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INTERVIEW/023: Yoko Ono - Gebremstes Verlangen, Yoko Ono befragt (SB)


Interview mit Yoko Ono zum Auftritt in Hamburg am 10. August 2013



Am 18. Februar diesen Jahres feierte Yoko Ono ihren 80. Geburtstag mit einem furiosen Konzert der von ihrem Sohn Sean Lennon geleiteten Plastic Ono Band. Es fand in der traditionsreichen Berliner Volksbühne statt, die die in New York lebende Künstlerin aus Liebe zu Berlin, zu Kurt Weill und Bertolt Brecht für diese Feier gewählt hatte. Im Beisein von Musikern wie Peaches, Michael Stipes, Rufus und Martha Wainwright bot Yoko Ono Kostproben ihres muskalischen Könnens, die mit zuvor gezeigten Filmen über ihr Werk als in der Fluxus-Bewegung verankerte Konzeptkünstlerin den Rahmen eines künstlerischen Gesamtwerks absteckten, das kaum vielfältiger sein könnte.

Im Juni diesen Jahres kuratierte Yoko Ono das Londoner Meltdown-Festival, seit 20 Jahren unter Beteiligung zum Teil legendärer Künstler der Rock-, Folk- und Jazzgeschichte einer der Höhepunkte des kulturellen Lebens in der britischen Metropole. In der Bundesrepublik, wo sie wie im englischsprachigen Raum den Ruf einer wichtigen Vertreterin avantgardistischer Kunst und Musik genießt, ist Yoko Ono in den letzten Jahren immer wieder mit Auftritten und Ausstellungen präsent. Darüberhinaus hält sie an dem Anliegen, mit dem John Lennon und sie vor über 50 Jahren in spektakulären Friedensaktionen hervortraten, fest, die Welt zu einem lebenswerteren und menschenfreundlicheren Ort zu machen, etwa durch die Unterstützung humanitärer Organisationen oder eigene Friedens- und Protestaktionen.

Am 10. August 2013 gab Yoko Ono zusammen mit Thurston Moore von der New Yorker Indie-Rockband Sonic Youth im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg ein Konzert. Im Vorfeld beantwortete sie dem Schattenblick auf schriftlichem Wege einige Fragen.

Im Konzert mit Mikrofon - Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Yoko Ono
Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Schattenblick: "Take Me To The Land Of Hell" - der Titel Ihres neuen Albums, das im September herauskommt, wirft die Frage auf, welche Art von Hölle Sie meinen. Könnte es vielleicht sein, daß Sie die die berühmte Aussage Jean Paul Sartres "Die Hölle, das sind die anderen" aus dem Stück "Geschlossene Gesellschaft" im Sinn hatten?

Yoko Ono: Nun, Sartre hatte natürlich recht! Aber ich möchte nicht alleine auf diesem Planeten leben.

Schattenblick: Auf Kampnagel in Hamburg treten Sie zusammen mit Thurston Moore, dem Frontmann der einflußreichen Indie-Band Sonic Youth, auf. Nachdem das Ende von Sonic Youth zumindest in dieser Form der 30jährigen Geschichte der Gruppe letztes Jahr offiziell erklärt wurde, haben Kim Gordon, Thurston Moore und Sie das Album YOKOKIMTHURSTON eingespielt. Auf den ersten Blick weisen deren Karrieren einige Ähnlichkeiten mit Ihrer eigenen Biografie und Arbeit auf - die langwährende Beziehung als Musiker und private Partner, das Interesse an Politik und Kunst und natürlich der avantgardistische Ansatz in der Musik. Was ist Ihnen an dieser Zusammenarbeit insbesondere wichtig?

Yoko Ono: Zu wissen, daß ich nicht allein im Universum bin.

Schattenblick: Ich würde gerne aus dem ersten Kapitel "Der Schrei" aus dem Buch "Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen" von John Holloway - eine Art Manifest der Antiglobalisierungsbewegung - zitieren, um Sie zu fragen, ob das Ihrem Verständnis des Schreis als künstlerischer Form entspricht:

Deshalb ist es notwendig zu tun, was in der Wissenschaft als Tabu angesehen wird: wie ein Kind zu schreien, den Schrei aller strukturellen Erklärungen zu entheben, zu sagen, "uns ist es egal, was die Psychiater sagen, uns ist es egal, ob unsere Subjektivität nur ein gesellschaftliches Konstrukt ist: Es ist unser Schrei, es ist unser Schmerz, es sind unsere Tränen. Wir lassen uns unseren Zorn nicht zur Realität verwässern: Eher ist es die Realität, die dem Schrei nachgeben muss. Nennt uns kindisch oder pubertär, wenn ihr wollt, aber dies ist unser Ausgangspunkt: wir schreien". [1]

Yoko Ono: Was also ist die Frage?

Schattenblick: "Gott ist ein Konzept, mit dem wir unseren Schmerz bemessen" ("God is a concept, by which we measure our pain") - John Lennons definitive Stellungnahme zur Religion aus dem Song "God" repräsentiert Ihre und seine Auseinandersetzung mit einer der fundamentalsten Fragen menschlicher Existenz - wie umgehen mit der Herausforderung des Schmerzes? Gibt es in Ihrer Arbeit eine kontinuierliche Bemühung um diese Frage und könnten Sie bitte etwas zur Verbindung und zum Konflikt zwischen Kunst und menschlichem Schmerz sagen?

