und zu dunkel, um in großen Mengen Obst, Getreide und Gemüse anzubauen. Das gilt auch für andere Regionen dieser Erde, beispielsweise wird in der Mongolei überwiegend Fleisch verzehrt. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Beispiele, die zeigen, dass Menschen in bestimmten Gegenden dieser Erde kaum andere Möglichkeiten haben, außer sich überwiegend von tierischen Produkten zu ernähren. Das können Rinder, Schafe, Ziegen, Heuschrecken, Würmer und Insekten oder die verschiedensten Meerestiere sein. In wieder anderen Gebieten zählen hauptsächlich Käse und Milchprodukte zu den Hauptmahlzeiten. Die Menschen passen sich in ihren Ernährungsgewohnheiten den geographischen Gegebenheiten an, in denen sie leben.

Dort wo ein Überangebot an Nahrung vorhanden ist, wie in den Industrienationen, könnte man ohne weiteres seinen Fleischkonsum einschränken, denn es sind ausreichend andere Lebensmittel im Angebot, so dass man keine Mangelerscheinungen erleiden würde. Hier bietet sich Quorn selbstverständlich als Fleisch-Alternative an. Fraglich bleibt allerdings, ob es tatsächlich zur Sicherung der Welternährungslage beitragen kann.


Quorn bekommt Gesellschaft

Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch aus anderen Pilzen Produkte als Fleischersatz erzeugt werden können. Sie experimentieren mit echten Speisepilzen, die die Grundlage bilden sollen, denn sie sind nahrhaft, gesund und sättigend. Favorit ist dabei der Austern-Seitling, der ein kräftiges Aroma hat und eine festere Struktur.


Trichterförmige Pilze mit hellem Stiel und braunem Hut - Grafik: &copy 2017 by Schattenblick

Austern-Seitling
Grafik: &copy 2017 by Schattenblick


Der Pilz wird aber nicht als Ganzes verarbeitet, sondern nur seine fadenförmigen Zellen, die für seine typische Beschaffenheit verantwortlich sind. Auch hier findet ein ganz spezielles Verfahren Anwendung. Dabei spielt wie bei dem Schimmelpilz eine bestimmte Nährlösung mit Fruchtzucker eine Rolle und noch eine Reihe anderer Verfahrensschritte. Das Wesentliche bei der Vermehrung von Pilzeiweiß bleibt die besondere Nährlösung, die den Pilzen als Nahrung dient.

Aus der entstandenen Pilzeiweißmasse wurde in ersten Versuchen die Mortadella-Wurst gefertigt. Die Verwendung von echten Speisepilzen als Grundlage für das Pilzeiweiß hat den Vorteil, dass die Endprodukte vegan sein können, denn es muss kein Bindemittel in Form von Hühnereiweiß hinzugefügt werden. Ausgeklammert wird bei dieser Herstellungsart allerdings die Frage, ob es sich bei Pilzen nicht doch um Tiere handelt. Wie dem auch sei, es ist anzunehmen, dass den Pilzwesen in naher Zukunft noch eine Menge abverlangt wird.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.simplyscience.ch/teens-liesnach-archiv/articles/quorn-ein-schimmelpilz-als-fleischersatz.html

http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/pilzprodukte-100.html

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ernaehrung-der-zukunft-heuschrecken-zum-fruestueck/11210186.html


22. Mai 2018


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