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INTERVIEW/038: Die fünfte Dimension ...    Jeroen Vandesande im Gespräch (SB)


CIRCUIT - Feedback Studies

Klanginstallation von Jeroen Vandesande im Projektraum der Schering Stiftung, Berlin


Die Schering Stiftung in Berlin hat den belgischen Klang- und Medienkünstler Jeroen Vandesande [1] eingeladen, in ihrem Projektraum und für diesen ein "künstlerisches Forschungsprojekt zum Thema Feedback in der aktuellen Kunst" zu entwickeln und zu installieren. Vandesande nahm die Arbeit zur Komposition der Klanginstallation am 6. Juli auf. Ausstellungseröffnung war am 9. September. [2] Zwei Tage später hatte der Schattenblick die Gelegenheit, die Klanginstallation aufzusuchen und anschließend mit Jeroen Vandesande über etwas zu sprechen, was als ein in die Klangwelt übersetztes, begehbares Hologramm beschrieben werden könnte. Die Erfahrung damit entspräche der Situation, daß ein optisch orientierter Menschen eine Farbe zu sehen bekommt, welche sich definitiv nicht aus dem Farbkreis ableiten läßt.


Foto: Jeroen Vandesande im Gespräch - © 2015 by Schattenblick

Jeroen Vandesande
Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Ausstellungsraum ist gänzlich ohne Dekor und Farbe. Weiße Wände, eine weiße Säule, die schwarzen Elemente der Installation, glatter Kunststoffboden, Fenster, zwei Türen. Unübersehbar hat die Installation rein gar nichts dem Auge Gefälliges an sich. Direkt auf dem Fußboden steht etwa ein Dutzend relativ kleiner Lautsprecherboxen im Kreis. Verteilt im Raum sind schwarze Röhren in verschiedenen Höhen waagerecht von der Decke abgehängt. Die Aufhängung wird motorisch in Drehung versetzt. Die Röhren enthalten am geschlossenen Ende jeweils ein Mikrofon. Im mittleren Bereich der Röhren kann über einen elektrischen Hubmagneten ein kleines Schalloch freigegeben werden.

Die Installation wird eingeschaltet. Sirenengesang von überall und nirgendwo her: bin da, bin da. Zwei Schritte vor: bin da, bin da. Den Kopf zurückgenommen: bin da, bin da ...

Gefangen von der Gefühl und Interpretation unterlaufenden Forderung, beeindruckt von der Erfahrung eines bis dahin nicht gekannten Klangraums sind die Redakteure schließlich bei Jeroen Vandesande mit der Tür ins Haus gefallen.

Schattenblick (SB): So etwas habe ich nie zuvor gehört. Mein Eindruck ist, daß der Ursprung des Klangs nicht ausgemacht werden kann. Ich kann die Klangquelle nicht lokalisieren. Es wirkt, als ob sie um meinen Kopf herum wäre in einem Abstand von etwa einem halben Meter. Woher kommt der Klang technisch gesehen?

Jeroen Vandesande (JV): Technisch kommt er aus den Lautsprechern rundherum. Aber wie es kommt, daß man ihn nicht lokalisieren kann? Ich nehme an, das ist ein Nebeneffekt des Feedbacks [3]. Ich bin mir nicht völlig sicher. Das geschieht sicherlich immer, wenn man mit Feedbacks arbeitet, daß man sie nicht unter Kontrolle hat und man sich nicht zu hundert Prozent klar ist, was vor sich geht. Jedenfalls habe ich das bei allen meinen Installationen mit Feedback festgestellt. Kleine Lautsprecher, große Lautsprecher, Lautsprecher in den Röhren oder außerhalb - es tritt immer auf und es ist nicht lokalisierbar.


