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ANALYSE & KRITIK/434: Drill bis in den Tod


ak - analyse & kritik - Ausgabe 558, 18.02.2011

Drill bis in den Tod
Zur Debatte um die zwei toten Soldatinnen der Gorch Fock

Von Markus Euskirchen


Innerhalb von zwei Jahren sind zwei junge Soldatinnen auf dem Bundeswehrausbildungsschiff Gorch Fock zu Tode gekommen. Die eine fiel beim Wachdienst in die Nordsee und ertrank; die andere stürzte im Rahmen der Formalausbildung aus der Takelage auf Deck. Heftig war die Debatte und groß die moralische Empörung: Drill auf einem Militärschiff! Tote bei der militärischen Herstellung von Disziplin und Korpsgeist! Aber Militär bedeutet nun mal Gewalt - nicht nur im Krieg oder Bürgerkrieg.

Ohne die im Drill ausgeübte direkte Gewalt der Vorgesetzten gegen die Rekruten wären militärische Disziplin und Gehorsam bis in den Tod bzw. zum Mord nicht herstellbar. Im körperlichen Training des militärischen Formaldienstes werden die Bewegungsmuster eingeschliffen und die Einzelnen in das exerzierende Kollektiv eingepasst. An Land gibt es Hindernis-Parcours, auf See wird in die Rahen geklettert. Es ist der Gewaltcharakter der Bundeswehr, die "Todesnähe" der Institution und in der Institution, die ihren innerinstitutionellen Herrschaftscharakter begründet und in der Anwendung von direkter Gewalt in psychischer und physischer Form zum Ausdruck kommt. "Abrichtung zum Soldaten bedeutet nicht nur Erzeugung von Todes- und Tötungsbereitschaft, sondern ebenso ihre Kontrolle", bemerkt Ulrich Bröckling in seiner Arbeit über militärische Disziplin.


Selbstbeherrschung auch in Extremsituationen

Der Drill auf der Gorch Fock dient in der Offiziersausbildung der Bundesmarine nicht nur der Aussortierung des schwächsten Fünftels der OffiziersanwärterInnen, sondern auch der Herstellung von Disziplin und Gehorsam beim Rest. Die Anforderungen, die aus Sicht des Militärs an die Gehorsamsproduktion gestellt werden, sind doppelter Art: Einerseits gilt es, die Fremdbeherrschung der SoldatInnen einzurichten, d.h. sie dazu zu bringen, die Befehle des Vorgesetzten "nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen." (§ 11 Soldatengesetz) Untrennbar damit verbunden ist andererseits die Notwendigkeit, eine möglichst umfassende Selbstbeherrschung der SoldatInnen zu etablieren. Denn entgegen ihren ureigenen Ängsten und Überzeugungen und selbst in Extremsituationen der Todesnähe sollen sie funktionieren.

Die militärische Gehorsamsproduktion bedient sich, so der Soziologe Hubert Treiber, dreier zentraler Techniken, die international zum Einsatz kommen: Normenfalle, Überlastung und Drill. Diese Triage des schikanösen Verhaltens von Vorgesetzten gegenüber ihren Rekruten hat in Frankreich den Namen "bizutage", in Italien "nonnismo". Im Deutschen scheint es keinen spezifischen Begriff zu geben, oft dient hier "Drill" in einem erweiterten Wortsinn.

Die Normenfalle bezeichnet eine Disziplinierungstechnik, die über die umfassende und permanente Reglementierung und Normierung des soldatischen Alltags funktioniert. Dabei ist die Liste der geregelten Bereiche und der einzelnen Reglementierungen bis zur Unüberschaubarkeit umfangreich.

Die Überlastung steht in engem Zusammenhang mit der Normenfalle. Angesichts der kaum zu bewältigenden Anforderungen, die in allen Bereichen an die SoldatInnen gestellt werden, kann der einzelne Soldat nie "Herr der Lage" werden. Seine eigene Unzulänglichkeit und die Überlegenheit des Vorgesetzten werden ihm permanent vor Augen geführt. Eine Steigerung erfährt diese normierungsbasierte Unterwerfung, wenn in einer Situation mehrere nicht miteinander vereinbare Forderungen an den Soldaten gestellt werden.

Der Drill im engeren Sinne als drittes Element betrifft vor allem die körperliche Einübung der Befehls- und Gehorsamsschemata beim Exerzieren, Grüßen, Marschieren, oder eben beim Antreten auf Deck und Herumklettern in den Takelagen.

Foucault spricht in "Überwachen und Strafen" von einer "Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweise kalkulieren und manipulieren. Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt."


Gehorsamsproduktion, Kontrolle und Unterwerfung

Mit Formalausbildung und Drill wird das erzielt, was die militärische Sprache "Haltungsdisziplin" nennt: die Einfügung des Individuums in die militärische Befehls- und Gehorsamsmaschine, die die SoldatInnen auch im Zustand der Todesnähe funktionsbereit hält. Dabei ist der politische Rahmen irrelevant. Sobald sich eine Gesellschaft militärische Mittel offen halten will, ist der direkte und zwangsförmige, d.h. gewaltsame Zugriff auf die Körper der zu disziplinierenden jungen Menschen notwendig. Hier liegt die tiefere Begründung für den aktuellen Systemwechsel zur Freiwilligkeit: Die demokratische Legitimationserzählung blendet materielle Zwänge aus und kann nun lauten: Wir zwingen ja niemanden ...

Die SoldatInnen der Gorch Fock verabschiedeten ihren Kapitän nach dessen Suspendierung mit einem Transparent: "Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff". Offensichtlich funktionalisiert die militärische Gehorsamsproduktion auch noch den Eigensinn der SoldatInnen gegen die Schikanen der Gehorsamsproduktion. Die seelischen Demütigungen durch ständige Kontrollen, Sanktionen und körperlich anstrengende Unterwerfungspraktiken lassen informelle Solidargemeinschaften entstehen: "Gemeinsam schaffen wir das!" oder "Jetzt erst recht!" Die Renitenz schlägt um in eine Art trotzige Übererfüllung der Norm. Die dabei entstehenden Aggressionen werden kanalisiert - oder es kommt zu tragischen "Unfällen". Das Militär ist auf diese informelle Gemeinschaftsbildung jedoch angewiesen, wenn Gewaltbereitschaft und Gruppenzwang als soziale Dynamiken "wachsen", und nicht nur "von oben verordnet" werden sollen.



Zum Weiterlesen:

Ulrich Bröckling: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion. Fink Verlag, München 1997

Markus Euskirchen: Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments. Papyrossa Verlag, Köln 2005


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 558, 18.02.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2011