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ANALYSE & KRITIK/327: Verhärtete Fronten in Honduras


ak - analyse & kritik - Ausgabe 543, 16.10.2009

Verhärtete Fronten in Honduras
Die Putschisten zeigen sich auch nach der Rückkehr des legitimen Präsidenten kompromisslos

Von Tobias Lambert, 9.10.09


Auf die überraschende Rückkehr des am 28. Juni durch einen Putsch gestürzten Präsidenten Mel Zelaya reagieren die PutschistInnen in Honduras mit der Suspendierung von Bürgerrechten. Die de-facto-Regierung setzt nach wie vor darauf, den Putsch durch Wahlen am 29. November zu legitimieren. Zelaya harrt in der von Sicherheitskräften umstellten brasilianischen Botschaft aus, während die Widerstandsfront gegen den Putsch auf der Straße mobilisiert. Trotz neu gestarteter Verhandlungen scheint ein gangbarer Ausweg aus der Krise weiterhin nicht in Sicht zu sein.

Es war ein gelungener Schachzug. Als einige Medien am 21. September berichteten, der legitime honduranische Präsident Manuel "Mel" Zelaya sei in sein Land zurückgekehrt, erwischte dies die Putsch-Regierung auf dem völlig falschen Fuß. "Er befindet sich in Ruhe in einer Suite in Nicaragua", behauptete de-facto-Präsident Roberto Micheletti und wertete anderweitige Meldungen als "medialen Terrorismus". Wenig später bestätigten sich jedoch die Gerüchte. Zelaya meldete sich aus der brasilianischen Botschaft in Honduras Hauptstadt Tegucigalpa zu Wort und rief seine AnhängerInnen zu friedlichen Protesten auf.

Damit glückte dem Ende Juni mit vorgehaltener Waffe des Landes verwiesenen Zelaya bei seinem dritten Anlauf die Rückkehr nach Honduras. Versuche über den Luft- und den Landweg waren im Juli gescheitert. Wie genau Zelaya es diesmal geschafft hat, verriet er vorerst nicht.

Den Putsch hatte die traditionelle Oligarchie von Honduras am 28. Juni mit Hilfe des Militärs durchgeführt. Als Anlass galt eine von Zelaya für den selben Tag geplante, rechtlich unverbindliche Befragung. Die Bevölkerung sollte ihre Meinung darüber abgeben, ob zeitgleich mit den allgemeinen Wahlen im November mittels einer vierten Urne über die Möglichkeit abgestimmt werden sollte, eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Die honduranischen Eliten sahen darin einen Verfassungsbruch und warfen Zelaya vor, eine weitere Amtszeit anzustreben.


Zelayas Rückkehr löste Mobilisierungswelle aus

Dieser hätte im November aber ohnehin nicht wieder kandidieren dürfen. Die wahren Gründe für den Putsch lagen tiefer. So sahen die Eliten ihre Stellung durch zaghafte Wirtschaftsreformen bedroht und werteten Zelayas rhetorische Annäherung an den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez sowie den Beitritt Honduras zur von Venezuela und Kuba gegründeten "Bolivarianischen Allianz für die Amerikas" (ALBA) als Affront. Ganz in der Tradition des kalten Krieges stellen Militär und Oligarchie den Putsch bis heute als Rettung vor dem (diesmal chavistischen) Kommunismus dar. Dabei konnte von einem wirklichen Linksruck in Honduras kaum die Rede sein. Zelaya war - zumindest ab der Hälfte seiner Amtszeit - darum bemüht, eine Art soziale Marktwirtschaft einzuführen. So erhöhte er beispielsweise den Mindestlohn und beendete zugunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten teils jahrzehntelang bestehende Privilegien der Oligopolanbieter im Erdöl- und Medikamentensektor.

Obwohl der Putsch international einhellig verurteilt wurde, blieb die Putschregierung stur und ließ sich auch durch die Einfrierung wirtschaftlicher Hilfen durch die USA, die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht beeindrucken. Zumindest die Haltung der US-Regierung blieb allerdings widersprüchlich. Präsident Barack Obama stellte sich zwar hinter Zelaya, strich zaghaft honduranische Visa und Wirtschaftshilfe und löste sich somit von der unrühmlichen Tradition der US-Außenpolitik, rechte Militärputsche in Lateinamerika grundsätzlich zu unterstützen. Von einem Putsch spricht er aber offiziell nicht und lässt sich damit einige Hintertürchen offen. Das Flugzeug, dass Zelaya am 28. Juni nach Costa Rica brachte, legte zudem einen Zwischenstopp auf der US-Militärbasis Palmerola in Honduras ein.