Foto: Details einer Klangröhre - © 2015 by Jeroen Vandesande

Klangloch mit Hubmagnet
Foto: © 2015 by Jeroen Vandesande

Meiner Meinung nach - es ist eine Meinung, keine wissenschaftliche Tatsache - liegt es daran, daß die Klänge vom Raum [4] determiniert werden. Das Feedback ist kein aufgenommener und abgespielter Sound. Es entsteht im Raum, in der Installation. Und es wird von den Resonanzfrequenzen [5] des Systems bestimmt, welches man aufgebaut hat, zum Beispiel der Tonhöhe. Das räumliche Setup [6] wird von den jeweiligen Positionen der Installationselemente bestimmt sowie zum Großteil vom Raum selbst. So kann ich zum Beispiel diese Röhren auf ihre jeweiligen Noten stimmen. Aber wenn sie sich wie hier drehen, dreht die Abstimmung absolut durch, sie spielt verrückt. Das ist sehr schwierig, weil alle Elemente der Installation, einfach alles, selbst die Lufttemperatur, Einfluß auf die Installation haben, und, wie ich schon sagte, auch der Raum selbst.


Foto: Mehrere im Raum verteilte, in unterschiedlicher Höhe aufgehängte Röhren und am Boden Lautsprecher - © 2015 by Schattenblick

Kommunikative Röhren
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Werden so auch die Bewegungen der Röhren beeinflußt?

JV: Nein, die Bewegungen gehören zum Setup, sie sind vorgegeben. Das ist so, denn es gibt ein Mikrofon am geschlossenen Ende der Röhre und einen Lautsprecher im Raum. Was wirklich geschieht, ist wissenschaftlich schwer zu erklären. Es sind schon Leute gekommen, um das zu berechnen. Meiner Theorie nach ist es etwas zwischen einer stehenden Welle in der Röhre und dem Helmholtz-Resonator [7], denn das Seltsame ist, wenn ich den Lautsprecher auf die Röhre zubewege, ändert sich die Tonhöhe. Der Grundton ist von der Länge der Röhre vorgegeben. Zusammengenommen ergibt sich in dieser Installation der Akkord Cm7 [8]. Aber die Entfernung der Lautsprecher zur Röhre bestimmt die Rückkopplungsverschiebung der Obertöne [9] auf der Grundnote.

SB: Ja, das mit den Obertönen hatte ich bemerkt und konnte mir nicht erklären, woher sie kamen.

JV: Tatsächlich kommen sie vom Abstand zwischen Lautsprecher und Röhre. Aber weil sich diese dreht, ändert sich die Entfernung. Man kann sich vorstellen, daß der Raum in Bereiche geteilt ist, welche unterschiedliche Obertöne repräsentieren. Während sich die Röhre bewegt, bewegt sie sich durch die verschiedenen Raumbereiche, und die Höhe der Obertöne wechselt entsprechend den Bereichen, durch die sich die Röhre bewegt. Das kann man theoretisch erfassen, denn wenn sie sich bewegt, durchläuft sie den Grundton, den höheren Oberton, dann den noch höheren Oberton. Anschließend kehrt es zum vorhergehenden Ton zurück, weil sich die Röhre wieder durch denselben Raumbereich bewegt. Das heißt, man erhält zyklische Durchgänge durch Obertöne, welche in spezifischen Bereichen des Raums lokalisiert sind.

SB: Wäre das auch die Erklärung dafür, daß man Disharmonien hören kann? Ich hätte nur Sinoide [10] erwartet.

JV: Das liegt daran, daß die Grundtöne der Röhren aufgrund ihrer unterschiedlichen Länge auf Cm7 abgestimmt sind. Sie ertönen die ganze Zeit im Grundton, gleichzeitig erklingen die Obertöne. Sie machen die Akkordfrage weitaus komplizierter, weil es nicht mehr Cm7 ist. Es ergeben sich alle Arten unterschiedlicher Akkorde, welche auf Cm7 aufbauen und disharmonisch sein können, da ein Oberton eventuell nicht zur Kombination der anderen Obertöne paßt. Das ist das eine. Aber sie beeinflussen sich natürlich auch wechselseitig. Manchmal, wenn nur eine Röhre eingeschaltet ist, entsteht keine Rückkopplung. Wenn man dann in die Hände klatscht, triggert man sie, und das Feedback startet, weil es diesen ersten Anstoß benötigt.

Es gibt nur einen Part in der Komposition, wo dies geschieht, etwa bei einem Drittel der Komposition. Es kann mehrere Minuten völlig still sein, aber wenn man einen Schritt macht, zack, werden die Feedbacks getriggert.

