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PONYFREUND/008: Warum eigentlich reiten lernen? (SB)


Warum nur reiten lernen?

Pferderespekt muß man sich erst verdienen


Hi Fans!

Na, nun soll's wohl mit der Reiterei so richtig losgehen. Alle Ponies ordentlich gestriegelt, gesattelt und aufgezäumt? Doch nun mal sachte, mit den jungen Pferden. Ehe ihr euch mit eurem ganzen Enthusiasmus in den Sattel schmeißt, nur mal so eine Frage am Rande:

Warum wollt ihr eigentlich bloß alle reiten lernen?

Ich meine, Sabine und ich beispielsweise, wir sind auch so gute Freunde; füttern, striegeln und Kruppe kraulen reicht für eine intensive Freundschaft vollkommen aus. Die ganze Reiterei mache ich eigentlich nur ihr zuliebe mit, weil sie sozusagen zur Familie gehört und ... naja, weil sie genaugenommen der Chef ist. Und was ein ranghöherer Artgenosse anordnet, das wird gemacht - Ehrensache. So ist nun mal unser Pferdeinstinkt eingerichtet, denn seit Generationen konnten wir in der Wildnis unser Überleben am besten sichern, indem das Leittier die Entscheidung für uns alle traf. Auf diese Weise konnten wir schnell gemeinsam handeln und rannten nicht erst hektisch durcheinander, sobald Gefahr drohte.

Also, nun hör aber bloß mal auf zu Wiehern, Sabine. Hab' ich denn gesagt, du bist ein Pferd? Aber so ist das nun mal nach Pferdeart. Für uns gibt es keine Menschen in dem Sinne. Nur höhere oder niedere Artgenossen.

Doch zurück zum Reiten. Um es einmal mit den Worten eines berühmten Raumfahrers auszudrücken: Rauf in den Sattel bzw. auf den Pferderücken war nur ein kleiner Schritt, doch das war ein großer Schritt für die Menschheit ... als nämlich vor ca. 5.000 Jahren Menschen zum ersten Mal auf die Idee kamen, sich aufs Pferd zu setzen und sich von ihm tragen zu lassen.

Seither gehören Pferde zum Lebensalltag des Menschen und, was für unsereinen vielleicht schlimmer ist, sie gehören ihm, d.h. sie sind seine Leibeigenen und ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. In der Geschichte der Menschheit waren wir Pferde es, die dem Menschen auf einmal ermöglichten, weite Strecken in schnellem Tempo zurückzulegen und neue Menschen und neue Länder kennenzulernen. Statt diese Möglichkeit jedoch für Vergnügungs- und Forschungsreisen zu nutzen beutete der Mensch unsere Großzügigkeit damit aus, Kriege zu führen und andere Völker, die noch keine Pferde und keine Reitkunst besaßen, zu unterdrücken.

Von der Antike bis in den Zweiten Weltkrieg hinein spielten meine Artgenossen ihre Rolle als Kriegsgerät des Menschen. Das sicherte ihnen zwar meistens eine vernünftige Behandlung und Pflege, setzte sie jedoch auch millionenfachem Leid aus. Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Pferde haben heute keinerlei militärische Bedeutung mehr. Abgesehen von vereinzelten Einsätzen in Land- und Forstwirtschaft wird unsereiner - und das möchte ich hier noch einmal betonen - zum Vergnügen der Menschen gehalten. Wir kommen mit   u n s e r e n   Bedürfnissen und Ansprüchen, die sicher nicht in erster Linie auf den Turnierplätzen und Rennbahnen dieser Welt liegen, dabei gar nicht mehr vor.

Erst im zweiten Rang unterscheiden wir Pferde zwischen dem Menschen, der uns im besten Fall als geliebten Freund umsorgt, und im schlechtesten Fall demjenigen, der uns als Sportgerät, als besserer Fußball, Turnschuh oder Tennisschläger nur solange beachtet, wie wir reibungslos funktionieren. Überlegt einmal wie viele Kinder sagen, daß sie für ihr Pony zu groß geworden sind und ein neues brauchen. Wie fühlt man sich dabei wohl? Wie ein in die Ecke getretener Turnschuh. Wer es allerdings in Pferdesport und Reiterei weit bringen will oder gar olympische Ambitionen hat, der   b r a u c h t   natürlich auch ein Pferd, das ihn aufs Siegertreppchen bugsiert, denn eigentlich sind es ja die Pferde, die die sportlichen Leistungen bringen. Schließlich heißt es "Pferde"sport. Wer dagegen schon allein "Reit"sport sagt ..., aber darüber reden wir lieber ein andermal.

Kurz gesagt, für all das, was den Menschen zum Herrscher über die Kreatur, und das Pferd zum rangniederen Wesen macht, für all das steht für uns die Reiterei und ihre 5000jährige Geschichte. Für den einen oder anderen Ponyfreund mag das alles ein bißchen viel auf einmal und vielleicht noch nicht so ganz zu verstehen sein, doch frag mal dein Pony.

Das heißt ja nun nicht, daß wir nicht Freunde bleiben können. Wie gesagt, Sabine und ich, wir verstehen uns prächtig. Aber es muß einmal gesagt werden und auch ein junger Reiter sollte schon darüber nachdenken, daß er auch eine gewisse Verantwortung trägt, wenn er oder sie sich auf den Rücken ihres Ponys schwingt und nicht nur symbolisch die Zügel in die Hand nimmt. Alles klar?

Wenn wir uns soweit verständigt haben, dann lasse ich Euch auch gerne mit allem Respekt meinerseits aufsteigen. Ein Pferd spürt nämlich nicht nur, wenn ein Reiter sich auf dem Pferderücken noch nicht zuhause und unsicher fühlt. Dadurch wird der Anfänger automatisch als rangniederes "Tier" eingestuft und auch ein gut geschultes Pferd oder Pony - die Kameraden in der Reitschule sind da besonders arrogant - wird auf die Hilfen eines Anfängers, mögen sie noch so korrekt ausgeführt sein, einfach nicht reagieren. Seinen höheren Rang muß sich jeder Reiter also erst verdienen. Bis dahin stellt sich unsereiner auf stur und folgt nur den Befehlen und Hilfen des "ranghöheren" Reitlehrers oder einer anderen Respektsperson, die zum Beispiel den Anfänger am Hilfszügel führt. Deshalb ist schon mancher Anfänger der irrigen Meinung aufgesessen, er sei ein Naturtalent, bei dem von Anfang an alles klappt.

Doch darüber und warum es vielleicht ganz sinnvoll ist, in die Reitschule zu gehen, reden wir das nächste Mal. Genug für heute. Außerdem habe ich Durst. Wie war das noch mit der Verantwortung des Reiters gegenüber der geknechteten Kreatur? ...

... Saaabieene, wo bleibt mein Wassereimer?

Tschüß ... Euer Silver



Erstveröffentlichung im Jahr 2000

17. April 2009