Unmittelbar nach dem Putsch schlossen sich in der Nationalen Front gegen den Staatsstreich in Honduras unter anderem Bauern und Bäuerinnen, LehrerInnen, Studierende, GewerkschafterInnen und linke AktivistInnen zusammen. Trotz regelmäßiger Ausgangssperren und teils massiver Repression durch die Sicherheitskräfte erreichte das Bündnis eine beispiellose politische Mobilisierung in einem Land, das traditionell durch schwache soziale Bewegungen geprägt ist.

Nach fast 90 Tagen Widerstand löste Zelayas Rückkehr am 21. September eine neue Mobilisierungswelle aus. Die Putschregierung reagierte wie gehabt mit Härte. Seit dem Putsch kamen laut der honduranischen Menschenrechtsorganisationen Cofadeh mindestens 17 Personen durch staatliche Repression ums Leben. In der Nacht nach Zelayas Rückkehr wurden seine vor der brasilianischen Botschaft versammelten UnterstützerInnen brutal vertrieben. Zeitweise inhaftierten Polizei und Militär Hunderte Menschen in einem Sportstadion, was in seiner Symbolik an den Beginn der chilenischen Militärdiktatur 1973 erinnert.

Die brasilianische Botschaft gleicht seit der Rückkehr Zelayas einem militärischen Sperrgebiet. Laut Berichten von Zelaya und internationalen JournalistInnen wurde das Botschaftsgelände mehrfach von Sicherheitskräften attackiert. Zeitweise wurden Strom und Wasser ausgeschaltet. Das Militär ließ Lebensmittel- und Trinkwasserlieferungen nur zögerlich passieren, richtete Schallkanonen auf das Gebäude und feuerte ein Gasgemisch über die Mauer. Micheletti hatte der brasilianischen Regierung am 27. September ein Ultimatum von zehn Tagen gestellt, um über den Status von Zelaya zu entscheiden. Brasiliens Präsident Luís Inácio Lula da Silva wies die Forderung umgehend zurück. "Brasilien wird kein Ultimatum einer Putsch-Regierung tolerieren", sagte er und warnte vor einem gewaltsamen Eindringen in die Botschaft. Nach dem Besuch einer Delegation brasilianischer Abgeordneter Anfang Oktober setzte Micheletti das Ultimatum zunächst aus.


Letzte kritische TV- und Radiosender vom Netz

Als Antwort auf die Proteste der Widerstandsbewegung hatte die de-facto-Regierung bereits am 27. September per Dekret offiziell die Versammlungs-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit für die Dauer von 45 Tagen aufgehoben. Die Sicherheitskräfte erhielten zudem das Recht, willkürlich Festnahmen und Hausdurchsuchungen durchzuführen. Einen Tag später stürmten Militär- und Polizeieinheiten den TV-Sender Canal 36 und das Radio Globo, die letzten beiden landesweit übertragenden kritischen Medien. Diese hatten regelmäßig Protestaufrufe von Zelaya und Nachrichten aus der Widerstandsfront verbreitet. Auch wenn Radio Globo kurz darauf aus dem Untergrund weitersendete, scheint die Ausschaltung der beiden Medien direkte Auswirkungen auf die Mobilisierungsfähigkeit der Widerstandsfront zu haben. "Die Schließung von Radio Globo und Canal 36 hat uns die Kommunikation mit den Leuten abgeschnitten", beklagte der Gewerkschafter Juán Barahona, Koordinator der Bewegung. Die Proteste halten dennoch an.

Laut dem Plan der Putsch-Regierung sollte die Suspendierung der Grundrechte auch während der Kampagnen für die am 29. November vorgesehenen Wahlen andauern. Damit offenbarte sich ein weiter wachsender politischer Realitätsverlust bei Diktator Micheletti. Erstmals seit dem Putsch zeigten sich denn auch leichte Spannungen innerhalb der honduranischen Oligarchie. Einige Mitglieder der Putschregierung, das Parlament und der Nationale Wahlrat kritisierten das Dekret zur Suspendierung der Bürgerrechte, da es die Durchführung der Wahlen im November behindern könne. Ebenso meldete sich eine Gruppe von UnternehmerInnen zu Wort, die den Putsch maßgeblich unterstützt hatte, und forderte die temporäre Wiedereinsetzung Zelayas sowie einen Blauhelm-Einsatz der Vereinten Nationen. "Wie wollen nur, dass der Frieden nach Honduras zurückkehrt", sagte Adolfo Facussé, Präsident der Vereinigung Industrieller und Angehöriger einer der mächtigsten Unternehmerfamilien in Honduras. Die UnternehmerInnen sehen nicht nur ihre Geschäftstätigkeiten behindert, sondern leiden auch darunter, dass die USA honduranischen BürgerInnen keine Visa mehr ausstellen. Facussé selbst wurde laut Medienberichten Mitte September die Einreise in die Vereinigten Staaten verwehrt.