Aber ich habe den Eindruck - und es ist nur ein Eindruck, den ich selbst beim Hören gewonnen habe -, ich mache ein System zu 70 Prozent, und über die 30 Prozent habe ich keine Kontrolle: Es ist ein Feedback - nie arbeite ich allein! Ich habe also den Eindruck, wenn ich diese Disharmonien höre, daß, weil sich das Feedback stets an der dominierenden Resonanzfrequenz ausrichtet, die Röhren versuchen, sich einander auf eine andere Frequenz zu ziehen. Dadurch gibt es diese Impulswellen und Disharmonien, weil sie versuchen, einander zu ziehen, und weil sie versuchen, einander zu dominieren. Es ist wie ein Spiel, es ist wie ein kleiner Krieg, der vor sich geht - Spieltheorie. Es ist ein Spiel. Sie können zusammen in den Grundnoten klingen. Sie könne sich aber ebenso bekämpfen und einander abstoßen. Es gibt alle Arten.

SB: Das ist wie eine Geschichte.

JV: Ja - oder wie Menschen. (lacht)


Foto: Einzelne Röhren zwischen zwei Boxen - © 2015 by Schattenblick

Ein Feedback erzählt
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Als Besucher in den Ausstellungsraum kamen und mit der Tür klapperten, war das wie eine Welle im Klang, wie ein Vor-sich-Hertreiben oder eine Störung.

JV: Ja, und es lief sich wieder aus.

SB: Es kam zu einer Angleichung, dann wurde es wieder die ursprüngliche Komposition. Aber für eine Moment war es wie ein Stein, der ins Wasser fällt.

JV: Ja, wie ein Stein ins Wasser - chaotisch, ein Kräuselungseffekt. Allerdings würde ich niemals etwas machen, das auf Interaktivität abzielt, weil es für mich bei Kunst nicht um die unmittelbare Belohnung der Zuhörer geht. Es geht nicht darum, daß jemand einen Knopf drückt und irgend etwas geschieht. Das gesamte Setup des Systems führt dazu, daß jeder Faktor im Raum zählt. Jeder Faktor, auch deine Position im Raum, kann den Klang verändern. Das kann daher kommen, daß du dich zwischen der Röhre und dem Lautsprecher befindest, daß sich alle diese Dinge ereignen, Lautlosigkeit oder andere Wellen, andere Frequenzen. Es kann daran liegen, daß du ein Geräusch machst. Es liegt ebenso daran, daß du Raum im Raum einnimmst. Du verengst den Raum, weil du hineingehst. An der Stelle, wo sich Materie befindet, kann sich keine andere Materie befinden.

SB: Ein philosophischer Hintergrund?

JV: Philosophisch, oder es ist das erste Grundgesetz der Physik: wo Materie ist, kann keine andere Materie sein. Das gilt auch für das Setup meines gesamten Aufenthalts hier, als ich dies über zweieinhalb Monate hinweg aufgebaut habe. Man bat mich, hierherzukommen und etwas vollständig Neues mit Raum zu machen. Daraufhin fing ich zunächst damit an, den Raum zu scannen. Das heißt, ich baute eine Vorinstallation mit Parabolschüsseln auf, welche sich drehten, sowie Mikrofone und Lautsprecher, so daß Rückkopplungen entstanden, wenn sie sich kreuzten. Ebenso trat ein Feedback mit den Reflexionen an den Wänden auf. Von daher wurde es erneut völlig unkontrollierbar, weil man über die Reflexionen ein vielfaches Feedback von allem mit jedem bekam.

Deshalb hängte ich zwei dieser Parabolschüsseln auf und erzeugte ein Feedback im Raum. Für mich ist das eine Art, den Raum und seine akustischen Möglichkeiten zu erkunden. Dann begann ich für das erste Setup die Wände in das Feedback einzubeziehen, den Boden dazuzunehmen und auch die Fenster. Die Idee war, diese Installation extrem räumlich werden zu lassen, den Raum zum Sprechen zu bringen, weil er eine Resonanzfrequenz hat. Und wenn ich diese Resonanzfrequenz im Rückkopplungssystem dominant werden ließe, würde der gesamte Raum mit seiner eigenen Stimme, mit seinem eigenen Ton rückkoppeln. Das war eine Art Ausgangsidee für meinen Aufenthalt hier.

