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INTERVIEW/035: Einwurf Kunst - Neustartkonverter ...    Reinhard Lättgen im Gespräch (SB)


"Das Wagnis ist immer das eigentlich Interessante"

Interview am 13. Juni 2015 in Siegburg


Reinhard Lättgen ist 1. Vorsitzender des Kunstvereins für den Rhein-Sieg-Kreis e. V., wo derzeit die Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst zu sehen ist. Bei der Vernissage beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Arbeit des Kunstvereins und zu dem ungewöhnlichen Ort, an dem in der traditionsreichen Stadt Siegburg vor allem zeitgenössische Kunst präsentiert wird.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Reinhard Lättgen
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Lättgen, könnten Sie etwas zur inhaltlichen Ausrichtung des Kunstvereins Rhein-Sieg sagen?

Reinhard Lättgen (RL): Wir sind mit unseren Ausstellungsinitiativen seit fast 15 Jahren am Ball. Die Eröffnung war im Mai 2001. Wir waren immer der Überzeugung, daß dieses Haus, das vorher eine Industriebrache war, geradezu prädestiniert ist für alles, was mit Experiment, mit Wagnis, mit Kontroverse und Installation und solchen Dingen zu tun hat. Wie das so ist, muß man im Laufe der Zeit seine Ansprüche ein bißchen herunterfahren, weil man feststellt, daß es in aller Regel wahnsinnig viel Arbeit macht.

Hinzu kommt, daß alles, was hier im Haus passiert, ausschließlich ehrlichenamtlich ist. Das geht von der Organisation bis zur Betreuung der Ausstellung und über die gesamten Öffnungszeiten während der Woche. Da muß man anfangen hauszuhalten, weil viele noch nebenher ihren Beruf haben, so daß es nicht leicht ist, beides miteinander zu koordinieren. Es gilt, den Aufwand im Griff zu halten, aber trotzdem haben wir es immer wieder geschafft, Produktionen im Haus zu haben, die ansonsten schwerlich Räumlichkeiten finden. Das war eigentlich stets unsere Grundhaltung.

Wir versuchen immer das Besondere für uns zu finden, was natürlich die konventionelle Kunst nicht ausschließt wie zum Beispiel die Malerei. Als wir die Idee mit der politischen Kunst, die definitiv nicht von mir, sondern vom zweiten Vorsitzenden des Kunstvereins kam, auf dem Tisch hatten, habe ich sofort gesagt, das müssen wir unbedingt machen, schon deswegen, weil sich sonst niemand darum kümmert. Denn wir suchen die Auseinandersetzung und Kontroverse. Unser Slogan lautet: Früher wurde hier Wasser gepumpt und jetzt werden Ideen gepumpt. Dazu gehört auch alles, was konfrontativ ist.


Flyer der Ausstellung - Grafik: © 2015 by Kunstverein für den Rhein-Sieg-Kreis e. V.

Grafik: © 2015 by Kunstverein für den Rhein-Sieg-Kreis e. V.

SB: Gibt es hier in Siegburg eine allgemeine Zustimmung zu den Ausstellungen, weil man sich freut, daß so etwas hier präsentiert wird?

RL: Mit einem gewissen Schmunzeln könnte man sagen, daß der Rhein-Sieg-Kreis, der mit seinen respektablen 650.000 Einwohnern die Stadt Bonn komplett umschließt, so ein bißchen das ist, was man das Bayern Nordrhein-Westfalens nennen könnte. Das heißt, die wirtschaftliche Situation ist hier relativ stabil, es gibt nur eine geringe Arbeitslosenquote und so weiter. Insofern hat alles, was aus dem Milieu heraus kommt - Stichwort Berlin, Ruhrgebiet - hier eigentlich keine feste Grundlage. So gesehen gibt es hier keine wirklich lange Traditionslinie der konfrontativen Kunst. Im Grunde hat es sie hier nie gegeben.

