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ANALYSE & KRITIK/460: Völker-Kitt Tzatziki - Eine aufgebrachte Polemik gegen merkelsche Hilfsbereitschaft


ak - analyse & kritik - Nr. 562 - 17.6.2011
zeitung für linke Debatte und Praxis

Völker-Kitt Tzatziki
Eine aufgebrachte Polemik gegen merkelsche Hilfsbereitschaft

Von Margarita Tsomou


Deutschland zeigte sich mal wieder großzügig: Hilfen gegen Staatspleite für Privatisierungen und Sparhaushalt. Nicht nur die BILD präsentiert Deutschland seit Monaten als Opfer südländischer Lebensart und als Zahlmeister Europas. Dass die Realität ganz anders aussieht, hat bisher selten gegen rassistisch konnotierte Ressentiments geholfen. Ein guter Anlass für eine aufgebrachte Polemik gegen die merkelsche Hilfsbereitschaft.

Die Griechen protestieren wieder mal gegen die neuesten europäischen Rettungsmaßnahmen. Aha, what else is new? Typisch griechische Undankbarkeit für unsere typisch merkelsche Hilfsbereitschaft. Sie malen Hakenkreuze auf die europäische Fahne und überweisen Toten immer noch jahrelang ihre Rente. Schnallen die das nicht, dass Tote keine Rente brauchen? Außerdem verkaufen sie verseuchte Gurken...oh sorry, das waren andere Südländer...und lassen afrikanische Flüchtlinge nach Europa. Die und die Italiener machen unsaubere Arbeit an der EU-Südgrenze. Wofür schicken wir die deutsche Frontex nach Evros und Lampedusa?

Aber demonstrieren können sie - allerdings jetzt ganz ohne Ausschreitungen. Seit Neustem verlaufen Griechenkrawalle nämlich friedlich. Dabei haben die Bilder der verbrannten Bankangestellten vor einem Jahr so schön Einschaltquote gebracht. Jetzt, hört man, besetzen sie zu Tausenden öffentliche Plätze. Was? Mindestens 300.000 Menschen sollen es in Athen gewesen sein? Nein, solche Protestzahlen drucken wir nicht. Jetzt machen sie diese komischen Handbewegungen, die an Tunesien erinnern sollen, aber diese Bilder wollen wir lieber vergessen. Das hat nichts mit den arabischen Revolutionen zu tun und auch nichts mit der spanischen Assemblea-Bewegung auf der Puerta del Sol. Nein, wir werden nicht eins und eins zusammenzählen und das Offensichtliche sehen... Nein, das mag vielleicht ähnlich aussehen, aber wo soll da der Zusammenhang bestehen! Tägliche Volksversammlungen mit offenem Bürgermikro? Sie campieren vor dem Parlament und versorgen sich gegenseitig, ohne Geld dafür zu nehmen? Da spielen sich doch nur Hunderttausende als Multitude auf - und das ohne Repräsentanten. Wo kämen wir da hin, wenn das eine Nachricht werden würde.

Dass die unzivilisierten Araber die westliche Demokratie fordern - nett. Aber wenn Europäer ihre Demokratie in Frage stellen und sich, alt und jung, auf den Platz setzen, um "eine andere zu denken" - das geht uns zu weit. Daraus können wir keine Nachricht machen. Und dieses ganze Gerede von direkter Demokratie. Da ist keine neue Qualität ziviler Beteiligung, das ist stinknormale, undankbare Griechenaufmüpfigkeit. Business as usual. Die sollen erstmal konstruktive Vorschläge machen. Aber nicht jetzt so Schulden-Audit-Lösungen à la Argentinien oder Ecuador. Da können sie noch so laut schreien, da hören wir nicht hin.

Sie sagen, dass die griechische Gesellschaft seit einem Jahr im Ausnahmezustand ist, dass neofaschistische Organisationen wachsen, dass täglich massenweise entlassen wird, das Land in Frust und Verzweiflung versinkt, eine ganze Generation auf eine ausweglose Zukunft blickt und die "IWF-Schlinge" den Atem abschneidet. Sollen sie sich doch den Hals brechen - die Commerzbank und die Hypo Real Estate brauchen ihr Geld auch. Merkel hat sie vor drei Jahren aus der Pleite gerettet, da lassen wir nicht zu, dass die Griechen sie in den Ruin stürzen. Der deutsche Steuerzahler hilft gerne seinen Banken notfalls zwei Mal - und über den Umweg teurer Kredite an die Schuldnerstaaten. Umso ärgerlicher ist es, dass die Griechen so unverbesserlich sind! Die FAZ schreibt von verschenkten Milliarden, und wir sind sauer und wissen nicht mehr weiter. Aber: Bevor jemand Hungers stirbt, kann er immer noch Omas Goldschmuck verkaufen. Zum Beispiel wird unsere Deutsche Telekom die Anteile am gewinnbringenden staatlichen Kommunikationsnetz OTE weiter erhöhen.

Die Idee ist ausbaubar, wir haben schließlich Übung: Mit westdeutscher Treuhanderfahrung kaufen wir uns in die Ägäis ein. Ein Traum in strahlend-blau! Die Hochtief AG entlastet die Griechen noch von ihren Flughäfen, fliegen kann sich ohnehin bald kein Grieche mehr leisten. Und sowieso hat das Land noch viel zu viel im Staatsbesitz! Sagt unsere Financial Times. Da kann es schon mal ans nationale Eingemachte gehen. Da kann sich der griechische Nationalstolz noch lang empören und von "neuer Besatzung mit ökonomischen Mitteln" reden. Nur lecker-Tzatziki reicht nicht mehr als Kitt zwischen den Völkern. Denn - wie Merkel mit Blick auf die Wirtschaft betont - das deutsche Wir geht stärker aus der Krise hervor, als es reingegangen ist. Da können noch so aufgebrachte Deutsch-Griechinnen noch so billige Polemiken schreiben, die BILD kriegt dieses Jahr den Medienpreis des Johanna-Quandt-Instituts für die Pleite-Griechen-Kampage. Die ehemalige SS-Familie und Industriellen-Dynastie bedankt sich beim treuen Zentralorgan. Wer wundert sich da noch.

Zum Glück haben die Menschen in den milden Sommernächten auf den Plätzen Griechenlands ihre eigenen Erfahrungen, Gespräche und YouTube-Übertragungen, da können ihnen deutsche Medien völlig egal sein.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 562, 17.06.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011