Ein wenig wie etwas, was mir Chris Watson [11], ein Fachmann für Tonaufnahmen, gesagt hat. Er ist kein Klangkünstler und berühmt für seine Tonaufnahmen zu Naturdokumentarfilmen mit David Attenborough. Er brachte mich auf die Idee, daß, wenn du in die Natur gehst, um die Geräusche so aufzunehmen, wie sie wirklich klingen, du nicht dort sein darfst. Nehmen wir einmal an, du gehst nach Alaska oder Kanada und denkst, tausend Kilometer rundum ist niemand. Du gehst in den Wald und hast die Vorstellung, dieses ist jetzt der echte Klang des Waldes. Das ist er nicht. Es ist der Klang des Waldes, wie er auf deine Anwesenheit reagiert! Du erzeugst einen Ausbruch von Alarmsignalen, und Tiere, die dich über Kilometer hinweg riechen, bleiben verschwunden, so daß du sie gar nicht erst zu hören bekommst.

Daher kannst du nur dann alles aufnehmen, wenn du deinen Rekorder im Wald zurückläßt, verschwindest und einige Tage später wiederkommst, um das Gerät abzuholen. Vielleicht hast du dann den echten Sound. Aber die Leute begreifen das nicht. Sie merken nicht, daß der Raum, sobald sie ihn betreten, auf ihre Anwesenheit reagiert und sie zu einem Bestandteil des Raums werden.

Der Raum wird nicht allein von den Wänden geschaffen. Bei der Architektur geht es nicht darum, Wände zu errichten. Es geht darum, Raum einzuschließen. Es geht nicht um den Behälter und die Ränder, sondern um das, was darin ist.

Ich habe also einige Experimente durchgeführt. Wenn du zum Beispiel in dem Raum hineinkommst und einen Fuß aufsetzt, antwortet der Raum mit einem Rückkopplungston, der der Resonanzfrequenz des Raums entspricht. In einem weiteren Experiment war der Raum völlig still. Wenn du dann sprichst, entsteht eine Grundfrequenz. Das ist so etwas wie ein babylonischer Effekt: du sprichst und aus deinem Mund kommt ein anderer Klang heraus, weil er durch den Raum moduliert wurde. Der Raum antwortet, er versucht dich zu dominieren. Diese Dinge spielen mit hinein. Sie werden immer da sein. So wie eine Tür, die sich schließt, Einfluß auf alles hat. Auch wenn die Tür auf ist, kann das den Klang beeinflussen. Wenn die Fenster offenstehen, ist der Klang anders. Wenn sich viele Leute im Raum aufhalten, ist der Klang völlig anders. Selbst wenn du nur deinen Kopf drehst, kann der Sound völlig anders sein.

SB: Haben Sie das gehört?

JV: Ja, ja, absolut.

SB: Ich vermeinte, den Raum in den Wänden zu hören. Ich dachte, ich könnte den Kubus der Wände hören, aber ich bin in diesen Dingen nicht sehr erfahren.

JV: Ja, das ist ein sehr spezieller Raum.


Foto: Mehrere Röhren und Boxen sowie eine weiße Säule im Raum - © 2015 by Schattenblick

Ein sehr spezieller Raum
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Gibt es von daher keine Reproduktion dieser Installation? Läßt sich diese Installation nicht in einen anderen Zusammenhang stellen?

JV: Ich könnte das schon machen, aber es wäre etwas völlig anderes. So etwas habe ich schon gemacht.

SB: Und man kann es nicht aufnehmen?

JV: Richtig, man kann es nicht aufnehmen. Meines Erachtens ist es unmöglich, das aufzunehmen. Was ich bedaure, ich habe es bei früheren Installationen versucht. Es sind auch schon mal Leute gekommen, die haben das mit Mehrkanaltechnik und derartigen Dingen versucht. Ich habe ihnen gleich gesagt, versucht es nur, viel Spaß dabei - es ist unmöglich.