Reinhard Lättgen vor dem Foto der Kunstaktion - Foto: © 2015 by Schattenblick

Eine öffentliche Aktion von Hermann Josef Hack
Foto: © 2015 by Schattenblick

Sicherlich gibt es immer Einzeltäter wie Hermann Josef Hack, der aus der Region stammt und daher so bekannt wie ein bunter Hund ist. Er ist immer präsent und wird von der Politik, die in der großen Tendenz eher liberal-konservativ eingestellt ist, vollauf akzeptiert. Das ist für mich auch ein Indikator und bestätigt mich im Entschluß dranzubleiben. So wie es Jürgen Raap in seiner Vorrede zur öffentlichen Wahrnehmung bestimmter Projekte geschildert hat, kann ich mir sehr gut vorstellen, daß so etwas zu Lerneffekten führt. Er hat es sehr schön ausgedrückt, als er sinngemäß sagte, daß er manche ethischen Maßstäbe wieder reinstalliert sehen könnte durch die Aktivität der politischen Kunst. Ein besseres Credo hätte man gar nicht verfassen können.

Natürlich kann man nicht Leute sofort von etwas überzeugen, aber man kann Anstöße geben und zum Nachdenken anregen. Genau das wird in diesen Aktionen bewirkt wie beispielsweise der Beitrag unten im Haus, der die Verfolgungsjagd in Guben nochmal Revue passieren läßt. Das hat mir in der Vorbereitung signalisiert, wie entsetzlich schnell man bereit ist, solche Dinge zu vergessen. Die bildnerische Arbeit widmet sich auf eine unkonventionelle Art und Weise genau dieser Erinnerung. Da wird nicht eine Plakette ausgegeben oder ein graviertes Schild an die Wand gehängt, vielmehr wird die ganze Situation heraufbeschworen und das Unfaßbare, in der sich dieser Vorgang abgespielt hat, nochmals abgelichtet. Man muß dann die Kraft der Phantasie aufwenden, um sich zu erinnern oder sich vorzustellen, was damals dort geschehen sein mag. Diese Eigenaktivität des Betrachters oder des Kunstrezipienten in dem Fall ist erheblich wichtiger als alles, was man an Texten und Pressemeldungen ständig um die Ohren gehauen bekommt. Darin sehe ich die große Chance des Bildnerischen im Vergleich zu vielen anderen Ebenen der Darstellung, wo politisches Denken und Handeln jongliert wird.

Dieser interessante Aspekt ist mit Sicherheit auch heute nicht erschöpfend durchgekommen, aber die Fragestellung lohnt sich auf jeden Fall, nämlich inwiefern bildnerische Arbeit - ich spreche jetzt nicht ausdrücklich von künstlerischer Arbeit - etwas leisten kann, was auf einer anderen Ebene politisch nur schlecht zu bewerkstelligen ist. Das ist eine offene Frage, die gerade als Anregung zu verstehen ist. Da kann ich immer nur sagen: weiter, weiter, weiter. Wir brauchen mehr davon. Man sollte sich davor hüten, diese Positionen immer unter den konventionellen künstlerischen Aspekten wahrzunehmen. Denn dann geht das Eigentliche verloren, weil es eben nicht um Fragen der technischen Verarbeitungsqualität oder des dekorativen Aspekts geht. Das haben die Sachen nicht verdient.


Reinhard Lättgen und Benoît Tremsal öffnen Bodengitter zum tieferen Stockwerk - Foto: © 2015 by Schattenblick

1. und 2. Vorsitzender des Kunstvereins nutzen die Architektur des Pumpwerks für direkte Kommunikation
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Könnten Sie noch etwas zu diesem ungewöhnlichen Ausstellungsort sagen, an dem früher Wasser gepumpt wurde?

RL: Genau genommen ist es eine Art technische Einrichtung gewesen, die damals dazu diente, die Wasser der ganz in der Nähe befindlichen Sieg, die manchmal bei Hochständen bis vorne an den Deich herantritt und in die Kanalisation der Stadt eindringt, mit einer Pumpanlage in den Fluß zurückzubringen. Sie wurde Mitte der 60er Jahre gebaut, aber dann hat man festgestellt, daß die Kapazität nicht ausreichte. Daher wurde weiter flußabwärts eine größere Anlage hergestellt. So stand dieses Gebäude als Brache über lange Zeit leer, bis ein findiger Kopf auf die Idee kam, es zu einem Ausstellungshaus umzubauen.

