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PONYFREUND/014: Nehmt die Reiter an die Leine! ... Longenunterricht (SB)


Longe oder Reiterleine ...

... oder Üben, ohne das Pferd zu verletzten


Ha Freunde ...

... da bin ich wieder. Wie ist es euch denn nach der ersten Reitstunde ergangen? Ordentlich Muskelkater gehabt, was? Recht so, da merkt man doch, daß man sich ganz schön überschätzt, wenn man denkt, daß das mit dem Reiten so einfach wäre. Dabei seid ihr bisher noch nicht einmal richtig geritten, sondern habt nur versucht, euch einigermaßen auf einem ruhigen, älteren Schulpferdkollegen im Sattel zu halten. Meist sind es ja die etwas älteren und erfahreneren Pferde, die nicht gleich bei jedem ungelenken Juckeln eines Anfängers in Panik geraten, die ihren Kopf für den Anfängerunterricht herhalten müssen. Das hat man dann davon, wenn man sich die imposanten, spontanen Bocksprünge der Jugendzeit aus reiner Gutmütigkeit abgewöhnt hat. Schon flötet einer honigsüß: "Silverchen, du kennst dich doch so gut aus mit Anfängern, also komm schon, rann an die Longe." Und dann ist es erst mal wieder aus mit der Gemütlichkeit.

Doch ehrlich gesagt, die Longe ist so ziemlich das Annehmbarste, wenn dann schon wieder unbedingt ein neuer Reiter angelernt werden muß. Unsereiner läuft dabei zwar ziemlich blöde im Kreis herum, was angesichts der zarten Butterblumen auf dem Nachbarfeld oder der hübschen Stute von Bauer Franz, dem man mal wieder einen Besuch machen könnte, schon eine äußerst langweilige Angelegenheit ist. Und man sollte auch darauf achten, daß nicht so viele feixende Kollegen auf der Weide stehen. Nach dem Motto: "Hähä, der Silver macht mal wieder einen auf Zirkuspferd ..." Was man dann noch so alles zu hören kriegt. Schließlich hat man ja als Pferd auch seinen Stolz. Andererseits kann man auf der vorgeschriebenen Zirkelstrecke auch ein wenig vor sich hindösen und der Anfänger bekommt gar nicht erst die Möglichkeit, einem mit der Trense im Maul herum zu zerren.

Wahrscheinlich habt ihr Neulinge immer das Gefühl, ihr könntet plötzlich aus dem Sattel fallen. Dann neigt man wohl dazu, sich irgendwo festzuhalten. Für ein Pferd ist das alles andere als angenehm. Vor allem, wenn an den Zügeln gezerrt wird. Ihr müßt ja nur mal einen Bleistift zwischen die Zähne klemmen, bzw. den Mund aufhalten und den Bleistift links und rechts in eure Mundwinkel rammen - dann habt ihr so in etwa eine Vorstellung, wie entwürdigend dieses harte Eisenteil im Maul ist. Wenn allerdings das elendige Gezerre schon schlimm genug ist, durch die Gelenke an den beiden Enden des Gebißstücks können an unseren empfindlichen Mundwinkeln ebenfalls Verletzungen auftreten.

Ein Pferd, das schlecht geritten wird, verändert seinen Charakter mit der Zeit. Das ist so, als würdet ihr ständig mit etwas Unangenehmem traktiert. Vergleicht es einfach mal mit dem Besuch beim Zahnarzt. Man verkrampft sich, hat Angst vor neuen Schmerzen, wird knaddelig und hat einfach keinen Bock mehr, bockt und buckelt schließlich, um den unliebsamen Quälgeist loszuwerden, und das ist ja auch nur verständlich für den Anfang.