Die Aufnahmen werden stets so etwas wie ein Archiv sein. Sie werden niemals das Werk wiedergeben können. Dasselbe gilt für die Videos. Ich habe Videos von den Installationen angefertigt, um sie anderen zu zeigen und um ein Archiv zu haben, aber nicht, um ein Kunstwerk wie dieses zu haben. Das geht nicht. Es gibt viele Künstler, die eine Installation machen wollen und speichern ihre Aufnahmen dann auf CD. Aber ich denke, bei dieser Art von Werk macht das keinen Sinn.

SB: Benutzen Sie Computer, um den Sound zu analysieren oder um den Sound zu manipulieren?

JV: Der Sound wird nicht manipuliert.

SB: Keine Algorithmen oder ähnliches?

JV: Nein, nichts davon. Der Computer wird nur zur Steuerung der Bewegungen benutzt, um die Komposition in der Bewegung zu erzeugen. Das ist der einzige Computer.

SB: Und auch nicht für die Analysen?

JV: Nun gut, ich hatte meinen Freund Robin Hayward [12], einen mikrotonalen Tubaspieler, der zur Zeit seine Doktorarbeit über das Verhalten von Schwingungen in Röhren schreibt, hinzugezogen. Er spielte in der Performance meiner letzten Installation - mit der Tuba und meiner Installation zusammen. Er schrieb eine spezielle Software für mikrotonale Stimmungen - Hayward Tuning Vine.

Es war noch nie meine Art zu arbeiten, daß ich eine Idee habe, die ich dann realisiere. Sondern ich starte Experimente, etwas geschieht, was dann lustig, eigenartig oder interessant ist. Ich versuche dann, das zu verstehen, erforsche, was vor sich geht, damit ich es in etwas Vorführbares umsetzen kann.

Als ich daher die Experimente mit diesen sich bewegenden Röhren im Raum und den Mikrofonen durchführte, rief ich Robin an, der in Berlin lebt. Er kam mit der Software, um zu versuchen die Frequenzen zu messen und herauszufinden, was tatsächlich abläuft. Auf diese Weise bekamen wir eine Idee davon, daß es irgendwie eine Kombination zwischen stehenden Wellen und Helmholtz-Resonator sein müßte. Wir benutzen also den Computer nur, um zu begreifen, was in dem Setup vor sich ging, um selbst mehr Kontrolle über die Phänomene zu erlangen, so daß ich es präsentieren und hörbar machen kann. Bei allem übrigen wurden keine Computer eingesetzt.

Bei mir wird es im Audiobereich nie Computer geben, niemals. Sobald man Computer im Audiobereich einsetzt, ändert sich alles - von innen her tot, meiner Meinung nach.

SB: Das ist dasselbe bei der Video- und Filmproduktion wie in der Musik. Meiner Meinung nach handelt sich jedesmal um denselben Fehler, wenn man Computer einsetzt.

JV: Ich denke, es ist doch extrem lustig, daß all die Hersteller von Fotokameras seit Jahren nun versuchen, Bilder von derselben Qualität zu erzeugen wie in der analogen Fotografie. Sie werden es nie schaffen. Das gibt es nicht. Pixel gibt es nicht. Es gibt eine unendliche Menge von Pixeln in der Analogfotografie. Egal, wie viele Pixel du jemals in eine Kamera packen kannst, du wirst niemals die Auflösung eines analogen Bildes erreichen. Es handelt es sich um einen Versuch, die Natur zu schlagen. Das kann man nicht.

SB: Von daher ist die Installation ein Beweis für diese Theorie.

JV: Ich bin auch sehr glücklich darüber, daß ich nicht hundertprozentige Kontrolle darüber habe und daß ich nicht allein arbeite. Ebenso wie die Röhren zusammen spielen und sich gegenseitig bekämpfen, mache ich es mit dem Feedback - mit ihm zusammen spielen und bisweilen mit ihm kämpfen. Es ist wie ein bester Freund.

SB: Vielen Dank, Herr Vandesande, daß Sie uns dieses Gespräch ermöglicht haben.