Yoko Ono: Mein Leben weist all die Fallstricke auf, denen jeder normale Mensch ausgesetzt ist. Ich habe aber auch das Glück, daß ich mit großer Begeisterung Musik, Kunst und was noch alles als kreative Arbeit erachtet wird, mache. Das treibt mich voran und verhindert, daß ich zu viel über menschliche Konflikte und den Schmerz, den ich zu dieser Zeit verspüre, nachdenke.

Schattenblick: Mit einem aggressiven rockorientierten Sound, mehreren explizit feministischen Songs und einigen der persönlichsten Balladen, die sie gemacht haben, wirkt das Album Approximately Infinite Universe des Jahres 1973 so, als sei es in einer besonders intensiven Phase Ihres Lebens entstanden. Könnten Sie bitte etwas über die Bedingungen berichten, unter denen diese Platte aufgenommen wurde und welche Bedeutung sie ihm Rahmen Ihres musikalischen Gesamtwerks hat?

Yoko Ono: Viele Stücke wurden spät in der Nacht im Studio eingespielt. Einige von ihnen wurden aufgenommen, als mein Ehemann John früh morgens schlief. Und alle Stücke wurden in einem Gang aufgenommen ... das heißt, es gab keine Proben.

Schattenblick: 2006 wurde dem Center for Constitutional Rights (CCR) der Lennon Ono Peace Grant verliehen. Zur Zeit findet ein Hungerstreik gegen die unmenschlichen Bedingungen der Isolationshaft in kalifornischen Gefängnissen statt, den das CCR mit seiner juristischen Arbeit unterstützt. Sind Sie der Ansicht, daß Künstler eine besondere Verantwortung besitzen, Stellung gegen Unrecht und Unterdrückung zu beziehen, weil ihre Stimmen in der Gesellschaft eher vernommen werden?

Yoko Ono: Jeder von uns, der in der menschlichen Gesellschaft lebt, ist verantwortlich dafür, was in ihr geschieht. Wer die Verhältnisse so, wie sie sind, nicht gut findet, der sollte daran arbeiten, sie zu verändern. Wie immer dies getan wird, hilft der Welt in ihrer jetzigen Situation.

Schattenblick: Sie haben als bekennende Feministin in verschiedenen patriarchalischen Kulturen gelebt und den Kampf um Frauenrechte jahrzehntelang miterlebt. In Ihrem Alter genießen die meisten Frauen nicht das Privileg, eine solch aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen, wie Sie es tun. Wie wichtig ist es Ihrer Ansicht nach, nicht nur die Probleme von Frauen im allgemeinen anzusprechen, sondern gegen die doppelte Unterdrückung zu kämpfen, mit der Frauen konfrontiert sind, die fortgeschrittenen Alters und arm sind, oder eben der dreifachen Unterdrückung, wenn sie dazu noch farbig sind?

Yoko Ono: Einen Augenblick! Wir Asiaten sind auch keine Weißen. Und wir sind stolz darauf. Ich habe mein ganzes Leben Sexismus und Rassismus erlitten, und nun kommt Ageism hinzu. Sehr interessant. Sehr herausfordernd. Das Leben ist eine große Herausforderung. Wir sind wie Dampfkochtöpfe. Wir explodieren. Also paßt nur auf!

Schattenblick: Sie haben die Initiative Artists Against Fracking mitbegründet, die eine Fernsehanzeige produziert hat, in der der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, dazu aufgefordert wird, ein Moratorium über diese zerstörerische Art der Gasförderung zu verkünden. Wie auch immer er auf diese Forderung reagieren wird, werden Sie den Kampf gegen Fracking in New York und anderen US-Bundesstaaten fortsetzen?

Yoko Ono: Normalerweise möchte ich nicht über meine Pläne für die Zukunft sprechen, weil ich nicht weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden. Aber an dieser Stelle werde ich nicht zurückstecken.

Schattenblick: In den letzten zwei Jahren hat es eine breite Mobilisierung gegen das System der neoliberalen Wirtschaft und undemokratische Machtstrukturen überall in der Welt gegeben - in Spanien, Griechenland, USA, Tunesien, Ägypten, Türkei, Brasilien und vielen anderen Ländern. Was bedeuten diese sozialen Bewegungen, die Techniken des gewaltfreien Widerstands wie die Besetzung öffentlicher Plätze und selbstorganisierte Versammlungen, in denen jeder eine Stimme hat, nutzen, für Sie als Aktivistin, die sich das ganze Leben für Frieden und Befreiung eingesetzt hat?

Yoko Ono: Es erfüllt mich mit Freude, daß die Menschen aufwachen. Weil Politiker letztendlich nicht über die Macht verfügen, die Menschen haben. Nur Menschen können die Welt verändern. Power to the People! Wenn ich dieser Tage an unseren Aufbruch des Erwachens denke, schlägt mein Herz schneller. Auf geht's!

Schattenblick: 1970 fragten sie in einer aufregenden Komposition aus urtümlichem Rock'n'Roll und mit einer Stimme, die diese Frage herausschrie, als gebe es kein Morgen, "Warum?" Spüren Sie immer noch das Verlangen, eine Antwort zu erhalten, oder vertrauen sie auf die Kraft, dies mit einer solchen Intensität und Verbindlichkeit zu fragen, daß die Frage selbst die Welt verändert?

Yoko Ono: "Why?" hat zumindest die Musikwelt verändert. Ich denke viel an die Dinge, die John und ich zu diesem Wandel beigetragen haben. Aber das gilt auch für den Einsatz all der Aktivisten in der Welt. Wir haben so ein Glück, in diesen herausfordernden Zeiten leben zu können.


Fußnote:

[1] Holloway, John (2002) Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen (Münster: Westfälisches Dampfboot), S. 13.


15. August 2013