Wenn ich jetzt an Sabines letzte Lektion denke, dann wäre das ohne Longe für uns Pferde wirklich eine Tortur, denn ein Anfänger hat nun mal eine Menge Ungewohntes gleichzeitig zu lernen: Er muß die Zügel ruhig halten, richtig, mit erhobenem Kopf und geradem aber nicht steifen Oberkörper sitzen, soll die Beine locker hängen lassen, uns aber auch nicht damit in den Bauch treten und die Füße bzw. Fußspitzen im Steigbügel halten. Nicht unwahrscheinlich, daß so ein Reiter sich vor lauter Mühe so verkrampft, daß er tatsächlich ab und zu herunterfällt. Ihr habt wirklich alle Hände und Füße voll zu tun, ruhig auf dem Pferderücken zu bleiben und alle Kommandos des Reitlehrers zu befolgen. Wenn dabei noch einer an sein armes Pferd denkt, dann ist das für unsereinen schon fast ein Glückstreffer. Es ist also wirklich das beste, wenn ihr am Anfang nicht auch noch euer Pferd lenken müßt. Mit der Longe werden somit eigentlich nicht die Pferde, sondern die Reiter an die Hilfsleine gelegt ... Oh, hallo Sabine, also du warst nicht da, da hab' ich schon mal angefangen mit der nächsten Lektion ...

Tag, mein Silver. Weißt du eigentlich ob alle deine Zuhörer überhaupt schon mal eine Longe gesehen haben? Beim Longieren hält der Reitlehrer das Pferd nämlich an einer circa sechs bis acht Meter langen "Laufleine", während das Pferd im Kreis um ihn herumläuft. Der Schüler muß sich also überhaupt nicht darum kümmern, wohin das Pferd geht ...

Sagte ich ja gerade.

... die Zügel können einfach verknotet werden, der Reiter nimmt sie gar nicht in die Hand und kommt so nicht erst in Versuchung, sich am Zügel festzuhalten.

Manche Reitlehrer nehmen dem Anfänger gleich zu Beginn auch die Bügel weg, damit er lernt, ohne Bügel mit der Bewegung mitzuschwingen. Andere lassen ihm erst die Bügel, bis er die Angst herunterzufallen verliert und sich einigermaßen sicher im Sattel fühlt. Auf jeden Fall sollte jeder fortgeschrittene Reiter in der Lage sein, ohne Bügel zu reiten.

Am Anfang ist es für den Neuling angenehmer, wenn das Pferd ausgebunden ist, das heißt mit sogenannten seitlichen Ausbindezügeln, die die Trensenringe mit dem Sattelgurt verbinden. Das Pferd muß dabei seinen Hals krümmen und schwingt dann besser im Rücken ...

Für das Pferd sind Ausbinder aber gar nicht schön, weil man dann nämlich nicht mehr dösen oder den Hals mal langmachen kann.

... es gibt allerdings auch Pferde, die machen freiwillig von sich aus einen runden Hals und schwingen somit gleichmäßig mit jedem Schritt, so daß der Reiter das Gefühl hat, auf einer schwebenden Wolke zu sitzen ...

Streber, pfffff.

... man nennt das auch natürliche Versammlung und dies mit reiterlichem Können zu erreichen, gilt als höchstes Ziel der Dressur. Doch damit greife ich jetzt weit voraus.

Erst einmal beginnt der Unterricht und die Korrektur des Sitzes, so wie ich das in unserer letzten Lektion beschrieben habe. Auch die Freiübungen sollte man in der ersten Zeit zum Auflockern wiederholen. Sie helfen dem Reiter, den richtigen Sitz zu finden. Erst wenn ihr gelernt habt, euch auf dem Pferd wie zuhause zu fühlen, habt ihr einen unabhängigen Sitz, d.h. ihr kommt nicht mehr in Versuchung, euch am Zügel festzuhalten ...

Cool, eh.

... also zunächst entspannen, vielleicht sogar eine Weile die Augen schließen und sich in den Gang des Pferdes einfühlen. Wenn man will, kann man sich locker vorne am Sattel festhalten, aber nicht krampfhaft.

In der spanischen Hofreitschule müssen die Reitanfänger sechs bis zwölf Monate an der Longe reiten, bis sich ihr Sitz gefestigt hat und die Bewegungsmuster eingeschliffen sind. So lang werdet ihr sicher nicht warten wollen, bis ihr euer Pony selber "steuern" dürft. Das ist aber auch nicht nötig. Eine gründliche Sitzschulung zu Beginn der Ausbildung ist jedoch Gold wert. Ihr solltet darauf achten, wenn ihr eine Reitschule auswählt. Da hierbei nämlich pro Schüler ein Ausbilder abgestellt sein muß, verkürzen manche Reitschulen und Vereine die Longenzeit gerne. Mindestens fünf, besser zehn Longenstunden sollte ein Neuling jedoch hinter sich bringen. Je besser ihr sitzt, wenn ihr zum ersten Mal ohne Longe reitet, um so schneller werdet ihr die Anweisungen des Reitlehrers später umsetzen können, weil ihr nicht mehr durch die Angst vor dem Runterfallen abgelenkt seid.