Fußnoten:

[1] Jeroen Vandesande, 1986 in Turnhout/Belgien geboren, macht seit 2004 Klangkunst. Er hat unter anderem in Gent, Brüssel, Kortrijk, Eindhoven, Utrecht, Maastricht, Leeuwarden, Osnabrück, Berlin und Washington DC ausgestellt.
http://www.jeroenvandesande.be/index.php

[2] Die Ausstellung im Haus der Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, in Berlin entstand als Kooperation von singuhr e.V. und der Schering Stiftung mit Unterstützung durch die Initiative Neue Musik Berlin e.V. Die Ausstellung endet am 24. Oktober 2015.

[3] Das englische "feedback" kann mit "Rückkopplung" übersetzt werden. Wenn die Lautsprecher im Saal pfeifen, weil das Mikrofon am Rednerpult zu weit aufgedreht ist, hört man eine Rückkopplung. Vandesande setzt eine ganze Anzahl rückkopplungsfähiger Elemente ein, die alle untereinander verkoppelt sind. Das heißt, die von dem einen Rückkopplungssystem bestimmte Schwingung der Luft beeinflußt die Schwingung des anderen Rückkopplungssystems und umgekehrt. Der Begriff Rückkopplung greift daher ebenso zu kurz wie Feedback. Das leicht Fremde in dem beibehaltenen englischen Begriff soll hier für diese Systemkomplexität stehen.

[4] Vandesande hat durchgehend das Wort "space" verwendet, welches hier mit "Raum" übersetzt wurde. Im Deutschen schließt dieser Begriff unter anderem den metrisch gedachten, physikalischen Raum, den Raum in einem Gebäude und Raum im Sinne von Platz ebenso ein wie das englische "space". Vandesande hat offenbar im Zusammenhang mit dem Feedback ein beim Erstkontakt mit seiner Installation nicht unbedingt zugängliches, darüber hinausgehendes Verständnis von Raum entwickelt.

[5] Musikinstrumenten beispielsweise können Eigenschwingungen zugewiesen werden, welche in der Tonhöhe unterschieden werden. Die Tonhöhe wird über Schwingungszahl oder Frequenz gemessen, und die Frequenz der Eigenschwingung nennt sich Resonanzfrequenz.

[6] Auch der Begriff "setup" wurde nicht übersetzt, weil er bei Vandesande anscheinend nicht nur die Einrichtung der Instrumente, sondern auch die über zweieinhalb Monate gehende Komposition umfaßt.

[7] Stehende Wellen in der Luft sind Schwingungen der Luft zwischen zwei starren Oberflächen. Diese kehren den Druck um und bremsen in ihrer unmittelbaren Nähe Bewegungen der Luft aus.

Der Helmholtz-Resonator ist das physikalische Konzept zur Beschreibung von Hohlkörpern wie z. B. der Flasche, die angeblasen wird, um einen Ton zu erzeugen. Die Luft in der Flasche und im Flaschenhals kann aufgrund ihrer trägen Masse und Elastizität schwingen.

[8] Cm7 steht für den Molldreiklang auf dem Grundton C mit der Septime als viertem Ton.

[9] Der Grundton eines Klangs in Musik und Sprache wird als deren Tonhöhe wahrgenommen. Ein Gemisch von Obertönen charakterisiert den Klang darüber hinaus. Die Schwingungen des Grundtons und der Obertöne können technisch voneinander getrennt und wieder synthetisiert werden.

[10] Sinoide sind sinusförmige Verläufe. In der Akustik stehen sie für Schwingungen ohne Obertöne.

[11] Chris Watson, 1953 in Sheffield/England geboren, gilt als einer der international renommiertesten Tontechniker. Das Gründungsmitglied der experimentellen Musikgruppe Cabaret Voltaire der 1970er Jahre hat 1981 seine Karriere als Tontechniker angefangen und seitdem Tonaufnahmen für zahlreiche Fernseh- und Radiobeiträge produziert.
http://www.chriswatson.net/

[12] Der Tubist und Komponist Robin Hayward wurde 1969 in Brighton/England geboren und lebt seit 1998 in Berlin.
http://www.robinhayward.de/deu/biography.php

15. September 2015


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