Micheletti zog das Dekret am 5. Oktober zwar tatsächlich zurück, im Gesetzesblatt wurde dies allerdings bis dato nicht verkündet. Demonstrationen wurden weiterhin ver- oder behindert. Die putsch-kritischen Sender blieben geschlossen.

Die de-facto-Regierung hofft darauf, dass die für den 29. November geplanten Wahlen letztlich doch noch international anerkannt werden könnten und der Putsch dadurch nachträglich legalisiert wäre. Dies wiederum würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen.

Offiziell beharren die maßgeblichen internationalen Akteure wie EU, USA, OAS oder die südamerikanische Staatengemeinschaft UNASUR weiterhin auf einer Vermittlungslösung auf Grundlage des "San-José-Abkommens". Dieses bereits im Juli vom costaricanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias ausgehandelte Abkommen sieht unter anderem die Wiederseinsetzung Zelayas und eine Amnestie für die Putschisten vor. Micheletti hatte den Vorschlag damals jedoch abgelehnt und eine Wiedereinsetzung Zelayas als "unverhandelbar" zurückgewiesen. Arias setzt mittlerweile darauf, die aktuellen Präsidentschaftskandidaten stärker in die Lösung des Konfliktes einzubeziehen. Schließlich hätten diese ein vitales Interesse daran, im Falle ihres Wahlsieges international anerkannt zu werden. Neben der Liberalen und Nationalen Partei, die sich traditionell die Macht in Honduras aufteilen, haben noch zwei kleinere rechte Parteien Kandidaten aufgestellt. Zwei linke Kandidaten machten ihre Teilnahme davon abhängig, ob Zelaya vor den Wahlen in sein Amt zurückkehrt.

Tatsächlich bekam die Möglichkeit einer Verhandlungslösung Anfang Oktober zunächst unerwartet neuen Schwung. Eine hochrangige Kommission der OAS reiste nach Honduras und half dabei, einen Verhandlungstisch einzurichten, dem jeweils drei VertreterInnen beider Seiten angehören. Für Zelaya nimmt neben zwei MinisterInnen auch Gewerkschafter Juán Barahona als Vertreter der Widerstandsbewegung teil. Kurz nach Beginn der Gespräche am 7. Oktober sah es allerdings bereits nach einem erneuten Scheitern aus. Micheletti bezeichnete die Ausweisung Zelayas zwar plötzlich als "Fehler", für den die dafür Verantwortlichen bestraft werden würden. Der Wahltermin werde aber nur dann verschoben, "wenn sie uns töten und einmarschieren". Sowohl Zelaya als auch seine AnhängerInnen werfen der de-facto-Regierung vor, eine Verzögerungstaktik zu betreiben. Barahona sagte bereits nach zwei Tagen, die Verhandlungen seien "an einem toten Punkt angekommen". Zelaya setzte eine Frist bis zum 15. Oktober, um wieder in sein Amt eingesetzt zu werden, andernfalls könnten die Wahlen nicht stattfinden. Bis zuletzt blieb fraglich, ob der Dialog irgendein greifbares Ergebnis produzieren würde.

Für die tiefer liegenden tatsächlichen Probleme in Honduras stellen die möglichen Szenarien indes kaum eine Lösung in Aussicht. Der Widerstandsbewegung geht es nicht einfach um die kurzzeitige Wiedereinsetzung Zelayas, sondern um grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Für sie ist das Projekt einer Verfassunggebenden Versammlung keineswegs vom Tisch. Die wiederum ist in allen international gehandelten Exit-Strategien tabu. Die gestärkten sozialen Bewegungen werden aber wohl kaum einfach wieder von der Bildfläche verschwinden, sondern unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen und möglicher Wahlen weiterhin für eine Neugründung des Landes mobilisieren.


Ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht

Dass die Verfassung zumindest nicht unantastbar sein sollte, bestätigte selbst Oscar Arias. "Ich war gezwungen, die honduranische Verfassung zu studieren", sagte der Vermittler am 30. September auf einer Veranstaltung in Miami. Sie sei "die schlechteste der Welt", fügte er ungewohnt undiplomatisch hinzu. Während Mitglieder der Putschregierung erzürnt eine Entschuldigung verlangten, klatschte Zelaya Beifall. Arias habe "mit Präszision das Grundproblem der honduranischen Krise benannt".


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2009