Auch später lohnt es sich hin und wieder, zur Korrektur des
Sitzes mal eine Longenstunde einzuschieben.

Genau so wichtig wie das Gefühl für den eigenen Sitz ist es jedoch auch jetzt schon, daß ihr lernt, die Sprache eures Pferdes zu verstehen ...

Hört, hört!

... nein, Silver, das meine ich ganz ernst. Selbst an der Schrittbewegung kann man erkennen, ob sich das Pferd wohlfühlt. Jeder Pferdefreund sollte ein Gespür dafür entwickeln, wann ein Pferd entspannt und freudig unter dem Reiter geht. Über den eigenen Problemen mit dem Reiten darf man nicht vergessen, daß man freundlicherweise von einem Lebewesen getragen wird. Denkt also immer daran, mit eurem Pony zu sprechen und ihm ab und zu freundlich den Hals zu klopfen ...

Du redest aber wieder viel, gegen ein wenig Praxis hätte ich da gar nichts einzuwenden.

... achtet darauf, ob die Ohren leicht im Takt der Bewegung mitgehen, ob es hin und wieder wohlig prustet und dabei den Hals fallen läßt und ob es mit ruhigen, weichen Schritten dahingeht. Dann fühlt sich euer Pferd wohl ...

Und Kameraden, wenn euch das zu langweilig wird, dann solltet ihr hin und wieder husten, ein bißchen stolpern oder durch einen kleinen unerwarteten Hopser, den dösenden Reiter aufwecken, der sich nicht ordentlich um euch kümmert. So, wenn ihr das jetzt kapiert habt, Freunde, dann dürft ihr allmählich auch die Zügel entwirren und sie am besten auch erstmal an der Longe in die Hand nehmen. Denn auch das vorsichtige unverkrampfte Halten der Zügel will geübt und gelernt werden. Am besten laßt ihr euch das noch mal von Sabine erklären, die doziert ja immer so gerne.

... bei einem einfachen Zügel laufen die Riemen in beiden Händen zwischen Ring- und kleinem Finger hindurch und verlassen die Hand zwischen Zeigefinger und Daumen. Der Daumen fixiert die Zügel. Er liegt oben auf. In dieser Reihenfolge nimmt man auch immer die Zügel auf, d.h. man spreizt den kleinen Finger ab und greift mit den mittleren drei Fingern zunächst den Zügel, klemmt dann den kleinen Finger unter und legt den Daumen oben drauf. Die Fäuste werden immer aufrecht und ungefähr eine Handbreit auseinander gehalten, Hand und Unterarm sollen eine Linie bilden und die Ellenbogen lehnen sich leicht an den Körper des Reiters an. Soweit, sogut - jetzt müßt ihr das ganze nur noch in die Praxis überführen. Doch glaubt mir, es liest sich komplizierter als es nachher in der Praxis ist. Wer es einmal verstanden hat, der macht es später im Schlaf. Ach ja, zieht euch ruhig Handschuhe an. Bis an den richtigen Stellen Hornhaut gewachsen ist, dauert es nämlich, und Blasen an den Fingern können verteufelt weh tun und kommen selbst dann, wenn man alles ganz richtig macht.

Viel Spaß bei euren ersten Voltigierstunden und süße Reiterträume, wenn ihr anschließend erschöpft nach Hause kommt.

Raute

Apropos Träume, mir schwebt da gerade so eine wunderbar entspannende und wohltuende Rückenkraulmassage vor - nach dieser anstrengenden Lektion, was hältst du davon? Und während ich jetzt unter Sabines fachkundigen Händen immer pferdemüder werde und langsam eindöse, könnt ihr euch gleich merken, daß sich so ein Pferd einfach am wohlsten fühlt, wenn es vor oder nach getaner Arbeit seine Streicheleinheiten und seine Möhrchen erhält. Übrigens, wir Pferde lieben Rituale ... ooohhaaaahhh ... nicht aufhören.

Damit verabschiede ich mich bei all meinen Freunden

Euer Silver


Erstveröffentlichung am 18. August 2000

23. Oktober 2010