Ich hatte damals nur eine lose Verbindung zum Kunstverein und hielt dieses Projekt durchaus für fragwürdig und glaubte, daß es zum Scheitern verurteilt sei, weil man sich anfangs ohne besondere fachkundige Betreuung ein Projekt vorgenommen hatte, dessen Herausforderungen wie zum Beispiel die unzähligen Betonschnitte und nötigen Umarbeitungen, die unten teilweise noch sichtbar sind, unüberschaubar waren. An der späteren Konzeption war ich mit beteiligt und hielt meine Kritik vorsichtig am Rande. Schlußendlich habe ich dann die Verantwortung dafür übernommen, als es darum ging, aufgeworfene Probleme mit Verwaltungen unterschiedlichster Art wieder in Ordnung zu bringen. Das war meine Aufgabe zu Beginn, und die große Chance bestand darin, ein eigenständiges Programm zu machen ohne jede Bindung und Rücksicht auf irgend jemand. Das war ein besonderer Reiz, ja eine Passion gerade für mich als ehemaligen Studenten der Kunstakademie in Düsseldorf.

Die Geschichte des Hauses ist im Grunde, daß es zunächst eine Pumpstation, später lange Zeit eine industrielle Brache war und durch Umbau seit nunmehr fast 15 Jahren ein Ausstellungshaus ist. Damit kann man sehr zufrieden sein, denn ich unterstreiche mit großem Vergnügen, daß der Einsatz in der ganzen Zeit definitiv auf rein ehrenamtlicher Basis geschehen ist. Dafür ist es eine kolossale Leistung. Die nächste Frage lautet natürlich: Wie läuft so etwas, wie kriegt man das hin? Um es einmal mit einem sibyllinischen Wort zu sagen: Über die Chemie. Das allerwichtigste ist, nicht recht behalten zu wollen oder Führungsansprüche anzumelden, sondern es geht im allersten darum, einen Konsens herzustellen.

Daran schließt sich die Frage an, wie die Projekte zustande kommen. Wir haben uns angewöhnt, die Ausstellungen, die wir im Sinn haben, in einem meistens fünfköpfigen Gremium zu besprechen. Und ich sage heute mit größtem Selbstbewußtsein: Wir haben noch niemals über ein Projekt abgestimmt, sondern sind stets einhellig zum Schluß gekommen, das sollten wir machen. Es gab manchmal Vorbehalte von dem einen oder anderen, aber eher in der Weise, daß man sich nicht vorstellen konnte, wie es zu realisieren ist. Der rote Faden unserer Beschlüsse besteht in der Tat im Anspruch, aus dem vorhandenen Angebot immer das Besondere herauszugreifen. Wenn zum Beispiel eine Malerin zur Debatte steht, dann mit einer Position, die man eben nicht überall findet und etwas Interessantes bietet. Manchmal sind es auch Newcomer, die irgend etwas Rotziges bringen. Da haben wir in der Vergangenheit einige sehr schöne Erlebnisse gehabt, weil wir manchmal auf Leute gesetzt haben, die ein, zwei Jahre später - nicht unbedingt wegen der Präsentation hier - die Treppe raufgeflogen sind und den Erfolg bekamen, den sie verdient haben. Insofern waren wir bestätigt. Das Wagnis ist immer das eigentlich Interessante. Denn alles, was ablesbar ist, schafft auf Dauer nur Langeweile, und auf diese Weise läßt sich kein ehrenamtlicher Verein führen.

SB: Herr Lättgen, vielen Dank für das Gespräch.


Außenschild 'Kunstverein für den Rhein-Sieg-Kreis e.V.' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

Beiträge zur Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst im Schattenblick unter
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